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Schagerström

Auf dem Heimweg von der mißglückten Brautwerbung in der Propstei saß Schagerström die ganze Zeit mit einem Lächeln auf den Lippen in seinem Wagen. Wenn nicht der Kutscher und der Diener dagewesen wären, hätte er am liebsten laut hinausgelacht, so lächerlich kam es ihm vor, daß er, der ausgezogen war, einer armen Gesellschafterin eine Wohltat zu erweisen, auf solche Weise angeschnauzt und beleidigt worden war.

»Aber sie hatte in dem, was sie sagte, vollkommen recht,« murmelte er. »Bei Gott, sie hatte ganz recht! Eigentlich begreif' ich nicht, daß ich mir die Sache nicht mehr überlegt hatte, ehe ich mich auf diese Brautwerbung einließ.«

»Im übrigen stand ihr diese Empörung ganz vortrefflich,« fuhr er in seinen Gedanken fort. »Diesen Lohn hab' ich doch für meine Mühe. Es war mir ein wahrer Genuß, sie so schön zu sehen.«

Als er eine Weile gefahren war, sagte er sich, wenn er sich auch wirklich dumm benommen habe, so freue er sich trotzdem über die Geschichte, weil er dadurch jemand kennengelernt, der gar nichts danach fragte, daß er der reichste Mann von Korskyrka sei. Das junge Mädchen hatte wahrlich keinen Versuch gemacht, sich bei ihm wohl dranzumachen. Fräulein Löwensköld hatte getan, als wisse sie gar nicht, daß sie einen Millionär vor sich hatte, im Gegenteil, sie hatte ihn wie den ersten besten Lumpenkerl behandelt.

»Was das Mädchen doch Charakter hat!« dachte er. »Es wäre mir wirklich sehr lieb, wenn sie nicht gar so schlecht von mir dächte. Gott bewahre mich, ein zweites Mal werde ich zwar sicherlich nicht um sie freien, aber ich möchte ihr doch beweisen, daß ich kein solches Rindvieh bin, um ihr wegen der Lehre, die sie mir gegeben hat, zu zürnen.«

Den ganzen Nachmittag grübelte er darüber nach, wie er seine Voreiligkeit wieder gutmachen könne, und schließlich glaubte er doch etwas Zweckentsprechendes gefunden zu haben. Aber diesmal wollte er nicht blindlings drauflosstürmen. Er wollte die Sache erst vorbereiten und die nötigen Untersuchungen anstellen, um nicht wieder in Unannehmlichkeiten hineinzukommen.

Gegen Abend fiel ihm ein, daß es wohl nichts schaden könnte, wenn er Charlotte schon jetzt eine kleine Aufmerksamkeit erwiese. Das Vergnügen, ihr einige Blumen zu schicken, könnte er sich doch wohl erlauben. Wenn sie die annahm, würde es ihm später leichter fallen, sich auf einen guten Fuß mit ihr zu stellen. Und rasch eilte er in seinen Garten hinaus.

»Nun Meister,« sagte er zu dem Gärtner, »jetzt soll Er mir einen recht schönen Blumenstrauß binden. Lasse Er mich einmal sehen, was Er zu bieten hat.«

»Das Schönste, was ich habe, sind wohl diese roten Nelken hier,« sagte der Obergärtner. »Wir könnten sie in die Mitte nehmen, mit Levkojen umgeben und diese dann noch mit Reseden mischen.«

Aber Schagerström rümpfte die Nase.

»Nelken und Levkojen und Reseden,« versetzte er. »Solche Blumen gibt es ja auf jedem Herrenhofe. Ebensogut könnte Er mir Margueriten und blaue Glockenblumen vorschlagen.«

Ganz ebenso ging es mit Löwenmaul, Rittersporn und Vergißmeinnicht. Alle miteinander wurden vom Hausherrn verworfen.

Schließlich blieb Schagerström vor einem kleinen Rosenstrauch stehen, der mit Blüten und Knospen über und über bedeckt war. Besonders die Knospen waren hinreißend schön. Die zartrosa Blumenblätter streckten sich aus einer Hülle hervor, die, am Rande ausgefranst, wie Moos aussah.

»Diese hier kommt mir sehr schön vor,« sagte er.

»Aber, Herr Hüttenbesitzer, das sind ja Moosrosen. Dieser Strauch blüht in diesem Jahre zum allerersten Male. Es ist sehr schwer, ihn so hoch im Norden zum Gedeihen zu bringen. Einen solchen Strauch wie diesen hier gibt es in ganz Värmland nicht wieder.«

»Aber gerade so etwas will ich ja haben. Die Blumen sollen nach Korskyrka in die Propstei geschickt werden. Er weiß, daß man dort schon alle andern Arten von Rosen hat.«

»Ach so, in die Propstei,« sagte der Obergärtner, und nun sah er ganz vergnügt drein. »Das ist etwas anderes. Es ist mir sehr lieb, wenn der Herr Propst meine Moosrosen zu sehen bekommt. Er ist ein Kenner.«

Die armen Rosen wurden also abgeschnitten und nach der Propstei geschickt, wo ihrer freilich ein sehr ungünstiges Geschick wartete.

