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VI.
Ausgeburten des Menschenwahns im Spiegel der Ketzerverfolgungen und der Autodafés

»Wag es nicht, mit allen Ketzerflammen
Den Mann, den man verdammet, zu verdammen

Seume.


I.

»Aber fliehet meine Inquisition!«

Schiller.

Es sind unzertrennliche Zwillingsgeschwister, die Hexen- und die Ketzerverfolgungen, und bilden beide den größten Schandfleck in der Geschichte der christlichen Kirchen, weil sie dem Wesen des Christentums geradezu widersprechen. Christus' Gebot, der Geist der Religion, die er gestiftet, sind: »Liebe Gott über alles und deinen Nächsten als dich selbst!« und die frohe Botschaft bei der Menschwerdung des Weltheilands lautete: »Und Friede den Menschen auf Erden!«

Duldung, Versöhnung, Liebe sind die Grundzüge der Christenlehre, und nirgends verlangt sie gewaltsame Bekehrung Andersgläubiger oder gar deren Verfolgung und Bestrafung. Leider aber ist das Verfolgen und Martern Andersdenkender ganz so wie der Hexen- und Teufelswahn aus dem Heidentum in die christliche Kirche übergegangen. In den ersten Zeiten des Christentums freilich, als dieses selbst noch schwere Verfolgungen auszustehen hatte, dachte kein christlicher Priester daran, Mitglieder der Gemeinde, deren Meinungen von den allgemein geltenden abwichen, deshalb zu bestrafen.

Die Christen galten ja selbst unter den Völkern in dieser Geschichtsperiode als Ketzer Das Wort kommt möglicherweise her vom alten katten, katsen, d. h. schneiden, spalten, oder von schwed. kåt, leichtfertig, geil, holländisch kesan, keyser= huren, dafür ehemals Ketzerei= Ehebruch, Unzucht, Laster, Bosheit; oder vom lat. catharus, rein, aber in verächtlichem Sinne, wie schon die Waldenser ital. gazaro genannt wurden. Im Schwabenspiegel bedeutet Ketzer eine Person, die vom herrschenden Glauben abtrünnig geworden ist, besonders von der römisch-katholischen Kirche. (d. s. Abtrünnige).

Die heidnische Volksmeinung war gegen die Christen ebenso gerichtet, wie später die Meinung der christlichen Pfaffen (d. h. Geistliche im verächtlichen Sinne) gegen die Ketzer, und was die Heiden den Christen nachredeten, dessen schämten später die Ketzerriecher sich nicht, ihre Opfer ebenfalls zu beschuldigen. Die Christen galten anfangs, namentlich den Römern, als eine verworfene, verzweifelte, lichtscheue Partei, zusammengesetzt aus verdorbenem Gesindel und leichtgläubigen Weibern, die gegen das Göttliche wüte, gegen das Wohl der Menschen sich verschwöre und der Welt, d. h. den damaligen Verhältnissen, Verderben drohe. Sie genossen in ihren nächtlichen Versammlungen angeblich unmenschliche Speise, verachteten die Tempel, spieen die Götter an und verspotteten die heiligen Gebräuche; ihr eigener Kult sei nicht Gottesdienst, sondern Ruchlosigkeit. Sie erkannten sich an geheimen Zeichen, nannten sich untereinander Brüder und Schwestern und entweihten diesen heiligen Namen durch Gemeinschaft der Unzucht. Sie beteten einen Eselskopf an, oder wie andere behaupten, die Genitalien des Oberpriesters. Ein Kind, mit Mehl überdeckt, hieß es, wird dem Aufzunehmenden vorgesetzt. Derselbe muß wiederholt in das Mehl stechen und tötet das Kind; das fließende Blut wird von den Christen gierig aufgeleckt, die Glieder des Kindes werden zerrissen, und so wird durch dieses Menschenopfer ein Pfand hergestellt, welches der Gesellschaft die Verschwiegenheit der einzelnen verbürgt. Am Festtage versammeln sich alle mit ihren Schwestern, Müttern und Kindern zum gemeinschaftlichen Mahle. Wenn bei demselben durch unmäßiges Essen und Trinken die Wollust gereizt ist, so werden die Lichter ausgelöscht, und nun gibt sich die Gesellschaft, wie eben der Zufall die Personen zusammenfügt, der abscheulichsten Unzucht hin.

