Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band I
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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29. Die Flucht des Königs – Die Reaktion – Das Ende der Konstituierenden Versammlung

Die Große Revolution ist voller überaus tragischer Ereignisse.

Die Eroberung der Bastille, der Zug der Frauen nach Versailles, der Angriff auf die Tuilerien und die Hinrichtung des Königs haben in der ganzen Welt ihren Widerhall gefunden. Wir haben diese Daten schon in unserer frühen Kindheit gelernt. Indessen hat es neben diesen großen Ereignissen andere gegeben, von denen zu sprechen man oft vergißt, die aber nach unserer Meinung eine noch tiefere Bedeutung haben und noch besser geeignet sind, den Geist der Revolution in einem bestimmten Augenblick zusammenzufassen und ihre künftige Entwicklung vorauszubestimmen.

So ist für den Sturz des Königtums der bezeichnendste Moment der Revolution – der ihren ersten Teil am besten zusammenfaßt und ihrem künftigen Gang einen gewissen Volkscharakter geben wird – der 21. Juni 1791: diese denkwürdige Nacht, in der Unbekannte, Männer aus dem Volke, den flüchtigen König und seine Familie in Varennes in dem Augenblick festnahmen, wo sie im Begriff standen, die Grenze zu überschreiten und sich in die Arme des Auslands zu werfen. Von dieser Nacht an datiert der Sturz des Königtums. Von diesem Augenblick an tritt das Volk auf die Bühne und drängt die Politiker in den Hintergrund.

Man erkennt das Abenteuer. Eine ganze Verschwörung war in Paris angezettelt worden, um dem König zur Flucht zu verhelfen und ihm die Möglichkeit zu verschaffen, sich jenseits der Grenze zu begeben, wo er sich an die Spitze der Emigranten und der deutschen Armeen stellen sollte. Der Hof hatte diesen Plan schon im September 1789 gefaßt, und es scheint, daß Lafayette davon Kenntnis erhalten hatte.

Daß die Royalisten in dieser Flucht das Mittel sahen, den König in Sicherheit zu bringen und zugleich mit der Revolution fertig zu werden, versteht sich von selbst. Aber eine große Zahl Revolutionäre aus dem Bürgertum begünstigten den Plan ebenfalls. Wenn die Bourbonen einmal aus Frankreich draußen wären, dachten sie, setzte man Philipp von Orléans auf den Thron und ließe sich von ihm eine bürgerliche Konstitution oktroyieren, ohne die immer gefährliche Hilfe von Volksaufständen nötig zu haben.

Das Volk vereitelte diesen Plan.

Ein ›Unbekannter‹, Drouet, ein früherer Postmeister, erkennt den König im Vorüberfahren in einem kleinen Flecken. Aber schon ist die königliche Equipage im Galopp durchgefahren. Nun reiten Drouet und einer seiner Freunde namens Guillaume in größter Eile in der Nacht, um den Wagen zu verfolgen. Die Wälder der Straße entlang werden, wie sie wissen, von den Husaren durchstreift, die auf der Heerstraße herangezogen waren, um die königliche Equipage in Pont-de-Somme-Vesle zu erwarten, die sich aber, da sie sie nicht kommen sahen und die Feindseligkeit des Volkes fürchteten, in die Wälder zurückgezogen haben. Es gelingt Drouet und Guillaume indessen, diese Patrouillen zu vermeiden, indem sie Fußpfade benutzen, die sie kennen, aber sie stoßen erst wieder in Varennes auf den königlichen Wagen, wo ihn ein unerwarteter Aufenthalt zurückgehalten hatte – die Pferde zum Wechseln und die Husaren fanden sich nicht genau an dem Ort des vorausbestimmten Rendezvous –, und da findet Drouet, der ein wenig voraus war, kaum die Zeit, zu einem Freund, einem kleinen Wirt, zu eilen: Bist du ein guter Patriot? – Ich denke schon! – Dann wollen wir den König verhaften!

