Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band I
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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11. Paris vor dem 14. Juli

Im allgemeinen wenden die Geschichtsschreiber ihre Aufmerksamkeit lediglich der Nationalversammlung zu. Die in Versailles versammelten Vertreter des Volkes scheinen die Revolution zu personifizieren, und ihre geringsten Worte, ihre Gebärden werden mit frommer Verehrung gesammelt. Indessen nicht in der Nationalversammlung waren während dieser Julitage das Herz und die Seele der Revolution. Sie waren in Paris.

Ohne Paris und sein Volk war die Versammlung nichts. Wenn die Furcht vor dem Aufstand von Paris den Hof nicht zurückgehalten hätte, hätte er ohne Frage die Versammlung aufgelöst, wie man das seitdem so oft erlebt hat: am 18. Brumaire und am 2. Dezember in Frankreich, und in allerneuester Zeit erst in Ungarn und in Rußland. Ohne Zweifel hätten die Abgeordneten protestiert; ohne Zweifel hätten sie einige schöne Worte gesprochen, und einige von ihnen hätten versucht, die Provinzen zur Erhebung zu bringen . . . aber ohne das Volk, das sich auf den Aufstand vorbereitet hat, ohne revolutionäre Bearbeitung der Massen, ohne einen Appell zur Empörung ans Volk, der vom Menschen zum Menschen geht, sich nicht auf Manifeste beschränkt – ohne das mußte eine Versammlung von Abgeordneten gegenüber einer festgesetzten Regierung mit ihrem Netz von Behörden und ihrer Armee sehr wenig bedeuten.

Aber zum Glück für die Revolution schlief Paris nicht. Während die Nationalversammlung sich in einer eingebildeten Sicherheit wiegte und am 10. Juli ruhig die Debatte über den Verfassungsentwurf wieder aufnahm, rüstete sich das Volk von Paris, an das die Kühnsten und Weitestblickenden im Bürgertum endlich appelliert hatten, zum Aufstand. Man wiederholte sich in den Faubourgs die Einzelheiten des militärischen Schlages, den der Hof für den 16. vorbereitete; man wußte alles – man kannte auch die Drohung des Königs, sich nach Soissons zurückzuziehen und Paris dem Heere zu überlassen – und der große Glühofen organisierte sich in seinen Bezirken, um der Gewalt mit Gewalt zu begegnen. Die ›aufrührerischen Hilfstruppen‹, mit denen Mirabeau dem Hof gedroht hatte, waren in der Tat gerufen worden, und in den düstern Kneipen der Außenbezirke erörterte das Paris der Armen, das Paris der zerrissenen Kleider, die Mittel, ›das Vaterland zu retten‹. Es bewaffnete sich, so gut es konnte.

Hunderte von patriotischen Agitatoren – ›Unbekannte‹, wohlgemerkt – taten alles, um die Agitation zu unterhalten und das Volk auf die Straße zu bringen. Platzende Feuerwerkskörper (sogenannte Frösche) und Feuerwerk überhaupt, sagt Arthur Young, waren ein beliebtes Mittel; man konnte sie zu halbem Preis kaufen, und wenn sich eine Menge angesammelt hatte, um an einer Straßenecke einem Feuerwerk zuzusehen, fing jemand an, zum Volk zu sprechen, und erzählte ihm die Nachrichten vom Komplott des Hofes. Diese Ansammlungen zu zerstreuen, ›hätte früher eine Kompanie Schweizer genügt; heute bedürfte es dazu eines Regimentes; in vierzehn Tagen wird man eine Armee brauchen‹, sagte Arthur Young in den Tagen vor dem 14. Juli (S. 219).

In der Tat war das Volk von Paris von Ende Juni an bei der Siedehitze angelangt und war reif zur Erhebung. Schon Anfang Juni hatte man sich auf Grund der Kornteuerung auf Aufruhrbewegungen gefaßt gemacht, sagt der englische Buchhändler Hardy, und wenn Paris bis zum 25. Juni ruhig blieb, so nur darum, weil es bis zur königlichen Sitzung immer hoffte, die Versammlung täte etwas. Aber am 25. sah Paris ein, daß ihm keine andere Hoffnung geblieben war als die Erhebung.

