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Der Günstling des Glücks

Der reiche Schagerström war fest überzeugt, daß er nie etwas anderes geworden wäre als ein Tölpel und ein Schlingel, wenn ihn nicht seine ganze Jugend hindurch ein merkwürdiges Glück begleitet hätte.

Er, der Sohn reicher, angesehener Eltern, hätte ja in behaglichem Wohlleben aufwachsen können. Er hätte jede Nacht in einem weichen Bett schlafen, hätte die feinsten Kleider tragen und reichlich und gut zubereitete Speisen essen können, er genau so wie seine Geschwister. Aber das hätte er nicht ertragen. Nicht mit den Anlagen, die ihm zuteil geworden waren. Das verstand er selbst besser als sonst jemand.

Aber dann hatte er das große Glück gehabt, häßlich und unbeholfen zu sein. Seine Eltern und vor allem seine Mutter hatten ihn nicht leiden können. Sie konnten nicht begreifen, woher sie dieses Kind mit dem großen Kopf, dem kurzen Hals und dem dicken Körper bekommen hatten. Sie selbst waren stattliche, schöne Menschen, und alle ihre andern Kinder waren schön wie Engel. Dieser Gustav kam ihnen wie ein Wechselbalg vor, und als ein solcher wurde er auch behandelt.

Der ungeliebte Wechselbalg zu sein, war wirklich kein Vergnügen gewesen. Oft hatte es ihm bitter weh getan, das wollte Schagerström gerne zugeben; aber sobald er in ein reiferes Alter kam, hatte er all dies als eine Wohltat betrachtet. Wenn er von seiner Mutter jeden Tag hätte hören dürfen, wie sehr sie ihn liebe, und wenn er wie seine Brüder immer die Taschen voll Geld gehabt hätte, dann wäre er verloren gewesen. Damit wollte er allerdings nicht sagen, daß die Geschwister nicht auch gute und ausgezeichnete Menschen geworden seien. Sie hatten vielleicht von Anfang an bessere Charakteranlagen gehabt und konnten demgemäß das Glück ertragen. Aber für ihn hätte das nicht getaugt.

Daß er so sehr schwer Lateinisch gelernt und dadurch in allen Schulklassen sitzengeblieben war, das rechnete er natürlich als einen großen Gnadenbeweis von Frau Fortuna, vielleicht nicht gerade, solange er in die Schule ging, wohl aber nachher. Das war ja die Veranlassung, warum ihn der Vater aus der Schule nahm und ihn nach Värmland als Lehrling in ein Hüttenwerk schickte.

Dort war ihm sein gutes Glück auch wieder zur Seite gestanden. Es führte ihn in die Hände eines harten, geizigen Verwalters, und der konnte ihm die so notwendige Erziehung noch besser zuteil werden lassen als die eigenen Eltern. Bei diesem Verwalter durfte er wahrlich nicht auf Daunenpolstern liegen. Er mußte froh sein, wenn er eine dünne Strohmatratze auf der Pritsche hatte. Bei ihm lernte er Brei essen, auch wenn er angebrannt war, und Heringe verzehren, auch wenn sie ranzig schmeckten. Bei ihm lernte er vom Morgen bis Abend ohne Lohn arbeiten, aber mit der zuversichtlichen Gewißheit, für das kleinste Versäumnis ein paar Stockschläge in Empfang nehmen zu müssen. Auch dies alles war durchaus nicht angenehm, während er es durchmachte; aber der reiche Schagerström wußte eines sehr wohl: er konnte dem Schicksal nie dankbar genug sein, weil es ihn gelehrt hatte, auf Stroh zu schlafen und von Armeleutekost satt zu werden.

Nach einer Reihe von Jahren, als er lange genug in dem Hüttenwerk gewesen war, wurde er Buchhalter, und zu gleicher Zeit schickte man ihn nach Kronbäcken in den Bezirk Philippstadt auf ein Hüttenwerk, das dem Hüttenbesitzer Fröberg gehörte. Da bekam er einen angenehmen Herrn, gutgekochtes Essen am Herrschaftstisch und ein kleines Gehalt, von dem er sich ordentliche Kleider anschaffen konnte. Nun war er plötzlich in gute und angenehme Verhältnisse hineingekommen. Das wäre vielleicht nicht nützlich für ihn gewesen, aber er kam nie so weit, tatsächlich verwöhnt zu werden, weil sein altes Glück ihn auch hier nicht verließ.

