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Das Erbe

Als Schagerström nach einer dreijährigen Ehe seine geliebte Gattin verlor, hinterließ sie ein Testament, wonach alles, was sie besaß, ihrem Manne zufallen solle, falls sie kinderlos vor ihm sterbe. Und als die Hinterlassenschaft aufgenommen und einige Legate an altersschwache Diener und entfernte Verwandte ausbezahlt waren, trat Schagerström das gewaltige Erbe an.

Auf allen den Schagerströmschen Besitzungen und Hüttenwerken seufzte man erleichtert auf, als diese Sache geordnet war. Man war froh, daß das Vermögen in einer Hand vereinigt bleiben würde; und daß es ein tüchtiger Hüttenherr war, dem die Leitung der vielen Werke unterstand, das betrachtete man als eine gnädige Schickung der Vorsehung.

Aber kurz, nachdem Schagerström die Erbschaft angetreten hatte, wurden die Hüttenverwalter, die Inspektoren, die Pächter, die Waldhüter, mit einem Wort alle, die etwas mit der Bewirtschaftung der Besitzungen zu tun hatten, allmählich mißtrauisch und sie fürchteten, sie würden am Ende keine Freude an dem neuen Regiment erleben. Schagerström wohnte fortgesetzt in Stockholm, und das war schon schlimm genug, aber es wäre immerhin noch gegangen, wenn er ihre Briefe beantwortet hätte. Dies unterließ er indes fast immer. Roheisen sollte gekauft, Stabeisen verkauft werden. Es sollten Kontrakte über Kohlen- und Holzlieferungen aufgesetzt werden. Offene Stellen mußten besetzt, Gebäude repariert, Rechnungen bezahlt werden. Aber von Schagerström kam weder Brief noch Geld. Bisweilen berichtete er, die Mitteilung sei eingetroffen und Bescheid würde nachfolgen, aber ein solcher traf nie ein.

Nach wenigen Wochen herrschte eine schreckliche Verwirrung. Einige Verwalter legten einfach die Hände in den Schoß, andere handelten nach eigenem Gutdünken, und das war beinahe noch schlimmer. Nein, Schagerström sei doch nicht der rechte Mann, um das große Besitztum zusammenzuhalten, so lautete die allgemeine Ansicht.

Wer sich aber am allermeisten enttäuscht und unzufrieden fühlte, das war vielleicht der Hüttenbesitzer Fröberg auf Kronhyttan. Schagerström war von jeher sein Günstling gewesen, und er hatte Großes von ihm erwartet.

Wie sehr er auch um die frohe, strahlend glückliche junge Frau trauerte, die in seinem Hause aufgewachsen und nun eine Beute des Todes geworden war, so hatte er es doch als großen Trost gefühlt, daß ihre von ihm schon so lange verwalteten Besitztümer, diese einträglichen Gruben, die rauschenden Wildbäche, die schönen Herrensitze, die mächtigen Waldstrecken, die einbringenden Schmieden und Eisenhämmer, in gute Hände gekommen waren.

Schagerström war für die Stellung eines großen Grundbesitzers gut vorbereitet, das wußte der Hüttenbesitzer Fröberg wohl. Das erste Jahr ihres Ehestandes hatten er und seine Frau im Auslande verbracht, und zwar auf den Rat ihres Vormunds. Aus den Briefen, die ihm das junge Paar damals sandte, hatte er ersehen, daß sie ihre Zeit nicht mit Besuchen in Galerien oder dem Aufsuchen alter Denkmäler vergeudet hatten. Nein, diesen beiden vernünftigen Menschen war es angelegen gewesen, Bergwerke in Deutschland, Fabriken in England, Viehzucht in Holland zu studieren. Ganz unermüdlich war das junge Paar gewesen. Allerdings hatte sich Schagerström doch bisweilen ein wenig beklagt.

»Wir fahren an den herrlichsten Orten vorüber, ohne uns Zeit zu lassen, sie anzusehen,« hatte er geschrieben. »Wir denken an nichts weiter, als nützliches Wissen einzusammeln. Disa ist dabei die treibende Kraft. Ich Ärmster möchte am liebsten nur unserer Liebe leben.«

In den letzten Jahren hatten sie in Stockholm gewohnt. Sie hatten da ein großes Haus gekauft, sich aufs prächtigste eingerichtet und eine unbegrenzte Gastfreundschaft ausgeübt. Wieder war dies auf Anraten des Vormunds geschehen. Schagerström war jetzt ein Matador. Er würde mit den Höchsten im Lande in Verkehr kommen und mußte sich daher Weltgewandtheit erwerben, mußte die Bekanntschaft einflußreicher Persönlichkeiten machen, das Vertrauen der Regierungskreise erlangen.