Man sieht, heidnische Pfaffen verbreiteten über die Christen die unglaublichsten Lügen und verwirrten damit die Begriffe des Volkes, ganz ebenso, wie es später von herrschsüchtigen christlichen mit den Ketzern geschah.

Als die Verfolgungen des Christentums nachließen und zuletzt ganz aufhörten, als dasselbe Staatsreligion wurde, verschwand die Duldung mehr und mehr aus der christlichen Kirche. Es machte sich immer mehr die Ansicht geltend, die Einheit der Kirche in Glauben und Lehren müsse durch jedes Mittel, selbst durch weltliche Zwangsmaßregeln erhalten werden, und man nannte diejenigen Christen, deren Anschauungen von den allgemein geltenden Grundbegriffen abwichen, Ketzer ( Haeretici). Je mehr und bestimmter sich nun die staatsartige Verfassung der christlichen Kirche ausbildete, desto mehr wurde die Ketzerei als ein Verbrechen betrachtet, verfolgt und bestraft. Es entstanden geistliche Gerichte zur Aburteilung der Ketzer, die anfangs noch milde in ihrer Wirksamkeit und in ihren Urteilssprüchen waren, dann jedoch schärfer wurden und sich des Armes des weltlichen Richters zur Vollstreckung der Urteile bedienten.

Als aber das Papsttum die Höhe seiner Macht erreichte, als der Bischof von Rom, der Papst, nicht bloß das sichtbare Oberhaupt der Kirche, sondern – nach seiner Lehre wenigstens – auch der ganzen Erde wurde, als er nicht allein die geistliche Macht über die Gewissen der Gläubigen, sondern auch die höchste weltliche Macht im Namen Gottes über alle Reiche für sich in Anspruch nahm, da sollte die ganze Erde nur ein einziges Gottesreich und der Papst, welchen der Heilige Geist zu untrüglichen Aussprüchen erleuchtete, dessen unbeschränkter Herrscher sein. Wer an dieser päpstlichen Macht zweifelte oder gar daran zu rütteln wagte, der versündigte sich an Gott selbst, der den Papst zu seinem Stellvertreter auf Erden eingesetzt haben sollte. Da die Päpste indessen trotz dieser Stellvertreterschaft Gottes doch nur schwache, sündige und mit menschlichen Neigungen und Leidenschaften behaftete Menschen blieben, so war Willkür in jener seltsamen Vermischung der höchsten geistlichen mit der weltlichen Gewalt unvermeidlich, und es wurde allmählich immer gefährlicher, Ansichten laut werden zu lassen, die von denen der herrschenden Kirche abwichen. Dazu kam – bei der Schwäche und dem Stolze der menschlichen Natur –, daß die Beherrscher der Kirche je nach ihren persönlichen Anschauungen bestimmte, äußere Sätze feststellten und zu Glaubenssätzen (Dogmen) erhoben, so daß diejenigen, welche jenen menschlichen Satzungen entgegen waren, nunmehr auch als Feinde des Glaubens, als Verächter göttlicher Gebote betrachtet wurden, wodurch der Begriff von Ketzerei bedeutend an Ausdehnung gewann.

Wesentlich trug dazu die Einführung des Kirchen- (kanonischen) Rechtes bei, und um ihr Ansehen bei den Völkern behaupten zu können, stand den Päpsten die Verhängung des Kirchenbannes und des Interdiktes zu Gebote; durch den ersteren wurden einzelne Personen, durch das letztere ganze Völker und Staaten von der Kirche und vom Genusse aller kirchlichen Gnaden ausgeschlossen. Sehr wichtig für die Befestigung der Kirchenherrschaft (Hierarchie) war die Einführung der Ehelosigkeit der Geistlichen (des Zölibats). Infolge dieser Maßregel Papst Gregors VII. wurden die Priester gewissermaßen zu Mönchen gemacht und ausschließlich an die Interessen des Papstes und der Kirche gebunden. Auf der anderen Seite nahm mit dem Wachsen des Ansehens und der Macht des Papstes das Ansehen und der Einfluß der Bischöfe ab, die nunmehr diesem alle untergeordnet wurden, während sie ihm früher gleichstanden.