Wer dagegen auf Groß-Sjötorp gut aufgenommen wurde, als er am nächsten Vormittag auf dem Gute eintraf, das war der Propst von Korskyrka.

Der kleine Herr Propst war im Anfang wohl etwas umständlich und feierlich, im Grunde seines Herzens aber war er wie Schagerström auch ein recht gerader, anspruchsloser Mann. Schöne Redensarten und Höflichkeitsbezeigungen waren ganz unnötig, das merkten die beiden sofort, und so redeten sie schon nach wenigen Minuten wie zwei alte Freunde einfach und offenherzig miteinander.

Schagerström benützte die Gelegenheit, betreffs Charlotte einige Fragen zu stellen. Er wollte wissen, wer ihre Eltern seien und ob Charlotte einiges Vermögen besitze, und vor allem wollte er Auskunft über ihren Bräutigam und dessen Aussichten im Hinblick auf seine Zukunft haben. Ein Hilfsgeistlicher habe wohl kein so großes Gehalt, daß er sich daraufhin verheiraten könne? Ob der Herr Propst wohl wisse, ob sich der junge Ekenstedt Hoffnung auf eine baldige Beförderung machen dürfe?

Der Propst war höchlich verwundert; da aber nichts von dem, was Schagerström fragte, ein Geheimnis war, gab er deutliche, offene Antworten.

»Das ist ein Geschäftsmann,« dachte der alte Herr. »Er geht geradeswegs auf eine Sache los. Ja, ja, so muß es wohl in der jetzigen Zeit sein.«

Zum Schluß gab Schagerström eine deutliche Erklärung. Er sagte, er sei der Vorstand des Hüttenwerkvereins in Uppland und habe das Recht, den Geistlichen der Hüttenwerke einzusetzen. Das Gehalt sei allerdings nicht groß, aber das Pfarrhaus sehr hübsch, und die bisherige Pfarrfamilie habe sich da sehr wohl befunden. Ob der Herr Propst meine, diese Stelle wäre dem jungen Ekenstedt genehm?

Propst Forsius war in seinem ganzen Leben selten so überrascht gewesen wie jetzt über diesen Vorschlag. Aber er war ein kluger Herr, und so nahm er die Sache als etwas ganz Natürliches auf.

Er zog seine Schnupftabaksdose heraus, nahm eine tüchtige Prise, putzte seine Nase mit seinem seidenen Taschentuch und ergriff dann das Wort:

»Herr Hüttenbesitzer, Sie können keinen jungen Mann finden, der einer Handreichung mehr wert wäre als der junge Ekenstedt.«

»Nun, dann ist die Sache abgemacht,« sagte Schagerström.

Der Propst hatte seine Tabaksdose wieder eingesteckt. Er war ganz außerordentlich erfreut. Mit welch einer großartigen Neuigkeit konnte er da nach Hause kommen! Charlottes Zukunft hatte ihm schon Sorgen gemacht. Er hatte die allergrößte Achtung vor seinem Vikar, aber doch hatte er schon oft den Kopf geschüttelt, weil der junge Herr ganz und gar nicht daran dachte, sich eine Stellung zu verschaffen, auf die er heiraten könnte.

Plötzlich wandte sich der freundliche alte Herr an Schagerström und sagte:

»Herr Hüttenbesitzer, es macht Ihnen Freude, anderen Menschen zum Glück zu verhelfen. Bleiben Sie nun aber nicht auf halbem Wege stehen! Kommen Sie mit in die Propstei und teilen Sie dem jungen Paare Ihre guten Absichten selbst mit! Kommen Sie mit und seien Sie selbst Zeuge ihres Glücks! Das ist eine Freude, die ich Ihnen von Herzen gönne.«

»Aber vielleicht käme ich ungelegen,« erwiderte Schagerström.

»Gewiß nicht! Ungelegen! Davon kann keine Rede sein, wenn man mit solch einer Neuigkeit kommt.«

Schagerström schien bereit, auf den Vorschlag einzugehen. Doch plötzlich schlug er sich vor die Stirne.

»Ich kann ja nicht, denn ich muß heute noch eine längere Reise antreten. Um zwei Uhr wird mein Reisewagen vor der Tür stehen.«

»Was sagen Sie, Herr Hüttenbesitzer?« rief der Propst. »Das ist ja sehr schade! Aber ich verstehe. Die Zeit muß eingehalten werden.«

»Die Laufzettel an die Gasthöfe sind schon abgeschickt,« sagte Schagerström mit düsterer Miene.

