Paul de Kock
Der Mann mit drei Hosen
Paul de Kock

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel.

Jeannettens Liebe.

Mehrere Tage verstrichen: Jeannette setzte keinen Fuß aus Prospers Zimmer, in welches Niemand kam, als er, und es war ihm eine Kleinigkeit, ihr Nahrungsmittel zu beschaffen; denn in Durouleau's Hause war nichts verschlossen. Jeder konnte zu jeder Stunde des Tags nach Belieben essen und trinken; der Herr des Hauses verstand den Begriff Freiheit im vollsten Sinne des Worts.

Von Ducroquet hörte man nichts. Prosper hatte seinem Wirth sein Zusammentreffen mit dem Rothgerber auf der Straße und was daraus entstanden, erzählt, und Durouleau ihm hierauf gesagt: »Du thatest wohl daran, ihn zu prügeln; übrigens bin ich überzeugt, daß er Dir deßhalb nichts nachträgt; Ducroquet gehört zu den Menschen, die nie freundschaftlicher mit den Leuten sind, als wenn sie recht tüchtig von ihnen durchgeprügelt worden sind.«

Prosper las alle Tage die öffentlichen Blätter, er fürchtete die Nachricht daraus zu vernehmen, daß die Tochter des Grafen von Trevilliers erkannt und verhaftet worden sei. Aber vierzehn Tage waren seit Camilla's Abreise vergangen, ohne daß er irgend etwas Unangenehmes gelesen hätte, seine Befürchtungen schwanden, und er dachte, der Gegenstand seiner Liebe sei in England und vor jeder Gefahr geschützt.

Obgleich ihn Camilla's Rettung beglückte, seufzte Prosper doch bei dem Gedanken, daß sie nun bei ihrem Vater und von Leuten umgeben sei, welche ihre Vorurtheile bestärken und ihren Stolz steigern werden.

»Sie hat versprochen, mir Nachricht von sich zu geben,« sprach er zu sich; »wird sie mir Wort halten? Ich meine doch, sie sollte mich wie ihren Gatten betrachten.« Jeannette war noch immer in des jungen Mannes Zimmer versteckt, und legte nicht das mindeste Verlangen an den Tag, dasselbe zu verlassen, als Prosper eines Morgens zu ihr sagte: »Jeannette, nun sind fünfundzwanzig Tage verflossen, seit man Dich bei Deiner Tante glaubt; Du kannst Dich nun wieder im Hause zeigen und Deine gewöhnlichen Dienste verrichten; Denen, die Dich fragen, antwortest Du, Du seiest gestern Abend zurückgekommen.«

»Du verlangst, daß ich jetzt schon Dein Zimmer verlasse?« entgegnete Jeannette, den jungen Mann zärtlich anblickend. »Ich meine, das sei unklug.« – Nein,« erwiderte Prosper, »Deine Reise hat lange genug gedauert. – »Langweilt es Dich, daß ... daß ich Dir Gesellschaft leiste?« fuhr Jeannette mit beleidigtem Ton, fort.

Statt aller Antwort küßte sie Prosper und schob sie mit den Worten zur Thüre hinaus: »Meine liebe Freundin, Alles nimmt ein Ende.« – Das ist eben der Fehler!« seufzte Jeannette, in ihr kleines Mansardenzimmerchen zurückkehrend. »Wenn die Weiber Männer wären, würde es länger dauern.«

Die Zeit verstrich, ohne daß Prosper Nachricht von Camilla erhalten hätte. Inzwischen war der neunte Thermidor eingetreten; Robespierre war nicht mehr; der Schrecken, der in Frankreich herrschte, fing an zu schwinden; die Verbindungen stellten sich mehr her und die Tracht sammt der Carmagnole kam alle Tage mehr aus der Mode.

Prosper bemerkte eines Morgens, daß seine rothe Hose an verschiedenen Stellen schadhaft war. Jeannette hatte ihm schon gesagt, sie habe sehr lichte Stellen daran gesehen. Trotz der Dankbarkeit, die er diesem Geschenk seines Pathen schuldig war, entschloß er sich doch, dasselbe auszuziehen und sich wie die Stutzer jener Zeit zu kleiden. Er band seine Haare in geflochtene Zöpfe, steckte sie hinten mit einem Kamme fest und trug einen Frack mit einem grünen Kragen. Der Wunsch, zu gefallen, lebte in Frankreich wieder auf. Es war kein Verbrechen mehr, Handschuhe zu tragen.