Die Päpste benutzten ihr Ansehen als Oberherren der ganzen Christenheit mit großer Schlauheit, Ausdauer und Kühnheit. Wer sich ihnen nur etwas widersetzte – ob hoch oder niedrig, Priester oder Laie –, den taten sie als Ketzer in den Kirchenbann, und wenn sie diese höchste geistliche Strafe über einen Monarchen verhängten, so entbanden sie zugleich dessen Untertanen ihres Gehorsames gegen ihn, wodurch ein solcher Fürst plötzlich verlassen und aufgegeben war.

Sie verwandelten auf diese Weise die ursprünglich geistliche Strafe zugleich in eine weltliche, und sie verschmähten, um dieselbe zu vollstrecken, es keineswegs, Aufruhr und Bürgerkrieg zu billigen, auch wohl anzustiften.

Allein trotz aller ihrer strengen Maßregeln vermochten sie es doch nicht zu verhindern, daß die Ketzerei überhandnahm, ja mit der Befestigung ihrer Gewalt und mit Ausdehnung ihrer Willkürherrschaft wuchs auch der Widerstand dagegen, gewissermaßen ein Gegengewicht bildend. Es mußte freigeborenen, freiheitsliebenden Menschen widerstreben, die Alleinherrschaft des römischen Bischofs anzuerkennen, und gerade das Nichtanerkennen war in den Augen des Pontifex das größte Verbrechen, dessen sich ein Christ schuldig machen konnte, und galt geradezu als Gottesleugnung. Die Päpste, besonders Innozenz III. (im 12. Jahrhundert), fanden sich durch das für die Kircheneinheit sehr bedrohliche Umsichgreifen solcher freigeistigen Ideen veranlaßt, Glaubensuntersuchungen und -verfolgungen anzuordnen, wobei ihnen Könige und Fürsten behilflich sein mußten. –

Schon im Jahre 385 wurde Priscillian wegen Ketzerei zu Trier hingerichtet, und ein Schrei des Entsetzens ging darüber damals noch durch die Christenheit; es war dies die erste der uns bekannten Hinrichtungen von Ketzern.

Im übrigen trat die Ketzerei (Häresie) im Abendlande im ersten Jahrtausend der christlichen Kirche nur in einzelnen und vorübergehenden Erscheinungen auf.

Als jedoch das Ende des Jahrtausends herannahte, traten mancherlei Wandlungen, wenigstens in ihren Anfängen ein. Die ganze abendländische Christenheit befand sich damals in banger Erwartung des Unterganges der Welt; denn was die Apostelgeschichte vom tausendjährigen Reiche Christi auf Erden berichtet, wurde auf die bestehende Kirche bezogen. Zahlreiche Personen haben damals, besorgt um ihr Seelenheil, ihr Hab und Gut der Kirche geschenkt; indes man trat ins zweite Jahrtausend über und – die Welt stand noch!

Jetzt richtete sich der Blick der kirchlich Gläubigen auf die sichtbare Ordnung, welche Gott angeblich für seine Kirche auf Erden aufgerichtet hatte, und die Hingabe an die Unfehlbarkeit der Kirche und das Papsttum, sowie an die Leitung der Geistlichkeit betrachtete man als die Grundbedingungen alles Heils. Man glaubte mit einem Worte nunmehr an den unvergänglichen Bestand des Papsttums, in welchem man das Reich Gottes auf Erden erblickte.

