Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band I
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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35. Die Septembertage

Sturmläuten in ganz Paris, der Generalmarsch auf den Straßen, die Alarmkanone, deren drei Schläge viertelstündlich ertönten, die Gesänge der Freiwilligen, die zur Grenze zogen, alles trug an diesem Tag, Sonntag den 2. September, dazu bei, den Zorn des Volkes zur Wut zu steigern.

Schon zwischen 12 und 2 Uhr mittags fingen sich Ansammlungen vor den Gefängnissen zu bilden an. Vierundzwanzig Geistliche, die man in geschlossenen Wagen vom Rathaus nach dem Gefängnis l'Abbaye transportierte, wurden auf der Straße von Föderierten aus Marseille oder Avignon angefallen. Vier Geistliche wurden getötet, ehe sie das Gefängnis erreichten. Zwei wurden im Augenblick der Ankunft am Tor niedergemacht. Die andern wurden hineingelassen; aber kaum hatte man angefangen, sie einem Verhör zu unterziehen, als eine mit Piken, Schwertern und Säbeln bewaffnete Menge die Gefängnistür erbrach und die Geistlichen tötete; nur der Abbé Picard, der Taubstummenlehrer war, und sein Unterlehrer wurden gerettet.

So begannen die Gemetzel in l'Abbaye, einem Gefängnis, das in dem Viertel einen besonders schlechten Ruf hatte. Die Scharen, die sich vor dem Gefängnis gebildet hatten und die sich aus selbständigen Handwerkern und kleinen Kaufleuten des Viertels zusammensetzten, verlangten den Tod der Royalisten, die seit dem 10. August verhaftet worden waren. Man wußte in dem Viertel, daß sie mit dem Gelde umherwarfen, daß sie sich's wohlsein ließen und ihre Frauen und Geliebten in voller Freiheit im Gefängnis empfingen. Sie hatten nach der Niederlage, die die französische Armee bei Mons erlitten hatte, illuminiert und nach der Übergabe von Longwy Siegeslieder gesungen. Sie beschimpften die Vorübergehenden hinter ihren Gittern hervor und verkündeten die baldige Ankunft der Preußen und die Ermordung der Revolutionäre. Ganz Paris sprach von einem Komplott, das in den Gefängnissen gesponnen wurde, von Waffen, die eingeschmuggelt wurden, und man wußte überall, daß die Gefängnisse wahrhafte Fabriken von falschen Assignaten und von falschen Noten der Unterstützungskasse geworden waren, durch die man den öffentlichen Kredit zu ruinieren suchte.

All das wiederholte sich in den Zusammenrottungen, die sich um die Gefängnisse l'Abbaye, la Force und die Conciergerie gebildet hatten. Bald hatten diese Scharen die Tore erbrochen und fingen drinnen damit an, die Generalstabsoffiziere der Schweizer, die königlichen Garden, die Priester, die wegen ihrer Weigerung, den Eid auf die Verfassung zu leisten, deportiert werden sollten, und die royalistischen Verschwörer, die seit dem 10. August verhaftet waren, zu töten.

Die Plötzlichkeit und Gleichzeitigkeit dieses wilden Angriffs scheint alle Welt überrascht zu haben. Dieses Blutbad war keineswegs von der Kommune und von Danton ins Werk gesetzt, wie die royalistischen Historiker zu behaupten belieben, es kam vielmehr so unerwartet, daß die Kommune in aller Eile Maßregeln ergreifen mußte, um den Temple zu schützen und die zu retten, die wegen Schulden usw. im Gefängnis saßen, und ebenso die Damen aus der Umgebung Marie Antoinettes. Diese Damen konnten nur unter dem Schutze der Nacht von Kommissären der Kommune gerettet werden, die sich ihrer Aufgabe nur mit großen Schwierigkeiten entledigten und in Gefahr waren, selbst von den Scharen getötet zu werden, die die Gefängnisse umstellt hatten und in den benachbarten Straßen Wache hielten.