Da wird man wohl verstehen, daß der Gutsherr auf Kronbäcken enttäuscht und unzufrieden war, obgleich ihn Schagerströms Angelegenheiten jetzt eigentlich nichts mehr angingen. Nein, er mußte durchaus mit Schagerström selbst reden, wollte hören, was ihm fehlte, und ihn dazu bringen, seine Arbeit wieder aufzunehmen.

Eines schönen Tages rief er einen seiner Buchhalter zu sich, einen jungen Mann, der ungefähr gleichzeitig mit Schagerström nach Kronbäcken gekommen und dessen besonderer Freund und Kamerad gewesen war.

»Hören Sie nun, guter Nyman,« begann er, »es muß irgend etwas mit Schagerström nicht in Ordnung sein. Sie müssen daher sofort nach Stockholm fahren und ihn herholen. Sie dürfen meinen eigenen Reisewagen benützen. Wenn Sie aber ohne Schagerström zurückkommen, dann wird Ihnen Ihre Stelle hier gekündigt.«

Buchhalter Nyman stand ganz verblüfft vor seinem Herrn. Seine Stelle auf Kronbäcken wollte er um keinen Preis der Welt verlieren. Er war eigentlich ein recht tüchtiger Mensch, aber von Natur etwas träge, und es war ihm geglückt, sich bei den Damen auf Kronbäcken in dem Grad unentbehrlich zu machen, daß er fast aller Kontorarbeit enthoben worden war. Mit der alten Dame mußte er Whist spielen, den jungen Fräulein sollte er vorlesen oder Stickmuster entwerfen, sie auf ihren Ausritten begleiten und ihr vertrauter, gehorsamer Kavalier sein. Der gute Nyman sollte überall mit dabei sein, sobald es sich um irgendeine Zerstreuung handelte. Er war auch durchaus zufrieden mit seiner Umgebung und wollte nichts von einer Veränderung wissen.

Der Verwalter Nyman fuhr also nach Stockholm, um sowohl sich selbst als auch Schagerström zu retten. Er reiste Tag und Nacht, erreichte Stockholm eines Morgens früh um acht Uhr, stieg in einem Gasthof ab, bestellte sofort frische Pferde für die Rückfahrt, nahm eine kleine Erfrischung zu sich und begab sich darauf nach Schagerströms Wohnung.

Er klingelte und erklärte dem ihm öffnenden Diener, er müsse Herrn Schagerström sprechen. Doch der Diener erwiderte sofort, Herr Schagerström sei nicht zu sprechen, er sei ausgegangen.

Der Buchhalter sagte dem Diener seinen Namen und fügte hinzu, er komme im Auftrag von Herrn Fröberg in einer wichtigen Angelegenheit und werde in einer Stunde wieder vorsprechen.

Und richtig, nach Verlauf einer Stunde war er wieder da. Er kam in dem mit frischen Pferden bespannten Fröbergischen Reisewagen angefahren, der notwendige Reiseimbiß war auch vorhanden, und so war alles bereit zur Reise nach Värmland.

Als er aber in den Flur trat, blieb der Diener an der Tür stehen und richtete ihm von Herrn Schagerström aus, der Herr Buchhalter möge später am Tage wiederkommen. Er müsse in eine Sitzung, die keinen Aufschub dulde.

Dem Buchhalter kam es vor, als drücke sich in dem Tone des Mannes eine gewisse Verlegenheit und Gezwungenheit aus, und er fürchtete, der Mann lüge ihn an. Er fragte ihn deshalb, wo denn die Sitzung stattfinde.

»Die Herrn sind im großen Salon versammelt,« antwortete der Diener, und Herr Nyman sah, daß wirklich eine ganze Menge Überzieher und Hüte in Schagerströms Flur hingen.

Nun entledigte sich Nyman rasch seines eigenen Regenmantels und Hutes und übergab beide dem Diener.