Und zunächst versperren sie, ohne weiteren Lärm, der schweren königlichen Equipage den Weg, indem sie quer über die Brücke einen beladenen Möbelwagen stellen, den sie zufällig da fanden. Dann verhaften sie, zusammen mit vier oder fünf Bürgern, die sich mit Flinten bewaffnet hatten, gerade in dem Augenblick die Flüchtlinge, wo ihr Wagen auf dem Wege aus der obern Stadt zur Aire-Brücke durch den Torbogen der Kirche St. Gençoult fahren wollte.

Drouet und seine Freunde heißen die Reisenden trotz ihrem Protest aussteigen, und sie müssen sich, während die Gemeindeobrigkeit ihre Pässe untersucht, in der Kammer hinter dem Laden des Krämers Sauce aufhalten. Da sieht sich der König, da er von einem in Varennes wohnenden Richter bestimmt erkannt wird, genötigt, seine Rolle eines Bedienten von ›Madame Korff‹ aufzugeben, und schildert nun, schlau wie immer, in bewegten Worten die Gefahren, denen seine Familie von Seiten der Orléans in Paris ausgesetzt sei, um seine Flucht zu entschuldigen.

Aber das Volk läßt sich nicht betrügen. Es hat die Pläne und den Verrat des Königs sofort erfaßt. Die Sturmglocke läutet, und ihr Klang tönt in der Nacht von Varennes aus ins Land hinaus, von Dorf zu Dorf, und von allen Seiten eilen die Bauern, mit Knüppeln und Heugabeln bewaffnet, herbei. Sie halten beim König bis zum Tagesanbruche Wache, und zwei Bauern stehen mit der Heugabel in der Hand Posten vor seiner Türe.

Die Bauern eilen zu Tausenden auf dem ganzen Wege von Varennes nach Paris herbei und halten die Husaren und die Dragoner Bouillés, denen sich Ludwig XVI. für seine Flucht anvertraut hatte, in Schach. In Sainte-Menehuld ertönte die Sturmglocke schon unmittelbar nach der Abfahrt der königlichen Equipage, ebenso in Clermont-en-Argonne. In Sainte-Menehuld entwaffnete das Volk sogar die Dragoner, die den König eskortieren wollten; jetzt macht es mit ihnen Bruderschaft. In Varennes sind die sechzig deutschen Husaren, die dahin gekommen waren, um den König bis zu seinem Zusammentreffen mit Bouillé zu eskortieren, und die in der Unterstadt auf dem andern Ufer des Aire unter dem Befehl des Unterleutnants Rohrig aufgestellt waren, kaum zu sehen. Der Offizier ist verschwunden, ohne daß man seitdem jemals erfahren hat, was aus ihm geworden ist, und die Soldaten, die den ganzen Tag mit den Einwohnern getrunken haben (die sie nicht beschimpften, sondern sie für ihre Sache gewannen, indem sie mit ihnen Bruderschaft machten), zeigen keinerlei Interesse für den König. Sie trinken jetzt unter den Rufen: Es lebe die Nation!, während die ganze Stadt durch die Sturmglocke auf die Beine gebracht ist und sich vor dem Laden von Sauce zusammendrängt.

Die Tore von Varennes sind verbarrikadiert, um die Ulanen Bouillés nicht in die Stadt dringen zu lassen. Und von Tagesgrauen an ertönen in der Menge die Rufe: Nach Paris, nach Paris!

Sie werden um so stärker, als gegen zehn Uhr morgens zwei Kommissare anlangen, die Lafayette einerseits und die Nationalversammlung andrerseits am 21. morgens abgesandt haben, um den König und seine Familie festnehmen zu lassen. Fort mit ihnen! Sie müssen fort! Wir werden sie mit Gewalt im Wagen fortziehen! schreien die Bauern, die voller Wut sehen, daß Ludwig XVI. Zeit zu gewinnen sucht, um die Ankunft Bouillés und seiner Ulanen abzuwarten. Da sehen sich endlich der König und seine Familie genötigt, sich auf den Weg zu machen, nicht ohne vorher die kompromittierenden Papiere, die sie in ihrem Wagen hatten, vernichtet zu haben.