Er war noch nicht vier Wochen auf Kronbäcken, als er sich auch schon in ein junges Mädchen verliebte, in die Pflegetochter des Hüttenbesitzers Fröberg, der zugleich auch ihr Vormund war. Und das war gerade das Schlimmste, was ihm widerfahren konnte, weil das junge Mädchen nicht allein blendend schön und talentvoll und gefeiert, sondern auch die Erbin von Eisenhämmern und Gruben im Wert von Millionen war. Für jeden Hüttenverwalter wäre es eine Vermessenheit gewesen, wenn er seine Augen zu diesem Mädchen hätte erheben wollen, um so mehr aber für einen, der häßlich und schwerfällig war und in seiner Familie als Wechselbalg betrachtet wurde, für einen, dem niemand half, der im Gegenteil ganz auf eigenen Füßen stehen mußte.

Von der ersten Stunde an sah Schagerström ein, daß es für ihn nichts anderes gab, als sich im Hintergrund zu halten und bei keinem Menschen auch nur eine leise Ahnung über seine Liebe aufkommen zu lassen. Für ihn gab es nichts anderes, als still zuzusehen, wenn junge Offiziere und Studenten an Weihnachten und zur Sommerzeit scharenweise nach Kronbäcken kamen, um der jungen Dame ihre Aufwartung zu machen. Für ihn galt es, die Zähne zusammenzubeißen und die Fäuste in der Gewalt zu behalten, wenn die andern sich rühmten, daß sie an ein und demselben Abend soundso oft mit ihr getanzt und soundsoviele Kotillonorden von ihr bekommen hätten und ihnen soundsoviele holde Blicke und freundliche Mienen von ihr zuteil geworden wären.

Schagerström hatte nicht viel Freude an der ausgezeichneten Stellung, da er sich zu gleicher Zeit mit seiner unglücklichen Liebe herumschlagen mußte. Sie begleitete ihn bei der Arbeit an den Werktagen und auf der Jagd an den Sonntagen. Die einzige Zeit, wo er sich einigermaßen frei von seiner Liebesqual fühlte, war, wenn er Grubenbau und Bergwerksbetrieb in ein paar gewaltigen Bänden studierte, die im Kontor auf den Wandbrettern lagen und in denen zu lesen gewiß noch niemals irgendeinem Menschen eingefallen war.

Nun ja, lange nachher hatte er ja wohl verstanden, daß diese unglückliche Liebe ebenfalls ein Erziehungsmittel gewesen war, mit dem er sich aber nie recht aussöhnen konnte; dazu war sie zu schwer zu ertragen gewesen.

Das junge Mädchen, dem seine Liebe gehörte, war weder freundlich noch unfreundlich gegen ihn. Da er nicht tanzte und nie einen Versuch machte, sich ihr zu nähern, hatte sie eigentlich nie Gelegenheit, sich mit ihm zu unterhalten. An einem Sommerabend jedoch, als man sich in dem großen Salon auf Kronbäcken mit Tanzen vergnügte, hatte Schagerström wieder wie gewöhnlich drüben an der Tür gestanden und war seiner teuren Geliebten nur mit den Augen gefolgt. Sein ganzes Leben lang konnte Schagerström nicht vergessen, wie bestürzt er war, als sie in einer Tanzpause auf ihn zutrat.