Diesen Gläubigen gegenüber standen aber Unzählige, welche durch die ungeheure Täuschung, die sie erlebt hatten, zu ganz anderen Resultaten gelangt waren. Sie meinten zum Teil, die Zeit der herrschenden Kirche sei zu Ende, und viele begannen selbständig zu denken und sich zu neuen Religionsgenossenschaften zu verbinden.

So entstand vom Anfang des 11. Jahrhunderts an die Sekte der » Reinen« oder das » Katharertum«, welches bald Eingang bei allen romanischen Völkern fand und auch nach Deutschland hin drang. Dasselbe hatte eigene Bischöfe und Diakonen, umfaßte zahlreiche Diözesen, trat auf Synoden zusammen und verbreitete sich sofort in allen Kreisen der Gesellschaft. Seine Anhänger forderten völlige Weltentsagung bei Aufnahme in ihre Gemeinschaft und verwarfen die Wassertaufe, wogegen sie behaupteten, eine Geistestaufe zu haben, die durch einfaches Händeauflegen vollzogen wurde.

Selbstverständlich stand die alte Geistlichkeit der ihr im Katharertum drohenden Gefahr nicht untätig gegenüber, und sie verfolgte die Neuerer mit grimmigem Haß. Man schalt sie Bougres (Bulgaren, d. h. Bogomilen, was auch liederliche Menschen bedeutet), Poblicants (= Zöllner und Sünder), Albigenser (von Alby in Südfrankreich), Patarener (nach dem Revier der Lumpensammler in Mailand, Patavia), am gewöhnlichsten aber Manichäer, setzte die scheußlichsten und lügenhaftesten Gerüchte über sie in Umlauf und verfolgte sie als Ketzer, die ausgerottet werden müßten.

Schon um das Jahr 1020 nahm unter dem König Robert in Orleans die Verfolgung ihren Anfang. An der Spitze der dortigen Katharergemeinde standen einige Kanoniker von hervorragender Bildung und Frömmigkeit. Sie verwarfen namentlich die Verwandlung im Abendmahl (Transsubstantiation), die Wassertaufe und Anrufung der Heiligen, redeten von einer himmlischen Speise und der Erteilung des Heiligen Geistes durch Auflegen der Hände. Graf Arefast, ein normännischer Edelmann, wurde zum Verräter an der Gemeinde, in die er sich geschlichen und dann eine Untersuchung veranlaßt hatte. Die Verhafteten wiesen die Bekehrungsversuche des Bischofs von Beauvais mit Würde zurück, indem sie sagten: »Spare deine Worte und tue mit uns, wie es dir gut dünkt! Schon schauen wir unsern König, der im Himmel gebietet und mit seiner Rechten uns aufnimmt zu unsterblichen Triumphen und uns himmlische Freuden schenkt.« Sie wurden, eine Nonne und einen Geistlichen, die sich bekehrt hatten, ausgenommen, verbrannt. Im Auftreten dieser Unglücklichen lag weder Gottloses noch Unsittliches; aber schon in demselben Jahrhundert beschuldigt sie der Mönch Glaber Radulf der Wollust und der Schwelgerei (Epikuräismus) und leitet ihre Ketzerei von einer Italienerin ab, die, voll vom Teufel, jedermann verführt habe. Nach Ademar waren die verbrannten Kanoniker von einem Bauern betrogen, der den Menschen Asche verstorbener Knaben eingab und sie durch die Kraft derselben zu Manichäern zu machen verstand. Sobald sie nach diesem einmal eingeweiht waren, erschien ihnen der Teufel bald als Mohr, bald als Engel des Lichts, brachte alle Tage Geld und befahl ihnen, Christus äußerlich zu bekennen, im Herzen aber zu verabscheuen und im verborgenen sich allen Lastern zu ergeben. Über die Art der Bereitung ihrer himmlischen Speise tischt d'Achery folgendes Märchen auf: Man versammelt sich in der Nacht, jeder mit einem Lichte, die Teufel werden in bestimmten Formeln angerufen und erscheinen in Tiergestalt, darauf folgt Auslöschung der Lichter, Unzucht und Blutschande. Die erzeugten Kinder werden verbrannt und die Asche derselben wie ein Heiligtum aufbewahrt. Diese Asche hatte eine so teuflische Kraft, daß derjenige, der auch nur ein wenig kostete, unwiderstehlich an die Sekte gebannt war.

