Paul de Kock
Der Mann mit drei Hosen
Paul de Kock

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Zwölftes Kapitel.

Eine Athenienserin von Paris.

Prosper fühlte sein Herz gewaltig pochen, als er sich dem von Poupardot bewohnten Landhause näherte; aber jetzt war es nicht mehr die Liebe, die ihn bewegte, sondern eine Empfindung, in welche sich weder Unruhe, noch Mißtrauen, noch Bedauern mischte; er erinnerte sich seiner Verpflichtung gegen Madame Derbrouck und des ehrenvollen Zutrauens, von dem sie ihm Beweis gegeben, indem sie ihm die Sorge für ihr Kind überlassen hatte, und sehnte sich, diese arme Kleine, welche er auf seinen Armen von Passy weggetragen hatte, zu sehen und zu küssen.

Ein Mann von Clichy zeigte dem jungen Reisenden Poupardot's Wohnung; es war ein einfaches Haus von angenehmem Aussehen, welches von einem hübschen Garten umgeben und mit Allem versehen war, was man allerdings nicht in der Stadt vereinigen kann, aber nothwendig auf dem Lande haben muß.

Allein Prosper beschäftigte sich nicht lange mit der Betrachtung des Hauses; er trat schnell in den Vorhof, eine Magd sagte ihm, ihre Herrschaft befinde sich mit den Kindern hinten im Garten, und er beeilte sich, dorthin zu gelangen.

In einer Rebenlaube saß Madame Poupardot und hielt ein einige Monate altes Kind auf dem Schooße; vor ihr wälzte sich ein kleines Mädchen auf dem Rasen, welches seit Kurzem das Gehen gelernt hatte, einige Schritte machte, niederfiel und wieder aufstand, um auf's Neue zu laufen und zu fallen; in einiger Entfernung war Poupardot mit dem Propfen eines Zwetschenbaumes beschäftigt.

Mann und Frau stießen, als sie Prosper erblickten, einen Schrei der Freude und des Staunens aus, und dieser eilte, ehe er sie anredete, auf das kleine, im Grase liegende Mädchen zu, nahm es in seine Arme und bedeckte es dergestalt mit Küssen, daß die Kleine ganz betäubt davon wurde und nicht wußte, ob sie lachen ober weinen sollte.

Madame Poupardot tröstete sie jedoch schnell, indem sie sagte: »Pauline, dieser Herr da ist Dein Freund ... Du weißt wohl, daß wir Dir alle Tage sagen, er werde kommen, und daß wir oft von Deinem Freunde Prosper mit Dir sprechen, der Dich so lieb hat, und den Du auch lieben mußt. Nun! ... sag' ihm guten Tag.«

Das Kind heftete seine großen blauen Augen auf Prosper und sagte endlich mit furchtsamer Stimme zu ihm: »Guten Tag ... mein lieber Freund.«

»Hm! ich hoffe, Du merkst bereits die gute Erziehung!« begann Poupardot, dem jungen Manne in die Hand schlagend. »Bist Du endlich da ... das ist gar nicht übel ... Schau, hier ist mein Sohn, mein kleiner Navet, hoffentlich wirst Du ihm auch einen Kuß geben.«

Prosper küßte das kleine Döckchen, dann die Mutter, kurz die ganze Familie, indem er den beiden Gatten seinen Dank für die Sorgfalt ausdrückte, die sie dem ihnen anvertrauten Kind gewidmet hatten.

»Und wofür bedanken Sie sich?« entgegnete Elisa, »weil Sie uns Vergnügen und Freude verschafft haben? ... Das kleine Mädchen ist so artig, und Sie werden sehen, wie viel Sanftmuth und Empfindsamkeit sich in ihrem Charakter kund gibt.« – Wie auch bei meinem kleinen Navet,« versetzte Poupardot, »das gibt einmal ein Wunder von Empfindsamkeit ... nur beißt er gerne!«

»Wenn mein Mann Sie in seinem Briefe gebeten hat, uns zu besuchen, so werden Sie sich doch hoffentlich nicht vorstellen, es sei deßhalb geschehen, um Ihnen Ihr Paulinchen zurückzugeben ... Sie ist überhaupt auch noch viel zu jung, als daß Sie sich ihrer annehmen könnten ... Nicht wahr, Sie kommen nicht, um sie abzuholen?«

Prosper beruhigte Madame Poupardot, welche die Waise mit der Zärtlichkeit einer Mutter liebte, ohne daß dieses der innigen Neigung zu ihrem Sohne den mindesten Eintrag gethan hätte. Weichherzige Seelen sind nicht engherzig, bei ihnen findet eine weitere Liebe immer wieder Raum.

