Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band I
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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33. Der 10. August; seine Ergebnisse

Wir haben gesehen, in welchem Zustand sich Frankreich im Sommer 1792 befand. Seit drei Jahren war das Land völlig in Revolution, und eine Rückkehr zum alten Regime war ganz unmöglich geworden. Denn wenn zum Beispiel das Feudalwesen noch von Gesetzes wegen vorhanden war, so erkannten es die Bauern im Leben nicht mehr an. Sie zahlten die Abgaben nicht mehr; sie bemächtigten sich der Ländereien der Geistlichkeit und der Emigranten, sie ergriffen in manchen Orten wieder Besitz von den Ländereien, die ehemals den Landgemeinden gehört hatten. Sie hatten ihre Dorfgemeindeverwaltungen und betrachteten sich als die Herren ihres eigenen Geschicks.

Ebenso stand es mit den staatlichen Einrichtungen. Der ganze Verwaltungsaufbau, der unter dem alten Regime ein so furchtbares Aussehen gehabt hatte, war unter dem Hauch der Volksrevolution zusammengestürzt. Wer dachte noch an den Intendanten, an das Marschalls-Prevotalgericht, an die Richter der Parlamentshöfe! Die Gemeindeverwaltung, die unter der Kontrolle der Sansculotten stand, der lokale Volksverein, die Wählerversammlung, die Pikenmänner stellten jetzt die neuen Gewalten Frankreichs vor.

Das ganze Aussehen des Landes, der ganze Geist der Bevölkerung, die Sprache, die Sitten, die Ideen, alles war von der Revolution gewandelt worden. Eine neue Nation war geboren, und sie unterschied sich in allen politischen und sozialen Gestaltungen völlig von dem, was vor kaum zwölf Monaten gewesen war!

Und doch stand das alte Regime noch aufrecht. Das Königtum war noch da und bildete eine ungeheure Macht, um die die Gegenrevolution sich sammeln wollte. Man lebte im Provisorium. Dem Königtum seine Macht von ehemals wiedergeben war offenbar ein toller Traum, an den nicht einmal die Fanatiker des Hofes mehr glaubten. Aber die Kraft des Königtums, Schaden zu tun, war noch immer sehr groß. Es war ihm zwar unmöglich, das Feudalwesen wiederherzustellen – aber wieviel Schaden konnte es trotzdem den befreiten Bauern zufügen, wenn es die Oberhand gewann und daranging, in jedem Dorf den Bauern die Ländereien und die Freiheiten, die sie sich genommen hatten, streitig zu machen! Und eben das hatten sich der König und eine große Zahl Feuillants (konstitutionelle Monarchisten) für den Zeitpunkt vorgenommen, wo die Hofpartei die überwunden hätte, die sie ›die Jakobiner‹ nannten.

Hinsichtlich der Verwaltung haben wir gesehen, daß in zwei Dritteln von allen Departements und sogar in Paris die Verwaltung der Departements und der Distrikte gegen das Volk, gegen die Revolution war; sie hätten sich mit jedem Schatten einer Konstitution zufriedengegeben, wenn diese nur den Bürgern erlaubte, die Gewalt mit dem Königtum und dem Hofe zu teilen.

Die Armee, die von Männern wie Lafayette und Luckner befehligt war, konnte in jedem Augenblick gegen das Volk entfesselt werden. Nach dem 20. Juni sah man in der Tat Lafayette sein Lager verlassen und nach Paris eilen, um dem König die Hilfe ›seiner‹ Armee anzubieten, die patriotischen Gesellschaften aufzulösen und einen Staatsstreich zugunsten des Hofes zu machen.

Und schließlich haben wir gesehen, daß das Feudalwesen gesetzlich noch bestehengeblieben war. Wenn die Bauern die Feudalabgaben nicht mehr zahlten, so war das in den Augen des Gesetzes nur ein Mißbrauch. Wenn der König morgen seine Autorität wiedererlangt, wird das alte Regime die Bauern zwingen, alles zu zahlen, solange sie sich nicht von den Gewalttätigkeiten der Vergangenheit losgekauft haben, und alle Ländereien zurückzugeben, die sie genommen, oder sogar, die sie gekauft haben.