»Aber ließe es sich nicht so einrichten, daß Sie, Herr Hüttenbesitzer, in meinem Wagen, der angespannt und zur Abfahrt bereit ist, mit mir nach der Propstei führen?« fragte der Propst. »Ihr Reisewagen könnte dann nachkommen und Sie zur bestimmten Zeit abholen.«

Ja, so wurde es beschlossen. Der Propst und Schagerström fuhren im Landauer nach Korskyrka, und Schagerströms Reisewagen bekam Befehl, dahin nachzukommen, sobald der Reiseimbiß zubereitet und alles, was mitgenommen wurde, gepackt sei.

Während der Fahrt waren die beiden Herren so lustig wie Bauern, die nach dem Jahrmarkt unterwegs sind.

»Wenn ich meine Ansicht sagen soll, so hat Charlotte das gar nicht verdient, nachdem sie sich gestern so gegen Sie benommen hat,« erklärte der Propst.

Schagerström brach in helles Lachen aus.

»Jetzt kommt sie richtig in die Klemme,« fuhr der Propst fort. »Ich freue mich schon zum voraus darauf, wie sie das in Ordnung bringen wird. Sie werden sehen, Herr Hüttenbesitzer, sie wird gewiß etwas ganz Unerwartetes tun, auf das niemand anders verfallen würde. Ha, ha, ha, ich freue mich richtig darauf.«

Es war eine große Enttäuschung für die beiden Reisenden, als sie bei ihrer Ankunft in der Propstei von dem Hausmädchen erfuhren, daß die Frau Propst und das Fräulein noch nicht von der Namenstaggratulation zurückgekommen waren. Aber der Propst meinte, es werde nicht mehr lange dauern, bis sie erscheinen würden, und bat Schagerström, mit ihm auf seine eigenen Zimmer zu kommen, die im Erdgeschoß lagen. An diesem Tage dachte er gar nicht daran, den Gast hinauf in die Besuchszimmer im oberen Stock zu bitten.

Der Propst hatte zwei Zimmer zu seiner Verfügung. Das äußere, das Amtszimmer, war groß und kalt. Ein ungeheurer Schreibtisch, zwei Stühle davor, ein langes Ledersofa und ein wandfestes Bücherregal für die mächtigen Kirchenbücher machten die ganze Einrichtung aus, sofern man nicht einige große Kaktuspflanzen an einem Fenster mitrechnen wollte, die in ihrer reichen Blütenpracht aussahen, als stünden sie in hellen Flammen. In dem inneren Zimmer dagegen hatte es die Pröpstin für ihren lieben Alten recht bequem eingerichtet. Der Boden war mit einem hausgewebten Teppich bedeckt, die Möbel waren schön und zweckentsprechend. Da gab es Sofa und Kanapee und Lehnstühle, einen Schreibtisch mit vielen Fächern, hohe Bücherständer, ein großes Gestell mit vielen Pfeifen daran, und im übrigen ganze Stöße von Blumen, die, in graues Packpapier eingeschlagen, auf hohen und niederen Möbelstücken überall umherlagen.

Selbstverständlich wollte der Propst seinen Gast in dieses Zimmer führen; als sie aber durch das Amtszimmer gingen, trafen sie da Karl Artur, der an dem mächtigen Pult saß und Geburten und Todesfälle in ein riesiges Familienregister eintrug. Er stand auf, als die beiden Herren zur Tür hereintraten, und wurde auch gleich Schagerström vorgestellt.

»Ja, heute braucht der Herr Hüttenbesitzer nicht unverrichteter Sache von hier wegzufahren,« sagte Karl Artur ein wenig boshaft, als er sich verbeugte.

Wer könnte sich darüber verwundern, daß er sich ganz außerordentlich erregt fühlte, als er Schagerström hier in der Propstei erblickte? Wie hätte er es vermeiden können, zu glauben, alle miteinander, der Propst, die Pröpstin und Charlotte, hätten sich gegen ihn verbunden, um die übereilte Abweisung ungeschehen zu machen? Wenn Karl Artur bisher noch den geringsten Zweifel an Charlottes Unaufrichtigkeit gehegt hätte, mußte dann nicht der Anblick des Freiers, der an diesem Tage von dem Propst selbst in die Propstei zurückgeführt wurde, ihm volle Gewißheit geben? Natürlich ging es ihn ja nichts mehr an, wen Charlotte heiratete, aber in dieser Eile lag eben doch etwas Unfeines, etwas Rücksichtsloses. Es war schrecklich, daß man in einem Pfarrhaus sich so aufs äußerste eifrig zeigte, einer Verwandten einen reichen Mann zu verschaffen.