Man sieht, daß man das Lügen und Verläumden Andersdenkender von Grund aus betrieb. In Italien begann die Verfolgung ums Jahr 1035, in welchem der Erzbischof Heribert von Mailand in dem Schlosse Monteforte bei Turin eine Katharergemeinde aufspürte, welche nicht an die Brotverwandlung glaubte, dem Kreuze keine Ehrfurcht bezeugte und sonstiger Ketzerei ergeben war. Heribert ließ sie verhaften, und da seine Bekehrungsversuche erfolglos blieben, so errichtete er zu Turin einen Scheiterhaufen und ein Kreuz daneben und stellte ihnen die Wahl zwischen dem Feuertode und der Anbetung des letzteren. Ihren Führer Girardus voran, stürzten sich die meisten in die Flammen; nur wenige wurden abtrünnig.

Mitten in dieser das ganze Volksleben, namentlich in Frankreich, erregenden Bewegung erwuchs allmählich eine neue religiöse Gesellschaft, die zuletzt zu einer Zeugin evangelischer Wahrheit wurde und als Vorläuferin des Protestantismus betrachtet werden kann. Es waren dies die Waldenser, welche in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Lyon hervortraten, durch welche namentlich die Übersetzungen einzelner Bücher der heiligen Schrift in die Landessprache Verbreitung fanden. Katharer und Waldenser (in Frankreich » bons hommes« = gute Menschen genannt) reichten einander die Hand, und selbst Magnaten, wie die Grafen von Toulouse, gewährten ihnen Schutz und Schirm. Die Landschaft Albigeois wurde ihr Hauptsitz, woher die Bezeichnung Albigenser rührt. Ihrer Frömmigkeit und ihrem unsträflichen Wandel gegenüber hatten die Priester der alten Kirche einen harten Stand. Schriftsteller jener Tage klagen: »Die Priester in der Kirche waren so in der Achtung gesunken, daß sie, wenn sie über die Straße gingen, die Platte mit den übrigen Haaren bedeckten, um nicht dem Hohn des Volkes ausgesetzt zu sein; die Edelleute gaben nicht mehr ihre Söhne, sondern nur ihre Leibeigenen zu Geistlichen her; es war so weit gekommen, daß man nicht mehr sagte: Ich wollte lieber ein Jude werden, als dies tun, sondern: Ich wollte lieber ein Kaplan werden pp. Selbst Bischöfe hielten es mit den Ketzern, der Zehnt wurde verweigert, und die Seelenmesse brachte nichts mehr ein.«

Im Anfang des 13. Jahrhunderts zählten in Südfrankreich ziemlich sämtliche Fürsten, Grafen und Barone zu den bons hommes, so daß die katholische Kirche, wenn nicht zum Gespött, doch übersehen wurde.

Da bestieg der schon mehrfach von uns erwähnte Papst Innozenz III. (1198) den Stuhl Petri, ein kluger und willensstarker Mann, der dem Kampf des Katholizismus mit der Ketzerei und im besonderen mit den Albigensern um jeden Preis ein Ende zu machen entschlossen war, und der im Jahre 1209 die Ketzervertilgung systematisch ausführte, die bis zum Jahre 1229 währte. Er benutzte schlau die Habgier der Großen wider die Großen und stachelte den Aberglauben gegen die Freiheit auf. Ein Kreuzzug wurde gegen die Albigenser gepredigt, und den Teilnehmern wurden gleiche Gerechtsame versprochen, wie den Streitern gegen die Sarazenen. Die Untertanen der ketzerischen Grafen wurden der Treue und des Gehorsams gegen ihren Herrn entbunden; denjenigen, welche ihr Land eroberten, sollte es bleiben. Und nun entstand ein zwanzigjähriger Religionskrieg, der, erst von Simon von Montfort und dann von Ludwig VIII. geführt, Tausende dahinraffte und mit ziemlicher Ausrottung der Albigenser und Waldenser endete. Viele der letzteren, die versprengt waren, fanden ein Asyl in den Bergen von Piemont und Savoyen; in Frankreich konnten sie nur in der Provence und Dauphiné, und nur unter hartem Druck, ihre Gemeinden noch auf längere Zeit erhalten.