Es ist klar, daß dieses Provisorium nicht länger zu ertragen war. Man kann nicht ewig mit einem Schwert über dem Kopfe weiterleben. Und dann sah das Volk mit seinem immer richtigen Instinkt ganz deutlich, daß der König mit den Deutschen, die auf Paris marschierten, im Einvernehmen war. Zu jener Zeit besaß man noch nicht den schriftlichen Beweis seines Verrats. Die Korrespondenz des Königs und Marie Antoinettes mit den Österreichern war noch nicht bekannt; man hatte noch keine Belege dafür, wie diese Verräter die Österreicher und die Preußen drängten, auf Paris zu marschieren, sie über alle Bewegungen der französischen Truppen auf dem laufenden hielten, ihnen unverzüglich alle militärischen Geheimnisse übermittelten und Frankreich der Invasion auslieferten. Man erfuhr das alles, und auch da noch ziemlich unbestimmt, erst nach dem Tuileriensturm, wo man in einem geheimen Eisenschrank, den der Schlosser Gamain für den König gemacht hatte, die Papiere des Königs fand. Aber ein Verrat läßt sich nicht leicht verbergen, und aus tausend Anzeichen, die die Männer und Frauen des Volks so gut verstehen, merkte man, daß der Hof einen Pakt mit den Deutschen geschlossen, daß er sie nach Frankreich gerufen hatte.

Es entstand also in einigen Provinzen und in Paris der Vorsatz, man müßte den großen Schlag gegen die Tuilerien führen; man verstand, daß das alte Regime immer eine Drohung für Frankreich bleiben würde, solange nicht die Absetzung des Königs ausgesprochen war.

Aber dazu war es nötig, daß man – wie in den Tagen vor dem 14. Juli 1789 – einen Appell ans Volk von Paris, an die ›Pikenmänner‹ machte. Gerade das aber wollte das Bürgertum nicht. Das fürchtete es am meisten. Man findet in der Tat in den Schriften der Zeit eine Art Angst vor den Pikenmännern. Sollte man sie, die den Reichen so schrecklich waren, noch einmal sehen müssen!?

Wenn diese Furcht vor dem Volke nur die Rentiers gehabt hätten! Aber die Männer der Politik hatten dieselbe Angst, und Robespierre widersetzte sich bis zum Juni 1792 ebenfalls dem Appell ans Volk. ›Der Sturz der Verfassung in diesem Augenblick‹, sagte er, ›kann nur den Bürgerkrieg entzünden, der zur Anarchie und zum Despotismus führen muß.‹ Auch für den Fall des Sturzes des Königs glaubt er nicht an die Möglichkeit einer Republik. ›Wie!‹ ruft er, ›mitten in so vielen verhängnisvollen Spaltungen will man uns mit einem Male ohne Verfassung und ohne Gesetz lassen!‹ Die Republik wäre nach seiner Meinung ›die Willkür der Minorität‹ (er meint die Girondisten); ›das ist‹, sagt er, ›der Sinn aller Intrigen, die uns seit langem beunruhigen‹; und um sie zu vereiteln, will er lieber den König und alle Intrigen des Hofes behalten. Diese Sprache führte er im Juni, kaum zwei Monate vor dem 10. August! Aus Furcht, eine andere Partei könnte sich der Bewegung bemächtigen, behält er lieber den König: er widersetzt sich dem Aufstand.

Es bedurfte des Scheiterns der Demonstration vom 20. Juni und der Reaktion, die ihr folgte, es bedurfte des Handstreichs Lafayettes, der in Paris anlangte und sich samt seiner Armee für einen royalistischen Staatsstreich bereit erklärte; es war nötig, daß erst die Deutschen sich entschlossen, auf Paris zu marschieren, ›um den König zu befreien, um die Jakobiner zu strafen‹; es war erst nötig, daß der Hof seine militärischen Vorbereitungen traf, um Paris eine Schlacht zu liefern: all das war nötig, um die revolutionären Parteiführer dazu zu bringen, das Volk aufzurufen, gegen die Tuilerien einen entscheidenden Schlag zu führen.