Der alte Propst, der ja nichts von Karl Arturs aufgehobener Verlobung mit Charlotte wußte, sah Karl Artur verwundert an. Er konnte den Sinn von dessen Worten nicht ganz verstehen; aber da er aus dem Tonfall eine feindliche Stimmung gegen Schagerström heraushörte, hielt er es fürs klügste, Karl Artur wissen zu lassen, daß der Hüttenbesitzer diesmal nicht auf Freiersfüßen gekommen sei.

»Eigentlich ist der Herr Hüttenbesitzer hierhergekommen, um dich zu treffen,« sagte er. »Ich weiß nicht, ob ich das Recht habe, seine Pläne zu verraten, aber du wirst dich darüber freuen, mein Sohn, ja du wirst dich darüber freuen.«

Der freundliche Ton übte durchaus keine Wirkung auf Karl Artur aus. Stramm und düster, ohne eine Spur von Lächeln, stand er vor den beiden Herren.

»Wenn der Herr Hüttenbesitzer mir etwas zu sagen hat, braucht er Charlottes Rückkehr nicht abzuwarten. Wir beide haben nichts mehr miteinander zu tun.«

Zugleich streckte er die linke Hand aus, damit der Propst und auch der Hüttenbesitzer sähen, daß sich kein Verlobungsring mehr an seinem Ringfinger befand.

Der kleine alte Herr drehte sich vor lauter Verwunderung fast im Kreise herum.

»Aber in aller Welt, was soll denn das heißen? Habt ihr das jetzt miteinander ausgemacht, solange ich fortgewesen bin?«

»Ach nein, Onkel. Die Sache war gestern schon klipp und klar. Der Herr Hüttenbesitzer warb gegen zwölf Uhr um Charlotte, und eine Stunde später war unsere Verlobung aufgehoben.«

»Eure Verlobung?« rief der Propst. »Aber Charlotte hat ja kein Wort davon gesagt!«

»Verzeih Onkel,« versetzte Karl Artur, der bei dem Versuch des alten Herrn, den Unwissenden zu spielen, allmählich die Geduld verlor. »Verzeih, aber ich sehe ja deutlich, daß du den Postillon d'amour gespielt hast.«

Doch jetzt richtete sich der alte Herr Propst hoch auf. Er wurde steif und feierlich.

»Wir wollen hier in mein Zimmer hineingehen,« sagte er. »Diese Sache muß gründlich aufgeklärt werden.«

Nachdem alle drei Platz genommen hatten, der Propst am Schreibtisch, Schagerström tiefer im Zimmer in einer Sofaecke und Karl Artur in einem Schaukelstuhl in der Nähe der Tür, wendete sich der Propst sofort an seinen Vikar.

»Es ist ganz richtig, mein Sohn, daß ich gestern meiner Nichte geraten habe, die Werbung des Herrn Hüttenbesitzers Schagerström anzunehmen. Sie hat fünf Jahre lang auf dich gewartet. Im letzten Sommer hab' ich dich einmal gefragt, ob du nicht Schritte tun wolltest, um eure Vereinigung zu ermöglichen, du aber antwortetest mit einem Nein. Du erinnerst dich vielleicht, daß ich dir damals erklärte, ich würde alles tun, was ich könnte, um Charlotte dazu zu bringen, eure Verbindung aufzulösen. Charlotte besitzt keinen Heller, und wenn ich sterbe, steht sie vollkommen mittel- und schutzlos da.

Du weißt, was ich denke, und ich mache mir durchaus kein Gewissen daraus, daß ich ihr so geraten hatte. Aber sie ging nach ihrem eigenen Kopf und sagte nein. Damit war die Sache abgetan, und es ist auch nicht wieder zwischen uns davon die Rede gewesen. Da siehst du es, mein Sohn.«

Schagerström saß drüben in seiner Sofaecke und beobachtete den jungen Ekenstedt. In Karl Arturs Benehmen lag etwas, was ihm sehr mißfiel. Er saß zurückgelehnt in dem Schaukelstuhl und wiegte sich hin und her, wie wenn er zeigen wollte, daß die Worte des alten Mannes keiner weiteren Aufmerksamkeit wert seien. Einmal ums andere versuchte er, ihn zu unterbrechen, aber der Propst ließ sich in seinen Erklärungen nicht stören.