Ein Teil der Pariser zog nach Versailles und war willens, einen Zusammenstoß mit den Truppen nicht zu vermeiden. In Paris selbst bildeten sich überall Zusammenrottungen, ›die bereit waren, zum äußersten und schrecklichsten zu gehen‹, liest man in den Geheimnoten, die an den Minister des Auswärtigen gerichtet wurden, wie sie Chassin veröffentlicht hat (Les Élections et les cahiers de Paris, Paris 1889, Dritter Teil, S. 453). ›Das Volk war die ganze Nacht in Bewegung, es hat Freudenfeuer abgebrannt und vor dem Palais-Royal und dem Oberkontrollamt eine große Menge Schüsse abgegeben.‹ Man rief: ›Es lebe der Herzog von Orléans!‹

Am selben Tag, am 25., verließen die Soldaten der Garde ihre Kasernen, tranken mit dem Volk und verbrüderten sich mit ihm, zogen mit dem Volk durch verschiedene Stadtteile und riefen auf den Straßen: Nieder mit den Pfaffen!

Inzwischen konstituierten sich die ›Distrikte‹ von Paris, das heißt die ursprünglichen Versammlungen der Wahlmänner, hauptsächlich die der Arbeiterviertel, regelrecht und ergriffen ihre Maßregeln, um den Widerstand in Paris zu organisieren. Die ›Distrikte‹ sorgten dafür, daß sie in ununterbrochener Verbindung miteinander blieben, und ihre Vertreter machten fortwährende Anstrengungen, um sich als unabhängige städtische Körperschaft zu konstituieren. Am 25., in der Versammlung der Wahlmänner, rief Bonneville bereits zu den Waffen auf und machte den Wahlmännern den Vorschlag, sich als ›Kommune‹ zu konstituieren, wobei er auf die Geschichte Bezug nahm, um seinen Vorschlag zu begründen. Am Tag darauf versammelten sich die Vertreter der Distrikte im Museum der Rue Dauphine und siedelten endlich ins Rathaus über. Am 1. Juli hielten sie schon ihre zweite Sitzung, deren Protokoll bei Chassin zu finden ist (Dritter Teil, S. 439–444, 458, 460). Sie setzten so den ›Permanenten Ausschuß‹ ein, der während des 14. Juli tagte.

Am 30. Juni genügte ein kleiner Vorfall – die Verhaftung von elf Soldaten der Garde, die man ins Militärgefängnis steckte, weil sie sich geweigert hatten, ihre Gewehre scharf zu laden –, um in Paris einen Aufruhr hervorzurufen. Als Loustalot, der Redakteur der ›Révolutions de Paris‹, im Palais-Royal gegenüber dem Café Foy auf einen Stuhl stieg und zur Menge über die Sache sprach, zogen sofort viertausend Menschen zum Militärgefängnis und setzten die verhafteten Soldaten in Freiheit. Als die Aufseher diese Menge herankommen sahen, merkten sie, daß Widerstand unnütz wäre, und lieferten die Gefangenen dem Volke aus; und als die Dragoner mit verhängtem Zügel heransprengten und in die Menge hineinreiten wollten, stutzten sie, steckten die Säbel in die Scheide und verbrüderten sich mit der Menge – welcher Vorfall die Nationalversammlung in Entsetzen brachte, als sie am Tag darauf erfuhr, das Militär habe mit dem Aufruhr fraternisiert. ›Sollen wir die Tribunen eines zügellosen Volkes werden?‹ fragten sich die Herren.

Aber der Aufruhr regte sich schon in den Städtchen in der Nähe von Paris. In Nangis hatte das Volk sich geweigert, die Steuern zu bezahlen, solange sie nicht von der Nationalversammlung festgesetzt wären; und da es an Brot fehlte (man verkaufte jedem Käufer nur noch zwei Scheffel Weizen), war der Markt von Dragonern umstellt. Indessen kam es trotz der Anwesenheit des Militärs in Nangis und andern kleinen Städten des Außenbezirks zu verschiedenen Krawallen. Ein Streit zwischen dem Volk und den Bäckern entstand im Handumdrehen, und nun nahm man alles Brot fort, ohne zu zahlen, sagt Young (S. 225). Am 27. Juli berichtet der ›Mercure de France‹ sogar von Versuchen, die an verschiedenen Orten, besonders in Saint-Quentin, gemacht wurden, das Korn auf dem Felde noch grün zu schneiden, so groß war die Hungersnot.

