Paul de Kock
Der Mann mit drei Hosen
Paul de Kock

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Viertes Kapitel.

Das Testament eines Komödianten – Eine Verhaftung

Maximus war blässer, und seine Miene noch trauriger und finsterer, als bei seinem Weggehen. Beim Eintritt ins Zimmer suchte er mit den Augen zuerst seine Mutter; sie verstand ihn. Er hatte die Hinrichtung Franz Bremonts, jenes Greises erfahren, welcher der Freund und Beschützer seines Vaters gewesen war.

Auch erwiderte Maximus die Begrüßungen der meisten Anwesenden nur kalt.

Und Poupardot sagte ganz leise zu Picotin: »Teufel! ich fürchte etwas! ... sollte es wohl schlimm gehen? ... ich bin nicht ruhig, wenn Maximus nicht zufrieden ist, denn das ist ein Mann, der in die Zukunft sieht, und ein ächter Republikaner!«

Picotin sperrte seine zwei großen, mit der Stirne gleichstehenden Augen auf, drückte seine rothe Mütze über die Ohren und flüsterte: »Ich könnte auch noch hinzufügen: Zum tapfern sansculotten Kater oder den Tod

Der junge Bertholin hatte sich Roger genähert, drückte ihm herzlich die Hand und folgendes Gespräch entspann sich zwischen ihnen: »Du gehst zur Armee ab, Roger ... Du wirst für das Vaterland kämpfen ... wie glücklich bist Du!« – Das meine ich, mein lieber Maximus, auch gehe ich mit Freuden! warum thust Du nicht ein Gleiches? – »Du weißt es ja ... meine Mutter!« – Ach! ja, Du hast Recht. Bleibe hier. Ueberdies bist Du ein Republikaner, und billigst jedes Verfahren, Alles, was geschieht; Dir kann's am Emporkommen nicht fehlen! – »Roger, Du beurtheilst mich falsch! gerade weil ich Republikaner bin, weil ich eine freisinnige Regierung und die Abschaffung der früheren Mißbräuche wünschte, sehe ich mit größerer Betrübniß als ein Anderer die beklagenswerthen Excesse, denen man sich hingibt, die Ungerechtigkeiten und Verbrechen, welche man begeht, und die unfehlbar den Sturz dieser Republik, die ich so gerne groß und dauernd gesehen hätte, herbeiführen werden. Heute erst haben sie wieder einen Greis ... einen alten Freund meines Vaters, hingeschlachtet. Welches Verbrechen konnte er begangen haben? ... keines ... Er wurde, wie man mir sagt, angeklagt, weil er an seinem Rocke große Knöpfe trug, worauf sich Blumensträuße befanden, worunter einige Lilien zu bemerken waren! Ach! mein Freund, so lange die Menschen toll oder bösartig genug sind, das Leben ihres Nächsten von so elenden Kleinigkeiten abhängig zu machen, so lange werden sie auch nicht im Stande sein, sich selbst zu regieren.«

»Die Bürger sprechen leise mit einander,« sagte Euphrasia, nach Maximus und Roger hinblickend. »Das ist unterhaltend! im Allgemeinen sind die Männer liebenswürdiger unter vier Augen, als in Gesellschaft, nicht wahr, Bürgerin?«

Diese Frage war an Poupardots Frau gerichtet, die ruhig erwiderte: »Mein Mann gefällt mir immer, wie er ist!«

»Was für ein Teig von einem Weib!« sagte Euphrasia leise zu Frau Bertholin. »Wenn die Hungersnoth fortdauert, könnte man Butterwecken aus ihr machen.«

»Ich vermuthe,« sprach Poupardot wieder gegen Picotin gewendet, neben dem er sich befand, »ich vermuthe, daß Maximus etwas weiß, irgend eine interessante Neuigkeit ... die wir morgen im Père Duchesne lesen werden. Aber dann sollte er sie, statt leise mit Roger zu sprechen, uns sagen ... sie wäre denn der Art, die Frauen zu erschrecken. Was meinst Du dazu, Bürger?«

