Paul de Kock
Der Mann mit drei Hosen
Paul de Kock

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Fünfzehn Jahre später – Schluß

Es war um die Mitte des Julius 1830, ein ungefähr vierundfünfzigjähriger Herr führte eine Dame von etwa siebenunddreißig Jahren, die aber noch ein frisches und hübsches Aussehen hatte, am Arme; sie gingen vom Boulevard der Italiener in die Straße Montmartre. Die Dame schien unruhig und blickte öfters um sich her. Hierauf sagte sie zu dem Herrn, der ihr den Arm reichte: »Mein lieber Prosper, wir wollen schnell in unsern Gasthof zurückgehen ... Wir haben jetzt alle unsere Einkäufe gemacht, und bringen unsern Kindern alles Gewünschte mit, jetzt möchte ich Paris schon wieder im Rücken haben.« – Und warum denn, liebe Pauline? Ich begreife wohl, daß Du Dich nach unsern Kindern sehnst ... Ich freue mich auch herzlich, sie wieder zu umarmen. Aber Du darfst ganz außer Sorgen sein; wir haben sie zu Hause gelassen, weil uns die drei Kinder auf unserer kleinen Reise nach Paris zu sehr genirt hätten. Aber Du weißt ja, daß sie unter der Aufsicht einer braven Gouvernante sind, daß wir rechtliche Dienstboten und gute Nachbarn haben, die alle Tage nach ihnen sehen: wir dürfen also vollkommen ruhig sein. – »Auch beunruhigt mich das nicht ... aber Paris macht mir Furcht ... es scheint mir dort etwas vorzugehen ... man scheint nicht ruhig zu sein in dieser Stadt.« – Geh', meine liebe Freundin! ... Du ängstigest Dich ohne Noth, seit wir in der Touraine wohnen, bin ich ja der Politik ganz fremd. – »Nicht wahr, mein Freund, wir reisen mit der Post ab?« – Ohne Zweifel, da Dir dies Freude macht. – »Die Pferde ... die Postchaise werden uns im Gasthofe abholen?« – Ja, aber ich möchte nicht abreisen, ohne unsern Freunden Maximus, Roger und dem guten Poupardot Lebewohl gesagt zu haben ... Sie werden heute mit uns im Gasthof zu Mittag speisen ... Sie warteten vielleicht schon auf uns, während wir unsere Einkäufe machten. Wir werden es gleich erfahren, denn hier sind wir ja schon. – »Und die Postchaise erwartet uns bereits im Hofe!« rief Pauline freudig aus, als sie dieselbe erblickte.

Prosper und seine Frau gingen eilig in ihr Zimmer hinauf; dort fanden sie ihre Freunde, die auf sie warteten; sie schienen aber alle sehr aufgeregt und die gute Elisa zitterte.

»Was habt ihr denn,« fragte Prosper, »was ist geschehen? ... Wollen wir uns nicht zu Tische setzen?« – O! jetzt wird man wohl ans Essen denken,« rief Elisa aus, »wo man sich in Paris schlagen wird! – »Sich schlagen?« – Ei, freilich,« versetzte Maximus, »Du weißt also nichts ... und doch wird hier eine große Revolution ausbrechen. – »Wäre es möglich! ...« – Liesest Du denn keine Zeitungen?« fragte Poupardot; »sonst hättest Du voraussehen müssen, daß es zu etwas kommen werde. – »Ach, mein Gott! ich lese nichts mehr.« – Ich sehe nicht ein,« sagte Roger, »warum uns das am Essen hindern sollte; denn, wenn man sich doch einmal schlagen muß, so ist es nicht verboten, sich vorher zu stärken.«

»O! mein Freund,« ruft Pauline, sich an den Hals ihres Mannes hängend, aus, »ich flehe Dich an, reisen wir doch gleich ab, warten wir nicht, bis es unmöglich wird ... unsere Kinder erwarten uns ... habe Erbarmen mit meinen Befürchtungen, meinen Aengsten.«

»Deine Frau hat Recht,« sagte Maximus, »da Dein Postwagen unten vor dem Hause Dich erwartet, würdet ihr wohl daran thun, auf der Stelle abzureisen, morgen könnt ihr es vielleicht nicht mehr.«

»Aber vor meiner Entfernung,« fiel Prosper ein, »möchte ich doch gewiß wissen, ob das, was ihr verkündet, geschieht ... und ob ihr euch nicht irrt? ...« »Ich wollte mich nach dem, was vorgeht, erkundigen,« sagte Poupardot, »aber meine Frau ließ mich nicht allein gehen, daher habe ich Jemand ... einen alten Bekannten, den ich an der Straßenecke bemerkte ... den armen Picotin ... der eben mit seinen Hasenbälgen auf der Schulter vorbeilief ... fortgeschickt, um zu sehen, wie die Sachen stehen ...« – Picotin? ... – »Ja, ich habe zu ihm gesagt, er solle wieder in diesen Gasthof zurückkommen, wenn er etwas Neues höre. Ei seht! ... da kommt er eben in den Hof herein ... er sucht mich ohne Zweifel ... hierher, Picotin ... in den ersten Stock!«

Der Hasenbalghändler ging die Treppe hinauf, trat in das Zimmer, wo die Gesellschaft versammelt war, und blieb erstaunt stehen, als er sich in der Mitte seiner alten Freunde sah.

»Nun! Picotin, was gibt es Neues?« rief man ihm von allen Seiten entgegen.

»Ach! guten Tag, meine Freunde ... Wie! Ihr seid alle in Paris ... das ist doch sonderbar, wie man sich wieder findet!«

»Aber, sprich doch, was gibt es für Neuigkeiten?« – O! es geht heiß her! ... auf dem Boulevard wirft man die Laternen ein und reißt Bäume heraus ... Beim Palais-Royal, hat man mir gesagt, schlage man sich ... Wenn meine Frau nur in einem rechten Gemenge stände und eine gehörige Tracht bekäme; sie verdient es wohl, denn sie hat schon drei- oder viermal die Gendarmen auf mich hetzen wollen. Ah! Ihr wißt nicht, eben erst wollte in der Straße Saint-Honoré ein Polizeispion eine Gruppe zerstreuen, aber Straßenjungen verfolgten ihn mit einem Hagel von Würfen; als er sich retten wollte, fiel er hart auf einen Haufen Pflastersteine ... und stand nicht wieder auf ... als ich mich näherte, um ihn zu sehen, erkannte ich Goulard, den ehemaligen Pförtner des Maximus.«

»Goulard!« rief Prosper aus; »ach! der Himmel ist gerecht und das Volk hat meine Rache vollzogen! Wohlan, meine Freunde, ich sehe, daß in der That eine Revolution ausbrechen wird, und diesmal ist es hoffentlich die gute.«

»Die gute,« sagte Maximus, »war die vom Jahre neunundachtzig; aber man hat sie uns verdorben!«

»Die gute,« sagte Roger, »war das Kaiserreich; aber Napoleon ist todt!«

»Die gute,« sagte Poupardot, »war die Restauration, abgerechnet die Kosaken.«

»Die gute,« sagte Elisa, indem sie Paulinen küßte, »wäre diejenige, in der man nichts verlöre.«

Prosper stieg mit seiner Frau in den Wagen, drückte jedem seiner Freunde die Hand und sprach: »Ich weiß nicht, welches Schicksal Frankreich in der Zukunft bevorsteht; Alles, was ich jetzt vermag, besteht in Wünschen für den Ruhm und das Glück meines Vaterlandes.«


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