In Paris schrieben sich die Patrioten bereits am 30. Juni im Café du Caveau für die Erhebung ein, und am Tag darauf, als man erfuhr, daß Broglie den Befehl über die Armee übernommen hatte, sagte die Bevölkerung (so heißt es in den geheimen Berichten) überall laut und rückhaltlos, ›wenn das Militär nur einen einzigen Schuß abgäbe, würde alles zu Blut und Brand werden . . . Sie hat noch vieles andere, noch stärkere gesagt . . . Vorsichtige Leute wagen es nicht mehr, auf die Straße zu gehen‹, fügt der Agent hinzu.

Am 2. Juli richtet sich die Wut der Bevölkerung gegen den Herzog von Artois und die Polignac. Man spricht davon, sie zu töten, ihren Palast in Trümmer zu reißen. Man spricht auch davon, sich aller Kanonen zu bemächtigen, die über Paris verteilt sind. Die Zusammenrottungen werden zahlreicher, und ›die Wut des Volks ist unbeschreiblich‹, sagen die nämlichen Berichte. Am selben Tag, sagt der Buchhändler Hardy, hat wenig gefehlt, daß ›gegen acht Uhr abends eine wütende Menge vom Garten des Palais-Royal aufbrach‹, um die Abgeordneten des dritten Standes zu befreien, von denen es hieß, sie seien in Gefahr, von den Adligen ermordet zu werden. Seit diesem Tag sprach man davon, im Hôtel des Invalides Waffen zu holen.

Die Wut gegen den Hof ging Hand in Hand mit der Wut, die die Teuerung hervorbrachte. Wirklich fürchtete man am 4. und 6. die Plünderung der Bäckereien; Patrouillen der Garde marschierten durch die Straßen, sagt Hardy, und überwachten die Verteilung des Brotes.

Am 8. Juli brach in Paris selbst ein Vorspiel des Aufstandes aus: im Lager der 20 000 Arbeitslosen, die die Regierung mit Erdarbeiten in Montmartre beschäftigte. Zwei Tage später, am 10., floß schon Blut, und am selben Tag fingen die Schlagbäume an, in Flammen aufzugehen. Der der Chaussée d'Autin war angezündet worden, und das Volk benutzte das, um Lebensmittel und Wein, ohne Oktroi zu zahlen, einzuführen.

Hätte Camille Desmoulins je am 12. Juli zu den Waffen gerufen, wenn er nicht sicher gewesen wäre, daß der Ruf befolgt würde – wenn er nicht gewußt hätte, daß Paris schon dabei war, sich zu erheben, daß schon vor zwölf Tagen Loustalot die Menge auf Grund eines Geschehnisses von geringerer Bedeutung zum Aufruhr gebracht hatte und daß jetzt das Paris der Faubourgs nur noch das Signal, die Initiative erwartete, um in den Aufstand zu treten?

Das Ungestüm der Prinzen, die des Erfolgs sicher waren, hatte den Staatsstreich, der für den 16. vorbereitet war, schneller herbeigeführt, und der König wurde gezwungen, vorzugehen, bevor die Truppenverstärkungen in Versailles angekommen waren.

Necker wurde am 11. Juli entlassen – der Herzog von Artois hielt ihm die Faust unter die Nase, als der Minister sich in den Ministerrat begeben wollte, und der König tat mit seiner gewöhnlichen Verschlagenheit so, als ob er von nichts wüßte, obwohl das Entlassungsdekret schon unterzeichnet war. Necker fügte sich, ohne ein Wort zu sagen, dem Befehl seines Herrn. Er ging sogar auf seine Intentionen ein und traf die Vorbereitungen zu seiner Abreise nach Brüssel so geheim, daß in Versailles nicht das geringste von dem Vorfall verlautete.