»Aber, Bürger, weißt Du auch, daß Du gar nicht mehr zu erkennen bist?« rief Poupardot, Prosper betrachtend, aus. »Das letzte Mal, als wir Dich sahen, warst Du als wahrhaftiger Sansculotte gekleidet, jetzt bist Du ein Stutzer.« – Mir gefallen Sie so besser,« fügte Elisa lächelnd hinzu.

»Ich bin meiner rothen Hose untreu geworden, weil sie mir untreu wurde,« erwiderte Prosper, »aber ich bin nicht undankbar, und werde nie vergessen, was ich ihr schuldig bin. Was gibt's für Neuigkeiten in Paris? ... Ich habe mich seit einigen Monaten durchaus nicht um Politik bekümmert.«

»Es geht gut, es geht ganz gut,« entgegnete Poupardot, sich die Hände reibend. »Der Schrecken ist vorüber ... der Convent machte gute Gesetze; nur kann man sie, da er alle Tage neue macht, schwer behalten; indeß hoffe ich doch, daß, wenn er einmal genug gemacht hat, er auch aufhören wird.«

»Die Assignaten stehen schlechter als je,« versetzte Elisa, »und ich fürchte, es wird uns aus dem Verkaufe unseres Hauses in Paris wenig übrig bleiben.«

»Bah! bah! sie werden wieder steigen,« wendete Poupardot ein. »Der Verkauf der Nationalgüter wird dem Staate mehrere Milliarden Assignaten zurückführen; wenn ihrer dann weniger in Umlauf sind, so werden sie wieder steigen, das versteht sich von selbst; nur unvorhergesehene Umstände könnten ...«

»Hast Du Nachrichten von unserem Freunde Maximus?« – Keine. Man weiß gar nicht, was aus ihm geworden ist! ... Das macht mich trostlos; ich fürchte, er möchte im Elend sein ... Ich würde ihm gerne dienen; aber Maximus ist stolz! ... er will Niemand etwas verdanken, als sich selbst.«

»Ja, er gehört zu Denen, die sich im Unglücke nie zeigen, weil sie fürchten, man könnte ihre Lage einsehen und glauben, sie wollten einen in Anspruch nehmen ... Es ist vielleicht ein übertriebenes Zartgefühl, welches jedoch nur von einem übermäßig gesteigerten Ehrgefühle herrühren kann. Und was macht unser wackerer Soldat Roger?«

»O! von diesem habe ich Nachrichten erhalten. Roger war bei unserer ruhmwürdigen Belagerung von Toulon ... wo der junge Artillerie-Offizier Bonaparte sich so ausgezeichnet hat ... Roger ist nicht mehr Soldat, er ist schon Lieutenant ... Unsere Armeen bedecken sich mit Ruhm; Roger ist voll Glut und Tapferkeit; ich bin überzeugt, daß er rasch avanciren wird ... wenn er anders nicht todtgeschossen wird.«

»Und Picotin?« – Hat vor Kurzem seinen Schild verändert; er hat seinen tapfern sansculotten Kater weggethan, und ihn durch einen Bären ersetzt, der indessen mehr einem Hammel gleicht. Ich weiß nicht, ob der arme Picotin gute Geschäfte macht, aber ich glaube, seine Frau kümmert sich wenig um seinen Handel! sie ist so kokett! ... Seit die Franzosen sich wieder den Vergnügungen hingeben, seit die Schauspielhäuser wieder besucht sind, geht Madame Picotin nur noch auf Bälle und Concerte! ... nur geht sie nicht mit ihrem Mann dahin ...«

»Ach! mein Freund,« versetzte Elisa, »es ist nicht schön, den Leuten Uebles nachzusagen ... Madame Picotin kann leichtsinnig sein, das Vergnügen lieben, das ist aber noch kein Grund, Dinge zu glauben ...«