Die Liebe beschäftigte Prospers Herz und Kopf bedeutend; doch ließ sie ihn das Kind nicht vergessen, welches ihm eine unglückliche Mutter anvertraut hatte. Er dachte an die kleine Pauline; er brannte vor Begierde, sie zu küssen, und hatte Durouleau mehr als einmal seine Absicht angekündigt, sich zu guten Freunden zu begeben, die in der Nähe von Paris wohnten. Aber der ehemalige Brauer hatte häufige Gichtanfälle und hielt seinem jungen Freunde entgegen: »Was Teufels soll aus mir werden, wenn Du mich verlässest; dann soll ich allein bleiben, wie ein faulender Apfel. Alle Freunde sind verschwunden, auseinander gejagt, oder todt! Ich habe Niemand als Dich, mir Gesellschaft zu leisten, und mit mir zu trinken; wenn Du auch gleich seit der Entfernung Deiner kleinen Aristokratin nicht mehr so heiter bist, so hindert das doch nicht, daß ich Dich liebe und keine Langweile habe, wenn Du da bist, obgleich Du öfters meinen Meinungen widersprichst.«

Prosper war nicht gefühllos gegen die väterliche Freundschaft Durouleau's; um ihn nicht zu betrüben, verschob er seine Abreise; auch hoffte er täglich auf Nachrichten von Camilla; aber die Tage vergingen und die Nachrichten blieben aus.

Eines Morgens jedoch kam ein Brief unter der Adresse des Bürgers Prosper Bressange beim Bürger Durouleau an; Jeannette überbrachte denselben dem jungen Mann; er nahm ihn mit zitternder Hand und riß das Siegel ab; nachdem er aber auf die Unterschrift gesehen hatte, schwand die Hoffnung, die Freudigkeit, die seine Züge belebt hatte, plötzlich.

»Noch nicht von ihr!« rief Jeannette mit einem schlecht verhehlten Lächeln aus.

»Nein, nicht von ihr,« entgegnete Prosper. »Der Inhalt dieses Schreibens jedoch erinnert mich an meine Pflicht.«

Der Brief war von Poupardot; er schrieb an Prosper, daß die kleine Pauline allerliebst sei, allein gehen könne und zu sprechen anfange, daß man sich wundere, warum er nicht auch komme, um seine Adoptivtochter zu küssen, daß man ihn jeden Tag erwarte und auch vor Verlangen brenne, ihn den schönen Knaben sehen zu lassen, mit dem die Bürgerin Poupardot niedergekommen sei, und dem man den Namen Navet (Rübe) beigelegt habe.

Prosper begab sich zu Durouleau, zeigte ihm den Brief und sagte zu ihm: »Ich muß fort, ich kann es nicht länger verschieben.« – Versprich mir wenigstens, wieder zu kommen,« entgegnete der dicke Mann, seinem jungen Freunde die Hand reichend.

»Wenn ich nicht wieder zurückkehrte, müßte ich sehr undankbar sein,« erwiderte Prosper, »denn ich habe ... einen Umstand abgerechnet ... nur Wohlthaten von Dir empfangen, und damit sogar glaubtest Du mein Glück zu bezwecken. Ja, Du sollst mich wiedersehen.«

»Wohlan!« fuhr Durouleau fort, »laß mir, damit ich beruhigt bin, das kleine Päckchen in Deinem Zimmer zurück, welches Du die Erbschaft Deines Pathen nennst; dann bin ich doch gewiß, daß Du wiederkommen wirst, um es abzuholen.« – Gerne, aber ich käme ohne dies ... – »Und nun nimm diese Börse, es ist Gold darin, welches jedenfalls einen zuverlässigeren Werth hat, als Assignaten.«

»Ich danke,« sagte Prosper, den Beutel zurückweisend, den ihm der Exbrauer hinstreckte. »Ich brauche kein Geld. Du hast schon zu viel für mich gethan.«

»In Deinem Alter braucht man immer Geld. Ich habe zu viel und weiß nicht, was ich damit anfangen soll. Wenn ich auch alle Tage fünf Flaschen trinke und wie ein Hamster esse, so kann ich doch mein Vermögen nicht aufzehren. Wenn Du mir es abschlägst, so willst Du nicht mehr mein Freund sein ... sondern bist ein Aristokrat! Willst Du wohl! Kamerad!«

Es war unmöglich, der barschen und freundschaftlichen Manier, womit der dicke Mann seine Dienste anbot, zu widerstehen; man mußte das Anerbieten annehmen, oder sich mit ihm überwerfen. Prosper nahm es an und fühlte sich in seinem Innern äußerst glücklich, nicht ganz ohne Geld zu Poupardot zu kommen.

Da Prosper es nicht für nöthig hielt, von Jeannetten Lebewohl zu nehmen, weil er voraussah, daß es nur Thränen zu trocknen und Klagen zu hören gegeben hätte, so verließ er, da er kein Gepäck mitzunehmen hatte, das Haus, mit einem Stock in der Hand, wie er alle Tage gewöhnt war, in der Stadt herumzuspazieren. Er schickte sich gerade an, den Weg nach Paris einzuschlagen, als er, sich zufällig umwendend, einige Schritte von sich entfernt ein junges Mädchen sah, das mit einem Päckchen unter dem Arme hinter ihm drein ging.

Es war Jeannette; sie stand still und schien ganz verlegen, als sie bemerkte, daß sie von Prosper gesehen worden war.

