Wilhelm von Kügelgen
Jugenderinnerungen eines alten Mannes
Wilhelm von Kügelgen

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Das Aktenstück

Während meines jüngsten Aufenthaltes in Ballenstedt hatte Beckedorff sich wiederholentlich und warnend gegen die politische Verwirrung altdeutscher Jugend ausgesprochen, ohne daß es ihm gelungen wäre, mich meinen Sympathien abwendig zu machen. Ich verharrte in dem anmaßlichen Aufschwung, den ich gewonnen, und trieb vor meinem Abgang von Bernburg noch eine letzte demagogische Blüte, die, wenn ich die Schule nicht gleich darauf von selbst verlassen hätte, ganz dazu angetan gewesen wäre, mir eine unfreiwillige Ausweisung zu bereiten.

Ich hatte eine deutsche Arbeit eingereicht, zu welcher, wie billig, das mich erfüllende Deutschtum die Ideen hergeben mußte, während ich den Stoff ganz schicklich von der Dresdner Rüstkammer entlieh. Indem ich nun, einen Besuch dieser großartigen Sammlung fingierend, die meiner Meinung nach interessantesten Objekte aufzählte, die sie enthält, nahm ich von so zahlreichen Dokumenten der Vorzeit Veranlassung zu allerlei gewagten Parallelen zwischen Vergangenheit und Gegenwart in deutschen Landen, wobei mein Räsonnement natürlich nur den Vorstellungen entsprechen konnte, die ich von beiden hatte. Im Mittelalter sah ich aber eitel Freiheit, Frömmigkeit und Kraft, in der Jetztzeit nur Gottlosigkeit, Erbärmlichkeit und Knechtschaft, und – wie es einem dann ergehen kann, wenn man sich ganz allein seinem Tintenfaß gegenüberfindet – je tiefer ich in meinen Gegenstand eindrang, je rücksichtsloser schrieb ich. Unter anderem erinnere ich mich, daß ich so weit gegangen war, zu sagen, daß, während man in jenen tüchtigen Zeiten schon zehnjährige Knaben in Eisen gehüllt und in Kampfspielen gehärtet habe – wie die zahlreichen noch vorhandenen Kinderharnische bekundeten –, man heutzutage der Jugend die Turnplätze verweigere, um möglichst marklose Weichlinge zu erziehen. Noch mehr dergleichen polizeiwidrige Äußerungen mochten sich in meiner Arbeit finden, doch hatte ich weiter keine Absicht, als mich zu expektorieren, und zwar vorzüglich gegen meinen Klassenlehrer, welchem die Korrektur der deutschen Arbeiten zustand. Dieser Lehrer, Professor Sachse, ein ansehnlicher und gelehrter Mann, war sonst beliebt genug gewesen; namentlich bewunderten wir Schüler seine kräftige und schwungvolle Eloquenz, und wenn er von Vaterlandsliebe und männlicher Tugend der Alten sprach, konnte er immer sicher sein, die Klasse zum Enthusiasmus fortzureißen. Neuerdings war er uns jedoch verdächtig geworden, weil er sich bei verschiedenen Gelegenheiten unliebsame Bemerkungen über das Turnwesen erlaubt und Äußerungen getan hatte, die einer Rüge nicht ganz unwert schienen.

Als nun die Zurückgabe der deutschen Aufsätze erfolgte und meine Mitschüler die ihrigen, einer nach dem anderen, mit kurzen Kritiken zurückerhalten hatten, ergriff der Professor das letzte Heft; es war das meinige. Es sei noch eine Arbeit übrig, sagte er, ein Aufsatz, dessen eigentümliche Färbung ausführlichere Besprechung fordere. Dazu werde die übliche Zeit nicht ausreichen und die nächstfolgende Stunde daher zu Hilfe genommen werden müssen.

Ein Freudenschein lief über die Gesichter, denn die nächste Stunde war die letzte in der Woche und deren Arbeit somit zu Ende. Zudem konnte aus der Haltung des Lehrers auf ein rhetorisches Ungewitter geschlossen werden, das für die Unbeteiligten Genuß versprach. Die meisten setzten sich bequem zurecht; ich aber machte mich stark im Geist.