»Es wird sich doch wohl ein Zimmer hier finden, wo ich warten kann,« sagte er. »Ich habe keine Lust, auf den Straßen herumzulaufen, denn ich bin die ganze Nacht hindurch gefahren, um bei guter Zeit hier zu sein.«

Es hatte nicht den Anschein, als ob der Diener besonders große Lust hätte, Herrn Nyman hereinzulassen, aber Herr Nyman gab nicht nach, bis er ihn in das kleine, vor dem großen Salon liegende Gemach hineingehen ließ.

Nach einer guten Weile kamen zwei Herren herein, die offenbar an der Sitzung teilnehmen wollten. Der sie begleitende Diener riß die Flügeltür zum Saal weit auf, und der Buchhalter Nyman benützte die Gelegenheit, einen Blick in den Sitzungssaal zu werfen. Er sah eine Menge vornehmer alter Herrn um einen mit Dokumenten beladenen Tisch sitzen. Und er glaubte auch zu erkennen, daß die Dokumente auf gestempeltes Papier geschrieben waren.

»Was zum Kuckuck?« dachte er. »Das sieht ja nach lauter Kaufkontrakten und Hypothekeninstrumenten aus. Schagerström muß mit einer sehr großen Sache beschäftigt sein.«

Gleich nachher fiel ihm ein, daß er unter denen, die um den großen Tisch herum saßen, ja Schagerström selbst gar nicht gesehen hatte. Was konnte denn das bedeuten? Wenn Schagerström nicht an der Sitzung teilnahm, dann konnte er doch mit ihm, Nyman, reden!

Jetzt trat wieder einer der Herrn, die an der Sitzung teilnehmen sollten, in das Vorzimmer. Es war ein königlicher Sekretär, den der Buchhalter zu jener Zeit schon auf Kronbäcken gesehen hatte, als eben dieser königliche Sekretär, wie so mancher andere, auf Freiersfüßen dahin gekommen war. Er eilte auf Nyman zu, um ihn mit ein paar Worten zu begrüßen.

»Ei sieh da, der gute ... ich meine, der Herr Buchhalter Nyman,« sagte der königliche Sekretär. »Ich freue mich, Sie in Stockholm zu sehen. Wie steht es auf Kronbäcken?«

»Könnten Sie es nicht so einrichten, daß ich Herrn Schagerström sprechen kann, Herr Sekretär?« versetzte Buchhalter Nyman. »Ich bin in einer sehr wichtigen Angelegenheit Tag und Nacht gereist, und nun kann ich nicht einmal zu ihm gelangen.«

Der königliche Sekretär sah auf seine Uhr.

»Ich fürchte, Sie müssen sich noch ein paar Stunden gedulden, Herr Nyman. Vorher kommt die Sitzung wohl nicht zu Ende.«

»Aber was ist denn eigentlich da drinnen los?«

»Ich weiß nicht, ob ich berechtigt bin, jetzt schon darüber zu reden.«

Der Buchhalter dachte an die angenehme Stelle, die er als Faktotum bei der gnädigen Frau und den Fräulein Töchtern einnahm, und so erkühnte er sich, einen höchst gewagten Ausspruch zu tun.

»Ich weiß ja, daß Schagerström die Absicht hat, sich seiner Besitztümer zu entäußern,« sagte er.

»Ach so, wenn Sie drunten auf dem Hüttenwerk schon Bescheid wissen,« entgegnete der königliche Sekretär.

»Ja, so viel wissen wir, aber wir haben nicht erfahren, wer sie kaufen will.«

»Sie kaufen!« rief der königliche Sekretär. »Von einem Kauf ist keine Rede. Alles wird frommen Stiftungen, dem Kinderasyl der Freimaurer, den Witwenkassen und dergleichen Anstalten geschenkt. Aber nun muß ich gehen! Ich selbst soll die Schenkungsurkunde aufsetzen, sobald die Herren dort drinnen über die Bedingungen einig geworden sind.«

Buchhalter Nyman schnappte nach Luft wie ein ans Land geworfener Fisch. Wenn er mit solchen Nachrichten heimkam, wurde der alte Herr Fröberg gewiß so aufgebracht, daß er, Nyman, nicht einen einzigen Tag mehr auf der angenehmen Stelle geduldet würde. Was sollte er nur tun? Was sollte er unternehmen?

Gerade, als der königliche Sekretär durch die geöffnete Tür Herrn Nyman aus dem Gesichtskreis zu verschwinden drohte, eilte Nyman herzu und erfaßte ihn am Rockärmel.

