Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band I
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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23. Das Bundesfest

Mit der Übersiedelung des Königs und der Nationalversammlung von Versailles nach Paris endet die erste Periode, man kann sagen, die heroische Periode der großen Revolution. Der Zusammentritt der Generalstaaten, die Königliche Sitzung vom 23. Juni, der Schwur im Ballhaus, die Eroberung der Bastille, die Empörung der Städte und Dörfer im Juli und August, die Nacht vom 4. August, endlich der Zug der Frauen nach Versailles und ihre Rückkehr, ihr Triumphzug mit dem König als Gefangenen, das waren die wichtigsten Etappen dieser Periode.

Mit der Übersiedelung der Versammlung und des Königs – der ›gesetzgebenden und der exekutiven Gewalt‹ – nach Paris beginnt die Periode eines dumpfen Kampfes zwischen dem dem Untergang geweihten Königtum und der neuen konstitutionellen Gewalt, die sich langsam aus der Gesetzgebungsarbeit der Versammlung und aus dem Werke des Aufbaus an Ort und Stelle, in jeder Stadt und jedem Dorf, heraus gestaltet.

Frankreich hat nunmehr in der Nationalversammlung eine konstitutionelle Gewalt, die der König anzuerkennen genötigt ist. Aber wenn er sie auch offiziell anerkennt, sieht er doch immer eine Usurpation in ihr, eine Beleidigung seiner königlichen Autorität, deren Schmälerung er nicht zugeben will. Darum zerbricht er sich den Kopf, tausend Mittelchen zu finden, die Versammlung zu ducken und ihr jedes Stückchen Autorität streitig zu machen. Und bis zum letzten Augenblick gibt er die Hoffnung nicht auf, diese neue Gewalt, die er schmerzlich bedauert, nicht im Keime erstickt zu haben, eines Tages wieder zum Gehorsam bringen zu können.

In diesem Kampf sind ihm alle Mittel recht. Er weiß aus Erfahrung, daß die Menschen seiner Umgebung käuflich sind – die einen billig, die andern unter der Bedingung, daß man ordentlich zahlt –, und er tut sein Äußerstes, um Geld, viel Geld zu bekommen, er borgt in London, um die Parteiführer in der Nationalversammlung und anderswo kaufen zu können. Es gelingt ihm damit nur allzu gut mit einem von denen, die auf der vordersten Schanze stehen, nämlich mit Mirabeau, der mittelst bedeutender Zahlungen der Berater des Hofes und Verteidiger des Königs wurde und seine letzten Tage in sinnlosem Luxus verbrachte. Aber nicht nur in der Versammlung findet das Königtum seine Helfershelfer, sondern noch mehr draußen. Es hat sie unter denen, die die Revolution ihrer Privilegien, ihrer verrückten Pensionen, die ihnen früher bewilligt worden waren, und ihrer kolossalen Vermögen beraubt; unter dem Klerus, der seinen Einfluß schwinden sieht; unter den Adligen, die mit ihren Feudalrechten ihre privilegierte Stellung verlieren; unter den Bürgern, die für die Kapitalien fürchten, die sie in der Industrie, dem Handel und den Staatsanleihen angelegt haben, – unter ebendenselben Bürgern, die während der Revolution und durch sie dazu gelangen, sich zu bereichern.

Die Menschen, die in der Revolution eine Feindin erblicken, sind sehr zahlreich. Zu ihnen zählt alles, was früher um die hohe Geistlichkeit, die Adligen und die Privilegierten des Großbürgertums herum lebte: mehr als die Hälfte des ganzen aktiven und denkenden Teils der Nation, der ihr historisches Leben ausmacht. Und wenn die Revolution im Volk von Paris, Straßburg, Rouen und vielen andern großen und kleinen Städten ihre glühendsten Verteidiger findet – wie viele Städte gibt es dagegen, wo, wie in Lyon, der jahrhundertealte Einfluß der Geistlichkeit und die wirtschaftliche Abhängigkeit des Handwerkers und Arbeiters derart groß sind, daß das Volk selbst sich bald zusammen mit seiner Geistlichkeit gegen die Revolution wenden wird; wie viele Städte, wie die großen Hafenplätze, Nantes, Bordeaux, Saint-Malo, wo die Großhändler und die ganze große Masse, die von ihnen abhängt, von vornherein für die Reaktion gewonnen sind.