»Ei! mein Gott!« entgegnete Poupardot, »ich sage das nur, weil Picotin alle Augenblicke kommt, um sich über seine Euphrasia zu beklagen ... und mir irgend einen Streich erzählt, den sie ihm gespielt hat; doch, Du hast Recht, Elisa, das geht uns nichts an; nun zu dem, was uns wichtiger ist, zu unserem neuen Gaste, den muß man gut aufnehmen und gut behandeln, damit es ihm bei uns gefalle und er lange bei uns verweile ... Komm, Bürger Prosper, ich will Dich in das für Dich bestimmte Zimmer führen. Mein Haus ist zwar nicht sehr geräumig, aber es ist bequem; wenn Du ausgeruht hast, so will ich Dich Alles, vom Keller bis zum Speicher ... nur die Pflanzungen in meinem Garten ausgenommen ... sehen lassen ... Wahrhaftig, ich bin entzückt, mich in Clichy niedergelassen zuhaben; die Luft ist hier so frisch und ich bin überzeugt, daß mein kleiner Navet gedeihen wird wie ein Erdschwamm.«

»Ja, mein August geräth vortrefflich hier,« sagte Elisa, ihren Sohn küssend. – »Navet hat schon zwei Zähne,« fiel Poupardot ein, indem er den kleinen Jungen auf den Arm nahm. – »Und doch ist August erst fünf Monate alt,« versetzte wieder die junge Mutter.

»Und seine Waden! ... Sieh' doch einmal nach Navets Waden!« – »Mir ist es, als ob ihr ihm beide nicht denselben Namen gäbet ...« sagte Prosper, der, während er den Eheleuten zuhörte, die kleine Pauline auf den Arm genommen hatte, und zum Lachen zu bringen suchte.

»Das ist richtig,« erwiderte Poupardot, »meine Frau liebt den Namen Navet nicht, sie will ihren Sohn August nennen ... Ich halte das für sehr unpolitisch. August ist der Name eines Kaisers, eines Despoten.«

»Und Navet der Name eines Gemüses,« versetzte die junge Mutter. – »Da man aber diese Namen statt der Heiligen in den neuen Kalender gesetzt hat ...«

»Dein republikanischer Kalender steht schon nicht mehr im Ansehen ... Ich wette, diese Namen werden sich ebenso wenig halten als die Dekaden, und man wird sicher wieder auf die Sonntage zurückkommen.«

»Still, Elisa! schweige; ziehe Deinen Jungen auf und mische Dich nicht in politische Angelegenheiten; mein Sohn soll Navet heißen.«

Prosper machte dieser Erörterung der beiden Gatten ein Ende, indem er sie um Erlaubniß bat, sich zur Ruhe begeben zu dürfen, worauf ihn Poupardot in ein kleines, hübsches Zimmerchen führte, und ihn aufforderte zu thun, als ob er zu Hause wäre.

Die Freundschaft, welche die Familie Poupardot ihrem Gaste erwies, die Liebkosungen der Kinder, das bequeme und friedliche Leben, welches man in ihrem Hause genoß, schien Prosper um so angenehmer, als er bei Durouleau immer hatte bei Tische sein, trinken und rauchen, kurz, eine Lebensweise führen müssen, die einem Verliebten bald entleidet wird.

Die kleine Pauline gewöhnte sich schnell daran, mit dem zu spielen, den sie ihren guten Freund nannte; ja, sie kletterte oft unaufgefordert auf seinen Schooß hinauf. Die Kinder errathen die Personen sogleich, von denen sie geliebt werden; dies ist eine Gabe der Natur, die man mit dem zunehmenden Alter verliert.

Prosper verwendete das Geld, welches ihm Durouleau gegeben hatte, um oft Spielzeug für Paulinen und Poupardots Söhnchen zu kaufen; er suchte auf jede mögliche Weise seinen Wirthen seine Erkenntlichkeit an den Tag zu legen, und wenn er von der Rückkehr nach Melun sprach, so sagten diese immer: »Sie haben also Langeweile bei uns?«

Wenn Prosper dann traurig wurde und seufzte, so blickte Poupardot seine Frau bedeutungsvoll an und flüsterte: »Er hat etwas ... ich wollte wetten, er ist verliebt ... es müßte ihn denn sonst etwas drücken ... Liebe Frau, Du solltest ihn darüber ausfragen ...«

»Nein!« entgegnete Elisa, »die Leiden der Liebe wollen geheim gehalten sein; wer alle Geheimnisse seines Herzens auskramt, weiß nicht recht zu lieben.«

Poupardot schien nicht ganz der Ansicht seiner Frau zu sein, und um ihr es zu beweisen, nahm er schnell sein Söhnchen auf den Arm, indem er es seinen lieben Navet nannte.