Inzwischen begann der Professor mit Lob, das sich auf die Form und den angewandten Fleiß bezog; dann las er den ganzen langen Aufsatz ohne weitere Bemerkung, doch mit schärfster Betonung aller tendenziösen Stellen vor. Je weiter er kam, je aufrichtigere Zustimmung sprach sich in den Mienen der Schüler aus; einige von ihnen nickten mir beifällig zu, die Nächstsitzenden drückten mir verstohlen die Hand.

Als aber die Vorlesung beendet war, entlud sich ein fürchterliches Ungewitter. Sachse richtete sich hoch auf wie eine Rolandssäule und, gegen mich gewendet, begann er mit mächtiger Stimme: «Wissen Sie, was Sie getan haben, junger Mensch? Ein Aktenstück haben Sie geliefert, das Ihnen den Platz in dieser Schule kosten kann!»

Nachdem dieser Pfropf heraus war, überflutete mich ein Strom der erbarmungslosesten Kritik, welche aus der mächtigen Brust des Redners anfänglich in stoßweisen Eruptionen hervorbrach gleich bahnbrechenden Kanonensalven, dann aber in geschlossener Rede, jeden Widerstand vernichtend, weiterströmte. So hätte Cicero gegen den Erzverräter Catilina reden können, wenn er gewollt hätte; ich aber war durch die Zeichen des Beifalls meiner Mitschüler viel zu berauscht und durch die Heftigkeit des Angriffs zu beleidigt, um mein Unrecht einzusehen. Während der ganzen Kanonade blickte ich dem feindlichen Konstabler fest ins Auge, bis ihm endlich die Munition ausging. Er schloß mit der Bemerkung, daß er sich veranlaßt sehen könne, einen Gebrauch von meiner Arbeit zu machen, für dessen Folgen er nicht gut sein möge, sie mir daher auch nicht zurückgeben würde. Darauf verließ er die Klasse hocherhobenen Hauptes.

Jetzt ward der Beifall meiner Mitturner überlaut, sie umdrängten und umhalsten mich, als hätte ich ein Stückchen Vaterland gerettet, und hocherhobenen Hauptes ging auch ich nach Hause, von zahlreichen Genossen begleitet.

Als ich jedoch das Ding beschlafen hatte, wurde mir doch der Gedanke an die möglichen Folgen ungemütlich. Es schien mir wenig wünschenswert, als relegierter Schüler vor meinen Eltern zu erscheinen, und ich entschloß mich daher, meinen demnächstigen freiwilligen Abgang ohne Verzug selbst anzuzeigen. Zuerst ging ich zum Klassenlehrer. Das Herz schlug mir, als ich an seine Türe klopfte; aber wider Erwarten empfing er mich aufs beste und nötigte mich zum Sitzen. Ich sei gekommen, sagte ich, mich vorläufig zu verabschieden, da ich die Schule in einigen Tagen verlassen würde. Sachse wollte mich beruhigen. Jener Arbeit wegen, sagte er, brauche ich nicht abzugehen. Zwar habe es in seiner Stellung gelegen, einmal ernstlich gegen eine Richtung aufzutreten, die von oben perhorresziert werde; ich sei indes bei ihm in Freundeshänden, und wie wenig er daran denke, mir zu schaden, möge ich daraus erkennen, daß er das corpus delicti bereits verbrannt habe. Er redete mir nun zu, mich zu beruhigen und zu bleiben; da er indes hörte, daß ich die Schule infolge eines längst gefaßten Entschlusses meines Vaters zu verlassen habe, um mich dem Studium der Malerei zu widmen, gab er sich zufrieden. Er sprach sehr anerkennend von dem herrlichen Beruf der Künstler, und, schließlich mich umarmend, entließ er mich mit dem begeisternden Zuruf: «Fliege, junger Adler! Nur auf den Höhen wohnt die Freiheit!»

Mit warmem Herzen verließ ich den verdienten Mann, welcher übrigens, weit entfernt, mein hirnverbranntes Opus zu verbrennen, es vielmehr für sich behalten hatte, um es in Freundeskreisen vorzulesen, sich mit anderen der Gesinnung und des Trotzes freuend, die er in der Klasse schonungslos verdammte.