»Du darfst nachher reden, mein Sohn, du darfst reden, solange du willst, aber jetzt bin ich an der Reihe. Als ich heute nach Groß-Sjötorp fuhr, hatte ich keine Ahnung von der aufgehobenen Verlobung, mein Zweck war nicht, Charlotte dem Herrn Hüttenbesitzer Schagerström anzubieten. Ich fuhr hin, weil ich Frieden in meiner Gemeinde haben will und weil ich bei mir selbst dachte, Herr Schagerström hätte guten Grund, mit Charlottes Art und Weise unzufrieden zu sein. Aber als ich nach Groß-Sjötorp kam, siehe, da war Herr Schagerström anderer Meinung als ich. Er meinte, ich hätte altmodische Ansichten, und Charlotte habe ganz recht geantwortet. Er war so befriedigt von allem, daß er an nichts weiter dachte, als euch glücklich zu machen und dir die Stelle des Hüttenpastors bei den Gruben zu Örtofta, wo er das Patronatsrecht hat, zu verschaffen. Um mit dir und Charlotte darüber zu reden, ist er heute hierhergekommen. Nun, daraus kannst du nun vielleicht ersehen, daß Herr Schagerström ebensowenig wie ich eine Ahnung von eurer aufgehobenen Verlobung gehabt hat. So, jetzt hast du gehört, was ich zu sagen habe, nun kannst du uns wegen deiner gemeinen Anklagen um Entschuldigung bitten, mein Sohn.«

»Es kann mir nicht einfallen, den Worten meines verehrten Onkels zu mißtrauen,« begann Ekenstedt. Doch zugleich stand er auf und nahm eine Art Rednerstellung ein, indem er die Arme über der Brust kreuzte und sich mit dem Rücken an den Bücherständer lehnte. »Im Gedanken an deine Aufrichtigkeit und deine Rechtschaffenheit verstehe ich jetzt, daß Charlotte niemals daran gedacht haben konnte, dich als Mitschuldigen in ihre unlauteren Pläne hineinzuziehen. Ich will dir auch darin recht geben, daß ich keine passende Partie für Charlotte bin, und wenn Charlotte ebenso wie du, verehrter Onkel, mir dies offen und ehrlich gesagt hätte, würde ich zwar ganz gewiß einen tiefen Schmerz empfunden haben, aber ich hätte doch verstanden und vergeben. Aber Charlotte hat einen andern Weg gewählt. Vielleicht aus Angst, in den Augen der großen Menge an Achtung zu verlieren, weist sie den Herrn Hüttenbesitzer Schagerström zuerst mit stolzer Selbstlosigkeit zurück. Aber natürlich ist es nicht ihre Absicht, ihn damit für alle Zeiten abzuschrecken. Statt dessen läßt sie mich die Verlobung aufheben. Sie weiß, ich bin von Natur sehr empfindlich, und diesen Charakterzug benützt sie. Sie läßt Äußerungen fallen, die mich, wie sie wohl weiß, in Wut versetzen. Und sie erreicht auch ihren Zweck. Ich breche mit ihr, und nun glaubt sie, das Spiel gewonnen zu haben. Auf mich will sie die ganze Schuld werfen. Auf mich will sie den Zorn meines verehrten Onkels und den aller andern Menschen wälzen. Ich breche mit ihr, die eben erst um meinetwillen einen großartigen Antrag zurückgewiesen hat. Ich breche mit ihr, die fünf Jahre lang auf mich gewartet hat. Wer kann sich verwundern, wenn sie nach einem solchen Benehmen von meiner Seite dem Herrn Hüttenbesitzer Schagerström nun ihr Jawort gibt? Wer könnte sie darum tadeln?«

Karl Artur streckte mit einer großartigen Bewegung den Arm aus. Der Propst machte eine Wendung auf seinem Stuhl und drehte sich halb von ihm weg.

Auf der hohen Stirne des alten Herrn saßen gerade in der Mitte fünf kleine Runzeln. Während Karl Arturs Rede hatten diese Runzeln eine rote Färbung angenommen, und jetzt leuchteten sie so rot wie eine Wunde. Das war bei dem friedliebenden Propst von Korskyrka das Zeichen höchsten Ärgers.

»Mein Sohn – -«

»Verzeih, verehrter Onkel, aber ich habe noch etwas zu sagen. In dem Augenblick, wo ich mich um meines Seelenheils willen gezwungen sah, mit Charlotte zu brechen, hat Gott mir eine andere Frau, ein einfaches, schlichtes junges Mädchen aus dem Volke, in den Weg geführt, und mit ihr hab' ich gestern abend das Gelübde ewiger Treue ausgetauscht. Ich habe also ganz befriedigenden Ersatz gefunden, bin auch vollkommen glücklich und stehe nicht hier, um mich zu beklagen. Aber ich betrachte mich nicht für verpflichtet, die verhaßte Bürde allgemeiner Verachtung, die Charlotte auf mich wälzen möchte, auf mich zu nehmen.«

Schagerström schaute hastig auf. Während der letzten Erklärungen, die der junge Ekenstedt herausgeschleudert hatte, war er sich sozusagen einer Veränderung in der Atmosphäre des Zimmers bewußt geworden. Und nun sah er Charlotte Löwensköld dicht hinter dem Bräutigam unter der Tür stehen.