Darauf zuckte die Mutter die Achseln und sagte: »Lasse doch den August in Ruhe!«

Doch solche unbedeutende Zwiste waren die einzigen, welche die Eintracht dieser Gatten störte, und man konnte immer noch sagen, daß sie eine glückliche Ehe führten.

Picotin kam ziemlich häufig zum Besuche nach Clichy. Das erste Mal, als er Prosper wieder sah, erkannte er ihn nicht, so groß war der Unterschied zwischen dem widerwärtigen Sansculotten, der sich im Theater der Republik auf seinen Schooß gesetzt hatte, und dem jungen Stutzer, der Tage lang mit den Kindern spielte und die kleine Pauline auf seinen Armen herumtrug. Als Picotin endlich den jungen Freund von Maximus erkannte, so drückte er ihm innig die Hand und sprach auf tausenderlei Weise seine Freundschaft aus. Da er es aber bei jedem Bekannten so machte, so legte man wenig Gewicht auf solche Worte, und schlug diese Freundschaft, mit der er gegen Jedermann um sich warf, zu ihrem wahren Werthe, d. h. zu gar keinem an.

Picotin beklagte sich oft über seine Frau, die, wie viele Personen der damaligen Zeit, enthusiastisch für die Sitten, Gebräuche und Kostüme der Griechen eingenommen war, und verlangte, daß man in Paris alle atheniensischen Moden nachmachen solle.

»Ich weiß nicht, was aus meinem Handel werden soll,« sagte eines Morgens Picotin, als er mit trostloser Miene zu Poupardot kam: »denn Euphrasia schwatzt mir nur noch von Griechen, hat nur noch Athen und Lacedämon im Munde, und behauptet, wir sollen ihnen nachahmen, weil sie ausgezeichnete Republikaner gewesen seien.«

»Nun, Bürger Picotin, bist Du nicht mehr dieser Ansicht?« fragte Prosper. »Vor Kurzem hattest Du den Beinamen Horatius Cocles angenommen, um den großen Männern Roms zu gleichen; warum nimmst Du jetzt nicht einen griechischen Namen an, da diese gegenwärtig den Vorzug haben?«

»Den Vorzug! ... der ist vor allen Dingen nicht allgemein anerkannt; dieser Gedanke, die Griechen nachzuahmen, stammt nur aus den Salons, wo sich die großen Koketten und Stutzer versammeln. Das Schönste ist, daß die Frau eines Conventmitglieds mit einer Freundin im Tuileriengarten spazieren ging, beide als Athenienserinnen gekleidet, das heißt in einem Kleide ohne Hemd, oder vielmehr in einem Hemde ohne Kleid, mit nackten Beinen und Kothurnen statt aller Fußbekleidung ...«

»Ist es wirklich möglich?« fragte Elisa mit ungläubiger Miene. – »Ich weiß nicht, ob es möglich ist, aber ich gebe Ihnen die Versicherung, daß es so ist; mein Freund Romulus hat sie gesehen und ist ihnen nachgegangen ... Eine Menge Männer folgten ihnen, das versteht sich von selbst ... um so mehr, als man behauptet, diese beiden Damen seien sehr schön und sehr gut gewachsen ...«

»Beim Kuckuk!« sagte Poupardot, »Bucklige hätten dieses Kostüm nicht angezogen!« – Nun!« fuhr Picotin fort, »nachdem ich von allen Seiten die beiden Bürgerinnen, welche diesen Versuch gemacht haben, tadeln hörte, würdet ihr glauben, daß meine Frau sie in Schutz nimmt, und behauptet, wir müssen die atheniensischen Moden annehmen! ... Denkt euch mich mit einer Tunika, die nur bis an den halben Schenkel reicht, und einem nachlässig über die Schultern geworfenen Mantel! ... wenn ein Wind geht, muß man da schöne Dinge sehen! ... Gleichviel, Euphrasia denkt und träumt nur von Griechenland, und um den Anfang zu machen, hat sie mir diesen Morgen eine mit Honig und Thymian angemachte Brodsuppe gekocht und gesagt, das sei griechische Küche ... und zum Trinken hat sie mir statt des Weines einen medizinischen Absud vorgesetzt, denn sie für Naxos oder Chio ausgibt. Ich habe Alles abscheulich gefunden und bitte euch um ein Frühstück.«

Man bemühte sich, den armen Gatten zu trösten und gab ihm ein Frühstück; Poupardot füllte ihm öfters sein Glas, damit er seinen Meth vergesse, und als Picotin, von dem genossenen Weine erhitzt, vom Tische aufstand, war er mehr als je gegen die griechische Küche eingenommen.