Aber nachdem das einmal entschieden war, wurde alles andere vom Volke selbst gemacht.

Es ist sicher, daß es zwischen Danton, Robespierre, Marat, Robert und andern eine provisorische Verständigung gab. Robespierre war alles an Marat widerwärtig, seine revolutionäre Leidenschaft, die er Übertreibung nannte, sein Haß gegen die Reichen, sein völliges Mißtrauen gegen die Politiker – alles bis auf die ärmliche und schmutzige Kleidung des Mannes, der seit dem Ausbruch der Revolution sich mit der Nahrung der Ärmsten, mit Wasser und Brot begnügte, um sich ganz der Sache des Volks zu weihen. Und doch kamen nun der elegante und korrekte Robespierre und ebenso Danton zu Marat und den Seinen, zu den Männern der Sektionen, der Kommune, um sich mit ihnen über die Mittel zu verständigen, das Volk noch einmal wie am 14. Juli zur Erhebung zu bringen – dieses Mal zum entscheidenden Sturm gegen das Königtum.

Entweder mußte man ans Volk appellieren und ließ ihm dann volle Freiheit, seine Feinde so zu schlagen, wie es das verstand, und also auch gegen die Reichen und ihr Eigentum vorzugehen. Oder das Königtum trug den Sieg davon, und das war der Triumph der Gegenrevolution, die Zerstörung des Wenigen, was man für die Gleichheit erlangt hatte. Das wäre schon 1792 der weiße Schrecken von 1794 gewesen.

 

So gab es ein Einverständnis zwischen einer bestimmten Zahl vorgeschrittener Jakobiner (sie tagten sogar in einem besonderen Lokal) und denen, die im Volke den großen Schlag gegen die Tuilerien führen wollten. Aber von dem Augenblick an, wo dieses Einverständnis vollzogen war, von dem Augenblick an, wo die Parteiführer – die Robespierre und Danton – versprochen hatten, sich der Volksbewegung nicht mehr entgegenzusetzen, sondern sie zu unterstützen, war alles übrige dem Volk überlassen, das besser als die Parteiführer die Notwendigkeit einer vorläufigen Verständigung einsieht, wenn die Revolution im Begriff ist, einen entscheidenden Schlag zu führen.

Nachdem die Einigung einmal hergestellt war, ging das Volk, der große Unbekannte, daran, den Aufstand vorzubereiten, und es schuf spontan für die Bedürfnisse des Augenblicks die Organisation in den Sektionen, die man für nützlich hielt, um der Bewegung den nötigen Zusammenhang zu geben. Für die Einzelheiten verließ man sich auf den organisatorischen Geist des Volks der Arbeiterviertel; und als die Sonne am 10. August über Paris aufging, hätte noch niemand voraussagen können, wie dieser große Tag endete. Die zwei Bataillone von Föderierten, die aus Marseille und Brest gekommen und die wohlorganisiert und bewaffnet waren, zählten nur 1000 Mann, und niemand außer denen, die in den vorhergehenden Tagen und Nächten sich an den intensiven Vorbereitungsarbeiten der Faubourgs beteiligt hatten, hätte sagen können, ob die Faubourgs sich in Masse erheben würden oder nicht.

›Und wo waren die gewohnten Führer? Was taten sie?‹ fragt Louis Blanc. Und er antwortet: ›Es gibt kein Anzeichen dafür, was in dieser entscheidenden Nacht Robespierre für eine Rolle gespielt hat, oder ob er überhaupt eine gespielt hat.‹ Auch Danton scheint weder an den Vorbereitungen zur Erhebung noch an dem Kampf vom 10. August selbst aktiv teilgenommen zu haben.Einige französische Historiker der Revolution versuchen heute, Danton als einen der Hauptorganisatoren des Aufstands vom 10. August hinzustellen. Das wird jedoch weder von früheren noch von neueren Forschungen bestätigt. Danton spielte hei dar Stärkung des Geistes des französischen Volkes in dessen gewaltigem Kampf gegen die Könige Europas, die sich unter Führung Österreichs und Preußens und mit Unterstützung Englands gegen die Revolution zusammengeschlossen hatten, eine wahrhaft bedeutende Rolle. In diesem Sinne hatte er persönlich als auch als Mitglied des Klubs der Cordeliers, ebenso wie Marat, bei der Organisation der revolutionären Selbstverwaltung der Städte in ihren ›Distrikten und Sektionen‹ eine wichtige Funktion.