Die Heimreise

Nachdem ich gerade ein Jahr in Bernburg gewesen, schied ich zu Johanni 1818 aus dem Krummacherschen Hause, in welchem ich so viel Liebes und Gutes erfahren hatte, daß mir nur das Vaterhaus Ersatz sein konnte. Dahin trat ich nun die Wanderung an, und zwar zu Fuße, fürs erste die endlose Pappelchaussee durchschreitend, die mich nach Halle führte. Als ich am Abende, hier angelangt, sehr ermüdet über das Pflaster hinkte, frappierte mich ein starker Lärm aus hoher Luft. Ich blickte auf und bemerkte einen mit Stürmer und Kanonen angetanen Bruder Studio, welcher dergestalt in einem Fenster des dritten Stockwerks ritt, daß das eine seiner hochgestiefelten und gespornten Beine auf die Straße hinaushing. Dazu knallte er unablässig mit der Hetzpeitsche, schnalzte, schrie und fluchte wie ein Piqueur, der seine Meute hetzt. Um nicht insultiert zu werden, sahen die Vorübergehenden nur flüchtig auf, und so auch ich. Doch kann ich nicht leugnen, daß mir das einsame Vergnügen, welches jener sich dort oben machte, wohlgetan und geistvoll schien.

Im «Löwen» kehrte ich ein, wusch mir die Füße mit Branntwein und legte mich mit dem befriedigenden Bewußtsein nieder, daß ich am andern Morgen machen könne, was ich wolle. Ich wollte aber vor meinem Abmarsche dem Pfarrhause an der Moritzkirche einen Besuch abstatten und freute mich nicht wenig darauf. Wie mochte Lorchen jetzt wohl aussehen, dachte ich, und ob sie mich wohl kennen werde? Und wenn man mich sehr drängte, sollte es mir nicht darauf ankommen, den ganzen Tag zu bleiben. Sehr zeitig war ich auf den Strümpfen und konnte kaum die Stunde erwarten, wo man zu Leuten gehen kann. Um sieben Uhr schien's endlich schicklich. Ich hing meinen Ranzen auf den Rücken und stiefelte auf wohlbekanntem Wege dem alten lieben Pfarrhaus zu; aber ich fand nicht die Menschen, die ich suchte. Der Pastor Senff war tot und die Witwe ausgezogen. Die Köchin, die mir dies berichtet, war indes so freundlich, mich in den Garten einzulassen. Da sah ich denn die hohe Efeuwand der Kirche wieder und das Lusthaus und die Wege, auf denen ich als Kind herumgetollt – aber es war alles so klein geworden, und ich hatte kein Recht mehr daran und mußte weinen um den alten Senff.

Ich gab der Köchin ein paar Groschen, und sie beschrieb mir die neue Wohnung der verwitweten Pastorin. Mit Mühe fragte ich mich dahin. Auf mein Klingeln öffnete mir ein junges Mädchen und sah mich forschend an; ich sie desgleichen. Als ich aber nach der Pastorin Senff fragte, leuchtete jene auf und nannte mich beim Namen. Es war Lorchen, die mich nun wie einen Bruder begrüßte und den alten Kameraden triumphierend zur Großmutter hineinzog. Im freundlichen Gemache, mit der Aussicht auf ein Gärtchen, saß die alte saubere Frau im Lehnstuhl, angeschienen von einem bunten Strahl der Morgensonne, der sich durch den Blumenschleier stahl, mit dem wahrscheinlich Lorchens Hand das Fenster umwoben hatte. Ich ward sehr wohl empfangen, wertgehalten und gepflegt, mußte Kaffee trinken, Kuchen essen, erzählen und mir erzählen lassen.

Mit lachendem Munde erinnerte sich Lorchen unsrer gemeinsamen kleinen Erlebnisse und wischte sich doch dabei zum öfteren die Augen, denn seit jener goldenen Zeit hatte ihr das Leben schon mancherlei Verluste gebracht. Ich aber konnte den Blick nicht von ihr wenden. Wie schön war sie geworden, diese meine liebe kleine Dame von ehemals, die mich einst gewaffnet, mir den Lilienstengel in die Hand gegeben und in deren Dienst ich Riesen und Drachen überwunden hatte! O daß ich noch ihr Ritter sein könnte! dachte ich, und der Gedanke an den Abschied ward mir so schwer, daß ich über Gebühr lange blieb. Kaum schien es möglich, Leipzig noch zu erreichen.

Als ich doch endlich aufbrach, ließ das liebe Mädchen es sich nicht nehmen, mir selbst den Ranzen aufzuschnallen. Sie hatte mich noch einmal rüsten wollen wie vorzeiten. Dann geleitete sie mich hinab bis an die Straße und stand winkend in der Haustüre.