Zu ihrer Vertilgung und zur Unterdrückung ähnlicher gegen die Papst- und Kirchenmacht gerichteten Bestrebungen wurden unmittelbar nach dem Kriege das ständige Inquisitionsgericht zu Toulouse, und nach diesem solche an vielen andern Orten, errichtet. Die Ketzerei galt von jetzt ab als eines der ärgsten öffentlichen Verbrechen, das bürgerliche Gesetz bestrafte sie mit Ehrlosigkeit, Kerker, Tod und mit Gütereinziehung.

Die Obrigkeit verfolgte, das geistliche Gericht entschied über Schuld und Nichtschuld, und den Henker spielte der weltliche Arm der Gerechtigkeit.

In Deutschland, in dessen Gauen das Katharertum gleichfalls Eingang gefunden, begannen ebenfalls Verfolgungen desselben, und schon im Jahre 1052 wurden zu Goslar Katharer zum Tode verurteilt. Im Jahre 1146 disputierte der Propst Everin von Steinfelden zu Köln mit mehreren Häuptern der Sekte, und im Jahre 1163 kamen in Köln Verbrennungen vor. 1212 ließ der Bischof von Straßburg an einem Tage etwa 100 Personen den Scheiterhaufen besteigen, und im Jahre 1232 erfolgte eine Reichsacht gegen die Ketzer.

Schon früher hatte das bereits von uns erwähnte Scheusal Konrad von Marburg als General-Inquisitor sein blutiges Handwerk aufgenommen. Über diese Bestie, der die »heilige« Elisabeth von Thüringen so blindlings ergeben war, daß sie sich vom ihm die härtesten Bußen auferlegen ließ, berichtete ein Zeitgenosse, der Erzbischof von Mainz, an den Papst. »Wer ihm in die Hände fiel, dem blieb nur die Wahl, entweder freiwillig zu bekennen und dadurch sich das Leben zu retten, oder seine Unschuld zu beschwören und darauf verbrannt zu werden. Jedem falschen Zeugen wurde geglaubt, rechtliche Verteidigung war niemandem gestattet; der Angeklagte mußte gestehen, daß er ein Ketzer sei, eine Kröte berührt, einen blassen Mann oder sonst ein Ungeheuer geküßt habe. Darum«, sagt der Erzbischof, »ließen sich viele Katholische lieber um ihres Leugnens willen unschuldig verbrennen, als daß sie so schändliche Verbrechen, deren sie sich nicht bewußt waren, auf sich genommen hätten. Die Schwächeren logen, um mit dem Leben davonzukommen, auf sich selbst und jeden beliebigen anderen, besonders Vornehme, deren Namen ihnen Konrad als verdächtig ausforschte. So gab der Bruder den Bruder, die Frau den Mann, der Knecht den Herrn an; viele gaben den Geistlichen Geld, um Mittel zu erfahren, wie man sich entziehen könne, und es entstand auf diese Weise eine unerhörte Verwirrung.« Besonders hauste dieses Ungeheuer im Elsaß, im Mainzischen und Trierischen. Das merkwürdigste Ereignis, bei dem der fanatische Mönch mit auftritt, war der bereits von uns erwähnte Kreuzzug gegen die Stedinger.