»Ich meine,« entgegnete Picotin nach einer Weile, »daß, wenn ich statt eines Katers einen Bären hätte malen lassen, ich nicht hätte darunter schreiben können: Zum vollen Kater, und dann auch diesen Morgen hätte keine solche Angst in meiner Sektion ausstehen müssen.«

»Ja,« antwortete Poupardot, »da hättest Du ihnen auch viel leichter etwas aufbinden können, und an einem groben Zottelbären würden sich auch Sansculotten nie gestoßen haben!«

Als Maximus sein Gespräch mit Roger beendigt hatte, wendete er sich um und gewahrte jetzt erst Prosper, der schweigend in einer finstern Ecke des Zimmers saß, weßhalb Bertholin seine Gegenwart nicht bemerkt hatte.

»Wie, Du bist da, Prosper,« rief Maximus, sich dem Jüngling nähernd, aus. »Ich hatte Dich bei meinem Eintritt nicht bemerkt. Weil Du nun da bist, so will ich Dir einen Brief übergeben, den ich für Dich in Händen habe. Ein ehrlicher Bauersmann hatte ihn in die Druckerei gebracht, in der Meinung, Dich dort zu finden. Er kam von Melun her.«

»Von Melun?« fragte Prosper, »der wollte mir ohne Zweifel Nachricht von meinem Pathen geben?« – In der That ... aber Dein Pathe ist vor acht Tagen gestorben. – »Gestorben! der arme Papa Brillancourt! Das thut mir leid, er war ein braver Mann, obgleich er mich oft verspottete ... denn er war ein beißender Spötter, mein lieber Pathe; indeß war er beinahe achtzig Jahre alt, und in diesem Alter muß man sich auf die große Reise gefaßt machen. Ist der Brief von ihm? ... Das würde mich wundern; denn seit mehreren Jahren wollte er weder mehr lesen noch schreiben, aus Furcht, sich die Augen zu verderben.« »Der Brief ist, wie mir der Landmann sagte, von einem Notar aus Melun, der zum Testamentsvollstrecker des Verstorbenen ernannt ist.«

»Lies doch schnell, Bürger,« sagte Picotin mit neugieriger Miene. »Dein Pathe hat Dich vielleicht zum Universalerben eingesetzt.«

»Zum Universalerben! von was? ... Vor allen Dingen kann mein Pathe Brillancourt kein Vermögen hinterlassen haben. Er war ein alter Komödiant, der lustig gelebt, und wie er selbst zu sagen pflegte, genossen hatte, was er nur immer genießen konnte. Er lebte von einer kleinen Pension, die ihm das Theater verabreichte, und einigen Ersparnissen, die er auf eine lebenslängliche Rente angelegt hatte. Außerdem hatte er eine Haushälterin bei sich, welche er seine Dulcinea nannte, und der er längst schon sein Mobiliar und das wenige baare Geld, welches er hinterlasse, versprochen hatte; Dulcinea hat das auch in der That wohl verdient, denn sie war sehr besorgt für den alten Schauspieler, der beinahe jeden Abend Scenen aus dem Tartuffe und den gelehrten Weibern mit ihr durchging.«

»Nun, der Notar hat Dir doch nicht umsonst geschrieben, Bürger,« versetzte Poupardot; »nur wenn Du vermuthen würdest, es wäre ein Geheimniß ...«

»Ein Geheimniß!« entgegnete Prosper. »O! ich mache aus Nichts ein Geheimniß, und um dieses zu beweisen, will ich, wenn es euch Vergnügen macht, den Brief laut vorlesen.«

Mit diesen Worten öffnete er den Brief des Notars, und alle Anwesenden erwarteten, neugierig, den letzten Willen des alten Schauspielers zu Gunsten seines Pathen zu vernehmen, die Mittheilung des Inhalts. Prosper las laut:

»›Gruß und Brüderschaft, Bürger!