Paris erhielt erst am nächsten Tag, am Sonntag den 12. gegen Mittag davon Kenntnis. Man war schon auf diese Entlassung gefaßt, die der Beginn des Staatsstreiches sein sollte. Man wiederholte einander schon das Wort des Herzogs von Broglie, der mit seinen 30 000 Soldaten, die zwischen Paris und Versailles standen, ›für Paris bürgte‹, und da seit dem Morgen unheilvolle Gerüchte über die Gemetzel, die der Hof vorbereitete, umliefen, begab sich ›das ganze revolutionäre Paris‹ in Massen nach dem Palais-Royal. Dort langte der Kurier an, der die Nachricht von der Verbannung Neckers brachte. Der Hof hatte sich also entschlossen, die Feindseligkeiten zu eröffnen . . . Da nun stieg Camille Desmoulins, der aus einem der Cafés des Palais-Royal, dem Café Foy, kam, in einer Hand einen Degen, in der andern eine Pistole tragend, auf einen Stuhl und rief zu den Waffen. Er brach einen Zweig ab und nahm, wie man weiß, ein grünes Blatt als Kokarde und Zeichen der Zusammengehörigkeit. Und sein Ruf: ›Kein Augenblick ist zu verlieren; zu den Waffen!‹ verbreitete sich in den Faubourgs.

Am Nachmittag zieht ein ungeheurer Zug, der die Büsten des Herzogs von Orléans und Neckers, die in Trauerflöre gehüllt sind, mit sich führt (es hieß, auch der Herzog von Orléans sei verbannt), durch das Palais-Royal, die Rue Richelieu entlang und wendet sich der Place Louis XV. (heute Place de la Concorde) zu, die von Militär besetzt ist: Schweizern, französischer Infanterie, Husaren und Dragonern, die unter dem Befehl des Marquis von Besenval standen. Die Truppen sind bald vom Volk umringt; sie versuchen, es mit Säbelhieben zurückzutreiben, sie schießen sogar; aber angesichts der zahllosen Menge, die sie umdrängt, hin- und herstößt, zurücktreibt, sie umzingelt und so ihre Reihen durchbricht, sind sie gezwungen, sich zurückzuziehen. Anderwärts erfährt man, daß die Garden ein paar Mal auf das Regiment ›Royal Allemand‹ – das dem König treu war – geschossen hätten und daß die Schweizer sich weigerten, aufs Volk zu schießen . . . Darauf zieht sich Besenval, der, scheint es, kein großes Vertrauen zum Hof hatte, vor der steigenden Woge des Volks zurück und kampiert auf dem Marsfeld.

Der Kampf hat sich also entsponnen. Aber was wird sein schließlicher Ausgang sein, wenn das Militär, das dem König treu geblieben ist, den Befehl erhält, auf Paris zu marschieren? Nunmehr entschließen sich die bürgerlichen Revolutionäre – mit Widerstreben – zum letzten Mittel, zum Appell ans Volk. Die Sturmglocke läutet in ganz Paris, und die Faubourgs machen sich daran, Spieße zu machen. Langsam fangen sie an, bewaffnet auf die Straße zu steigen. Die ganze Nacht hindurch zwingen Leute aus dem Volk die Vorübergehenden, ihnen Geld zum Ankauf von Pulver zu geben. Die Schlagbäume gehen in Flammen auf. Alle Schlagbäume des rechten Ufers vom Faubourg Saint-Antoine bis zum Faubourg de Saint-Honoré und ebenso die von Saint-Marcel und Saint-Jacques werden in Brand gesteckt, und Lebensmittel und Wein haben freien Eingang nach Paris. Die ganze Nacht durch tönt die Sturmglocke, und die Bourgeoisie zittert für ihr Eigentum, denn Männer, die mit Spießen und Knütteln bewaffnet sind, ziehen durch alle Stadtviertel, klopfen an die Tore der Reichen und verlangen Brot und Waffen.

Am nächsten Tag, dem dreizehnten, begibt sich das Volk vor allem dahin, wo es Brot gibt, insbesondere nach dem Kloster Saint-Lazare, das mit den Rufen: Brot, Brot! gestürmt wird. Zweiundfünfzig Karren werden mit Mehl beladen und nicht an Ort und Stelle geplündert, sondern nach den Markthallen gefahren, damit alle Welt Brot habe. Ebenfalls nach den Markthallen dirigiert das Volk die Lebensmittel, die, ohne Oktroi zu zahlen, nach Paris kommen.

