Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band I
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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31. Die Gegenrevolution im Süden

Wenn man sich mit der Großen Revolution beschäftigt, ist man dermaßen von den großen Kämpfen, die sich in Paris abspielten, hingerissen, daß man geneigt ist, den Zustand der Provinzen und die Kraft, die dort zuzeiten die Gegenrevolution besaß, zu vernachlässigen. Indessen war das eine außerordentlich starke Kraft geblieben. Zu ihrer Stütze dienten die Jahrhunderte der Vergangenheit und die Interessen des Augenblicks; und wenn man sich mit ihr abgibt, versteht man, wie geringfügig die Macht einer Vertreterversammlung während einer Revolution ist, selbst wenn diese Abgeordneten, was unmöglich ist, von den besten Absichten beseelt wären. Wenn es sich darum handelt, in jeder Stadt und jedem kleinen Flecken gegen die Mächte des alten Regimes zu kämpfen, die sich nach einem Augenblick der Erstarrung wieder aufrichten, um die Revolution zum Stillstand zu bringen, kann es nur dem Drucke der Revolutionäre an Ort und Stelle gelingen, diesen Widerstand zu besiegen.

Es brauchte Jahre und Jahre des Studiums in den Lokalarchiven, um alle Bewegungen der Royalisten während der Großen Revolution schildern zu können. Einige Episoden gestatten indessen, ein Bild davon zu geben.

Man kennt mehr oder weniger den Aufstand der Vendée. Aber man ist nur zu geneigt, zu glauben, da hätte sich in einer halbwilden Bevölkerung, die von religiösem Fanatismus angetrieben war, der einzige Herd der Gegenrevolution befunden. Und doch war im Süden ein anderer Herd derselben Art, der um so furchtbarer war, als die Dörfer, auf die sich die Royalisten stützten, um den religiösen Haß der Katholiken gegen die Protestanten auszubeuten, sich dicht neben andern Dörfern und großen Städten befanden, die in der Revolution eine wichtige Rolle gespielt hatten.

Diese verschiedenen Bewegungen wurden von Koblenz aus, einer kleinen Stadt im Kurfürstentum Trier, gelenkt, die das wichtigste Zentrum für die royalistischen Emigranten geworden war. Seit dem Sommer 1791, wo der Graf von Artois, dem der Exminister Calonne und später sein Bruder, der Graf von Provence, gefolgt waren, sich in dieser Stadt niedergelassen hatte, wurde sie der Mittelpunkt der royalistischen Verschwörungen. Von da gingen die Emissäre aus, die in ganz Frankreich die Aufstände der Gegenrevolution organisierten. Sie warben überall Soldaten für Koblenz an – selbst in Paris, wo der Redakteur der Gazette de Paris ganz offen jedem Soldaten, der sich anwerben ließ, sechzig Livres anbot. Eine Zeitlang dirigierte man diese Leute fast unverhohlen zunächst nach Metz und dann nach Koblenz.

›Die Gesellschaft folgte ihnen‹, sagt Ernest Daudet in seiner Studie ›Die royalistischen Verschwörungen im Süden‹; der Adel folgte dem Beispiel der Prinzen und viele Bürger und kleine Leute folgten dem Adel. Man wanderte um der Mode willen, aus Not oder aus Furcht, aus. Eine junge Frau, die von einem Geheimagenten der Regierung in einem Postwagen betroffen und von ihm befragt wurde, antwortete: »Ich bin Schneiderin: meine Kundschaft ist nach Deutschland gereist; ich bin Emigrantin geworden, um sie wiederzubekommen.« Ein ganzer Hof mit seinen Ministern, seinen Kammerherren und seinen offiziellen Empfängen und ebenso mit seinen Intrigen und Kläglichkeiten entstand um den Bruder des Königs, und die Souveräne Europas erkannten diesen Hof an, verhandelten und verschworen sich mit ihm. Die ganze Zeit wartete man darauf, daß Ludwig XVI. ankäme, um sich an die Spitze der Emigrantentruppen zu stellen. Man erwartete ihn im Juni 1791 bei seiner Flucht nach Varennes und später, im November 1791, im Januar 1792. Endlich beschloß man, den großen Schlag für den Juli 1792 zu rüsten, wo die royalistischen Armeen des Westens und Südens, unterstützt von der englischen, deutschen, sardinischen und spanischen Invasion, auf Paris marschieren und unterwegs Lyon und andere große Städte zur Erhebung bringen sollten, während die Royalisten von Paris ihrerseits losschlagen, die Nationalversammlung auseinanderjagen und die ›Rasenden‹, die Jakobiner, züchtigen sollten.