»Ein Greis, Namens Brillancourt, ein alter Tyrannenspieler, ist in unserer Stadt mit Tod abgegangen. Er hat mich zum Vollstrecker seines letzten Willens ernannt; was mich jedoch nicht sehr beschäftigen wird, da der Bürger Brillancourt durchaus kein Vermögen hinterlassen hat; seine Leibrente erlosch mit ihm, und was sein Mobiliar betrifft, so hat er solches der Haushälterin zum Geschenke gemacht, die in seinem Dienste stand ...‹«

»Was hatte ich Dir vorausgesagt?« rief Prosper, sich unterbrechend aus, um sich gegen Picotin zu wenden. »Mein Pathe hinterläßt mir wahrscheinlich nichts als seinen Segen und seinen guten Rath ... Denn damit war er nicht geizig! ...«

»Ist der Brief des Notars aus?« fragte Euphrasia. – »Nein, noch nicht. – »Nun! so lesen Sie ihn vollends; das Wichtigste kommt ohne Zweifel zuletzt.«

»Ich fahre fort. – »›Der Haushälterin zum Geschenke gemacht, die in seinem Dienste stand ... Indessen ... (ah! es ist ein Indessen dabei) findet sich in dem Schreiben, worin er mich mit seinem letzten Willen beauftragt, ein Paragraph, der seinen Pathen anbetrifft ... hier folgt er, ich schreibe ihn Wort für Wort ab: »»Ich hatte nie Kinder, oder glaube wenigstens, nie welche gehabt zu haben; aber ich habe irgendwo in der Welt einen Pathen, der gegenwärtig achtzehn Jahre und einige Monate alt ist und Prosper Bressange heißt: er ist ein ziemlich leichtsinniger Bursche ... der in kurzer Zeit die ganze Hinterlassenschaft seines Vaters aufgezehrt hat, und wenn ich Vermögen hätte, würde ich es ihm ebenfalls nicht vermachen, denn er würde es auch aufzehren.««

Die Zuhörer konnten sich in diesem Augenblicke einiger Ausbrüche von Lachen nicht erwehren, welches durch das sonderbare Gesicht, welches Prosper machte, noch mehr erregt wurde; er hatte inne gehalten und rief, die Augen höchst komisch gen Himmel gerichtet, aus: Da schaffet Euch Pathen an! ... und verlasset Euch auf ihren Schutz, dann seid Ihr verlassen. Doch man muß den Kelch bis zur Hefe leeren. Ich fahre fort: »»denn er würde es auch aufzehren ... Aber Prosper hat Geist und Fähigkeiten, er ist ein Junge, aus dem Etwas werden kann, wenn er will, und da es die Pflicht eines guten Pathen ist, seines Täuflings Fortkommen zu befördern, so hinterlasse ich dem meinigen als vollständiges Eigenthum, was Du Bürger Notar in der untersten Schublade meiner Commode finden wirst; es sind ... drei Hosen ...««

Hier wurde Prosper abermals durch schallendes Gelächter unterbrochen; aber dessen ungeachtet fuhr er weiter fort: »» ... Drei Hosen! mit der einen habe ich den Mascarill im Leichtsinnigen ins Leben gerufen, es ist die prächtige scharlachrothe; mit der zweiten (der blauen), habe ich einen Veteran in einem Soldatenstück dargestellt; mit der dritten endlich, die von weißem Atlas und an allen Nähten gestickt ist, habe ich einen Marquis oder Roué aus der Zeit der Regentschaft gespielt. Mit diesen drei Hosen habe ich meine glänzendsten Erfolge erlangt. Es ist mir, als ob sie mächtig zu dem Glücke meines Pathen beitragen werden, wenn er sie zur richtigen Zeit anzuziehen weiß. Uebergib sie deßhalb, Bürger Notar, zu eigenen Händen meinem Pathen, Prosper Bressange, der, glaub' ich, in Paris in einer Druckerei arbeitet; meine Haushälterin wird Dir seine Adresse mittheilen.««

»›Dies, Bürger, ist der Paragraph, den Dein Pathe zu Deinen Gunsten niedergeschrieben hat. Ich habe in der That die oben erwähnten Gegenstände in der Commodeschublade des Bürgers Brillancourt vorgefunden, und wenn Du nach Melun kommen willst, so stehen die drei Hosen zu Deiner Verfügung. Ich werde sie Dir dann eigenhändig übergeben, wie solches einmal der Wunsch Deines Pathen ist. Gruß und Brüderschaft.