Zur gleichen Zeit bemächtigte sich das Volk des Untersuchungsgefängnisses in La Force, wo damals die Schuldhäftlinge untergebracht waren, die Gefangenen wurden befreit und durchzogen Paris unter Danksagungen an das Volk; aber ein Aufruhr der Gefangenen des Châtelet wurde, offenbar von den Bürgern, unterdrückt, die sich eiligst bewaffneten und ihre Patrouillen durch die Straßen schickten. Gegen sechs Uhr begaben sich die Bürgermilizen, die sich schon formiert hatten, tatsächlich nach dem Rathaus, und um zehn Uhr abends, sagt Chassin, traten sie den Dienst an.

Taine und seinesgleichen, die das getreue Echo der bourgeoisen Ängste sind, suchen glauben zu machen, am 13. Juli sei Paris ›in den Händen von Räubern‹ gewesen. Aber dieser falschen Behauptung wird von allen Zeugnissen der Zeit widersprochen. Es wurden ohne Zweifel Passanten von Sensenmännern angehalten, die von ihnen Geld forderten, um sich zu bewaffnen, und es gab ebenfalls in den Nächten vom 12. auf den 13. und vom 13. auf den 14. bewaffnete Männer, die an die Türen der Reichen pochten und zu essen und trinken oder auch Waffen und Geld verlangten. Es ist auch beglaubigt, daß Versuche zur Plünderung vorkamen, da glaubwürdige Zeugen von Leuten berichten, die in der Nacht vom 13. zum 14. wegen solcher Versuche gehängt wurden. Aber hier wie anderswo übertreibt Taine.

Auf die Gefahr hin, das Mißfallen der republikanischen Bürger unserer Zeit zu erregen, appellierten die Revolutionäre von 1789 an die ›kompromittierenden Hilfskräfte‹, von denen Mirabeau gesprochen hatte. Sie suchten sie in den Löchern der Außenviertel. Es gab in der Tat einige Fälle von Plünderungen, aber diese ›Hilfstruppen‹, die den Ernst der Lage verstanden, gebrauchten ihre Waffen vielmehr im Dienst der allgemeinen Sache, als um ihrem persönlichen Haß zu frönen oder ihr Elend zu mildern.

Es ist nämlich sicher, daß die Fälle der Plünderung sehr selten waren. Im Gegenteil, die Stimmung der bewaffneten Massen wurde sehr ernst, als sie von dem Kampf erfuhren, der sich zwischen dem Militär und den Bürgern entsponnen hatte. Die Pikenmänner betrachteten sich offenbar als Verteidiger der Stadt und fühlten die schwere Verantwortung, die auf ihnen ruhte. Marmontel, ein notorischer Gegner der Revolution, teilt trotzdem den folgenden interessanten Zug mit: ›Die Räuber selbst wurden von dem allgemeinen Schrecken (?) ergriffen und richteten keinen Schaden an. Die Läden der Waffenhändler waren die einzigen, die man sich öffnen ließ, und man entnahm ihnen nichts als Waffen‹, sagt er in seinen Memoiren. Und als das Volk den Wagen des Fürsten von Lambesc nach dem Grèveplatz fuhr, um ihn zu verbrennen, brachte es den Koffer und alle Gegenstände, die man in dem Wagen fand, nach dem Rathaus. Bei den Lazaristen rührte das Volk kein Geld an und nahm nur Mehl, Waffen und Wein, die nach dem Grèveplatz geschafft wurden. Nichts wurde an diesem Tage angerührt, weder im Staatsschatz noch an der Caisse d'Escompte, bemerkt der englische Gesandte in seinem Bericht.

Wahr ist, daß die Furcht der Bourgeoisie beim Anblick dieser ausgehungerten Männer und Frauen in Lumpen, die mit Knütteln und Spießen ›aller Art‹ bewaffnet waren, daß der Schrecken über diese Hungergespenster, die auf die Straße gestiegen waren, dermaßen groß war, daß die Bourgeoisie sich niemals davon erholen konnte. Später, in den Jahren 1791 und 1792, zogen selbst die Elemente des Bürgertums, die das Königtum abschaffen wollten, die Reaktion vor, als daß sie noch einmal an die Revolution des Volkes appelliert hätten. Die Erinnerung an das verhungerte und bewaffnete Volk, das sie am 12., 13. und 14. Juli 1789 erblickt hatten, machte sie schaudern.