Ich rannte fort, die Gassen entlang und auf die Landstraße hinaus. Das Herz war mir viel schwerer als der Ranzen. Ich hatte keinen anderen Gedanken als an die so schnell wieder entschwundene Gespielin aus dem Kinderparadiese, deren süße Stimme mir noch in den Ohren klang und deren Worte ich mir alle im Geiste noch einmal wiederholte. So mochte ich, in Träumereien versunken, ein gut Stück Wegs gewandert sein, als mich eine rasch daherfliegende Chaise einholte. Der Wagen hielt, und der darin sitzende Herr rief mich an und machte mir den Vorschlag, einzusteigen und mit ihm zu fahren. Zugleich ergriff auch der Kutscher das Wort: «Ja, sehen Sie, Musjechen, als Sie so vor uns hinmachten, da meinten der Herr zu mir: wenn es ein hübscher Mensch ist, so nehmen wir ihn mit, darum, daß dem Herrn immer die Zeit und Weile lang wird.»

Mir war in jenem Augenblicke die Einsamkeit viel lieber als jegliche Gesellschaft; da ich aber keine Entschuldigung hatte und auch überlegte, wie ich auf diese Weise noch nach Leipzig kommen könnte, gab ich nach einigem Zureden nach und nahm an des Gelangweilten Seite Platz. Dieser schien ein Kaufmann oder Fabrikant und gehörte zu jenen inquirierenden Reisenden, die nicht mehr als zehn Minuten brauchen, um von jedem, der ihnen in den Weg kommt, Wohnort, Namen, Stand und zehnerlei anderes zu erfragen, was sie nicht das geringste angeht. Mir war dies ärgerlich. Mit einiger Routine hätte ich den unberufenen Frager ablaufen lassen; doch damals wußte ich mein Inkognito nicht anders zu wahren, als daß ich ihm einen ganzen Sack voll Lügen aufband.

Es ist schon gesagt worden, daß ich mir auf meine Ehrlichkeit etwas zugute tat, und allerdings hätte ich mich vor mir selbst geschämt, so recht direkt zu meinem Vorteil zu lügen; ein gleichgültiges Erlebnis aber etwas auszuschmücken, um es genießbarer zu machen, oder zu verschweigen, was ich nicht sagen wollte, oder endlich, wie in diesem Falle, einen unberechtigten Inquisitor hinters Licht zu führen, daraus machte ich mir schon weniger ein Gewissen. Mein Reisegefährte mußte es sich daher schon gefallen lassen, zu erfahren, daß ich Jakob Schmidt heiße, meine Eltern früh verloren habe, in Halle auf dem Pädagogio gewesen sei und jetzt auf den Wunsch meines Vormundes die Kreuzschule in Dresden beziehen solle.

Der Fremde, dem wahrscheinlich auf diesem ganzen Erdenrund nichts gleichgültiger war als alles das, wonach er mich gefragt hatte, nahm meine Angaben wie ein guter Mensch auf, der kein Arg bei den Reden seines Nächsten hat; auch mochte er glücklicherweise mit den Verhältnissen, die ich berührte, so wenig vertraut sein, daß seine weiteren Fragen mich nicht in Verlegenheit setzten. Dennoch war mir nicht wohl dabei. Bei fortgesetzter Unterhaltung entwickelte jener ein so ehrenwertes Wesen, daß mir die Unwahrheiten, deren ich mich gegen ihn schuldig gemacht hatte, von Minute zu Minute schwerer aufs Gewissen fielen. Dazu kam Leipzig immer näher. Ich überlegte lange, was ich als Ehrenknabe zu tun habe, ob ich mit jenen Lügen aus dem Wagen steigen oder mich durch offenes Bekenntnis blamieren solle, und beides schien unmöglich. So nachdenklich war ich geworden, daß mein unschuldiger Gönner, in der Meinung, ich vertrüge das Fahren nicht, eine Flasche Wein hervorzog, mich damit zu stärken.