Dumont, Notar.‹«

»Ah! der Tausend! das ist ein sonderbares Testament,« sagte Picotin, nachdem Prosper das Schreiben vorgelesen hatte, »der Pathe war ein Possenreißer ... denn die ganze Geschichte macht den Eindruck einer Posse auf mich, hm?«

»Das denke ich auch,« versetzte Poupardot; »es ist ein Scherz ... es müßte nur einer jener wunderlichen Grillen eines alten Komödianten sein ... Bei diesem Geschäfte hat man, wie mir gesagt worden ist, gewisse Manien ... eine gewisse Vorliebe ... man passionirt sich für ein Kostüm ... sogar für eine Perrücke ... und dann ... stellt man sich vor ... Sie verstehen mich? ... nicht wahr, Elisa, Du verstehst mich? ...«

Die Bürgerin Poupardot war so gefällig, mit dem Kopf zu nicken, als ob sie errathen hätte, was ihr Gatte zu sagen beabsichtigte; aber Picotin rief aus: »Nein, ich verstehe durchaus nicht!«

»Gewiß ist,« sagte Roger lächelnd, »daß der Pathe des Bürgers Prosper nicht für die neuen Ideen eingenommen war, denn er wollte nicht, daß sein Täufling Sansculotte (ohne Hose) sei!«

»Das ist klar,« brummte Picotin, »und wenn er nicht gestorben wäre, so hätte man ihn deßhalb zur Anzeige bringen müssen.«

»Nun, Bürger,« sagte Euphrasia zu Prosper gewendet, »was gedenkst Du zu thun? ... wirst Du diesem Notar antworten?«

»Noch mehr, Bürgerin, ich werde mich morgen nach Melun aufmachen und mein Erbtheil in Empfang nehmen.«

»Ah! bah! warum nicht gar!« wendete Picotin ein, »was! eine Reise nach Melun machen, um drei Hosen zu holen ... und wahrscheinlich drei alte Hosen, denn, wie es scheint, hat sie der alte Komödiant oft benützt!«

»Ja, Bürger, ich werde nach Melun gehen, um diese Hinterlassenschaft meines Pathen in Empfang zu nehmen ... Und, wer weiß? ... sie wird mir vielleicht Glück bringen! Ich bin einigermaßen Fatalist, und setze insbesondere großes Vertrauen auf die Meinung geistreicher Leute, und der Papa Brillancourt besaß Geist. Er hat mir diese drei Hosen in dem Glauben hinterlassen, daß sie mir Bahn im Leben brechen würden, wie sie ihm solche auf dem Theater brachen! ... Er wußte wohl, daß die Welt selbst nur ein größeres Theater ist, worauf ein Jeder den Beruf hat, seine Rolle mit mehr oder weniger Erfolg zu spielen. Ueberdies ist im gegenwärtigen Augenblicke meine Garderobe nicht so gut versehen, daß ich Ursache hätte, die Gabe meines Pathen zu verschmähen. Morgen will ich nach Melun gehen ... und mir meine Erbschaft ausfolgen lassen.«

»Du kannst sie sogar sogleich anziehen,« versetzte Picotin; »im Winter kann man ganz gut drei Paar Hosen tragen!« – Ich wette,« sagte Roger, »die Hosen werden aufgefressen sein, ehe Prosper wieder nach Paris zurückkehrt, und zwar nicht von Motten.«

»Du irrst Dich, Bürger!« entgegnete der Jüngling, seine papierne Mütze schief aufsetzend. »Hätte mir der alte Schauspieler Geld hinterlassen, so könnte Deine Voraussetzung richtig sein, denn das Geld ist dazu da, um ausgegeben zu werden ... Geld haben und es nicht anwenden, ist gerade so viel, als keines haben; das ist wenigstens meine Denkungsart; aber Hosen, durch welche mein Pathe glänzende Erfolge erlangt hat ... das ist etwas ganz Anderes, diese respektire ich ... ich glaube an ihre vortrefflichen Eigenschaften und würde sie nicht um hundert Thaler verkaufen ... wenn man mir sie böte!« – Selbst im Peche nicht?« fragte Picotin. – »Auch im Peche nicht ... nicht einmal um baares Geld ... und doch gelten hundert Thaler klingende Münze in diesem Augenblick für ein Vermögen!«

Nachdem man noch einige Zeit über Prospers Erbschaft und den sonderbaren Einfall des alten Komödianten gesprochen hatte, dachte die Gesellschaft ans Nachhausegehen; Maximus war traurig, sprach wenig und bemühte sich durchaus nicht, die Anwesenden zurückzuhalten, als sie sich zum Fortgehen anschickten.