Das Volk führt sie als Gefangene nach Paris. Es war aus mit dem Königtum. Es war der Schande verfallen.

Am 14. Juli 1789 hatte das Königtum sein Bollwerk verloren, aber es hatte seine moralische Stärke, seinen Nimbus behalten. Drei Monate später, am 6. Oktober, wurde der König zur Geisel der Revolution, aber das monarchische Prinzip blieb immer noch aufrecht. Der König, um den sich die Besitzenden scharten, war noch sehr mächtig geblieben. Nicht einmal die Jakobiner wagten ihn persönlich anzugreifen.

Aber in dieser Nacht, die der König, als Bedienter verkleidet und von den Bauern bewacht, in der hintern Kammer eines Dorfkrämers, von den Patrioten gepufft, beim Schein einer Kerze, die man in eine Laterne gesteckt hatte, verbrachte, in dieser Nacht, wo die Sturmglocke ertönte, um den König zu hindern, die Nation zu verraten, wo die Bauern herbeieilten, um ihn dem Volk von Paris als Gefangenen zurückzugeben – in dieser Nacht stürzte das Königtum für immer. Der König, der ehemals das Symbol der nationalen Einheit gewesen war, hatte seine Existenzberechtigung verloren, als er das Symbol des internationalen Bundes der Tyrannen gegen die Völker geworden war.

Alle Throne in Europa verspürten es.

Zur gleichen Zeit trat das Volk in die Schranken, um den politischen Führern das Handwerk zu legen. Dieser Drouet, der aus eigener Initiative handelt und die Pläne der Politiker vereitelt; dieser Dorfbewohner, der aus eigenem Antrieb seinem Pferd die Sporen gibt und im Galopp über Abhänge und Schluchten reitet, um den Erzverräter, den König, zu verfolgen, der ist das Symbol des Volkes, das von jetzt an in jedem kritischen Augenblick der Revolution die Dinge selbst in die Hand nimmt und über die Politiker die Oberhand gewinnt.

Der Sturm des Volks auf die Tuilerien vom 20. Juni 1792, der Marsch der Faubourgs von Paris gegen die Tuilerien vom 10. August 1792, die Absetzung usw., alle diese großen Ereignisse folgen einander von jetzt an wie eine geschichtliche Notwendigkeit.

Als der König versuchte zu flüchten, war sein Plan gewesen, sich an die Spitze der Armee zu stellen, die Bouillé befehligte, und von einer deutschen Armee unterstützt gegen Paris zu marschieren. Was die Royalisten sich nach der Wiedereroberung der Hauptstadt vorgesetzt hatten, weiß man heute genau. Alle ›Patrioten‹ sollten verhaftet werden: die Proskriptionslisten waren schon aufgestellt. Die einen sollten hingerichtet, die andern deportiert oder gefangengesetzt werden; alle Dekrete, die die Nationalversammlung beschlossen hatte, um die Verfassung einzuführen oder den Klerus zu bekämpfen, sollten abgeschafft werden; das alte Regime mit seinen Ständen und Klassen sollte wiederhergestellt werden; mit bewaffneter Hand und mit Hilfe summarischer Exekutionen sollten die Zehnten, die Feudalrechte, die Jagdrechte und alle Feudallasten des alten Regime wieder eingeführt werden.

Das war der Plan der Royalisten; sie machten auch kaum ein Geheimnis daraus. – ›Wartet, ihr Herren Patrioten‹, sagten sie zu jedem, der sie hören wollte, ›bald werdet ihr für eure Verbrechen büßen.‹

Das Volk vereitelte, wie wir gesehen haben, diesen Plan. Der König wurde in Varennes ergriffen, nach Paris zurückgeführt und unter die Überwachung der Patrioten der Faubourgs gestellt.

 

Man hätte glauben sollen, nunmehr werde die Revolution mit Riesenschritten ihrer logischen Entfaltung folgen. Nachdem der Verrat des Königs einmal bewiesen war, mußte ja natürlich die Absetzung ausgesprochen werden, mußten die alten Feudaleinrichtungen gestürzt, die demokratische Republik begonnen werden?