›Den König wieder auf den Thron setzen‹, das heißt, ihn von neuem zum absoluten König machen; das alte Regime wieder einführen, wie es im Augenblick der Berufung der Generalstaaten bestanden hatte, das hatten sie sich vorgenommen. Und als der König von Preußen, der gescheiter war als diese Gespenster von Versailles, sie fragte: ›Wäre es nicht ebenso gerecht wie klug, der Nation gewisse Mißbräuche der alten Regierung zum Opfer zu bringen?‹, antwortete man ihm: ›Majestät, keinerlei Änderung, keinerlei Gnade!‹ (Dokument in den Archiven des Ministeriums des Äußern, zitiert von E. Daudet.)

Es braucht nicht gesagt zu werden, daß alle Kabalen, alles Geklatsch, alle Eifersüchteleien, die für Versailles bezeichnend waren, sich in Koblenz wiederholten. Die beiden Brüder hatten jeder seinen Hof, seine offizielle Mätresse, seine Empfänge und seinen Cercle, während die adligen Nichtstuer sich mit Klatsch und Tratsch beschäftigten, der um so bösartiger war, als viele Verleumdete bald dem Elend verfielen.

Um diesen Mittelpunkt bewegten sich jetzt mit Wissen aller Welt und vor aller Augen die fanatischen Geistlichen, die den Bürgerkrieg der Unterwerfung unter die Verfassung nach den Bestimmungen der neuen Dekrete vorzogen, und ebenso die adligen Abenteurer, die lieber eine Verschwörung wagten, als sich in den Verlust ihrer privilegierten Stellung zu finden. Sie kamen nach Koblenz, erlangten von den Prinzen ebenso wie von Rom die formelle Genehmigung ihrer Komplotte und kehrten dann in die bergigen Gegenden der Cevennen oder in die Vendée zurück, um den religiösen Fanatismus der Bauern zu entzünden und die royalistischen Erhebungen zu organisieren.

Die Historiker, die mit der Revolution sympathisieren, gleiten vielleicht zu schnell über diese Widerstandsbewegungen der Gegenrevolution hinweg, was oft den Leser dazu bringt, sie für das Werk einiger Fanatiker zu halten, mit denen die Revolution leicht fertig geworden wäre. Aber in Wirklichkeit erstreckten sich diese royalistischen Verschwörungen über ganze weite Länderstriche, und da sie einerseits bei den reichen Bürgern und andererseits in der religiösen Feindschaft zwischen Katholiken und Protestanten – das war im Süden der Fall – eine Stütze fanden, hatten die Revolutionäre den Kampf gegen die Royalisten in jedem Dorf und in jeder kleinen Gemeinde zu führen.

Während man so in Paris am 14. Juli 1790 das große Bundesfest beging, an dem ganz Frankreich teilnahm und das die Revolution auf eine feste kommunale Grundlage stellen zu sollen schien, bereiteten die Royalisten im Südosten den Bund der Gegenrevolutionäre vor. Am 18. August dieses nämlichen Jahres versammelten sich beinahe 20 000 Vertreter von 185 Gemeinden des Vivarais auf der Ebene von Jalès. Alle trugen sie das weiße Kreuz am Hute. Unter der Führung des Adels schufen sie an diesem Tage die Grundlage für den royalistischen Bund des Südens, der im folgenden Februar feierlich begründet wurde.

Dieser Bund bereitete zunächst eine Reihe von Aufständen für den Sommer 1791 und dann die große Erhebung vor, die im Juli 1792 mit dem Beistand der Invasion des Auslands ausbrach und der Revolution den Todesstreich versetzen sollte. Er war so zwei Jahre lang tätig und stand in regelmäßiger Korrespondenz sowohl mit den Tuilerien wie mit Koblenz. Er hatte sich verschworen, ›den König in seinen Ruhm, die Geistlichkeit in ihre Güter, den Adel in seine Ehren wieder einzusetzen‹. Und als seine ersten Versuche scheiterten, organisierte er mit Hilfe von Claude Allier, dem Prior von Chambonnaz, eine ausgedehnte Verschwörung, die mehr als 50 000 Mann auf die Beine bringen sollte. Unter der Führung einer großen Zahl Priester sollte diese Armee unter dem weißen Banner, unterstützt von Sardinien, Spanien und Österreich, auf Paris marschieren, den König ›befreien‹, die Nationalversammlung verjagen und die Patrioten züchtigen.