Es kann ohne weiteres behauptet werden, daß der Aufstand vom 10. August nicht so erfolgreich verlaufen wäre, wenn Danton die Vorbereitungen dazu nicht mit seiner gewaltigen Autorität unterstützt hätte; ihn aber als Seele dieses Aufstandes oder der Vorbereitungen dazu hinzustellen, entbehrt jeder Grundlage.

Es ist klar, daß von dem Augenblick an, wo die Bewegung entschieden war, das Volk die Politiker nicht mehr brauchte. Was nötig war, war die Herstellung der Waffen, die Verteilung an die, die sich ihrer bedienen konnten, die Organisation des Kerns jeder einzelnen Truppe, die Formation der Kolonne in jeder einzelnen Straße der Faubourgs. Dabei wären die politischen Führer nur im Wege gewesen – und man sagte ihnen, sie sollten sich schlafen legen, während die Bewegung in der Nacht vom 9. zum 10. August endgültig organisiert wurde. Und das tat Danton. Er schlief friedlich: man weiß es aus dem Tagebuch von Lucile Desmoulins.

Neue Männer, ›Unbekannte‹, ganz wie in der Bewegung vom 18. März 1871, traten in jenen Tagen hervor, als ein neuer Generalrat, die revolutionäre Kommune vom 10. August, von den Sektionen ernannt wurde. Die Sektionen nahmen die öffentliche Gewalt in die Hände, und jede ernannte drei Kommissäre, ›um das Vaterland zu retten‹, und die Wahl des Volkes fiel, sagen uns die Historiker, nur auf Unbekannte. Der ›tolle‹ Hébert war darunter – das versteht sich von selbst, aber man findet unter ihnen zunächst weder Marat noch Danton.

 

So entstand also eine neue ›Kommune‹ – die Kommune des Aufstands – aus dem Schoße des Volks und bemächtigte sich der Leitung der Bewegung. Und wir werden sehen, wie sie einen mächtigen Einfluß auf den ganzen Gang der folgenden Ereignisse nimmt, wie sie den Konvent beherrscht und den Berg zum revolutionären Handeln drängt, um wenigstens die bisherigen Ergebnisse der Revolution zu sichern.

Es ist nicht nötig, hier den Tag des 10. August zu schildern. Die dramatische Seite der Revolution ist das beste bei den Historikern, und man findet bei Michelet, bei Louis Blanc treffliche Schilderungen der Ereignisse. Beschränken wir uns also darauf, an die wichtigsten zu erinnern.

Seit sich Marseille geradeheraus für die Absetzung des Königs ausgesprochen hatte, gingen der Nationalversammlung zahlreiche Petitionen und Adressen, die die Absetzung verlangten, zu.

In Paris hatten sich zweiundvierzig Sektionen in diesem Sinne ausgesprochen. Pétion war sogar am 4. August in die Nationalversammlung gekommen, um ihr dieses Verlangen der Sektionen vorzutragen.

Aber die Politiker der Nationalversammlung waren sich des Ernstes der Lage keineswegs bewußt; und in einer Zeit, wo man in Briefen, die in Paris (von Madame Jullien) am 7. und 8. August geschrieben wurden, die Worte liest: ›Ein furchtbares Gewitter steht am Horizont‹, sprach die Nationalversammlung in ihrer Sitzung vom 8. August die Freisprechung Lafayettes aus, wie wenn sich in Paris und in ganz Frankreich gar nichts von Haß gegen das Königtum geregt hätte.