»Komm, Frau,« sprach Poupardot, seiner Ehehälfte den Arm reichend; »man muß nicht so gar spät nach Hause gehen ... Ich fürchte zwar nichts ... nur die Diebe ... aber ich muß morgen bald aufstehen, um Zeuge des ersten Schlags mit der Haue zu sein, der an meinem Haus in der Petites-Ecuriesstraße geschieht.« – »Lässest Du etwas an Deinem Hause bauen?« fragte Maximus seinen Freund. – »Im Gegentheil, die Republik läßt es zusammenreißen, weil sie sich überzeugt hat, daß viel Salpeter in meinen Mauern steckt ... Das ist ein Glücksfall für mich, denn sie bezahlt mir dreimalhunderttausend Franken in Assignaten dafür. Das heiße ich ein gutes Geschäft! ...«

Maximus antwortete nichts und Poupardots Frau erwiderte mit düsterer Miene: »Ah! ... die Revolutionen! ... Komm, wir wollen schlafen gehen, mein Freund.«

»Bürgerin Euphrasia, Dein Gatte Horatius Cocles steht zu Deinen Befehlen,« sagte Picotin, sich seiner Frau nähernd und ihr den Arm bietend; allein diese hing sich an Roger und begnügte sich, ihrem Gatten in einem herrischen Tone zu erwidern: »Gut, geh' voraus und sag' es uns jedesmal, wenn wir an eine Gosse kommen.«

Picotin ließ sich diesen Auftrag nicht wiederholen, sondern eilte nach der Thüre und sagte: »Recht gute Nacht, werthe Gesellschaft ... Gruß und Brüderschaft, gute Nacht oder den Tod.«

Poupardot und seine Frau hatten sich bereits entfernt. Roger küßte zärtlich die gute Mutter Bertholin, deren Augen in Thränen zerflossen, als sie Abschied von dem jungen Rekruten nahm. Maximus drückte noch einmal die Hand seines Freundes, und dieser sagte zu ihm: »Ich weiß nicht, ob ich zurückkehren werde, Maximus; aber wenn, so glaub' ich, daß sich bis dahin Vieles geändert haben wird.«

Nun befand sich nur noch Prosper Bressange bei Bertholin; dieser wohnte aber im Hause, in einem Mansardenstübchen. Indessen verabschiedete er sich auch von Wittwe und Sohn, indem er sprach: »Ich lege mich schlafen, denn ich will mich morgen bei guter Zeit nach Melun aufmachen, und da wird es gut sein, vorher ein wenig auszuruhen. Auf Wiedersehen, Mutter Bertholin ... gute Nacht, Maximus ... Ich bin überzeugt, daß ich von den drei Hosen meines Pathen träumen werde.«