Und selbst unter den Bauern, die ein Interesse daran hätten, mit der Revolution zu gehen, wie viele Kleinbürger gibt es unter ihnen, die sie fürchten; abgesehen von den Bevölkerungen, die die Fehler der Revolutionäre selbst der großen Sache entfremden. Die Revolutionäre, die zuviel Theoretiker sind, zu sehr Anbeter der Gleichförmigkeit und der geraden Schnur und infolgedessen unfähig, die vielfachen Formen des Grundbesitzes zu verstehen, die aus dem Gewohnheitsrecht hervorgehen, die andererseits zu voltairisch gesinnt sind, um gegen die Vorurteile der dem Elend überlieferten Massen duldsam zu sein; und die vor allem zu sehr Politiker sind, um zu verstehen, welche Bedeutung die Bodenfrage für den Bauern hat – die Revolutionäre selbst bringen die Bauern in der Vendée, der Bretagne, dem Südosten gegen sich auf.

Die Gegenrevolution wußte aus all diesen Elementen Vorteil zu ziehen. Ein großer Tag, wie der 14. Juli oder der 6. Oktober, kann wohl den Schwerpunkt der Regierung verschieben; aber die Revolution mußte in den 30 000 Gemeinden Frankreichs, im Geist und Handeln dieser Gemeinden vollbracht werden, und das brauchte Zeit. Das nützte ebenfalls der Gegenrevolution, die bei der Gelegenheit all die Unzufriedenen der oberen Klassen ihrer Sache zuführte, und deren Zahl in der Provinz war Legion. Denn wenn das radikale Bürgertum der Revolution eine erstaunliche Menge außerordentlicher Geister gab (die die Revolution selbst entwickelt hatte), so fehlte es auch dem Provinzadel, den Kaufleuten und vor allem dem Klerus, die insgesamt dem Königtum eine furchtbare Widerstandskraft gaben, nicht an Geist und besonders an Schlauheit und Gewandtheit.

Dieser dumpfe Kampf von Zettelungen und Gegenzettelungen, von Teilerhebungen in den Provinzen und parlamentarischen Kämpfen in der Konstituierenden und später der Gesetzgebenden Versammlung, dieser gedeckte Kampf dauerte beinahe drei Jahre; von Oktober 1789 bis Juni 1792, wo die Revolution endlich wieder einen neuen Aufschwung nahm. Es ist das eine Periode, die arm an Ereignissen von historischer Bedeutung ist – die einzigen in diesem Zeitraum, die herausgehoben zu werden verdienen, sind die Verschärfung der Bauernerhebung im Januar und Februar 1790, das Bundesfest vom 14. Juli 1790, das Gemetzel von Nancy (31. August 1790), die Flucht des Königs am 20. Juni 1791 und die Niedermetzelung des Volks von Paris auf dem Marsfeld (17. Juli 1791).

Wir kommen auf die Bauernaufstände in einem späteren Kapitel zurück. Aber es müssen hier ein paar Worte über das Bundesfest gesagt werden. Es faßt den ganzen ersten Abschnitt der Revolution in sich zusammen. Es ist so von Begeisterung und Eintracht erfüllt, daß es zeigt, was die Revolution hätte sein können, wenn die privilegierten Klassen und das Königtum begriffen hätten, daß die Wandlung, die sich vollzog, unvermeidlich war, und wenn sie sich gutwillig dem gefügt hätten, was sie nicht mehr verhindern konnten.

Taine redet in geringschätzigem Ton von den Festen der Revolution, und es ist wahr, die von 1793 und 1794 waren oft zu theatralisch. Sie waren fürs Volk veranstaltet, aber nicht vom Volk. Aber das Fest vom 14. Juli 1790 war eines der schönsten Volksfeste, von denen die Geschichte zu berichten weiß.

Vor 1789 war Frankreich nicht geeinigt gewesen. Es war ein historisches Ganzes, aber seine verschiedenen Teile kannten sich wenig und liebten sich kaum. Aber nach den Ereignissen von 1789 und nachdem der Wald der feudalen Überreste mit der Axt gelichtet worden war, nach den schönen Augenblicken, die die Vertreter aller Teile Frankreichs zusammen erlebt hatten, war ein Gefühl der Einheit, der Solidarität zwischen den von der Geschichte lose verbundenen Provinzen erzeugt worden. Europa begeisterte sich an den Worten und Taten der Revolution – wie hätten die Provinzen, die daran teilhatten, diesem Einheitsgefühl auf dem Vorwärtsmarsch nach einer besseren Zukunft widerstehen können? Dessen ein Symbol war das Bundesfest.

Es wies einen anderen charakteristischen Zug auf. Da für dieses Fest gewisse Erdarbeiten notwendig waren, zum Beispiel die Ebnung des Bodens, die Erbauung eines Triumphbogens, und da es sich acht Tage vor dem Feste herausstellte, daß die fünfzehntausend Arbeiter, die dabei beschäftigt waren, nicht zur rechten Zeit fertig werden würden – was tat da Paris? Ein Unbekannter regte an, alle, ganz Paris, sollten bei den Arbeiten auf dem Marsfeld helfen, und alle, Arme und Reiche, Künstler und Handwerker, Mönche und Soldaten machten sich vergnügt an die Arbeit. Frankreich, das durch die Tausende Abgeordnete, die aus den Provinzen gekommen waren, vertreten war, fand seine nationale Einheit im Bearbeiten der Erde – das mag ein Symbol dessen sein, was eines Tages die Gleichheit und Brüderlichkeit der Menschen und der Völker herbeiführen wird.