Sie war ganz leise hereingekommen, niemand hatte sie bemerkt. Karl Artur war ohne eine Ahnung ihrer Gegenwart und redete immer weiter. Und während er seine Auffassung von ihrer Verschlagenheit und Hinterlist darlegte, stand sie da, hold wie ein Schutzengel, und schaute mit dem reinsten Mitleid, der hingebendsten Zärtlichkeit nach ihm hin. Schagerström hatte diesen Ausdruck genügend oft in dem Antlitz seiner eigenen Gattin gesehen, um zu wissen, was das bedeutete und daß es ganz echt war.

Wie er sie so erblickte, dachte Schagerström keinen Augenblick daran, ob sie schön sei oder nicht. Er meinte, sie sehe genau aus, wie wenn sie durch ein loderndes Feuer gegangen wäre, aber weder rußig geworden noch Brandwunden erlitten hätte, sondern, aus dem Schmelztiegel von allen Schlacken und aller Unvollkommenheit geläutert hervorgegangen, nun unversehrt und verklärt dort drüben stehe. Es war ihm fast unbegreiflich, daß der junge Ekenstedt die Wärme ihres Blickes nicht fühlte und auch nicht fühlte, wie ihn ihre Liebe einhüllte.

Er seinerseits meinte, diese Liebe erfülle das ganze Zimmer. Er fühlte die Kraft ihrer Strahlen bis in die Ecke, wo er saß; er fühlte sein Herz stärker klopfen.

Bei dem Gedanken, daß sie, die dort stand, alle diese Lästerworte mit anhörte, die ihm selbst vollkommen sinnlos und unbestätigt vorkamen, fühlte er sich höchst unbehaglich, und er machte eine Bewegung, um aufzustehen.

Da richtete Charlotte ihren Blick nach der Ecke, wo er saß, und entdeckte ihn drüben im Dunkeln. Sie mußte seine Ungeduld begriffen haben, denn sie schickte ihm ein Lächeln des Einverständnisses zu und legte zugleich den Finger auf den Mund als Warnung, sie nicht zu verraten.

Im nächsten Augenblick verschwand sie ebenso leise, wie sie gekommen war. Weder der Propst noch der Bräutigam wußten etwas von ihrer Anwesenheit im Zimmer. Aber von diesem Augenblick an überkam Schagerström eine große Unruhe. Vorher hatte er sich nicht viel um Karl Arturs Tiraden gekümmert. Er glaubte, das Ganze drehe sich nur um einen Streit zwischen den Verlobten, der von selbst wieder beigelegt würde, sobald sich der Bräutigam wieder beruhigt hätte. Aber seit er Charlotte gesehen hatte, war ihm etwas anderes klargeworden: in der Propstei hatte sich eine wirkliche Tragödie abgespielt.

Und da er durch seine unbedachte Werbung offenbar selbst die Veranlassung des Unglücks gewesen war, suchte er nun nach einem Ausweg zur Versöhnung der Streitenden. Charlottes Unschuld mußte bewiesen werden. Und dem müßten doch eigentlich keine allzu großen Schwierigkeiten im Wege stehen.

Als großer Gutsherr und als Vorstand der verschiedensten Geschäftsunternehmungen hatte er schon reichlich Gelegenheit gehabt, sein Talent als Schiedsrichter zu zeigen. Er war auch beinahe sicher, daß ihm der Weg, den er einschlagen mußte, bald klar werden würde.

Gerade als Karl Artur mit seinen Darlegungen zu Ende gekommen war, wurden im äußeren Zimmer schwere Schritte vernehmlich, und die alte Frau Regina Forsius erschien unter der Tür. Ihre Augen sahen Schagerström sofort.

»Was in aller Welt – sind Sie wieder hier, Herr Hüttenbesitzer?«

Das kam so einfach und natürlich heraus als eine ungeschminkte Verwunderung. Die gute Frau konnte sich nicht zu etwas Förmlichem und Passendem aufraffen.

»Ja,« antwortete Schagerström, »aber ich habe heute ebensowenig Glück wie gestern. Gestern kam ich, um Groß-Sjötorp anzubieten, jetzt komme ich mit dem Anerbieten einer Pfarrstelle nebst Pfarrhaus, aber auch heute werde ich abgewiesen.«

Als seine Gattin eintrat, schien der Propst neuen Mut zu fassen. Er stand auf, und wahrend die fünf Runzeln auf seiner Stirne feuerrot leuchteten, machte er eine befehlende Bewegung, die Karl Artur geradezu aus dem Zimmer verwies.