In der Lozère, in den Cevennen organisierte der Notar Charrier, ein früheres Mitglied der Nationalversammlung, der an eine Adlige verheiratet war und vom Grafen von Artois mit dem Oberkommando betraut war, offen die gegenrevolutionären Milizen und stellte sogar Artilleriekolonnen zusammen.

Chambéry, zu jener Zeit eine Stadt im Königreich Sardinien, war ein anderer Mittelpunkt der Emigranten. Bussy hatte dort sogar eine royalistische Legion gebildet, mit der er am hellen Tage exerzierte. So organisierte sich die Gegenrevolution im Süden, während im Westen die Geistlichen und Adligen die Erhebung der Vendée mit Hilfe Englands vorbereiteten.

Und man sage uns nicht, diese Verschwörer und diese Ansammlungen seien wenig zahlreich gewesen. Es ist eine Tatsache, daß die Revolutionäre ebenfalls, wenigstens die zum Handeln Entschlossenen, nicht zahlreich waren. In jeder Partei bilden zu jeder Zeit die tatkräftigen Männer eine winzige Minderheit. Aber dank der Trägheit, den Vorurteilen, den materiellen Interessen, dem Geld und der Religion hielt sich die Gegenrevolution in ganzen Landschaften; und diese schreckliche Macht der Reaktion – nicht die Blutgier der Revolutionäre – erklärt das Wüten der Revolution in den Jahren 1793 und 94, als sie eine letzte Anstrengung machen mußte, um sich von der Umklammerung, die sie zu ersticken drohte, zu befreien.

Ob die Anhänger von Claude Allier, die bereit waren, zu den Waffen zu greifen, sich auf 60 000 Mann beliefen, wie er bei seinem Besuche in Koblenz, im Januar 1792, versicherte, darf man bezweifeln. Aber sicher ist, daß in jeder Stadt des Südens der Kampf zwischen Revolutionären und Gegenrevolutionären ununterbrochen weiterging, mit wechselndem Erfolg, bald für die eine und bald für die andere Seite.

In Perpignan bereiteten sich die royalistischen Truppen darauf vor, den spanischen Armeen die Grenze zu öffnen. In Arles blieb in dem lokalen Kampf zwischen den Monnetiers und den Chiffonnistes, das heißt den Patrioten und den Gegenrevolutionären, der Sieg zunächst den Letztgenannten.

›Sie hatten die Nachricht erhalten‹, sagt ein Schriftsteller, ›daß die Marseiller einen Zug gegen sie rüsteten, daß sie sogar das Arsenal von Marseille geplündert hatten, um sich gegen sie zu rüsten, und daraufhin bereiteten sie den Widerstand vor, verschanzten sich, befestigten ihre Stadttore, gruben Gräben um die Wälle, schützten ihre Verbindung mit dem Meer und reorganisierten die Nationalgarde, so daß sie mit all diesen Maßnahmen die Patrioten zur Ohnmacht verdammten.‹

Diese wenigen Zeilen, die Ernest Daudet entnommen sind, sind charakteristisch. Sie geben ein Bild von dem, was fast überall in ganz Frankreich vor sich ging. Es bedurfte vier Jahre Revolution, das heißt, der Abwesenheit einer starken Regierung während vier Jahren und unaufhörlicher Kämpfe von seiten der Revolutionäre, um mehr oder weniger mit der Reaktion fertig zu werden.

In Montpellier mußten die Patrioten eine Liga gründen, um die Geistlichen, die den Eid auf die Verfassung geleistet hatten, und ebenso die Personen, die bei den vereidigten Priestern zur Messe gingen, gegen die Royalisten zu schützen. Oft kämpfte man in den Straßen. In Lunel, in l'Hérault, in Yssingeaux, im Departement Haute-Loire, in Mande, in der Lozère war es ebenso. Man legte die Waffen nicht nieder. Im Grunde kann man sagen, daß in jeder Stadt dieser Gegend dieselben Kämpfe zwischen den Royalisten oder den Feuillants des Ortes und den ›Patrioten‹ und später zwischen den Girondisten und den ›Anarchisten‹ sich abspielten. Man könnte sogar hinzufügen, daß in der überwiegenden Mehrzahl der Städte des Centre und des Westens die Reaktionäre die Oberhand behielten und daß die Revolution nur in dreißig von dreiundachtzig Departements ernsthafte Unterstützung fand. Mehr als das. Die Revolutionäre selbst hatten zum größten Teil keine Kühnheit und entschlossen sich nur sehr langsam, als allmählich ihre revolutionäre Erziehung von den Ereignissen selbst in die Hand genommen wurde, den Royalisten entgegenzutreten.