Da faßte ich mir ein Herz. Das sei es nicht, ließ ich mich nun vernehmen, sondern daß ich ein schlechtes Gewissen gegen ihn habe. Er sah mich mit aufgerissenen Augen an; ich aber berichtigte jetzt wahrheitsgemäß alle meine lügenhaften Angaben, als einzige Entschuldigung geltend machend, daß auf Reisen jeder doch am liebsten unbekannt bliebe. Der andere mochte denken, daß, wenn man nicht Hannibal, Cäsar oder Judas Ischariot heiße und noch dazu ein sechzehnjähriger Junge sei, man unter eigenem Namen ebenso unbekannt als unter fremdem reise; doch vertraute er mir das nicht: er schmunzelte bloß, reichte mir dann die Hand, und ich glaube annehmen zu dürfen, daß wir in Leipzig als gute Freunde schieden.

Nachdem ich hier bei Volkmanns einen Tag gerastet hatte, setzte ich die fernere Reise mit der Post fort. Zwischen Leipzig und Dresden gingen damals zwei Personenposten, die sogenannte gelbe und grüne Kutsche. Die erste dieser Gelegenheiten stieß dermaßen, daß Leib und Seele Gefahr liefen, voneinander getrennt zu werden, daher besonnene Leute die andere, etwas gelindere, zu wählen pflegten. Doch war auch diese noch immer von der Art, daß man bisweilen vor Schmerz laut aufschrie, und wenn der Schwager nicht an jeder Schenke angehalten hätte, so würde man es kaum ertragen haben; mit solchen hochnötigen Intervallen war es aber eine gesunde Art, zu reisen. Die heftigen Erschütterungen, denen man ausgesetzt war, solange das Vehikel in Bewegung blieb, erregten nämlich Löwenhunger, den zu befriedigen jedwede Schenke und Station ihren eigentümlichen und berühmten Leckerbissen darbot. Außer den Hauptmahlzeiten nahm man zum Beispiel in Borsdorf einen Sandkuchen zu sich, der allezeit vorhanden und so schwer war, daß nur Postreisende ihn zu verdauen imstande waren; in Wurzen gab es ein dickes schwarzes Bier, in Luppe Ziegenkäse mit Danziger Goldwasser, in Meißen das sonderbare Gebäck der Fummeln, hier aß man Preßkopf, dort wurden Rühreier verschluckt, und anderwärts mußte Landwein getrunken werden – kurz, von Stunde zu Stunde hatte man Gelegenheit, die Löcher wieder zuzustopfen, welche Weg und Wagen unablässig in den Magen stießen.

Meine Reisegesellschaft bestand aus einem wohlhäbigen dicken Partikulier, der wegen Übermaßes von Gesundheit nach Karlsbad wollte, und einem heldenmütigen Leipziger Studenten. Letzterer hatte ein Aussehen wie der grimme Hagen, sprach mit Nachdruck und schien, seinen eigenen Erzählungen nach, sich nur raufenshalber in Leipzig aufzuhalten. Auf der Brust hing ihm ein ledernes Beutelchen mit Schießpulver, aus welchem er sein Terzerol lud, um ab und zu aus den Wagenfenstern herauszufeuern. Der Dicke drückte dann die Augen zu und bat inständigst, wenigstens das Pulversäckchen abzuhängen, das Feuer fangen könne.

Es sei allerdings gefährlich, versicherte der Studio, aber darin läge gerade der Jux. Darauf schwur er bei allen sieben Weisen Griechenlands, daß, wenn ein einziges Fünkchen aus seiner Pfeife dahineinflöge, so würden wir augenblicklich alle, samt grüner Kutsche, Postillion und Pferden, wie Elias im feurigen Wagen gen Himmel fahren.

Das war schon richtig; aber bei alledem konnte man ganz sorglos sein, wenn man bemerkte, mit welcher Vorsicht jenes unheilschwangere Säckchen nach jeder Ladung zugebunden wurde. Inzwischen dauerte einen die Angst des armen Badegastes, der doch wahrscheinlich nur deshalb nach Karlsbad reiste, um sein Leben zu verlängern, und dem es daher sehr ungelegen sein mußte, es schon vorher einzubüßen. Er wurde nicht müde, dem wagehalsigen Schützen die eindringlichsten Vorstellungen zu machen, und dieser stellte die Gefahr auch nicht in Abrede; nur meinte er, daß solche Erwägungen zu nichts anderem führten, als ein altes Weib zu werden, und eigentlich sei doch die ganze Welt ein Pulversack, und des Menschen Schicksal stehe in den Sternen, daher man machen könne, was man wolle. So blieb die Sache, wie sie war, das Pulver auf der Brust des Renommisten, dem Partikulier aber die Besorgnis eines schauderhaften Endes.


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