»Welch glücklicher Charakter!« rief Maximus, dem sich entfernenden Prosper nachblickend, aus. »Er lacht über Alles ... und nimmt die Zeit, wie sie ist.« – O! er lacht nicht über Alles,« versetzte Mutter Bertholin, ihren Stuhl ans Feuer rückend. »Und diesen Abend sah ich wohl, daß dieser scheinbar so tolle, so leichtsinnige Jüngling im Innern seiner Seele schon ein tiefes Gefühl für Jemand hegt ... Du glaubst wohl nicht, Maximus, daß Prosper verliebt ist? ... – »Verliebt! ... ja, wie man es in seinem Alter ist ... wo man in alle Frauenzimmer verliebt zu sein glaubt ... und sich einbildet, diese Neigung daure ewig ... während das nächste beste hübsche Gesichtchen das Herz drehen macht wie eine Wetterfahne« – Nein ... ich glaube, Prosper empfindet diesmal eine wahre Leidenschaft ... Indessen ist Deine Behauptung ganz richtig, eine andere wird diese verdrängen ... – »Und wer ist denn das Frauenzimmer, in welches Du ihn für verliebt hältst?« – Fräulein Camilla von Trevilliers ... Tochter des Grafen von Trevilliers, welche in dieser Straße beinahe gegenüber von uns wohnt. – »Die Tochter eines Emigranten! Ein junges, noch nicht einmal sechzehnjähriges Frauenzimmer, welches jetzt schon eben so stolz und hochmüthig ist, als es ihr Vater war! Armer Prosper, ich glaube, er hat seine Zuneigung nicht auf die rechte Person geworfen, und fürchte, daß er nie mit Gegenliebe belohnt werden wird. Wer hat Ihnen jedoch Prospers Gefühle entdeckt, liebe Mutter?« – Während Deiner Abwesenheit kam der Portier Goulard hier herein ... – »Weßhalb? Ich verachte, ich verabscheue diesen schändlichen Menschen, ich dulde seine Besuche nicht. Man hätte ihm die Thüre weisen sollen.« – Ach! mein Freund, in unsern Zeiten sind die bösartigen Menschen zu fürchten ... – »Ich habe nichts zu fürchten, ich, liebe Mutter, und nichts kann mich zwingen, einen Menschen bei mir zu empfangen, den ich verachte.« – Ach! mein Freund, wie Viele haben gleich Dir nichts fürchten zu müssen geglaubt, weil sie ein reines Gewissen hatten, und mußten doch zu Grunde gehen ... wie Bremont! unser armer Bremont! ...«

Maximus wischte die Thränen aus den Augen und rief aus: »Ach! wir wollen nicht davon sprechen, Mutter, es schmerzt zu sehr ... Nun! von Prosper ... wollten sie mir etwas erzählen ...« – Goulaurd sprach in seiner Gegenwart von der Tochter des Grafen von Trevilliers; er ließ seine Absicht merken, sie anzugeben. O! da stürzte Prosper auf ihn zu, packte ihn an der Gurgel, und wenn nicht Leute dazu gekommen wären, so hätte er ihn, trotz meiner und Euphrasia's Fürbitten erwürgt. – »Er hätte wohl daran gethan; dieser elende Goulard! er und Seinesgleichen erregen den Haß gegen unsere Revolution. Fragen Sie diesen Menschen, was Vaterland und Freiheit sei, er wird Ihnen antworten: er wolle Geld und Nichtsthun. Ach! daß er sich nur nicht mehr hier sehen lasse, denn ich fühle wohl, ich würde meinen Zorn nicht bemeistern können. Ein junges sechzehnjähriges Mädchen anklagen ... weil sie die Tochter eines Adeligen ist! Wie vernünftig! wie gerecht! Und gesetzt, ihr Vater wäre strafbar, sollen unter einer Regierung, die gerecht und frei sein will, die Fehler der Väter auf die Kinder zurückfallen?«

Maximus' Mutter antwortete nichts; sie begnügte sich, seufzend die Achseln zu zucken. Ein langes Schweigen herrschte zwischen ihr und dem Sohn. Sie waren beide zu traurig gestimmt, als daß sie nur den Wunsch gehabt hätten, miteinander zu reden.

Der Regen goß wiederum in Strömen herab, der Wind wehte heftig; die Nacht war finster und traurig, wie die Gedanken der Bewohner des untern Stockwerkes.