Während dieser Zeit rüstete sich das Volk von Paris zu einem entscheidenden Schlage. Indessen waren die Komitees der Aufständischen klug genug, nicht von vornherein den Tag der Erhebung festzusetzen. Sie begnügten sich damit, den wechselnden Geist in den Massen zu ergründen, versuchten ihn zu heben und warteten auf den rechten Augenblick für den Ruf zu den Waffen. So scheint es, daß man bei Gelegenheit eines Volksbanketts, das auf den Ruinen der Bastille gefeiert wurde und an dem das ganze Faubourg teilgenommen, zu dem es Tische und Proviant mitgebracht hatte, am 26. Juni schon eine Bewegung hervorzurufen gesucht hatte (Mortimer Ternaux, Terreur, II. 130). Eine andere Erhebung versuchte man am 30. Juli, aber auch sie glückte nicht.

Die Rüstungen zu dem Aufstand, die von den politischen Führern schlecht unterstützt wurden, hätten sich vielleicht in die Länge gezogen; aber die Komplotte des Hofes beschleunigten die Ereignisse. Die Royalisten glaubten, mit Hilfe der Höflinge, die schwuren, für den König zu sterben, mit einigen Bataillonen der Nationalgarde, die dem Hof treu geblieben waren, und den Schweizern des Sieges gewiß sein zu dürfen. Sie hatten den 10. August für ihren Staatsstreich festgesetzt: ›Das war der Tag, der für die Gegenrevolution festgesetzt war‹, so liest man in den Briefen der Zeit, ›am nächsten Tag sollten die Jakobiner Frankreichs in ihrem Blute schwimmen.‹

So ertönte endlich in der Nacht vom 9. auf den 10. August mit dem Schlage der zwölften Stunde die Sturmglocke in Paris. Indessen schien sich im Anfang nicht viel zu rühren, und es war in der Kommune sogar die Rede davon, den Aufstand abzusagen. Um 3 Uhr morgens waren einige Stadtviertel noch völlig ruhig. Es scheint, daß das Volk von Paris mit seinem revolutionären Instinkt es ablehnte, in der Dunkelheit sich in einen Kampf mit den königlichen Truppen einzulassen, der sich in unordentliche und gefährliche Gefechte hätte auflösen können.

Inzwischen hatte die Aufstandskommune in der Nacht vom Rathaus Besitz ergriffen, und die gesetzliche Kommune hatte der neuen revolutionären Gewalt den Platz eingeräumt; und diese gab sofort der Bewegung einen energischen Aufschwung.

Gegen 7 Uhr morgens waren Pikenmänner, die von Marseiller Föderierten geführt wurden, die ersten auf der Place du Carroussel.

Eine Stunde später setzte sich die Masse des Volks in Bewegung, und man benachrichtigte das Palais, daß ›ganz Paris‹ auf die Tuilerien marschierte.

Es war in der Tat ganz Paris, aber hauptsächlich das ganze Paris der Armen mit Unterstützung der Nationalgarden aus den Arbeiter- und Handwerkervierteln.

Nunmehr verließ der König gegen halb 9 Uhr, da ihn die frische Erinnerung an den 20. Juni schreckte und er vom Volk getötet zu werden fürchtete, die Tuilerien. Er flüchtete sich in die Nationalversammlung und überließ es seinen Getreuen, das Schloß zu verteidigen und die Stürmenden niederzumetzeln. Aber nachdem der König weg war, liefen ganze Bataillone der bürgerlichen Nationalgarde aus den Quartieren der Reichen schleunigst auseinander, um dem aufständischen Volk nicht gegenübertreten zu müssen.

Die dichtgedrängten Massen des Volks betraten jetzt die Zugänge zu den Tuilerien, und ihre Avantgarde, die von den Schweizern, welche ihre Patronen zu den Fenstern hinauswarfen, ermutigt wurden, war in einen der Höfe des Palastes gedrungen. Aber nunmehr feuerten andere Schweizer, die von Offizieren des Hofs befehligt wurden und an der großen Eingangstreppe aufgestellt waren, auf das Volk, und bald lagen mehr als vierhundert Leichen am Fuß der Treppe übereinander.

Das entschied den Ausgang des Tages. Das Volk schrie: Verrat! Nieder mit dem König! Nieder mit der Österreicherin! und eilte von allen Seiten nach den Tuilerien. Die Faubourgs Saint-Antoine und Saint-Marceau begaben sich in Masse dahin, und bald waren die Schweizer, die vom Volk wütend angegriffen wurden, entwaffnet oder niedergemacht.