Sowie das Blutbad in l'Abbaye begonnen hatte, und man weiß, daß es gegen halb 3 Uhr begann (Mon agonie de trente-huit heures, von Journiac de Saint-Méard), ergriff die Kommune sofort Maßregeln, um es zu verhindern. Sie benachrichtigte sofort die Nationalversammlung, die Kommissäre ernannte, die zum Volk sprachen, und in der Sitzung des Generalrats der Kommune, die am Nachmittag anfing, erstattete der Prokurator Manuel bereits von seinen fruchtlosen Versuchen Bericht, dem Blutbad Einhalt zu gebieten. ›Er sagt, daß die Bemühung der zwölf Kommissäre der Nationalversammlung, seine eigenen und die seiner Kollegen von der Gemeindeverwaltung nicht erreichen konnten, die Verbrecher vom Tod zu erretten.‹ In ihrer Abendsitzung nahm die Kommune den Bericht ihrer Kommissäre entgegen, die sie nach la Force entsandt hatte, und beschloß, sie sollten sich noch einmal dahin begeben, um die Gemüter zu beruhigen.Das Volk hörte nicht auf sie, da es jeden Glauben an die Versammlung verloren hatte.

Die Kommune hatte sogar in der Nacht vom 2. auf den 3. September Santerre, dem Kommandanten der Nationalgarde, befohlen, Abteilungen zu senden, die dem Blutbade ein Ende machen sollten. Aber die Nationalgarde wollte sich nicht einmischen. Sonst ist kein Zweifel, daß zum wenigsten die Bataillone der gemäßigten Sektionen marschiert wären. Offenbar hatte sich in Paris die Meinung gebildet, gegen die Zusammenrottungen sich wenden wäre ebensoviel, wie den Bürgerkrieg in dem Augenblick entflammen, wo der Feind nur ein paar Tagesmärsche entfernt und vor allem die Einigkeit nötig war. ›Man teilt euch; man sät den Haß; man will den Bürgerkrieg entflammen‹, sagte die Nationalversammlung in ihrer Proklamation vom 3. September, in der sie die Bürger aufforderte, einig zu bleiben. Unter diesen Umständen gab es kein anderes Mittel als gutes Zureden. Aber auf die Ermahnungen der Abgesandten der Kommune, die das Blutbad verhindern wollten, antwortete einer der Männer aus dem Volke in l'Abbaye, indem er Manuel fragte, ob die verfluchten Preußen und Österreicher, wenn sie nach Paris kämen, Schuldige und Unschuldige unterscheiden würden oder ob sie massenhaft töten würden? Und ein anderer oder vielleicht derselbe fügte hinzu: ›Das ist das Blut von Montmorin und seiner Rotte; wir sind auf unserm Posten, geht ihr auf euren; wenn alle die, die wir beauftragt haben, Justiz zu üben, ihre Pflicht getan hätten, wären wir nicht hier.‹ Das sahen die Bevölkerung von Paris und alle Revolutionäre an diesem Tage sehr klar vor sich.

Jedenfalls erließ das Überwachungskomitee der Kommune, sowie es das Ergebnis von Manuels Mission erfuhr, am Nachmittag des 2. September den folgenden Aufruf: ›Im Namen des Volkes. Kameraden, wir befehlen euch an, über alle Gefangenen von l'Abbaye ohne Unterschied, mit Ausnahme des Abbé Lenfant, den ihr an einen sicheren Ort bringen werdet, Gericht zu halten. Im Rathaus, am 2. September. (Gezeichnet: Panis, Sergent, Aufsichtsbeamte).‹