»Ach, Herr Sekretär, könnten Sie nicht Schagerström sagen, ich müsse ihn durchaus sprechen. Sagen Sie, Gammalhyttan sei abgebrannt!«

»Gewiß, natürlich! Welch ein Unglück!«

Wenige Sekunden nachher stand auf der Türschwelle ein kleiner, zum Skelett abgemagerter Mann mit fahler Gesichtsfarbe und blutunterlaufenen Augen.

»Was willst du denn?« wendete er sich kurz und streng, wie jemand, der in unangenehmer Weise gestört worden ist, an Buchhalter Nyman.

Wieder stand der Buchhalter ganz bestürzt da und schluckte, ohne ein Wort herausbringen zu können. Ach, ach, das war Schagerström! Ein stattlicher oder schöner Mann war er zwar nie gewesen, aber er hatte etwas unbeschreiblich Gutes an sich gehabt, damals, als er von seiner Liebessehnsucht erfüllt auf Kronbäcken weilte. Jetzt bekam Herr Nyman fast Angst vor dem früheren Kameraden.

»Was hast du gesagt?« fragte Schagerström weiter. »Ist Gammalhyttan abgebrannt?«

Der Buchhalter hatte eigentlich die kleine Notlüge nur gebrauchen wollen, um mit Schagerström zusammenzukommen. Aber nun entschloß er sich rasch, die Aufklärung noch eine Weile hinauszuschieben.

»Ja,« sagte er, »es hat auf Gammalhyttan gebrannt.«

»Und was ist dort verbrannt? Das Hauptgebäude?« versetzte Schagerström.

Der Buchhalter sah Schagerström scharf an. Dessen Augen hatten einen starren Blick, und das Haar an den Schläfen war sehr gelichtet.

»Das Wohnhaus genügt nicht,« dachte er, »nein, hier gehört eine ordentliche Aufrüttlung her.«

»Ach nein, ich wollte, es wäre nur das!« sagte er in traurigem Ton.

»Dann ist's wohl auch die Schmiede?«

»Auch das ist noch nicht alles, auch das große elende Hüttenwerksgebäude, in dem zwanzig Familien Unterkunft hatten, ist in Asche gesunken. Zwei Frauen sind drinnen verbrannt, hundert Menschen sind ohne Dach über dem Kopfe. Alle Überlebenden haben nichts als das nackte Leben gerettet. Es scheint ein fürchterliches Elend dort zu herrschen. Ich hab' es nicht selbst gesehen, denn ich wurde sofort hergeschickt, um dich zu holen.«

»Der Verwalter hat nichts davon geschrieben,« wendete Schagerström ein.

»Es lohnt sich ja nicht, wenn man an dich schreibt,« versetzte Nyman. »Börjesson hat Herrn Fröberg um Hilfe gebeten, aber der alte Herr meinte, das gehe über seine Kräfte. Das müssest du selbst in Angriff nehmen.«

Schagerström trat an die Tür und klingelte seinem Diener.

»Ich muß sofort nach Värmland reisen,« erklärte er. »Sag' Lundman, er solle meinen Reisewagen in aller Eile bereitstellen.«

»Mit Erlaubnis,« unterbrach ihn Nyman. »Herrn Fröbergs Reisewagen steht mit frischen Pferden fix und fertig vor der Tür. Wenn du dich nur zur Reise ankleiden willst, können wir jeden Augenblick wegfahren.«

Schagerström schien geneigt, Nymans Vorschlag nachzukommen, doch plötzlich fuhr er sich mit der Hand über die Stirne.

»Die Sitzung!« sagte er. »Das ist wirklich sehr wichtig. Vor Verlauf einer halben Stunde kann ich nicht abreisen.«

Aber nach Buchhalter Nymans Ansicht sollte Schagerström keine Zeit bekommen, seine Besitztümer zu verschenken.

»Nun ja, eine halbe Stunde wird ja nicht soviel zu bedeuten haben,« sagte er. »Aber den Ärmsten, die jetzt in der Herbstkühle auf freiem Felde kampieren müssen, kann sie freilich lang genug werden.«

»Warum müssen sie denn auf freiem Felde kampieren?« fragte Schagerström. »Das große Wohnhaus ist doch da.«

»Börjesson wußte wohl nicht, ob er sie darin unterbringen dürfte.«

Noch immer zögerte Schagerström.