Nach, dem Frühstücke forderte Picotin Poupardot und Prosper auf, mit ihm nach Paris hinunter zu gehen, um zu hören, was es Neues gebe, denn obgleich die Schreckensherrschaft ein Ende hatte, so fehlte doch noch viel zur völligen Wiederherstellung der Ruhe, und jeder Tag führte noch neue Streitigkeiten im Convente, Murren unter dem Volke und Drohungen in den Sektionen herbei.

Prosper war, seit er bei Poupardot wohnte, öfters in Paris gewesen, mischte sich aber nicht mehr in die öffentlichen Wortstreite; sein einziger Wunsch war, Jemand zu begegnen, der aus England zurückkomme, um möglicherweise Nachrichten über den Grafen von Trevilliers und seine Tochter einzuziehen, und bis dahin war dieser Wunsch nie in Erfüllung gegangen.

Die drei jungen Männer verließen Clichy und gingen Arm in Arm nach Paris hinab. Prosper, der immer in Träumereien versunken und zerstreut war, achtete wenig auf das, was um ihn her vorging. Poupardot dagegen betrachtete Alles, suchte alle Gesichter zu erforschen und zu errathen, was man in den verschiedenen Gruppen sprach. Picotin, den das Frühstück fast verwegen gemacht hatte, trillerte die Carmagnole; wenn aber ein Stutzer an ihm vorbeiging, und auf ihn zu hören schien, so wußte er von seiner Melodie geschickt in den Marlborough überzugehen.

Die Herren langten ans den Boulevards an.

»Wo gehen wir hin?« fragte Prosper. – »In die elysäischen Felder!« rief Picotin aus, »der Tag ist wunderschön, es muß eine Masse Menschen dort sein.– »Es sei!« versetzte Poupardot, »dort erfahren wir sicher etwas Neues, wenn es nämlich etwas gibt.«

Man setzte seinen Marsch fort und kam bald in die elysäischen Felder, wo in der That eine Menge Menschen aller Klassen hin und her wogte, die Einen, um zu sehen, die Andern, um sich sehen zu lassen, Einige um zu erfahren, was gesprochen werde, und der größte Theil, um dem Müßiggang zu fröhnen.

Unsere drei Spaziergänger waren schon durch mehrere Alleen gegangen; Prosper sah rings herum und forschte, ob er nicht unter den vielen Vorübergehenden Maximus, seinen theuren Maximus, den er so sehnlich zu finden wünschte, entdecken könnte. Poupardot bestrebte sich, Zufriedenheit auf allen Gesichtern zu lesen, und Picotin stellte eine Menge Betrachtungen an, deren Beachtung seine beiden Begleiter für überflüssig hielten.

Mit einem Male stießen einige junge Leute aufeinander, sprachen lachend zusammen, und richteten dann ihre Schritte nach einer entgegengesetzten, weniger besuchten Allee, die sich aber bald mit Menschen anfüllte.

»Dort muß es etwas geben, Bürger!« rief Picotin aus, seine beiden Begleiter nach der Gegend hinziehend, wo sich die Spaziergänger hindrängten. »Seht, seht! man läuft, man drückt sich. O! gewiß gibt es dort etwas, kommt, laßt uns sehen.«

Poupardot und Prosper ließen sich fortschleppen. Picotin wendete sich an einen Vorübergehenden und fragte: »Was gibt es denn dort, Bürger? ... Was läuft man? ... Was will man sehen?«

»Wieder ein als Griechin gekleidetes Frauenzimmer ... Die Damen haben doch den Teufel im Leib ... Diese ist beinahe nackt ... Eine Tunika von Musseline ... und nichts darunter ... Ihr könnt Euch denken, was man sieht ... sie hat wohl eine kleine Draperie über die Schultern geworfen, die aber nicht das Mindeste bedeckt ... Geht nur hin, Bürger, das Frauenzimmer ist hübsch, es ist schon der Mühe werth, sie zu sehen.«

»O! beim Kuckuk! ich wäre entzückt, einmal eine zu sehen!« rief Picotin aus; »das ist ein Beweis, daß Romulus mich nicht belogen hat. Es ist aus, die Weiber werden Griechinnen ... Wir wollen diese einmal sehen!«

Picotin zog seine Begleiter mit sich, stieß die Personen, die er auf dem Wege fand, auf die Seite, drang durch die Menge und gelangte endlich dazu, in einer Entfernung von dreißig Schritten von sich der modernen Athenienserin ansichtig zu werden, welche mitten unter der Menge ganz allein und ungenirt spazieren ging und keineswegs durch die Wirkung, die ihr Costüm hervorbrachte, außer Fassung zu gerathen schien.