»Wäre es nicht besser, Sie würden zu Bett gehen, Herr Schagerström?« hatte sie gesagt. »Es ist Mitternacht und Sie müssen doch morgen früh um vier Uhr wieder an die Arbeit. Wir andern können ruhig bis Mittag schlafen, wenn wir Lust dazu haben.«

Er zog sofort wie ein begossener Pudel in das Kontor ab. Ja, er verstand sie recht wohl; es hatte sie verdrossen, ihn die ganze Zeit an der Tür stehen zu sehen. Sie hatte zwar freundlich gesprochen und ihn auch freundlich dabei angesehen, aber diesen kleinen Auftritt als Wohlwollen gegen sich zu deuten und zu meinen, er habe ihr leid getan, weil er sich da unnötigerweise ermüde, das konnte ihm nicht einfallen.

Ein anderes Mal waren sie auf dem Fischfang draußen gewesen, und einer von ihren gewöhnlichen Kurmachern sowie Schagerström hatten die Ruder geführt. Es war ein heißer Tag, und das Boot war sehr schwer, aber er, Schagerström, war jedenfalls glücklich gewesen, weil er seinen Platz im hinteren Teil des Schiffes ihr gerade gegenüber hatte, so daß er die ganze Zeit über seinen Blick auf ihr ruhen lassen konnte.

Bei der Rückfahrt, als man am Landungssteg anlegte und er ihr beim Aussteigen half, hatte sie ihm ganz freundlich für sein Rudern gedankt. Dann aber gleich, wie ängstlich, er könnte vielleicht ihre Freundlichkeit mißverstehen, hinzugefügt:

»Ich begreife nicht, warum Sie nicht nach Falun auf die Bergwerkschule gehen, Herr Schagerström. Wenn man der Sohn eines Präsidenten ist, sollte man sich eigentlich nicht damit begnügen, nichts weiter als ein Buchhalter auf einem Hüttenwerk zu sein.«

Natürlich hatte sie gemerkt, daß er sie auf der ganzen Kahnfahrt mit den Augen verschlungen hatte. Sie hatte begriffen, wie sehr er sie verehrte; das war ihr unangenehm gewesen, und nun wollte sie ihn forthaben. Ihre Ermahnung als Beweis von Interesse für seine Zukunft aufzufassen, weil sie von ihrem Vormund gehört hatte, es könne ein tüchtiger Bergwerksbeamter aus ihm werden, wenn er nur die richtige Ausbildung bekäme, ja, daß sie sich vielleicht das ausgedacht hätte, um die Kluft zwischen ihm und ihr zu vermindern, zwischen dem Hüttenwerksbuchhalter und der Tochter des Hüttenherrn, nein, das konnte er sich nicht vorstellen.

Da sie es aber wünschte, schrieb er an seine Eltern und bat sie, ihm die nötigen Mittel zum Besuch der Bergwerkschule zu gewähren, und siehe, er erhielt, was er begehrt hatte. Es wäre ihm ja leichter gefallen, das Geld anzunehmen, wenn sein Vater nicht zugleich geschrieben hätte, er hoffe, der Sohn werde sich jetzt besser halten als einstens in der Klaraschule zu Stockholm, oder wenn nicht gar so deutlich aus dem Briefe hervorgegangen wäre, daß die Eltern glaubten, selbst wenn er noch fünfzehn Bergwerkschulen durchmache, werde er es doch zu nichts weiter bringen als zu einem Hüttenwerksbuchhalter. Später hatte er indes abermals begriffen, daß sein altes Glück immer noch weiter daran arbeitete, einen tüchtigen Mann aus ihm zu machen.

In jeder Hinsicht hatte er auf der Bergwerkschule eine gute Zeit gehabt, das konnte er nicht leugnen. Seine Lehrer waren mit ihm zufrieden gewesen, und er selbst hatte sich mit einer wahren Gier auf das Studium geworfen. Nun wäre er mit der Welt ganz im Einklang gestanden, wenn er nicht in jedem freien Augenblick an die heimlich Geliebte drunten im Värmland sowie an alle, die sie dort umschwärmten, hätte denken müssen.

Als er schließlich mit großer Auszeichnung, die ihm niemand bestreiten konnte, den zweijährigen Lehrgang durchgemacht hatte, wurde ihm von Herrn Fröberg, ihrem Vormund, die Stelle eines Verwalters auf Gammalhyttan angeboren. Gammalhyttan war das größte und schönste der Hüttenwerke, die seinem Mündel gehörten.