Die Gegenrevolutionäre all dieser Städte gingen einander an die Hand. Die Reichen hatten tausend Mittel, die die Patrioten im allgemeinen nicht besaßen, ihren Wohnort zu wechseln, mit Hilfe besonderer Emissäre sich in Verbindung zu setzen, sich in den Schlössern zu verbergen und dort Waffen zusammenzubringen. Die Patrioten korrespondierten ohne Zweifel mit den Volksgesellschaften und den Brüderschaften von Paris, mit der Société des Indigents und ebenso mit der Muttergesellschaft der Jakobiner, aber sie waren so arm! Es fehlte ihnen an Waffen und an den Mitteln, den Wohnort zu wechseln.

Und dann war alles, was sich gegen die Revolution verbündete, von außen unterstützt. England hat immer die Politik verfolgt, die es noch heutzutage hat: ihre Nebenbuhler dadurch zu schwächen, daß es in ihrem Lande mit Hilfe von Geld sich Parteigänger schafft. ›Das Geld von Pitt‹ war durchaus kein Hirngespinst. Im Gegenteil! Mit Hilfe dieses Geldes kamen die Royalisten von ihrem Zentrum und Waffendepot Jersey offen nach Saint-Malo und nach Nantes; und in allen großen Häfen Frankreichs, hauptsächlich in Saint-Malo, Nantes, Bordeaux, gewann das englische Geld Anhänger und unterstützte die ›Commerçantistes‹, die sich gegen die Revolution wandten. Katharina II. von Rußland machte es wie Pitt. Im Grunde waren alle europäischen Monarchien an der Sache beteiligt. Wenn die Royalisten in der Bretagne, in der Vendée, in Bordeaux und Toulon auf England zählten, rechneten sie im Elsaß und in Lothringen auf Deutschland und im Süden auf den bewaffneten Beistand, den Sardinien versprochen hatte, und ebenso auf die spanische Armee, die in Aigues-Mortes landen sollte. Die Malteserritter sollten sich ebenso mit zwei Fregatten an dieser Expedition beteiligen.

Zu Beginn 1792 waren die Departements Lozère und Ardèche, die beide der Sammelpunkt der reaktionären Geistlichen geworden waren, mit einem Netz royalistischer Verschwörungen bedeckt, deren Mittelpunkt Mende war, ein verlassenes Städtchen in den Bergen des Vivarais, wo ein überaus zurückgebliebener Geist herrschte und die Reichen und die Adligen die Gemeindeverwaltung in Händen hatten. Ihre Emissäre durcheilten die Dörfer der Gegend, befahlen den Bauern, sich mit Flinten, Sensen und Mistgabeln zu bewaffnen und bereit zu sein, beim ersten Ruf herbeizueilen. So bereitete man den Handstreich vor, mit Hilfe dessen man hoffte, das Gévaudan und Velay zur Erhebung zu bringen und das Vivarais zu nötigen, ihnen zu folgen.

Es ist wahr, daß alle royalistischen Aufstände, die 1791 und 1792 in Perpignan, in Arles, in Mende, in Yssingeaux und im Vivarais stattfanden, scheiterten. Der Ruf: ›Nieder mit den Patrioten!‹ genügte nicht, um eine genügende Zahl Aufständischer zu sammeln, und die Patrioten trieben schnell die royalistischen Banden auseinander. Aber es war zwei Jahre hindurch ein Kampf ohne Unterbrechung. Es gab Augenblicke, in denen das ganze Land dem Bürgerkrieg preisgegeben war und die Sturmglocke ohne Unterbrechung in den Dörfern dieser Gegenden läutete.

In einem bestimmten Augenblick war es nötig, daß bewaffnete Banden der Marseiller auf die Gegenrevolutionäre der Gegend Jagd machten, sich der Städte Arles und Aigues-Mortes bemächtigten und das Schreckensregiment errichteten, das später im Süden, in Lyon und im Ardèche so große Dimensionen annahm. Der Aufstand, den der Graf von Saillans im Juli 1792 organisierte und der zugleich mit dem Aufstand der Vendée und in dem Augenblick, wo die deutschen Armeen auf Paris marschierten, ausbrach, hätte eine schlimme Wirkung auf den Gang der Revolution gehabt, wenn das Volk ihm nicht schnell ein Ende gemacht hätte. Aber es war so, daß das Volk im Süden mit diesen Aufständen fertig wurde, während Paris sich seinerseits rüstete, um sich endlich des Mittelpunkts all dieser royalistischen Verschwörungen zu bemächtigen – der Tuilerien.


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