»Es ist am besten, du gehst jetzt in dein Zimmer und überlegst dir alles noch einmal. Charlotte hat ja ihre Fehler, die gewöhnlichen Fehler der Löwenskölds. Sie ist heftig und hochmütig, aber heimtückisch und verschlagen oder geldgierig ist sie noch nie gewesen. Wenn du nicht der Sohn meines hochgeschätzten Freundes, des Oberst Ekenstedt, wärest – – -«

Aber nun fiel ihm Frau Regina ins Wort.

»Selbstverständlich möchten wir, Forsius und ich, uns am liebsten auf Charlottes Seite stellen, aber ich weiß nicht, ob wir es hier in diesem Falle tun könnten. Allzuviel in der Sache ist mir unverständlich. Zum ersten begreife ich durchaus nicht, warum sie weder gestern noch heute uns ein einziges Wort davon gesagt hat. Ebensowenig begreife ich, warum sie gestern so erfreut war, als du, Forsius, nach Groß-Sjötorp fuhrst, und wiederum ist mir unverständlich, warum sie den Herrn Hüttenbesitzer grüßen und für die Rosen danken ließ, wenn sie doch wußte, was Karl Artur von ihr dachte. Aber wenn nicht noch etwas anderes da wäre, würde ich sie darum allein noch nicht verurteilen.«

»Was denn noch?« fragte der Propst ungeduldig.

»Ja, warum schweigt sie?« versetzte Frau Forsius. »Bei Apothekers heute wußten alle miteinander genau Bescheid, sowohl über die aufgehobene Verlobung als auch über Herrn Schagerströms Antrag. Einige von den Damen zogen sich ganz von Charlotte zurück, andere sahen sie empört an, sie aber ließ alles über sich ergehen, ohne sich auch nur mit einem Wort zu verteidigen. Wenn sie einer von ihnen die Kaffeetasse ins Gesicht geschleudert hätte, würde ich meinem Gott und Schöpfer gedankt haben, aber sie saß so ergeben da wie ein Gekreuzigter und ließ die ganze Gesellschaft so boshaft sein, wie sie nur konnte.«

»Aber du wirst ihr doch nur, weil sie sich nicht verteidigt hat, keine so schlechte Aufführung zutrauen?« versetzte der Propst.

»Als ich von der Namenstagsfeier nach Hause zurückging,« fuhr Frau Forsius fort, »wollte ich sie richtig auf die Probe stellen. Wer sie am allereifrigsten anklagte, war die Organistenfrau, die Charlotte von jeher nicht ausstehen konnte. Aber nun nahm ich Frau Sundlers Arm, und sie durfte mich bis zu unserer Gartentür führen. Und das ließ Charlotte zu. Würde sich Charlotte Löwensköld damit zufriedengegeben haben, daß mich eine andere führte, wenn sie ein gutes Gewissen gehabt hätte? Ich frage nur.«

Keiner von den drei Herren erwiderte ihr ein einziges Wort. Schließlich sagte der Propst mit einem müden Tonfall in der Stimme:

»Es sieht nicht danach aus, als ob wir vorderhand Klarheit in diese Sache bringen könnten. Aber sie wird sich schon mit der Zeit aufklären.«

»Verzeih, Onkel,« sagte Karl Artur, »aber um meinetwillen muß jetzt gleich Klarheit geschafft werden. Meine Handlungsweise müßte für einen Pfarrer sehr unpassend, sehr tadelnswert erscheinen, wenn nicht feststünde, daß Charlotte selbst den Bruch herbeigeführt hat.«

»Wir wollen sie selbst fragen,« schlug der Propst vor.

»Für mich ist ein sicherer Zeuge notwendig,« widersprach Karl Artur.

»Wenn ich mich in die Sache mischen darf,« nahm nun Schagerström das Wort, »so möchte ich einen andern Versuch vorschlagen, wodurch man zur Klarheit kommen könnte. Es handelt sich ja darum, zu erfahren, ob Fräulein Löwensköld mit Überlegung ihren Bräutigam dazu gebracht hat, die Verlobung aufzulösen, weil sie dadurch Gelegenheit bekommen wollte, meine Werbung anzunehmen. Ist es nicht so?«

Jawohl, so sei es, lautete die Antwort.

»Ich betrachte alles miteinander für ein Mißverständnis,« fuhr Schagerström fort, »und ich schlage deshalb vor, daß ich meine Werbung jetzt wiederhole. Darauf wird Fräulein Löwensköld nein sagen; das glaube ich, ja das weiß ich.«

»Aber wollen Sie, Herr Hüttenbesitzer, auch die Folgen auf sich nehmen?« fragte Karl Artur. »Wie nun, wenn sie ja sagt?«

»Sie wird nein sagen,« antwortete Schagerström. »Und da dieses Mißverständnis zwischen Ihnen, Herr Dr. Ekenstedt, und Ihrer Braut zweifellos durch meine Schuld stattgefunden hat, will ich meinerseits gern alles tun, damit das gute Verhältnis zwischen Ihnen wiederhergestellt wird.«

Karl Artur lachte etwas mißtrauisch.