Die wackeren Bewohner des Gaues Steding im heutigen Oldenburg, ein freiheitliebender, kräftiger Stamm, lebten in Hader mit dem Erzbischof von Bremen, des Jagdrechts und des Zehnten halber. Sie hatten einige Geistliche desselben, die er wegen des Zehnten an sie gesandt, mißhandelt, und flugs beschuldigt sie der Erzbischof der Ketzerei, weil der Zehnt von Gott eingesetzt sei. Auf einer Wallfahrt nach dem Morgenlande berührte er Rom, wo er sich vom Papst die Erlaubnis zu einem Kreuzzuge gegen die Stedinger erwarb. Die demselben vorausgehenden kleinen Fehden wurden von den tapferen Stedingern meist siegreich bestanden, auch wohl durch Vergleich beigelegt. Im Jahre 1207 fiel der Erzbischof Hartwig in das Land ein, kehrte aber, als man ihm eine Summe Geldes zahlte, mit seinem Heere zurück. Sein Nachfolger Gerhard II. (1219), ein habsüchtiger Priester, führte jedoch Arges im Schilde. Unzufrieden mit dem ihm von einer adligen Frau dargebrachten Beichtpfennig, stieß ein Geistlicher diesen Pfennig beim Abendmahl der Frau statt der Hostie in den Mund, worauf deren dadurch beleidigter Gatte den frechen Pfaffen einfach totschlug. Jetzt wurde der Edelmann in den Bann getan, er trotzte demselben indes, gestützt auf seinen Anhang. Durch ähnliche Vorgänge wuchs die Aufregung unter den Stedingern. Da fällt der Erzbischof im Verein mit benachbarten Fürsten mit seinen Söldnerscharen in das Land; aber die Stedinger, tapfere zähe Friesen, stehen fest und wehren sich so hartnäckig, daß ihre Unterwerfung unmöglich erscheint. In dieser seiner Bedrängnis schildert der Erzbischof Gerhard dem Papst die Stedinger als verruchte Ketzer, und alsbald (1232) erläßt Gregor IX. eine Bulle an die Bischöfe von Minden, Ratzeburg und Lübeck, das Kreuz predigen zu lassen; es wird darin den Stedingern Geringschätzung und Feindseligkeit gegen die Freiheit der Kirche, wilde Grausamkeit, besonders gegen die Geistlichen, Herabsetzung des Abendmahls, Verfertigung von Wachsbildern und Befragen von Dämonen und Wahrsagerinnen vorgeworfen. Schon 1233 überflutet ein Kreuzheer von 40 000 Mann das Land, und der größte Teil der Stedinger Helden fällt tapfer kämpfend für seine Freiheit, während die Überlebenden dem Erzbischof Gehorsam versprechen müssen und vom Banne losgesprochen werden.