Sofort wurde ein provisorischer Gerichtshof aus zwölf Geschworenen, die das Volk ernannte, eingesetzt, und der Huissier Maillard, der in Paris seit dem 14. Juli und dem 5. Oktober so wohlbekannt war, wurde zum Präsidenten des Gerichts ernannt. Ein ähnlicher Gerichtshof wurde von zwei oder drei Mitgliedern der Kommune in la Force improvisiert, und diese beiden Gerichte bemühten sich, so viel Gefangene zu retten, als ihnen möglich war. So gelang es Maillard, Cazotte, der schwer kompromittiert war (Michelet, Buch VII, 5. Kapitel), und de Sombreuil zu retten, der als erklärter Feind der Revolution bekannt war. Er benutzte die Gegenwart ihrer Töchter, Fräulein Cazotte und Fräulein Sombreuil, die sich mit ihren Vätern hatten ins Gefängnis sperren lassen, und auch das hohe Alter Sombreuils, und es gelang ihm so, ihre Freisprechung zu erwirken. Später konnte Maillard in einem Schriftstück, das Granier de Cassagnac in Faksimile wiedergegeben hat, mit Stolz sagen, daß er so sechsundvierzig Personen das Leben gerettet hat. Es ist kaum nötig, hinzuzufügen, daß ›das Glas Blut‹ von Fräulein de Sombreuil eine der niederträchtigsten Erfindungen der royalistischen Schriftsteller ist. (Siehe Louis Blanc, Buch VIII, 2. Kapitel; L. Combes, Épisodes et curiosités révolutionnaires, 1872.)

In la Force gab es ebenfalls viele Freisprechungen; nach der Aussage Talliens wurde nur eine einzige Frau getötet, Frau von Lamballe. Jede Freisprechung wurde mit dem Rufe: ›Es lebe die Nation!‹ begrüßt, und der Freigesprochene wurde von Männern aus der Menge mit allen Zeichen der Sympathie bis zu seiner Wohnung begleitet; aber diese Begleiter lehnten es rundweg ab, von dem Befreiten oder seinen Angehörigen Geld anzunehmen. Man gab so notorische Royalisten frei, gegen die es keine beglaubigten Tatsachen gab, wie zum Beispiel den Bruder des Ministers Bertrand de Molleville, und selbst einen fanatischen Feind der Revolution, den Österreicher Weber, den Milchbruder der Königin, und man führte sie im Triumph, mit Ausbrüchen der Freude zu ihren Angehörigen oder Freunden.

Im Karmeliterkloster hatte man seit dem 11. August angefangen, Geistliche einzusperren, und da befand sich der berüchtigte Erzbischof von Arles, den man beschuldigte, die Ursache der Niedermetzelung der Patrioten in dieser Stadt gewesen zu sein. Alle sollten deportiert werden, als der 2. September dazwischenkam.

Eine Anzahl Männer, die mit Säbeln bewaffnet waren, drangen an diesem Tage in das Kloster und töteten den Erzbischof von Arles, und ebenso – nach summarischem Gerichtsverfahren – eine Anzahl Geistliche, die den Bürgereid verweigert hatten. Mehrere retteten sich indessen, indem sie eine Mauer erkletterten, andere wurden, wie aus dem Bericht des Abbé Berthelet de Barbot hervorgeht, von Mitgliedern der Sektion des Luxembourg und von Pikenmännern, die in dem Gefängnis stationiert waren, gerettet.

Das Morden dauerte auch noch am 3. September fort, und am Abend sandte das Überwachungskomitee der Kommune mit Zustimmung des Justizministers an die Departements ein Zirkular, das Marat verfaßt hatte und in dem er die Nationalversammlung angriff, die Ereignisse erzählte und den Departements empfahl, dem Beispiel von Paris zu folgen.

Indessen legte sich die Aufregung des Volkes, sagt Saint-Méard, und am 3. September gegen 8 Uhr hörte er mehrere Stimmen rufen: »Gnade, Gnade für die, die noch übrig sind!« Übrigens waren nicht mehr viele politische Gefangene in den Gefängnissen. Aber jetzt ereignete sich, was notwendig kommen mußte. Unter die, die die Gefängnisse aus Überzeugung angegriffen hatten, mischten sich andere, zweifelhafte Elemente. Und endlich entstand, was Michelet sehr gut ›die Säuberungswut‹ genannt hat – die Begier, Paris nicht nur von den royalistischen Verschwörern, sondern ebenso von den Falschmünzern, den Herstellern falscher Assignaten, den Spitzbuben, selbst den öffentlichen Dirnen zu säubern, die man alle royalistisch nannte!