»Donnerwetter! sie ist hübsch gebaut,« rief Picotin aus; »schöne Beine ... Waden ... Hüften ... wie gut man das Alles sieht! ...« – Sie scheint in diesem Costüm nicht verlegen zu sein!« versetzte Poupardot, »und doch ist es rasend unschicklich!«

»Das ist wahr,« sagte Picotin, »aber es ist sehr herausfordernd! ... beim Henker! jetzt finde ich auch Geschmack an den Griechinnen ... Ich kann diese Griechin hier nicht von Angesicht sehen ... aber auch die hintere Seite ist prächtig ... Was sagt ihr dazu, Bürger?« – Sie ist gebaut, wie ein Engel!« rief Poupardot aus.

Prosper antwortete nichts, er zuckte nur mit den Achseln.

»Vorwärts, vorwärts!« schrie Picotin, »ich will ihr Angesicht sehen, auch mich überzeugen, ob Alles, was man uns zeigt, eben so fest als schön ist.«

»Ha! Picotin, Du wirst hoffentlich vernünftig sein und Dir nicht erlauben, dieses Frauenzimmer zu beleidigen!« stellte ihm Poupardot vor.

»Sei doch ruhig, Bürger; es handelt sich nicht von einer Beleidigung ... aber ein Frauenzimmer, welches beinahe nackt spazieren geht, scheint eben nicht ganz unbändig zu sein. Kommt doch, kommt doch. Ich will die Eroberung dieser Athenienserin machen.«

Picotin verdoppelte seine Schritte, das Frühstück hatte ihn unternehmend gemacht: das griechische Costüm stieg ihm zu Kopfe. Er kam hinter der Athenienserin her, und während er den Hals vorstreckte, um ihr ins Angesicht zu sehen, erlaubte sich seine Hand etwas zu berühren, was die Tunika sehr hervortreten ließ. In demselben Augenblicke wendete sich die moderne Griechin um und versetzte ihm eine tüchtige Ohrfeige, während Picotin starr vor Staunen stehen blieb, als er bemerkte, daß es seine eigene Frau war, die er ins Hintertheil gekneipt hatte.

Das Verfahren der Athenienserin war indessen von vielen Zeugen beobachtet worden; überdies hatte sie die Ohrfeige so kräftig versetzt, daß sie Jedermann hören konnte. Alsbald näherte und drängte sich Alles um Picotin, der sich die Wange hielt und nicht wußte, was er den Fragenden antworten sollte; Andere dagegen umringten Euphrasia und richteten nicht die schmeichelhaftesten Reden an sie; man verhöhnte sie wegen ihres Costüms, und fragte sie, ob sie deßhalb die griechische Tunika angezogen habe, um ihre Bewunderer zu beohrfeigen. Einige machten bereits den Vorschlag, ihr eine Züchtigung zu Theil werden zu lassen, wie man sie unartigen Kindern auferlegt. Euphrasia war erschreckt, erblaßte, zitterte, wollte sprechen ... Ein allgemeines Hurrah übertönte ihre Stimme ... Sie suchte mit den Augen ihren Gatten: er hatte sich, seine Wange haltend, davon gemacht. Die arme Athenienserin wußte nicht, wie sie sich von dieser Menschenmasse befreien sollte, als ein junger Mann bis zu ihr durchdrang, sie beim Arme nahm, und sie, während er Alle, die ihm in den Weg traten, kräftig zurückstieß, mit großen Schritten aus den elysäischen Feldern hinaus- und davonführte, und in meinen Fiaker steigen ließ.