»Sie wird ja sagen,« versetzte er, »sofern sie nicht von irgendeiner Seite gewarnt wird und dann versteht, worum es sich handelt.«

»Ich habe nicht die Absicht, sie persönlich zu fragen,« entgegnete Schagerström. »Ich will ihr schreiben.«

Darauf trat er an den Schreibtisch, nahm Papier und Feder zur Hand und schrieb ein paar Zeilen.

»Gnädiges Fräulein! Entschuldigen Sie, daß ich Sie noch einmal bemühe. Da ich aber von Ihrem Bräutigam gehört habe, daß Ihre Verlobung aufgelöst ist, wiederhole ich hiermit meinen Antrag von gestern.«

Er zeigte Karl Artur, was er geschrieben hatte, und Karl Artur neigte zustimmend den Kopf.

»Wollen Sie die Güte haben und Fräulein Löwensköld diesen Brief übergeben lassen?« sagte Schagerström.

Der Propst zog an einem aus Strohperlen kunstvoll verfertigten, hoch oben an der Wand festgemachten Glockenzug, worauf das Hausmädchen hereinkam.

»Weißt du, wo das Fräulein ist, Alma?«

»Fräulein Löwensköld ist auf ihrem Zimmer.«

»Dann geh mit diesem Brief von dem Herrn Hüttenbesitzer Schagerström gleich zu ihr und sag' ihr, daß wir hier auf Antwort warten.«

Nachdem das Mädchen gegangen war, wurde es ganz still im Zimmer. Durch die Stille hörte man nur die schwachen, surrenden Töne eines alten Spinetts.

»Sie ist hier über uns,« sagte Frau Forsius. »Sie ist's, die spielt.«

Sie wagten einander nicht anzusehen, sie lauschten nur. Jetzt hörte man die Schritte des Hausmädchens auf der Treppe, dann wurde eine Tür geöffnet. Die Musik verstummte.

»Jetzt liest Charlotte das Billett,« dachten sie.

Die alte Frau Propst Forsius saß zitternd auf einem Stuhle. Der Propst hatte die Hände zum Gebet gefaltet. Karl Artur hatte sich auf den Schaukelstuhl geworfen und ließ ein mißtrauisches Lächeln um seine Lippen spielen. Schagerström dagegen sah ganz unbefangen aus, wie er auszusehen pflegte, wenn wichtige Geschäfte abgeschlossen werden sollten.

Jetzt ging jemand mit leichten Schritten droben durchs Zimmer nach der Tür. Diese wurde geöffnet und wieder zugemacht. Das Dienstmädchen hatte das Zimmer verlassen.

Obgleich sich alle in dem Zimmer Anwesenden bemühten, die äußere Ruhe zu bewahren, konnten sie sich doch nicht ganz ruhig verhalten. Alle vier standen im vorderen Zimmer, als das Mädchen wieder eintrat.

Sie übergab Schagerström ein kleines Billett, das dieser aufmachte und las.

»Sie hat meine Werbung angenommen,« sagte er, und durch seine Stimme klang unverkennbare Enttäuschung.

Dann las er Charlottes Brief vor.

»Wenn der Herr Hüttenbesitzer mich nach all dem Bösen, das jetzt über mich gesagt wird, noch heiraten will, so kann ich nicht anders, als seinen Antrag annehmen.«

»Dann darf ich Ihnen also gratulieren,« sagte Karl Artur mit seiner spöttischen Stimme.

»Aber es war ja nur eine Probe,« sagte die Frau Propst. »Und Sie sind dadurch in keiner Weise gebunden, Herr Hüttenbesitzer.«

»Nein, natürlich nicht,« stimmte der Propst bei. »Charlotte würde selbst die erste sein – – -«

Schagerström sah wirklich aus, als wisse er nicht recht, was er nun tun sollte.

In demselben Augenblick hörte man Wagengerassel, und alle schauten durch die Fenster hinaus. Es war Schagerströms Reisewagen, der vor der Freitreppe hielt.

»Darf ich Sie, Herr Propst, und auch Sie, gnädige Frau,« begann Schagerström höchst formell, »bitten, Fräulein Löwensköld meinen Dank zu übermitteln für die Antwort, die sie mir gegeben hat. Eine Reise, die schon seit sehr langer Zeit bestimmt ist, zwingt mich, ein paar Wochen abwesend zu sein. Sobald ich zurückgekehrt bin, hoffe ich, mit Fräulein Löwenskölds Erlaubnis alles Nötige wegen der Proklamation und Hochzeit in Ordnung zu bringen.«


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