»Ich möchte wissen, ob Disa Landberg hier geblieben wäre, um einer Sitzung bis zum Schlusse anzuwohnen, wenn sie solche Nachrichten bekommen hätte.«

Schagerström warf Nyman einen ungeduldigen Blick zu. Er ging in den Salon, kam aber sofort wieder heraus.

»Ich hab' ihnen gesagt, daß die Sitzung auf die nächste Woche verschoben werden müsse,« sagte er.

»Komm' jetzt!«

*

Es wäre unrecht, wenn man behaupten wollte, der Hüttenwerksbuchhalter Nyman habe eine besonders angenehme Reise gehabt, als er in Schagerströms Gesellschaft in das Värmland hinabfuhr. Ganz besonders quälte ihn die Lüge über die Feuersbrunst, und er hätte Schagerström seine Notlüge gerne gebeichtet, wagte es aber nicht.

»Wenn ich ihm sage, daß es auf Kronbäcken weder Abgebrannte noch Obdachlose gibt, dann kehrt er sofort nach Stockholm zurück,« dachte er. »Das ist das einzige, wodurch ich ihn zurückhalten kann.«

Er fragte sich, ob es nicht irgendeine Möglichkeit gäbe, Schagerström auf andere Gedanken zu bringen; so ließ er denn seiner Zunge freien Lauf und erzählte eine Menge kleiner Anekdoten vom Hüttenwerk. Alte, treue Diener hatten witzige, treffende Bemerkungen gemacht, schlaue Kohlenfuhrleute hatten einen unerfahrenen Inspektor bemogelt, es hieß, man habe in der Nähe von Gammalhyttan große Erzlager entdeckt, eine Auktion war abgehalten worden, wobei ungeheure Waldstrecken um einen Spottpreis losgeschlagen worden waren.

Nyman redete, als gelte es sein Leben, aber Schagerström, der wohl dachte, Nymans sichtbare Mühe, sein Interesse als Hüttenbesitzer zu wecken, trete allzudeutlich hervor, unterbrach ihn mit den Worten:

»Ich kann meine Besitztümer nicht behalten und deshalb will ich sie verschenken. Disa würde nicht glauben, daß ich um sie traure, wenn ich all das annähme.«

»Du müßtest es eben nicht als eine Freude annehmen, sondern als ein Kreuz,« entgegnete der Buchhalter.

»Das bin ich nicht imstande,« versetzte Schagerström in einem so verzweifelten Tone, daß der andere nichts mehr hinzuzufügen wagte.

Der nächste Tag verging auf dieselbe Weise. Der Buchhalter hatte erwartet, Schagerström werde, wenn er erst aus der Stadt draußen sei und sich von Wäldern und Feldern umgeben sähe, etwas frischer werden; aber es war keine Besserung an ihm wahrzunehmen. Da wurde Nyman ernstlich besorgt um seinen alten Freund.

»Er treibt es nicht mehr lange,« dachte er. »Sobald er sich von dem ganzen Erbe freigemacht hat, legt er sich hin und stirbt. Sein Leid hat ihn ganz aufgerieben.«

Noch einmal versuchte er Schagerström in Beziehung auf die Erbschaft auf andere Gedanken zu bringen, und das tat er wirklich nicht nur, um sich seine eigene Stellung zu retten, sondern auch um seinem früheren Freund zu helfen.

»Denk' an alle, die daran gearbeitet haben, einen so großen Reichtum zusammenzubringen,« sagte er. »Meinst du, sie hätten das alles nur um ihrer selbst willen getan? Nein, ihrer Meinung nach mußte, wenn so viel Macht in einer Hand vereinigt wurde, auch etwas Großes dabei herauskommen, etwas Großes, das der ganzen Provinz zugute käme. Aber du willst zerstückeln und verschenken. Das nenne ich gewissenlos, und du bist meiner Ansicht nach dazu auch gar nicht berechtigt. Ich meine, du solltest diese Last auf dich nehmen und das gut verwalten, was dein ist.«

Er sah keinerlei Anzeichen, daß seine Worte den geringsten Eindruck auf Schagerström machten, aber trotzdem redete er mutig weiter.