Am 3. September hatte man schon im Grand-Châtelet Diebe und in les Bernardins Zuchthäusler umgebracht, und am 4. zog eine Schar zur Niedermetzelung nach la Salpêtrière, nach Bicêtre, ja sogar in die Besserungsanstalt von Bicêtre, die das Volk als einen Leidensort von Unglücklichen wie es selbst, hauptsächlich von Kindern, hätte respektieren sollen. Endlich gelang es der Kommune, dem Blutbad ein Ende zu machen – nach Maton de la Varenne am 4. September.

Im ganzen wurden mehr als tausend Menschen umgebracht, darunter 202 Geistliche, 26 Angehörige der königlichen Garde, 30 Schweizer vom Generalstab und mehr als 300 gemeine Sträflinge von denen, die in der Conciergerie während ihrer Haft falsche Assignaten hergestellt hatten. Maton de la Varenne, der in seiner Histoire particulière (S. 419-460)) eine alphabetische Liste der während dieser Septembertage Getöteten mitteilt, kommt zu einer Gesamtsumme von 1086, wozu noch drei Unbekannte kommen, die bei der Gelegenheit getötet wurden. Auf Grund dieser Tatsachen haben die royalistischen Historiker ihre Romane ausgearbeitet und haben von 8000 und selbst von 12 852 Getöteten gesprochen.

Alle Historiker der Großen Revolution, anzufangen mit Buchez und Roux, haben die Meinung verschiedener bekannter Revolutionäre über diese Bluttaten angeführt, und ein interessanter Zug ist den zahlreichen Zitaten, die sie mitteilen, gemeinsam: die Girondisten, die sich später am meisten der Septembertage bedienten, um die Männer des Bergs heftig und unausgesetzt anzugreifen, nahmen in diesen Tagen durchaus die nämliche Haltung des ›laisser faire‹ ein, die sie später Danton, Robespierre und der Kommune vorwarfen. Die Kommune allein ergriff in ihrem Generalrat und ihrem Überwachungskomitee mehr oder weniger wirksame Maßregeln, um den Bluttaten ein Ende zu machen oder sie wenigstens, als sie sah, daß es unmöglich war, sie zu hindern, zu umgrenzen und zu legalisieren. Die andern waren lässig oder glaubten vielmehr, sich nicht einmischen zu sollen; und die meisten billigten die Sache, nachdem sie geschehen war. Das beweist, bis zu welchem Grade trotz dem Entrüstungsschrei, den diese Bluttaten hervorriefen, alle einsahen, daß sie die unvermeidliche Konsequenz des 10. August und der zweideutigen Politik der Regierenden selber während der zwanzig Tage nach dem Tuileriensturm waren.

Roland spricht in seinem so oft zitierten Brief vom 3. September von den Bluttaten in Ausdrücken, die ihre Notwendigkeit anerkennen, und für ihn ist die Hauptsache, die These auszuführen, die die Lieblingsthese der Girondisten werden wird: daß vor dem 10. August die Unordnung nötig war, daß aber jetzt alles zur Ordnung zurückkehren müsse. Im allgemeinen sind die Girondisten, wie Buchez und Roux sehr gut bemerkt haben, ›hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt‹; ›sie sehen mit Betrübnis die Macht ihren Händen entfallen und in die ihrer Gegner übergehen . . . aber sie haben keine Motive, um die Bewegung, die vor sich geht, zu tadeln . . . Sie verhehlen sich nicht, daß diese Bewegung allein die Unabhängigkeit der Nation retten und sie selbst vor der Rache der Emigration in Waffen schützen kann.‹ (S. 397)