Muß es erst gesagt werden, daß die Nationalversammlung selbst in diesem äußersten Augenblick unentschlossen blieb und nicht wußte, was sie tun sollte? Sie handelte erst, als das bewaffnete Volk in den Sitzungssaal eindrang und drohte, den König und seine Familie und ebenso die Abgeordneten, die nicht wagten, die Absetzung auszusprechen, auf der Stelle niederzumachen. Selbst nachdem die Tuilerien erstürmt waren und das Königtum in der Tat schon nicht mehr existierte, wagten die Girondisten, die sonst so gern von der Republik gesprochen hatten, noch nichts Entscheidendes zu unternehmen. Vergniaud wagte nur, ›die provisorische Suspension des Chefs der Exekutivgewalt‹ zu verlangen, der künftig im Luxembourg seinen Aufenthalt nehmen sollte. Erst zwei oder drei Tage später brachte die revolutionäre Kommune Ludwig XVI. und seine Familie in den Turm des Temple und übernahm das Amt, ihn da als Gefangenen des Volks zu halten.

Das Königtum war so tatsächlich abgeschafft. Von jetzt an konnte sich die Revolution eine Zeitlang entfalten, ohne fürchten zu müssen, auf ihrem Gange plötzlich durch einen royalistischen Staatsstreich, durch die Niedermetzelung der Revolutionäre und durch das Walten des weißen Schreckens aufgehalten zu werden.

Für die Politiker ist die Hauptbedeutung des 10. August der Schlag, den er dem Königtum versetzte. Für das Volk war das Wichtigste die Abschaffung der Gewalt, die sich der Ausführung der Dekrete gegen die Feudalrechte, gegen die Emigranten und gegen die Priester widersetzte und zugleich die deutsche Invasion begünstigte, der Triumph der Volksrevolutionäre – des Volks, das jetzt die Revolution vorwärts, der Gleichheit zu, nach diesem Traum und Ziel der Massen, treiben konnte. So kam es denn, daß schon am Tag nach dem 10. August die Gesetzgebende Versammlung, die sonst so feigherzig und reaktionär war, unter dem Druck von außen einige Dekrete erließ, die die Revolution einen Schritt vorwärts brachten.

Jeder nicht vereidigte Priester, sagten diese Dekrete, der binnen vierzehn Tagen nicht den Eid auf die Verfassung leistete, sollte, wenn er nach dieser Frist auf französischem Boden ergriffen wurde, nach Cayenne deportiert werden.

Alle Güter der Emigranten in Frankreich und den Kolonien wurden mit Beschlag belegt. Sie sollten alle in kleine Teile zerschlagen und zum Verkauf ausgeschrieben werden.

Jede Unterscheidung zwischen Passivbürgern (den Armen) und Aktivbürgern (den Besitzenden) wurde abgeschafft. Alle wurden mit einundzwanzig Jahren wahlberechtigt und konnten mit fünfundzwanzig Jahren gewählt werden.

Hinsichtlich der Feudalrechte haben wir gesehen, daß die Konstituierende Versammlung am 15. März 1790 ein Dekret erlassen hatte, in dem alle Feudalabgaben behandelt wurden, als ob sie den Preis einer gewissen Landabtretung vorstellten, die der Besitzer eines Tages seinem Zinsmann gemacht hätte (was falsch war), und wonach sie alle als solche geleistet werden müßten, solange sie nicht von den Bauern abgelöst waren. Dieses Dekret hatte also, indem es dermaßen die persönlichen Abgaben (die aus der Leibeigenschaft hervorgegangen waren) mit den auf dem Boden ruhenden Abgaben (die aus der Pacht hervorgegangen waren) verwechselte, den Beschluß vom 4. August 1789, der die persönlichen Abgaben für abgeschafft erklärt hatte, tatsächlich aufgehoben. Durch das Dekret vom 15. März 1790 waren diese Abgaben durch die Fiktion, die sie als mit dem Boden verknüpft hinstellte, wieder ins Leben gerufen worden. Das hatte Couthon in seinem Bericht, der am 29. Februar 1792 in der Nationalversammlung verlesen wurde, gut hervorgehoben.