Es war eine ausgezeichnete Stelle, viel besser, als was ein junger Mann im Alter von dreiundzwanzig Jahren je hätte erwarten können. Schagerström wäre auch überglücklich gewesen, wenn er nicht begriffen hätte, daß sie es war, die dahinterstand. Er nahm sich wohl in acht, sich einzubilden, sie setze Vertrauen in ihn und wolle ihm Gelegenheit geben, sich auszuzeichnen. Nein, das Angebot konnte nichts anderes bedeuten, als daß sie ihn auf liebenswürdige Weise verhindern wollte, nach Kronbäcken zurückzukehren. Schagerström fühlte, sie war nicht gerade unfreundlich gegen ihn gestimmt, ja sie wollte ihm gerne helfen, aber sie konnte es nicht ertragen, ihn in ihrer Nähe zu haben.

Er wäre auch ihren Wünschen gerne entgegengekommen und hätte sich nie mehr vor ihr gezeigt, doch ehe er die neue Stelle antrat, mußte er notgedrungen nach Kronbäcken, um sich seine Instruktionen zu holen. Und als er dort angekommen war, wurde ihm vom Herrn Hüttenbesitzer befohlen, sich in das große Wohngebäude zu den Damen zu verfügen, weil sein Mündel ihm auch einige Verhaltungsmaßregeln mitteilen wolle.

Er begab sich also in den kleinen Salon rechts vom Flur, wo die Damen auf Kronbäcken meist mit ihren Handarbeiten saßen, und da kam sie ihm sofort mit ausgestreckten Händen entgegen, genau wie man jemand begrüßt, nach dem man sich gesehnt hat. Zu seinem Entsetzen bemerkte er dann auch, daß er allein mit ihr im Zimmer war. Dies war das erstemal, daß er und sie unter vier Augen zusammentrafen.

Dadurch allein fing sein Herz heftig zu klopfen an; aber noch schlimmer wurde es, als sie ihm in ihrer gewohnten freundlichen und offenen Weise mitteilte, auf Gammalhyttan, wo er jetzt Verwalter werde, sei ein großes, prächtiges Herrschaftshaus, und so könne er sich nun, sobald er nur wolle, verheiraten.

Er war nicht imstande, etwas zu erwidern, solchen Schmerz bereitete ihm der Gedanke, daß sie nicht damit zufrieden sei, ihn von Kronbäcken fortgeschafft zu haben, sondern ihn überdies noch verheiraten wollte. Er meinte, das habe er nicht verdient; er sei doch niemals aufdringlich gewesen.

Aber mit derselben Offenherzigkeit fuhr sie fort:

»Gammalhyttan ist das schönste von allen meinen Hüttenwerken. Ich habe immer gedacht, dort möchte ich wohnen, wenn ich einmal heirate.«

Dies wäre für jeden andern deutlich genug gewesen; aber Schagerström hatte von seinen Kinderjahren an strenge Erzieher gehabt, und so wendete er sich der Tür zu, um zu gehen.

Sie aber war sofort an der Tür und legte die Hand auf die Klinke.

»Ich habe schon manchem Freier einen Korb gegeben,« sagte sie. »Vielleicht ist es gerecht, wenn ich jetzt, wo ich selbst freie, auch einen bekomme.«

Da erfaßte er ihre Hand mit hartem Griff, um die Türe öffnen zu können.

»Spielen Sie nicht mit mir!« sagte er. »Für mich ist es Ernst.«

»Das ist es für mich auch,« versetzte sie und sah ihm dabei fest in die Augen.

Und in diesem Augenblick verstand Schagerström, wie gut es sein altes Glück mit ihm meinte. Alle Einsamkeit, alle Härte, alles Vermissen, die ihm das Leben bisher gebracht hatten, war ihm nur geschickt worden, damit nun übermenschliche Seligkeit in sein Herz hineindringen könne, damit diese Seligkeit gleichsam Raum finde, sich auszubreiten, so daß nichts anderes als sie und nur sie allein in seinem Herzen herrschen könne.


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