›Waffen!‹ war der Ruf des Volkes, nachdem es ein bißchen Brot gefunden hatte. Man suchte überall danach, ohne welche zu finden, während man Tag und Nacht in den Faubourgs Spieße aller möglichen Sorten aus dem Eisen, das man zur Hand hatte, schmiedete.

Das Bürgertum konstituierte indessen, ohne einen Augenblick zu verlieren, seine öffentliche Gewalt, seine Stadtverwaltung im Rathaus und seine Miliz.

Man weiß, daß die Wahlen zur Nationalversammlung indirekte gewesen waren; aber nach der Wahl hatten die Wahlmänner des dritten Standes, denen sich noch einige Wähler des Klerus und des Adels anschlossen, sich auch weiterhin im Rathaus versammelt – vom 27. Juni ab mit Genehmigung des Stadtausschusses und des Ministers von Paris. Diese Wahlmänner nun ergriffen die Initiative, die Bürgermiliz zu organisieren. Wir haben gesehen, daß sie schon am 1. Juli ihre zweite Sitzung abhielten.

Am 12. Juli setzten sie einen Permanenten Ausschuß ein, dem der Vorsteher der Kaufmannschaft Flesselles präsidierte, und beschlossen, jeder der sechzig Distrikte sollte zweihundert bekannte und waffenfähige Männer aussuchen, die eine Miliz von 12 000 Mann bilden sollten, um über die öffentliche Sicherheit zu wachen. Diese Miliz sollte binnen vier Tagen auf insgesamt 48 000 Mann gebracht werden, während derselbe Ausschuß den Versuch machen sollte, das Volk zu entwaffnen.

›So‹, sagt Louis Blanc sehr richtig, ›schuf sich das Bürgertum eine Prätorianertruppe von 12 000 Mann. Auf die Gefahr, dem Hof zu unterliegen, wollte man das Volk entwaffnen.‹

An Stelle des Grün der ersten Tage sollte diese Miliz jetzt die rotblaue Kokarde tragen, und der Permanente Ausschuß traf Maßnahmen, daß das Volk nicht in die Reihen dieser Miliz eindringen könnte. Er ordnete an, daß jeder, der Waffen und die rotblaue Kokarde trug, ohne in einem der Distrikte in die Liste aufgenommen zu sein, zur Aburteilung dem Ausschuß zugeführt werden sollte. Der Oberkommandeur dieser Nationalgarde war in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli vom Permanenten Ausschuß ernannt worden: es war ein Adliger, der Herzog von Aumont. Er nahm die Wahl nicht an, und nun übernahm an seiner Stelle ein anderer Adliger, der Marquis de la Salle, der zum zweiten Kommandanten ernannt worden war, den Oberbefehl.

Kurz, während das Volk die Spieße schmiedete und sich bewaffnete, während es Maßnahmen ergriff, damit das Pulver nicht aus Paris entfernt würde, während es sich des Mehls bemächtigte und es nach den Markthallen oder auf den Grèveplatz bringen ließ, während es am 14. die Barrikaden errichtete, um das Militär zu verhindern, nach Paris hereinzukommen, sich im Hôtel des Invalides der Waffen bemächtigte und in Massen nach der Bastille strömte, um sie zur Übergabe zu zwingen, währenddessen wachte das Bürgertum, daß die Macht seinen Händen nicht entglitte. Es errichtete die Bürgerkommune von Paris, die die Volksbewegung zu hemmen suchte, und setzte an die Spitze dieser Kommune Flesselles, den Vorsteher der Kaufmannschaft, der mit der Polignac korrespondierte, um der Erhebung von Paris Schwierigkeiten zu bereiten. Man weiß, daß er am 13., als das Volk von ihm Waffen verlangte, sich Kisten bringen ließ, die nicht Gewehre, sondern alte Wäsche enthielten, und am Tag darauf wandte er seinen ganzen Einfluß an, um das Volk zu hindern, die Bastille zu erobern.

So begann das System des Verrats von Seiten der geschickten Führer des Bürgertums, das wir während der ganzen Revolution am Werke sehen werden.


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