Jetzt, am 14. Juni 1792 – das heißt, beim Herannahen des 20. Juni, als es galt, sich mit dem Volk zu versöhnen –, schaffte die Linke, die die zufällige Abwesenheit einer größeren Zahl Mitglieder der Rechten benutzte, einige persönliche Feudalrechte, insbesondere die Kasualrechte (was der Grundherr in den Fällen des Vermächtnisses, der Eheschließung, von der Kelter, der Mühle usw. erhob) ohne Entschädigung ab.

Nach drei Jahren Revolution bedurfte es also eines Handstreichs, um die Versammlung zur Abschaffung dieser verhaßten Lasten zu bringen.

Im Grunde schaffte selbst dieses Dekret die Kasualabgaben noch nicht vollständig ab. In gewissen Fällen mußten sie immer noch abgelöst werden; aber gehen wir darüber hinweg.

Die Annuitäten hingegen, wie der Grundzins, der Kehrzehnt usw., die die Bauern als Auflage zur Grundpacht zu zahlen hatten und die ebenfalls einen Rest der ehemaligen Leibeigenschaft vorstellten, blieben in Kraft!

Aber jetzt ist das Volk nach den Tuilerien marschiert; jetzt ist der König entthront und Gefangener der revolutionären Kommune. Und sowie diese Nachricht in den Dörfern bekannt wird, wird die Nationalversammlung von den Bauern mit Petitionen überschüttet, in denen die gänzliche Abschaffung der Feudallasten gefordert wird.

Nunmehr entschließt sich die Versammlung – man stand vor dem 2. September, und man weiß, daß die Haltung des Volks von Paris gegen die bürgerlichen Gesetzgeber ziemlich drohend war –, noch einige Schritte nach vorwärts zu tun (Dekrete vom 16. und 25. August 1792).

Alle Prozesse, die wegen nichtbezahlter Feudalabgaben bei den Gerichten anhängig waren, wurden niedergeschlagen – das war nicht zu verachten!

Die feudalen und grundherrlichen Abgaben aller Art, die nicht der Preis für eine ursprüngliche Bodenabtretung sind, werden ohne Entschädigung abgeschafft.

Und nach dem Dekret vom 20. August wurde es erlaubt, sowohl die Kasualabgaben wie die Annuitäten, die durch Vorweisung der ursprünglichen Urkunde über die Gebietsabtretung gerechtfertigt waren, jede für sich abzulösen.

Aber all das nur in dem Fall eines neuen Kaufes durch einen neuen Erwerber.

Die Niederschlagung der Prozesse bedeutete ohne Frage einen großen Schritt nach vorwärts. Aber die Feudalrechte bestanden noch immer. Immer noch mußte man sie ablösen. Das neue Gesetz vermehrte nur die Konfusion, und man war von jetzt an in der Lage, nichts zu zahlen und nichts abzulösen. Und die Bauern verfehlten nicht, es so zu machen; sie warteten einen neuen Sieg des Volkes und eine neue Konzession von Seiten der Regierenden ab.

Zugleich wurden alle Zehnten und alle Fronden (unentgeltliche Arbeit), die aus der Leibeigenschaft – der toten Hand – stammten, ohne Entschädigung abgeschafft. Das war auch ein Gewinn: wenn die Nationalversammlung die Grundherren und die neuen bürgerlichen Grundbesitzer unter ihren Schutz nahm, so gab sie wenigstens die Geistlichen preis, seit der König nicht mehr zu ihrem Schutze da war. Aber plötzlich verfügte diese selbe Versammlung eine Maßregel, die, wenn sie angewandt worden wäre, das ganze bäuerliche Frankreich gegen die Republik aufgebracht hätte. Die Gesetzgebende Versammlung schaffte die Gemeinbürgschaft für die Zahlungen, die in den Bauerngemeinden bestand, ab, und zu gleicher Zeit bestimmte sie, die gemeinschaftlichen Gemeindeländereien sollten zwischen den Bürgern der Gemeinden aufgeteilt werden (Antrag von François de Neufchâteau). Es scheint indessen, daß dieses Dekret, das in sehr unbestimmten Ausdrücken gehalten war und nur einige Zeilen umfaßte, und das mehr wie eine Prinzipienerklärung als wie ein Dekret aussah, nie ernst genommen wurde. Seine Anwendung wäre überdies auf solche Schwierigkeiten gestoßen, daß es ein toter Buchstabe geblieben wäre; und als die Frage von neuem aufgeworfen wurde, war die Gesetzgebende Versammlung schon an ihrem Ende angelangt und ging auseinander, ohne etwas zu entscheiden.