»Ach! ich danke Dir, ich danke Dir! Bürger Prosper,« rief Euphrasia aus, als sie wieder die Kraft zum Sprechen gefunden und ihren Befreier erkannt hatte; »ich weiß nicht, was mir ohne Dich geschehen wäre! ... O! es ist vorbei, ich werde mich nie wieder als Athenienserin anziehen.«

»Daran wirst Du, wie ich glaube, recht wohl thun,« sagte Prosper lächelnd, »die Franzosen scheinen mir nicht geneigt, Griechen zu werden.« »Und doch ist der Dummkopf, mein Mann, an Allem dem Schuld ... hätte er mich nicht ... beleidigt, so würde ich ihm keine Ohrfeige gegeben und man sich nicht um mich versammelt haben. Liegt auch ein Verstand darin, mich zu kneipen, als ob er zu Hause nicht immer Zeit dazu hätte! doch da denkt er nie daran.« – Wenn er Dich erkannt hätte, würde er es auch nicht gethan haben.«

»Wie! er hat mich nicht erkannt? Also gegen ein fremdes Frauenzimmer wollte er sich ... Freiheiten herausnehmen? O! das Ungeheuer! er verdiente wohl ... doch das soll er mir nicht umsonst gethan haben ... Wohin führst Du mich, Bürger?« – In Dein Haus, denke ich. – »O! noch nicht ... ich möchte nicht vor Nacht heimkommen. Ich fürchte mich vor einem neuen Auftritt, wenn man mich in diesem Costüm in meinem Quartier ankommen sähe. Ich habe mich nicht zu Hause angezogen, sondern bei einer meiner Freundinnen.« – Nun! soll ich Dich zu Deiner Freundin hinführen? – »Sie ist vielleicht nicht zu Hause ... Wenn Du keine Eile hast, so sage zum Kutscher, er solle uns ins Boulogner Wäldchen führen ... Es wird bald Nacht sein, dann können wir nach Paris zurückkehren.«

Prosper war geneigt, Alles zu thun, was der jungen Frau angenehm sein konnte, denn er fand sie sehr verführerisch in ihrem griechischen Costüm. Er befahl folglich dem Kutscher, nach dem Boulogner Wäldchen zu fahren. Da sich Euphrasia nicht mehr fürchtete, so kehrte auch ihre Munterkeit und Koketterie zurück; sie suchte sich in ihr Mäntelchen einzuhüllen, aber die geringste Erschütterung des Wagens verschob ihre Bedeckung und hob bisweilen einen Theil ihrer Tunika in die Höhe. Dann lachte Euphrasia wie eine kleine Närrin und Prosper suchte sie zu bedecken, damit sie nicht friere, aber er griff es ungeschickt an, und wurde nie damit fertig. Unterdessen brach die Nacht herein und es fing an kühl zu werden. Prosper hatte alle Fenster des Gefährtes geschlossen, aus Furcht die junge Griechin möchte sich erkälten, allein trotz dieser Vorsicht kauerte sich diese dicht an seine Seite, um sich zu erwärmen.

Es war schon zwei Stunden stockfinstere Nacht, und der Fiaker, worin Prosper und Euphrasia saßen, fuhr immer noch im Boulogner Wäldchen herum; der Kutscher war beinahe eingeschlafen, seine Hand überließ den Rennern die Zügel, als Prosper und die Athenienserin, die beide längst nicht mehr kalt hatten, an die Rückkehr nach Paris dachten.

Man langte in der Bärenstraße an, die junge Frau stieg zwei Schritte vor ihrem Hause aus dem Wagen, drückte Prosper zärtlich die Hand, eilte auf ihren Laden zu und rief ans: »Demungeachtet, werde ich meinem Mann einen hübschen Auftritt bereiten!«

Ungefähr sechs Wochen nach diesem Tage erhielt Prosper einen schwarz gesiegelten Brief aus Melun, er öffnete ihn voll Besorgniß; er war von demselben Notar, der ihn aufgefordert hatte, das Legat seines Pathen abzuholen, und enthielt folgende Worte: »›Der ehemalige Bierbrauer, Bürger Durouleau, ist an einem Gichtanfall gestorben, er hinterläßt weder Kinder noch Seitenerben, und hat Dir, Bürger Prosper Bressange, sein ganzes Vermögen vermacht; diesmal handelt es sich um etwas Anderes, als um drei Paar Hosen, denn kurz vor seinem Tode hat Durouleau noch ein Nationalgut angekauft; das Landgut des vormaligen Grafen von Trevilliers. Wenn Du kommen willst, so hängt es nur von Dir ab, in den Besitz Deiner Erbschaft zu treten.‹«

Prosper hielt sich einen Augenblick für das Spielwerk eines Traumes; denn wenn uns ein großes Glück zu Theil wird, so fürchten wir immer, es möchte eine Täuschung sein; nicht so ist es mit der Trübsal der Fall, die wir immer wie eine alte Bekanntschaft aufnehmen. Indessen war ihm dieses Glück wirklich begegnet, er hielt den Brief in seinen Händen, der es ihm verkündete, und war fast über sich selbst böse, daß er durch den Tod dieses armen Durouleau so beglückt wurde, welcher ihm selbst im Scheiden noch einen Beweis der Anhänglichkeit, die er für ihn empfunden, gab.