Damit wurde es nichts. Es triumphierte im Gegenteil einen Monat nach der Flucht von Varennes die Reaktion, und das Bürgertum stellte dem Königtum einen neuen Freibrief aus.

Das Volk hatte die Situation sofort erfaßt. Es war klar, man konnte den König nicht mehr auf dem Thron lassen. Wenn er unversehrt in sein Schloß zurückkehrte, würde er den Faden seiner Verschwörungen sofort wieder aufnehmen und noch lebhafter mit Österreich und Preußen konspirieren. Er wäre künftighin nicht mehr in der Lage, Frankreich zu verlassen, und wäre also noch eifriger darauf bedacht, die Invasion zu beschleunigen. Das war ganz klar; um so mehr, als er nichts gelernt hatte. Er fuhr fort, seine Unterschrift unter die Dekrete, die die Macht der Geistlichkeit und die Vorrechte der Grundherren antasteten, zu verweigern. Man mußte ihm also die Krone nehmen, die Absetzung sofort aussprechen.

Das verstand das Volk von Paris und eines guten Teils der Provinzen sehr gut. In Paris begann man schon am 22. Juni, einen Tag nach der Flucht also, die Büsten Ludwigs XVI. zu zertrümmern und die königlichen Abzeichen zu zerstören. Die Menge flutete in die Tuilerien; man sprach unter freiem Himmel gegen das Königtum; man verlangte die Absetzung. Als der Herzog von Orléans lächelnd durch die Straßen von Paris wandelte – er glaubte, eine Krone darin zu finden –, wandte man ihm den Rücken: man wollte keinen König mehr. Die Cordeliers verlangten geradeheraus die Republik und verfaßten eine Adresse, in der sie sich alle gegen die Könige erklärten – alle als ›Tyrannenfeinde‹. Der Gemeinderat von Paris gab eine Erklärung im nämlichen Sinne ab. Die Sektionen von Paris erklärten sich in Permanenz; die Pikenmänner und Mützenträger waren wieder auf den Straßen zu sehen; man hatte den Eindruck, vor einem neuen 14. Juli zu stehen. Das Volk war in der Tat bereit, sich aufzumachen, um das Königtum endgültig zu stürzen.

Die Nationalversammlung ging unter dem Drängen der Volksbewegung vorwärts. Sie gebahrte sich, als ob es keinen König mehr gäbe. Hatte er nicht in der Tat durch seine Flucht abgedankt? Sie bemächtigte sich der Exekutivgewalt, gab den Ministern Anweisungen und nahm die diplomatischen Beziehungen in die Hand. Etwa vierzehn Tage lang lebte Frankreich ohne König.

Aber das Bürgertum wurde bald andern Sinnes, kehrte um und trat in offene Opposition gegen die republikanische Bewegung. Und ebenso veränderte sich die Haltung der Nationalversammlung.

Während alle Volksvereine und Brüderschaften sich für die Absetzung aussprechen, verwirft der Jakobinerklub, der aus staatsmännischen Bürgern zusammengesetzt ist, die Idee der Republik und spricht sich für die Aufrechterhaltung der konstitutionellen Monarchie aus. ›Das Wort Republik erschreckt die stolzen Jakobiner‹, sagt Réal auf der Tribüne ihres Klubs. Die radikalsten unter ihnen, darunter auch Robespierre, haben Furcht, sich zu kompromittieren; sie wagen nicht, sich für die Absetzung auszusprechen, sie reden von Verleumdung, wenn man sie Republikaner nennt.

Die Versammlung, die am 22. Juni so entschlossen war, nimmt plötzlich ihre Entscheidungen zurück und erläßt am 15. Juli in aller Eile ein Dekret, in dem sie den König für unschuldig erklärt und sich gegen die Absetzung, gegen die Republik ausspricht. Künftig wird es ein Verbrechen sein, die Republik zu fordern.