»Komm zu uns nach Värmland und arbeite! Du bist zu gut dazu, die Winter in Stockholm mit allerlei Vergnügungen zu verbringen und nur im Sommer ins Hüttenwerk herunterzukommen, um auf der faulen Haut zu liegen. Nein, komm und sieh nach deinen Gütern! Es wäre sehr nötig, du kannst mir's glauben.«

Nyman bewunderte wirklich seine eigene Beredsamkeit, aber Schagerström unterbrach ihn aufs neue:

»Ach, nun hör' auf, guter Nyman!« sagte er etwas wegwerfend.

Der Buchhalter wurde dunkelrot.

»Ja, ich weiß wohl, daß ich nicht das Recht habe, dir zu predigen,« sagte er; »aber ich besitze keinen Heller und kann nichts ausrichten. Ich meine allerdings, der Mensch habe das Recht, wenn es in seiner Macht steht, sich das Leben so angenehm wie möglich zu machen; aber wenn ich auch nur eine einzige Erdscholle besäße ..., ich würde sie mir nicht nehmen lassen, das weiß ich gewiß.«

Am Morgen des dritten Tages hatten sie ihr Ziel erreicht. Gegen sechs Uhr hielt der Wagen vor dem Herrenhause von Gammalhyttan. Die Sonne schien hell auf die gelben oder in herbstlich leuchtenden Farben schimmernden Baumwipfel. Der Himmel strahlte im schönsten Blau, und der kleine See, der sich vor dem Herrenhofe ausbreitete, lugte glänzend hell wie ein blanker Spiegel unter einem leichten Nebelschleier hervor.

Kein Mensch erschien, um den Reisenden behilflich zu sein. Während der Postillon nach dem Wirtschaftshofe ging, um den Stallknecht herbeizurufen, benützte der Buchhalter die Gelegenheit, seine Beichte abzulegen.

»Gib dir keine Mühe, mit Börjesson wegen der Feuersbrunst zu reden!« sagte er. »Es hat überhaupt keine stattgefunden. Aber ich mußte etwas vorbringen, wodurch ich dich zur Mitreise zwingen konnte. Fröberg sagte, ich müsse meinen Abschied nehmen, wenn ich dich nicht mit zurückbringe.«

»Aber die Abgebrannten, die Obdachlosen?« fragte Schagerström, der nicht so schnell von seinem bisherigen Gedankengang loskommen konnte.

»Hat es nie gegeben!« rief der Buchhalter in heller Verzweiflung. »Was hätte ich denn tun sollen? Ich konnte nicht anders als lügen, damit du deine Absicht, deinen ganzen Reichtum zu verschenken, nicht ausführen konntest.«

Schagerström sah seinen Begleiter kalt und ohne Interesse an, dann sagte er:

»Du hast es natürlich gut gemeint, aber das alles war ganz unnötig. Sobald frische Pferde vorgespannt sind, fahre ich nach Stockholm zurück.«

Der Buchhalter seufzte, doch nun schwieg er. Es war nichts mehr zu machen, das Spiel war verloren.

Mittlerweile kam der Postillon.

»Es ist kein einziger Mann auf dem Hofe,« sagte er. »Ich traf nur ein altes Weib, das behauptete, der Verwalter und alle Leute vom Hüttenwerk seien auf der Elchjagd. Die Treiber seien schon früh um vier Uhr ausgezogen. Sie hatten es offenbar so eilig, daß die Stallknechte nicht einmal Zeit fanden, den Pferden ihr Morgenfutter zu geben. Hören Sie nur, wie sie stampfen!«

Und wirklich, ein dröhnendes Getöse drang vom Pferdestalle herüber, wo die hungrigen Pferde so laut stampften und lärmten, als es ihnen möglich war.

Da stieg eine schwache Röte in Schagerströms Wangen.

»Seien Sie so gut und geben Sie den Tieren etwas Futter,« sagte er zu dem Postillon, indem er ihm zugleich ein Trinkgeld reichte.

Mit neuerwachtem Interesse schaute er sich auf dem Hofe um.

»Es steigt kein Rauch aus dem Hochofen auf,« sagte er.

»Der Hochofen ist seit dreißig Jahren zum erstenmal ausgeblasen worden,« versetzte Nyman. »Es war kein Erz mehr da. Was hätte man tun sollen? Börjesson geht, wie du siehst, mit allen seinen Leuten auf die Jagd. Ich verwundere mich nicht über ihn.«

Schagerström wurde noch ein wenig röter.

»Steht die Schmiede auch still?« fragte er.