Aber in dem vorliegenden Falle war es sehr natürlich, daß die Freude den Sieg über das Bedauern davon trug. Tausend Gedanken, tausend Hoffnungen stiegen in Prospers Seele auf, besonders entzückte ihn der Besitz des Graf Trevilliers'schen Gutes, jener schönen Herrschaft, wo Camilla ihre Jugend verlebte, und deren Verlust sie fortwährend bedauerte, da ihr einziges Glück, seit sie nicht mehr das Recht hatte, sie zu bewohnen, darin bestand, sich in den Umgebungen derselben zu ergehen. Die Einbildungskraft eines Verliebten reicht weit! Schon sah sich Prosper als Camilla's Gatte, und führte sie in den Wohnsitz ihrer Väter ein.

Der neue Erbe beeilte sich, seine Wirthe den Brief lesen zu lassen, den er eben erhalten hatte; diese theilten seine Freude ... Poupardot küßte und beglückwünschte ihn; Elisa gab ihm die Versicherung, daß er ein solches Loos verdiene, und ihre Worte waren der völlige Ausdruck der Wahrheit, denn die beiden Gatten kannten keinen Neid, und freuten sich aufrichtig und herzlich mit ihrem Freunde.

»Und Du, liebe Kleine,« sagte Prosper, die Tochter des unglücklichen Derbrouck in seine Arme schließend, »Du, die Du im Schooße des Glücks geboren wardst, und nichts mehr besitzest, Deine Zukunft kann ich nun auch sicherstellen. Ach! wenn ich mich über meinen Reichthum freue, so geschieht es nur deßhalb, weil ich fühle, wie süß es sein muß, Diejenigen zu beglücken, die man liebt.«

Prosper wollte den folgenden Tag, nachdem er den Brief erhalten hatte, nach Melun abreisen, aber die neuen Ereignisse, die sich in Paris vorbereiteten, gestatteten ihm eine so schleunige Entfernung nicht.

Die Sektionen waren eben in völliger Empörung gegen den Convent; die Trommel schlug in Paris, man griff von allen Seiten zu den Waffen und Poupardot, der trotz der Bitten seiner Frau eines Tages fortgegangen war, um zu sehen, was vorgehe, kam ganz erschöpft, ganz blaß und mit einer Wunde am Knie nach Hause zurück; dessenungeachtet rieb er sich aber die Hände und rief aus: »Es geht gut, o! es geht vortrefflich ... die Empörung ist vorüber ... der General Bonaparte hat die Sektionen zusammenschießen lassen ... o! er war bald fertig mit ihnen ... der Convent triumphirt ... ich denke, man wird den 13. Vendémiaire nicht so bald vergessen!«

»Aber warum bist Du verwundet?« fragte Elisa, »hast Du Dich geschlagen?« – Nein ... aber ich wollte im Augenblicke, als die Kanonen loskrachten, durch die Straße Saint-Honoré gehen ... die Kanonen treffen weit hin, und wenn man neugierig ist ... so begegnet einem bisweilen eine Unannehmlichkeit ... Es ging mir ein Stück von einer Kartätschenkugel in das Knie, was mir sehr weh thut ... allein ich bin zufrieden, denn ich habe die Hoffnung, daß wir endlich glücklich sein werden.«

Elisa verband eilig ihren Gatten; Prosper verweilte einige Tage länger bei dem Verwundeten, um sich zu überzeugen, daß es keine Gefahr mit ihm habe. Poupardot war bald wieder hergestellt; da aber die empfangene Wunde einen Nerven des Knies angegriffen hatte, so fühlte er beim Gehen eine Beschwerlichkeit, eine Steifheit, die ihn zu hinken nöthigte, und der Arzt gab ihm den schlechten Trost, er dürfe nicht daran denken, daß es sich mit seinem Gang bessern werde.

Als endlich Prosper Paris wieder in Ruhe sah, entschloß er sich, nach Melun abzugehen; er sagte seinen Freunden Lebewohl, küßte Paulinen, die er mit einem Blicke noch einmal der guten Elisa empfahl, aufs Zärtlichste, und begab sich sodann auf den Weg, um die Erbschaft einzuziehen, die er der Vorsehung und der rothen Hose seines Pathen verdankte.


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