Was ist nun in diesen zwanzig Tagen vorgefallen, daß die revolutionären Führer des Bürgertums eine so plötzliche Schwenkung machten und den Entschluß faßten, Ludwig XVI. auf dem Throne zu lassen? Hat er sich verpflichtet, sich der Verfassung zu unterwerfen? Nein, nichts dergleichen ist geschehen! Die Sache ist die, daß die bürgerlichen Führer von neuem das Gespenst sehen, das sie seit dem 14. Juli und dem 6. Oktober 1789 in Entsetzen jagte: die Volkserhebung! Die Pikenmänner waren auf die Straße gestiegen, und die Provinzen schienen wie im August 1789 bereit, sich zu erheben. Der bloße Anblick der Tausende von Bauern, die beim Schall der Sturmglocke aus den benachbarten Dörfern auf die Straße nach Paris geeilt waren und den König in die Hauptstadt zurückbrachten – dieser Anblick allein hatte sie schon schaudern gemacht. Und jetzt würde sich das Volk von Paris erheben, sich bewaffnen und die Fortführung der Revolution fordern: die Republik, die Abschaffung der Feudallasten, die uneingeschränkte Gleichheit. Das Agrargesetz, der festgesetzte Brotpreis, die Besteuerung der Reichen – sollte das alles Wirklichkeit werden?

Nein, lieber den Verräterkönig, lieber die Invasion des Auslands als den Erfolg der Volksrevolution.

Das ist der Grund, warum sich die Nationalversammlung beeilte, jeder republikanischen Bewegung ein Ende zu machen, warum sie am 15. Juli schnell ein Dekret zusammenpfuschte, das dem Verfahren gegen den König ein Ende machte, ihn wieder auf den Thron setzte und alle die als Verbrecher erklärte, die verlangten, die Revolution solle ihre aufsteigende Bewegung wieder aufnehmen.

Daraufhin gaben die Jakobiner, diese angeblichen Führer der Revolution, nach einem Tag des Schwankens die Republikaner preis, die den Plan gefaßt hatten, am 17. Juli auf dem Marsfeld eine große Volksbewegung gegen das Königtum hervorzurufen. Und nunmehr war das gegenrevolutionäre Bürgertum seiner Sache sicher, sammelte seine Nationalgarde, warf sie gegen das unbewaffnete Volk, das um den ›Altar des Vaterlands‹ versammelt war, um eine republikanische Petition zu unterzeichnen, ließ die rote Fahne entfalten, proklamierte das Standrecht und metzelte das Volk, die Republikaner, nieder.

Nunmehr begann eine Periode der offenen Reaktion, die bis zum Frühjahr 1792 immer ausgeprägter wurde.

Die Republikaner, die Verfasser der Marsfeldpetition, die die Absetzung verlangte, wurden offen verfolgt. Danton mußte (im August 1791) nach England fliehen. Robert (ein erklärter Republikaner, der Redakteur der Révolutions de Paris), Fréron und vor allem Marat mußten sich versteckt halten.

Das Bürgertum machte sich einen Augenblick des Schreckens zunutze und beeilte sich zuallererst, die Wahlrechte des Volks zu beschränken. In Zukunft bedurfte es, um Wahlmann zu sein, außer den zehn Arbeitstagen, deren Wert als direkte Steuer bezahlt sein mußte, eines Besitzes oder einer Nutznießung im Werte von 150 bis 200 Arbeitstagen oder der Pacht eines Gutes, dessen Ertrag auf 400 Arbeitstage geschätzt war. Man sieht, die Bauern waren aller politischen Rechte völlig beraubt.

Nach dem 17. Juli (1791) wurde es gefährlich, sich Republikaner zu nennen oder so genannt zu werden, und bald gab es Revolutionäre, die solche, die die Absetzung des Königs und die Republik verlangten, als ›verdrehte Menschen‹ behandelten, die ›in der Unordnung und Anarchie nichts zu verlieren und alles zu gewinnen‹ hätten. Allmählich wird das Bürgertum kühner, und als der König am 14. September 1791 die Verfassung annimmt und in der Nationalversammlung feierlich beschwört, die Verfassung, die er am selben Tag noch verriet, da geschieht es inmitten einer ausgesprochen royalistischen Bewegung, unter begeisterten Huldigungen, die dem König und der Königin vom Pariser Bürgertum dargebracht werden.