Der junge Mann kehrte um und ging gerade auf die hübsche Dienstmagd zu, indem er ihr in strengem Tone, und sie absichtlich nicht mehr dutzend, sagte: »Jeannette, wo gehen Sie denn hin?« Das junge Mädchen schlug die Augen nieder, erröthete und stotterte: »Ich, ich gehe spazieren. – »Was haben Sie denn unter dem Arme?« – Nichts, nichts ... Kleider von meinem Herrn. – »Jeannette, Sie lügen! Sie sagen mir nicht die Wahrheit.« – Mein Gott! warum sagst Du denn jetzt Sie zu mir? Bist Du kein Republikaner mehr?«

»Jeannette, Du gingst mir nach, und in diesem Päckchen sind Kleider für Dich auf die Reise.« – Nun denn! ja, es ist wahr! Ich merkte, daß der Brief, den Du erhalten hast, Dich abrufe; und ohne zu horchen, habe ich gehört, daß Du Abschied von meinem Herrn nahmst. Dann habe ich schnell ein kleines Päckchen mit den nöthigsten Effekten zusammengemacht und meine kleinen Ersparnisse zu mir genommen. O! ich nehme nichts mit, was, mir nicht gehört! Hierauf verbarg ich mich hinter einer Straßenecke, paßte Dir ab und folgte Dir. Ich werde Dir immer folgen, gleichviel, ob Du auch weit gehst. Ich habe Muth und Kraft; ich werde nicht leicht müde. Aergert es Dich, wenn ich Dir folge? bin ich nicht mein eigener Herr und kann hingehen, wo ich will? Nur wenn es Dir mißfiele ... aber ich bitte Dich, laß mich hingehen, wo Du hingehest ... ich will Dir dienen, Deine Magd sein und Dich immer gleich lieben; wenn es Dich aber verdrießt, werde ich es Dir nicht mehr sagen; ich will bei Dir sein, das ist mein einziger Wunsch.«

Prosper war gerührt, erweicht von der aufrichtigen Liebe, welche das junge Mädchen für ihn an den Tag legte, aber er fühlte wohl, daß, wenn er ihren Bitten nachgäbe, er sie in sein Schicksal verflechten und es ihm später schwer werden würde, sie von sich wegzubringen. Wäre sein Herz nicht ganz und gar von Camilla angefüllt gewesen, so würde er ohne Zweifel alle diese Bemerkungen nicht gemacht haben, denn gewöhnlich ergreift man in Prospers Alter das Vergnügen und das Glück, so oft es sich bietet, ohne sich um die Folgen zu bekümmern.

Prosper nahm Jeannettens Hand, drückte sie und erwiderte ihr in sanftem, aber entschiedenem Tone: »Nein, Jeannette, Du darfst mir nicht folgen; ich will Dich nicht zu meiner Magd, und ebenso wenig kannst Du meine Geliebte sein ... ich weiß noch nicht, welches Schicksal mir bevorsteht ... welcher Laufbahn ich folgen soll ... Gegenwärtig, wie Du wohl weißt, beschäftigt mich nur ein Gedanke: ich möchte Camilla wiederfinden, und um sie zu suchen, ihr näher zu kommen, ist es doch nicht schicklich, daß ich immer ein anderes Frauenzimmer bei mir habe.«

Jeannette antwortete nicht, sie weinte und zog ihre Hand zurück, die der junge Mann noch in den seinigen hielt. Prosper waffnete sich mit Muth; der ist auch nöthig, um den Thränen eines jungen und hübschen Mädchens zu widerstehen, das uns um Gegenliebe bittet.

»Leben Sie wohl, Jeannette,« sagte er, »glauben Sie mir sicher, daß ich stets die aufrichtigste Freundschaft für Sie empfinden werde. Sollte sich einst das Schicksal günstig für mich gestalten, und ich Ihnen nützlich sein können, o! so suchen Sie mich auf, suchen Sie mich eilends auf, Jeannette, und Sie werden einsehen, daß Prosper Ihr treuster Freund ist. Bis dahin kehren Sie zu Durouleau zurück.«

»Nein, ich werde nicht dorthin zurückkehren,« entgegnete das junge Mädchen; »denn jetzt, wo Sie nicht mehr dort sind, wäre es zu traurig für mich, ich würde weinen in Ihrem Zimmer ... und das wäre nicht das beste Mittel, Sie zu vergessen ... Leben Sie wohl, Herr Prosper ... suchen Sie Ihr schönes Fräulein ... ich finde vielleicht auch einen schönen Herrn, der sich meiner annimmt.«

Beim Schlusse dieser Worte wendete sich das junge Mädchen ab und entfernte sich hastig, indem sie ihre Augen mit ihrem Taschentuch bedeckte.

Prosper war einen Augenblick versucht, Jeannetten nachzulaufen, um einen Versuch zu machen, sie zu trösten; aber er besann sich, er überlegte, wie doch eigentlich nicht er es gewesen, der es darauf angelegt habe, das Mädchen zu verführen; daß vielmehr ihr Unglück ihr eigener Fehler sei, daß er sich keinen Vorwurf zu machen habe, und was dergleichen Gründe mehr sind, deren triftigster war, daß er nur an Camilla dachte.

Und warum auch Motive für unser Betragen suchen, da doch beinahe in allen Lebensumständen in unserem Herzensgrunde ein anderes Gefühl lebt, das uns zum Handeln treibt?


 << zurück weiter >>