Hinsichtlich der Güter der Emigranten wurde angeordnet, sie sollten in kleinen Stücken von zwei, drei oder höchstens vier Morgen zum Verkauf gestellt werden. Und dieser Verkauf sollte ›durch Pacht, in Goldrente‹ vor sich gehen, die immer ablösbar sein sollte. Das heißt, wer kein Geld hatte, konnte unter der Bedingung, daß er eine dauernde Pacht zahlte, die er bei Gelegenheit ablösen konnte, trotzdem kaufen. Das war offenbar für die armen Bauern vorteilhaft. Aber man versteht, daß den kleinen Käufern sofort alle möglichen Schwierigkeiten gemacht wurden. Den reichen Bourgeois war es lieber, die Güter der Emigranten im großen zu kaufen, um sie später im kleinen wieder zu verkaufen.

Schließlich – und das ist sehr bezeichnend – benutzte Mailhe den herrschenden Geist, um eine wahrhaft revolutionäre Maßregel vorzuschlagen, die später, nach dem Sturz der Girondisten wieder beantragt werden sollte. Er verlangte, man sollte die Wirkungen der Ordonnanz von 1669 tilgen und die Grundherren zwingen, den Dorfgemeinden die Ländereien zurückzugeben, die ihnen auf Grund dieses Ediktes genommen worden waren. Sein Antrag, das versteht sich von selbst, drang nicht durch: es bedurfte dazu einer neuen Revolution.

Das also sind die Ergebnisse des 10. August.

Das Königtum ist gestürzt, und es wäre jetzt der Revolution möglich, einen neuen Schritt der Gleichheit entgegen zu tun, wenn die Nationalversammlung und die Herrschenden im allgemeinen sich dem nicht widersetzten.

Der König und seine Familie sind im Gefängnis. Eine neue Nationalversammlung, der Konvent, wird berufen. Die Wahlen gehen nach dem allgemeinen Stimmrecht, aber immer noch indirekt vor sich.

Man ergreift einige Maßregeln gegen die Priester, die sich weigern, die Verfassung anzuerkennen, und gegen die Emigranten.

Der Verkauf der Güter der Emigranten, die auf Grund des Dekrets vom 30. März 1792 mit Beschlag belegt sind, wird angeordnet.

Der Krieg gegen die Ausländer, die ins Land eingefallen sind, wird von den sansculottischen Freiwilligen mit Energie geführt.

Aber die große Frage – was geschieht mit dem verräterischen König – und die andere große Frage, die fünfzehn Millionen Bauern bewegt, die Frage der Feudallasten, bleiben beide noch unentschieden. Man muß immer noch diese Lasten ablösen, wenn man sie los sein will. Und das neue Gesetz über die Teilung der Gemeindeländereien bringt neue Schrecken über die Dörfer.

So stehen die Dinge in dem Augenblick, wo die Gesetzgebende Versammlung auseinandergeht, nachdem sie alles getan hat, um die Revolution daran zu hindern, sich richtig zu entfalten und zur Abschaffung der beiden Erbstücke aus der Vergangenheit zu kommen: des französischen Königtums und der Feudalrechte.

Aber neben der Gesetzgebenden Versammlung ist seit dem 10. August eine neue Gewalt, die Kommune von Paris, hoch gekommen, die die revolutionäre Initiative in die Hand nimmt und sie, wie wir sehen werden, etwa zwei Jahre lang behält.


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