Die wichtigsten Zeitungen, wie der ›Moniteur‹ und die ›Révolution de Paris‹, billigen die Vorfälle, während andere, wie die ›Annales patriotiques‹ und die ›Chronique de Paris‹ und selbst Brissot im ›Patriote français‹, sich mit einigen kalten und gleichgültigen Worten über diese Tage begnügen. Daß die royalistische Presse sich dieser Taten bemächtigt hat, um ein Jahrhundert lang die phantastischsten Berichte in Umlauf zu bringen, versteht sich von selbst. Wir geben uns nicht damit ab, sie zu widerlegen. Aber es gibt einen Irrtum in der Beurteilung, der sich auch bei den republikanischen Historikern findet und der behoben zu werden verdient.

Es ist wahr, daß die Zahl derer, die in den Gefängnissen töteten, nicht mehr als dreihundert Mann betrug. Auf Grund dessen klagt man alle Republikaner, die dem Morden kein Ende gemacht haben, der Feigheit an. Nichts ist indessen irriger als diese Art der Rechnung. Die Zahl von drei- oder vierhundert ist richtig. Aber man braucht nur die Berichte von Weber, von Fräulein von Tourzel, von Maton de la Varenne usw. zu lesen, um zu sehen, daß zwar die Mordtaten das Werk einer beschränkten Zahl Menschen waren, daß aber um jedes Gefängnis herum und in den benachbarten Straßen große Scharen von Menschen standen, die das Blutbad billigten und die gegen jeden, der sie hätte hindern wollen, zu den Waffen gerufen hätten. Überdies beweisen die Bulletins der Sektionen, die Haltung der Nationalgarde und selbst die Haltung der Revolutionäre, die auf Posten standen, daß alle begriffen hatten: eine Einmischung des Militärs wäre das Signal zu einem Bürgerkrieg gewesen, der, gleichviel, welcher Seite der Sieg zugefallen wäre, zu noch viel ausgedehnteren und schrecklicheren Bluttaten geführt hätte, als die in den Gefängnissen waren.

Andrerseits hat Michelet gesagt, und dieses Wort ist seitdem wiederholt worden, es sei die Furcht gewesen, die grundlose Furcht, die immer maßlos ist, was diese Bluttaten verursacht hätte. Ein paar hundert Royalisten mehr oder weniger in Paris, hat man gesagt, bedeuteten für die Revolution keine Gefahr. Aber wer so räsoniert, verkennt, will mich bedünken, die Kraft der Reaktion. Diese ›paar hundert Royalisten‹ hatten für sich die Mehrheit, die überwältigende Mehrheit des wohlhabenden Bürgertums, die ganze Aristokratie, die Gesetzgebende Versammlung, das Departementsdirektorium, die meisten Friedensrichter und bei weitem die meisten Beamten. Diese kompakte Masse von Elementen, die Feinde der Revolution waren, wartete nur auf die Ankunft der Deutschen, um sie mit offenen Armen zu empfangen und mit ihrer Hilfe das gegenrevolutionäre Schreckenselement, das ›schwarze‹ Blutbad in Szene zu setzen. Man braucht sich nur an den weißen Schrecken unter den Bourbonen zu erinnern, als sie im Jahre 1814 unter dem hohen Schutze der ausländischen Armeen zurückgekehrt waren.

Überdies gibt es eine Tatsache, die die Historiker unbeachtet lassen, obwohl sie die ganze Situation zusammenfaßt und den wahren Grund der Bewegung des 2. September zum Ausdruck bringt.