»Jawohl, das nehme ich als sicher an. Die Schmiede sind natürlich als Treiber draußen. Aber was geht das dich an? Du willst ja alles miteinander verschenken.«

»Allerdings,« sagte Schagerström etwas ausfällig, »es geht mich gar nichts an.«

»Die vornehmen Herren im Aufsichtsrat des Freimaurerkinderheims sind es, die sich um diese Sache kümmern müssen, du nicht,« warf der Buchhalter ein.

»Allerdings,« sagte Schagerström wieder.

»Hast du Lust, hineinzugehen?« fragte Herr Nyman und ging auch gleich auf das Wohnhaus zu. »Du begreifst, daß hier sehr zeitig gefrühstückt wurde, da die Jäger früh aufbrachen. Die Damen und Dienstmädchen schlafen jetzt nach der ungewohnten Arbeit aus.«

»Du brauchst sie nicht zu wecken,« sagte Schagerström. »Ich fahre gleich ab.«

»Hallo!« rief Herr Nyman in diesem Augenblick. »Sieh dort, dort!«

Man hörte einen Schuß knallen. Vom Parke her kam ein Elch dahergejagt. Er war getroffen worden, hielt aber in seiner Flucht nicht inne. Das eine Vorderbein hing gelähmt herunter und schwankte hin und her, während das Tier auf seinen drei anderen Beinen davonhumpelte.

Einen Augenblick später eilte einer der Jäger aus dem Parke heraus. Er zielte und fällte das Tier mit einem wohlgezielten Schusse. Der Elchochse stürzte nur ein paar Schritte von Schagerström entfernt stöhnend zu Boden.

Der Schütze trat langsam, gleichsam zögernd, näher. Es war ein großer Mann von sehr guter Haltung.

»Das ist Hauptmann Hammarberg,« klärte Herr Nyman auf.

Schagerström richtete seinen Blick auf den großen Jäger und sah ihn scharf an. Er erkannte ihn sofort wieder. Es war derselbe rosige, blondhaarige Offizier, der eine ganz wunderbare Macht über die Frauen hatte, den alle gut leiden konnten, obgleich sie wohl wußten, daß er ein Lümmel war, ja ein Schurke, könnte man fast sagen. Schagerström konnte nun und nimmer vergessen, wie dieser Mensch sich bei Disa einzuschmeicheln versuchte, wie er sie gleichsam bezauberte, so daß sie ihm auch erlaubt hatte, mit ihr spazierenzugehen, mit ihr auszureiten, mit ihr zu tanzen.

»Wie kann dieser Elende sich hierherwagen?« murmelte er.

»Ja, das scheinst du nicht verhindern zu können,« sagte Herr Nyman in einem Ton, der alles andere als bescheiden war.

Die Erinnerungen stürmten auf Schagerström ein. Dieser Hauptmann, der damals seine Liebe zu der Erbin erraten haben mußte, hatte ihn gequält, ihn lächerlich gemacht, hatte vor ihm mit seinen Schurkenstreichen geprahlt, wie wenn Schagerström es doppelt bitter empfinden sollte, daß Disa Landberg einen solchen Mann bekommen würde.

Schagerström biß die Zähne zusammen und sah doppelt barsch aus.

»Beim Satan, kommen Sie her und geben Sie dem Tier den Todesstoß!« rief er dem Hauptmann zu. Zugleich wandte er ihm den Rücken und ging nach dem Wohngebäude, wo er mit kräftigen Schlägen wetterte.

Der Verwalter Börjesson und die andern Jäger waren nun auch aus dem Park herausgekommen. Der Hüttenverwalter erkannte natürlich Schagerström sofort und eilte nach der Veranda.

Ein zerschmetternder Blick von Schagerström wurde ihm zuteil.

»Ich sage nichts von all dem andern,« begann Schagerström, »nichts von dem ausgeblasenen Hochofen, und auch nichts darüber, daß die Schmiede kalt steht und die Tiere kein Futter bekommen. Es kann ebensogut mein Fehler sein wie der Ihrige. Aber daß Sie diesen elenden Hauptmann Hammarberg auf meinem Boden jagen lassen, das ist nicht mein Fehler. Und jetzt sind Sie verabschiedet, Herr Verwalter.«

Mit diesen Worten übernahm Schagerström das Regiment über seine Güter wieder, und es dauerte lange, bis er abermals daran dachte, sich ihrer zu entledigen.


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