Der Schwur, den die Tausende ›auf die von der Nationalversammlung beschlossene und vom König genehmigte Verfassung‹ leisteten, der Schwur, den der König leistete, dem sich die Königin im Namen ihres Sohnes spontan anschloß, – all das hatte wenig Bedeutung. Jeder leistete seinen Eid mit einer gewissen Mentalreservation, jeder knüpfte gewisse Bedingungen daran. Der König leistete seinen Eid mit folgenden Worten: »Ich, König der Franzosen, schwöre, daß ich die ganze Macht, die mir durch die Konstitutionsakte des Staates vorbehalten ist, anwenden will, um die von der Nationalversammlung beschlossene und von mir angenommene Verfassung aufrechtzuerhalten.« Das bedeutete schon, daß er wohl die Verfassung aufrechterhalten wollte, aber daß sie verletzt würde und er nicht die Macht hätte, es zu verhindern. In Wirklichkeit dachte der König schon im Augenblick, wo er seinen Eid leistete, an nichts anderes, als wie er aus Paris fortkommen könnte – unter dem Vorwand einer Reise zur Revue über die Armeen. Er berechnete die Mittel, mit denen er die einflußreichen Mitglieder der Versammlung kaufen wollte und dachte an die Hilfsquellen, die ihm aus dem Ausland zufließen sollten, um damit die Revolution zum Stehen zu bringen, die er selbst durch seinen Widerstand gegen die notwendigen Neuerungen und durch die Unehrlichkeit seiner Beziehungen zur Nationalversammlung entfesselt hatte.

Die Eide hatten wenig Wert. Aber bezeichnend an diesem Fest ist, außer der Entstehung einer neuen Nation mit einem gemeinsamen Ideal, die auffällige Gutmütigkeit der Revolution. Ein Jahr nach der Eroberung der Bastille, zu einer Zeit, wo Marat völlig recht hatte, als er schrieb: ›Warum diese ausgelassene Freude? Warum diese dummen Äußerungen der Fröhlichkeit? Die Revolution ist bisher noch nichts gewesen als ein Traum, der dem Volk Schmerzen gebracht hat!‹, zu einer Zeit, wo noch nichts geschehen war, um die Not des arbeitenden Volks zu lindern, und alles geschehen war (wir werden es gleich sehen), um die tatsächliche Abschaffung der Feudalmißbräuche zu verhindern, zu einer Zeit, wo das Volk allenthalben mit seinem Leben und mit entsetzlichem Elend die Fortschritte der politischen Revolution bezahlen mußte, – trotz dem allen brach da das Volk angesichts der neuen demokratischen Einrichtungen, die bei diesem Fest bestätigt wurden, in Begeisterung aus. Wie achtundfünfzig Jahre später, im Februar 1848, das Volk von Paris drei Monate Elend in den Dienst der Republik stellen wird, ebenso zeigte sich das Volk jetzt bereit, alles zu tragen, wenn nur die Verfassung ihm versprach, seinen Leiden Milderung zu schaffen, wenn sie nur ein wenig guten Willen zeigte.

Wenn drei Jahre später dieses selbe Volk, das so bereit war, sich mit wenigem zu begnügen, das so bereit war, zu warten, wild wurde und die Konterrevolutionäre auszutilgen begann, dann nahm es dazu seine Zuflucht als zum äußersten Mittel, um wenigstens einen Teil der Revolution zu retten; denn es sah sie in Gefahr unterzugehen, bevor sie dem Volke irgendeine Änderung in den wirtschaftlichen Zuständen gebracht hatte.

Im Juli 1790 deutete noch nichts auf diesen düsteren und wilden Charakter. ›Die Revolution ist bisher noch nichts gewesen als ein Traum, der dem Volk Schmerzen gebracht hat!‹ Sie hat ihre Versprechungen nicht gehalten. Tut nichts! Sie geht vorwärts und das genügt. Überall gibt sich das Volk der Fröhlichkeit hin.

Aber die Reaktion steht schon in Waffen bereit, und in einem oder zwei Monaten wird sie sich in ihrer ganzen Stärke zeigen. Beim nächsten Jahresfest des 14. Juli, am 17. Juli 1791 wird sie schon stark genug sein, das Volk auf diesem nämlichen Marsfeld niederzuschießen.


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