Die ehrlichen Stedinger, die der Erzbischof und der Papst verketzert hatte, waren nichts weniger als Ketzer. In einer päpstlichen Bulle vom Jahre 1233, die sich auf die nichtswürdigen Berichte des Großinquisitors Konrad von Marburg gründet, klagte Gregor allerdings darin über Ketzer: »Wenn ein Neuling aufgenommen wird und zuerst in die Schule der Verworfenen eintritt, so erscheint ihm eine Art Frosch, den manche auch Kröte nennen. Einige geben derselben einen schmachwürdigen Kuß auf den Hintern, andre auf das Maul und ziehen die Zunge und den Speichel des Tieres in ihren Mund. Dieses erscheint zuweilen in natürlicher Größe, manchmal auch so groß als eine Gans oder Ente, meistens jedoch nimmt es die Größe eines Backofens an. Wenn nun der Noviz weitergeht, so begegnet ihm ein Mann von wunderbarer Blässe, mit ganz schwarzen Augen, so abgezehrt und mager, daß alles Fleisch geschwunden und nur noch die Haut um die Knochen zu hangen scheint. Diesen küsset der Novize und fühlt, daß er kalt wie Eis ist, und nach dem Kusse verschwindet alle Erinnerung an den katholischen Glauben bis auf die letzte Spur aus seinem Herzen. Hierauf setzt man sich zum Mahle, und wenn man sich nach demselben wieder erhebt, so steigt durch eine Statur, die in solchen Schulen zu sein pflegt, ein schwarzer Kater von der Größe eines mittelmäßigen Hundes rückwärts und mit zurückgebogenem Schwanze herab. Diesen küßt zuerst der Noviz auf den Hintern, dann den Meister und so fort alle übrigen der Reihe nach, jedoch nur solche, die würdig und vollkommen sind; die Unvollkommenen aber, die sich nicht für würdig halten, empfangen von dem Meister den Frieden, und wenn nun alle ihre Plätze eingenommen, gewisse Sprüche hergesagt und ihr Haupt gegen den Kater hingeneigt haben, so sagt der Meister: ›Schone uns!‹ und spricht dies dem Zunächststehenden vor, worauf der Dritte antwortet und sagt: ›Wir wissen es, Herr!‹ und ein Vierter hinzufügt: ›Wir haben zu gehorchen!‹ Nach diesen Verhandlungen werden die Lichter ausgelöscht, und man schreitet zur abscheulichsten Unzucht ohne Rücksicht auf Verwandtschaft. Findet sich nun, daß mehr Männer als Weiber zugegen sind, so befriedigen auch Männer mit Männern ihre schändliche Lust. Ebenso verwandeln auch Weiber durch solche Begehungen miteinander den natürlichen Geschlechtsverkehr in einen unnatürlichen. Wenn aber diese Ruchlosigkeiten vollbracht, die Lichter wieder angezündet und alle wieder auf ihren Plätzen sind, dann tritt aus einem dunklen Winkel der Schule, wie ihn diese Verworfensten aller Menschen haben, ein Mann hervor, oberhalb der Hüften glänzender und strahlender als die Sonne, wie man sagt, unterhalb aber rauh, wie ein Kater, und sein Glanz erleuchtet den ganzen Raum. Jetzt reißt der Meister etwas vom Kleide des Novizen ab und sagt zu dem Glänzenden: ›Meister, dies ist mir gegeben, und ich gebe dir's wieder‹, worauf der Glänzende antwortet: ›Du hast mir gut gedient, du wirst mir mehr und besser dienen, ich gebe in deine Verwahrung, was du mir gegeben hast‹, und unmittelbar nach diesen Worten ist er verschwunden. – Auch empfangen sie jährlich um Ostern den Leib des Herrn aus der Hand des Priesters, tragen denselben im Munde nach Hause und werfen ihn in den Unrat zur Schändung des Erlösers. Überdies lästern diese Unglückseligsten aller Elenden den Regierer des Himmels mit ihren Lippen und behaupten in ihrem Wahnwitze, daß der Herr der Himmel gewalttätiger-, ungerechter- und arglistigerweise den Luzifer in die Hölle hineingestoßen habe. An diesen letzteren glauben auch die Elenden und sagen, daß er der Schöpfer der Himmelskörper sei und einst nach dem Sturz des Herrn zu seiner Glorie zurückkehren werde; durch ihn und mit ihm, und nicht vor ihm erwarten sie auch ihre eigene ewige Seligkeit. Sie bekennen, daß man alles, was Gott gefällt, nicht tun solle, sondern vielmehr das, was ihm mißfällt usw.«

Solche schändlichen Lügen über einen herrlichen deutschen Volksstamm wagte der verruchte Pfaffe seinem »Heiligen Vater« zu einer Bulle zu unterbreiten, und dieser scheint den ungeheuerlichen Blödsinn in der Tat für bare Münze genommen zu haben.

Glücklicherweise beachteten die Deutschen die Bulle nicht, und mit dem eigentlichen Urheber machten sie kurzen Prozeß: Als der verlogene Generalinquisitor Konrad am 30. Juli 1233 von Mainz nach Paderborn zu ziehen im Begriff stand, wurde er auf der Heide unfern Marburg an der Lahn überfallen und wie ein räudiger Hund erschlagen.

Dieser Totschlag hatte für Deutschland das Gute, daß die heilige Inquisition vor dem deutschen Rechtssinn erschrak und vor deutschen Hieben erbebte und ihre Blutarbeit fortan in deutschen Gauen aufgab. –


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