Vierzehn Tage später ging die Konstituierende Versammlung auseinander, und es bot sich den Konstitutionellen von neuem eine Gelegenheit, ihre royalistischen Kundgebungen zu Ehren Ludwigs XVI. zu erneuern. Die Regierung ging in die Hände der Gesetzgebenden Versammlung über, die aus einem beschränkten Wahlrechtsverfahren hervorgegangen und offenbar noch bürgerlicher war als die Konstituierende.

Und die Reaktion prägte sich immer noch mehr aus! Gegen Ende 1790 waren die besten Revolutionäre so weit, daß sie schließlich völlig an der Revolution verzweifelten. Marat glaubte sie verloren. ›Die Revolution‹, schrieb er im Ami du Peuple, ›ist gescheitert‹ . . . Er verlangte den Appell ans Volk, aber man wollte nicht auf ihn hören. ›Eine Handvoll Unglücklicher‹ (er meint Arme), sagte er in seinem Blatt am 21. Juli, ›hat die Mauern der Bastille zerstört. Man rufe sie wieder ans Werk, sie werden herbeikommen, wie sie das erstemal kamen, sie lechzen nur danach, gegen ihre Tyrannen zu kämpfen, aber damals waren sie frei im Handeln und jetzt sind sie gefesselt.‹ Gefesselt, wohlverstanden, von ihren Führern. ›Die Patrioten wagen sich nicht mehr zu zeigen‹, sagt derselbe Marat am 15. Oktober 1791, ›und die Feinde der Freiheit füllen die Tribünen des Senats und sind überall zu finden.‹

Das also wurde mehr und mehr aus der Revolution, je mehr die Männer des Bürgertums und ihre Intellektuellen triumphierten.

Ebensolche Worte der Verzweiflung sprach auch Camille Desmoulins im Jakobinerklub am 24. Oktober 1791. »Die Reaktionäre haben«, sagte er, »die Volksbewegung vom Juli und August 1789 zu ihren Gunsten gewendet. Die Günstlinge des Hofs reden heutzutage von der Souveränität des Volkes, den Menschenrechten, der Gleichheit der Bürger, um das Volk zu täuschen, und sie schreiten in der Uniform der Nationalgarde einher, um die Offiziersstellen an sich zu reißen oder gar zu kaufen. Um sie sammeln sich die Helfershelfer des Thrones. Die Teufel der Aristokratie haben eine höllische Geschicklichkeit bewiesen.«

Aber Prudhomme und Desmoulins konnten sich wenigstens zeigen. Ein Volksrevolutionär wie Marat jedoch mußte sich mehrere Monate hindurch versteckt halten und wußte manchmal nicht, wo er für die Nacht ein Asyl finden sollte. Man hat von ihm sehr richtig gesagt, er habe die Sache des Volks mit dem Kopf auf dem Block vertreten. Danton, der auch verhaftet werden sollte, war nach London abgereist.

Überdies hat die Königin selbst in ihrer Geheimkorrespondenz mit Fersen, durch dessen Vermittlung sie die Invasion lenkte und den Einzug der deutschen Armeen in die Hauptstadt vorbereitete, ›eine sehr deutliche Veränderung in Paris‹ festgestellt. Das Volk, sagte sie, liest keine Zeitungen mehr. ›Nur das teure Brot und die Dekrete interessieren sie‹, schrieb sie am 31. Oktober 1791.

Das teure Brot – und die Dekrete! Das Brot zum Leben und zur Fortsetzung der Revolution – denn es fehlte schon im Oktober daran! Und die Dekrete gegen die Priester und die Emigranten, die der König zu sanktionieren sich weigerte.

Überall war Verrat, und man weiß heutzutage, daß zu derselben Zeit, Ende 1791, Dumouriez, der girondistische General, der die Ostarmeen befehligte, bereits mit dem König konspirierte. Er überreichte ihm eine geheime Denkschrift über die Mittel, die Revolution zum Stillstand zu bringen. Man fand diese Denkschrift nach dem Tuileriensturm im eisernen Schrank Ludwigs XVI.


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