Diese Tatsache ist, daß sich noch während der Bluttaten, am Morgen des 4. September, die Nationalversammlung endlich auf den Vorschlag von Chabot entschloß, das so lange erwartete Wort auszusprechen. In einer Adresse an die Franzosen erklärte sie, der Respekt gegen den künftigen Konvent verhinderte ihre Mitglieder, in dem Augenblick zum Ausdruck zu bringen, was sie von der französischen Nation erwarteten; aber schon jetzt wollten sie als Individuen den Schwur leisten, den sie als Volksvertreter zu leisten jetzt nicht mehr in der Lage wären: ›Aus all ihren Kräften die Könige und das Königtum zu bekämpfen! Keinen König! Niemals eine Kapitulation, nie einen König des Auslands!‹ Und sowie diese Adresse angenommen war, wurden die Abgesandten der Nationalversammlung, die sich mit ihr in die Sektionen begaben, trotz der Einschränkung, die eben erwähnt worden ist, sofort mit Begeisterung empfangen, und die Sektionen nahmen es auf sich, den Bluttaten ein Ende zu machen.

Es war indessen nötig gewesen, daß Marat dem Volk sehr dringlich empfahl, die schurkischen Royalisten der Gesetzgebenden Versammlung niederzumachen, und daß Robespierre Carra und die Girondisten im allgemeinen denunzierte, sie seien geneigt, einen ausländischen König zu akzeptieren; es war nötig, daß die Kommune Haussuchungen bei Roland und Brissot anordnete, damit der Girondist Guadet am 4. September – erst am 4. – eine Adresse brachte, in der die Abgeordneten aufgefordert wurden, zu schwören, sie wollten mit all ihren Kräften die Könige und das Königtum bekämpfen. Wäre eine zweifellose Erklärung dieser Art unmittelbar nach dem 10. August beschlossen, und wäre Ludwig XVI. in Anklagezustand versetzt worden, so hätten die Septembermorde gewiß nicht stattgefunden. Das Volk hätte die Ohnmacht der royalistischen Verschwörung eingesehen, sowie sie nicht den Beistand der Nationalversammlung, der Regierung gehabt hätte.

Und man sage nicht, der Verdacht Robespierres sei ein bloßes Hirngespinst gewesen. Erkennt nicht Condorcet, der alte Republikaner, der einzige Abgeordnete in der Gesetzgebenden Versammlung, der sich schon 1791 offen für die Republik ausgesprochen hatte, in der ›Chronique de Paris‹ an, daß man ihm mehrfach von der Idee gesprochen habe, der Herzog von Braunschweig solle den Thron Frankreichs besteigen,Carra, der Herausgeber der ›Annales patriotiques‹, eines der wichtigsten Organe der Gironde, äußerte sich in der Ausgabe vom 19. Juli 1792 folgendermaßen über den Herzog von Braunschweig: ›Der Herzog von Braunschweig ist der größte Heerführer und der größte Politiker Europas; er ist ein außerordentlich gebildeter, aufgeklärter und umgänglicher Mann: Ihm fehlt eigentlich nur die Krone, um, wenn schon nicht der größte Monarch auf Erden, so doch ein wahrhafter Erneuerer der Freiheit in Europa zu werden. Wenn er nach Paris kommt, so stehe ich dafür ein, daß er sich als erstes in den Jakobinerklub begibt und dort die rote Mütze aufsetzt.‹ (Als Zeichen ihrer demokratischen Gesinnung trugen die extremen Jakobiner damals gestrickte rote Bauernmützen.) wobei er freilich für sich – aber nur für sich – jeden Gedanken an solchen Wunsch abweist? Es ist Tatsache, daß in diesen zwanzig Tagen des Interregnums viele Kandidaturen – die des Herzogs von York, des Herzogs von Orléans, des Herzogs von Chartres (des Kandidaten von Dumouriez) und selbst des Herzogs von Braunschweig – in den Kreisen der Politiker besprochen wurden, die keine Republik wollten, wie die Feuillants, oder die, wie die Girondisten, nicht an die Möglichkeit eines Sieges der Franzosen glaubten.

Dieses Schwanken, diese Schwachmütigkeit, diese Verräterei der Staatsmänner, die am Ruder waren, das sind die wahren Gründe für die Verzweiflung, die am 2. September die Bevölkerung von Paris überkam.

Endnoten, sowie Fußnoten der zeitgenössisischen Ausgabe aus ©-Gründen gelöscht. Re.

 


 


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