Mitternacht hatte es schon lange geschlagen, aber weder Maximus noch seine Mutter sich zu Bette gelegt. Endlich rief der Jüngling, aus seinen Betrachtungen erwachend, aus: »Legen Sie sich zur Ruhe, liebe Mutter; es ist sehr spät, Sie müssen müde sein.« – Zur Ruhe! Ich habe keine Hoffnung, diese Nacht Ruhe zu finden. Ich habe heute zu viel Kummer erlebt ... Aber Du, mein Freund, wirst Du Dich nicht auch schlafen legen? – »Ja, liebe Mutter, ja ... gleich. Ich weiß nicht, was ich diesen Abend habe ... mein Herz ist so beklommen ... mir ist's, als ob ein neues Unglück bevorstände. Was Sie mir über Goulard gesagt haben, geht mir nicht aus dem Sinn.« – Und ich habe Dir noch nicht einmal Alles erzählt, denn als er den guten Holländer und seine Frau hier fand, denen ich, weil Goulard nicht da war, das Hofthor für ihren Wagen aufgemacht hatte, wagte er es, diesem großmüthigen Manne, der ihm schon hundertmal Gutes erwiesen, zu drohen und ihn zu beschimpfen. Ach, wenn seine Frau nicht zugegen gewesen wäre, so hätte der Bürger Derbrouck, glaub' ich, Goulards Unverschämtheit gezüchtigt. Glücklicherweise trat in diesem Augenblicke Prosper ein; Prosper ist ein wackerer Junge ... Ei! ... hörst Du kein Geräusch auf der Straße? – »Nein ... ich höre nur das Rauschen des Regens und Windes.« – Sonderbar ... es war mir, als ob ich mehrere Stimmen gehört hätte ... und doch ist jetzt nicht die Zeit, auf der Straße zu stehen und miteinander zu sprechen. Bald ein Uhr Morgens ... ich kann mich auch getäuscht haben ... doch höre ... es tönt wie das Gerassel eines Gefährts ... es nähert sich!«

Das Wagengerassel kam in der That näher, und hörte bald darauf vor dem Hause auf. Maximus, der horchte, blickte seine Mutter an und sagte: »Es hält hier an.«

Und ein Ausdruck düstern Entsetzens malte sich zu gleicher Zeit in den Zügen des Jünglings und seiner Mutter, denn beiden war es bekannt, daß damals die Verhaftungen oft mitten in der Nacht vorgenommen wurden.

Man that einen heftigen Schlag gegen das Hofthor.

»Freilich gilt es unserem Hause,« flüsterte Frau Bertholin, »aber zu wem wollen sie? o mein Gott!«

Und schon umschloß die arme Mutter ihren Sohn mit den Armen, als ob sie verhindern wollte, daß man ihr ihn entreiße, während der junge Republikaner, der die Mutter zu trösten suchte, seine ruhige Miene wieder angenommen hatte, als er ihr erwiderte: »Haben Sie doch keine Furcht. Wir täuschen uns vielleicht auch; man hat ohne Zweifel nicht aus diesem Grunde an die Thüre geklopft!«

Das Hofthor war bereits aufgethan, denn diesmal hatte der Portier nicht auf sich warten lassen. Man konnte meinen, er sei vorher unterrichtet gewesen und habe darauf gelauert.

Maximus und seine Mutter waren an das auf den Hof hinausgehende Fenster getreten, sie hörten den Tritt mehrerer Männer, dann wurde der Namen Derbrouck laut ausgesprochen und Goulard antwortete mit scheinheiligem Ton: »Hier, Bürger ... im ersten Stocke ... rechts, die hintere Treppe.«

Die Männer schritten über den Hof und gingen hinauf; sie waren von Gendarmen begleitet; es blieb kein Zweifel über den Grund ihrer Erscheinung mehr übrig.

»Sie verhaften den holländischen Bankier!« rief Frau Bertholin, ihr Angesicht bedeckend, aus. »O! Ungeheuer von Goulard! er hat seine Drohungen in Erfüllung gebracht; seinen Wohlthäter angegeben! Und Derbroucks Frau, seine arme Frau, die ihr Kind säugt! großer Gott, welches Erwachen! ... welche Verzweiflung für sie! Eine so glückliche Ehe ... so einiglebende Gatten!«

»Nein, nein, das ist nicht möglich!« rief Maximus aus. Damit stürzte er zur Thüre hinaus, eilte über den Hof und stieg auch die Treppe hinauf, während seine Mutter ihm nachrief, zurückzubleiben und sich nicht unnöthig zu compromittiren.

Allein der junge Mann stand schon im ersten Stocke vor der Thüre zu des Bankiers Wohnung. Der Eingang war von drei Gendarmen bewacht, indessen ließ man Maximus hinein, der durch ein Vorzimmer in einen kleinen Salon gerade eintrat, als sich der mitten in der Nacht aus dem Schlafe gestörte und erschreckte Verhaftete, nachdem er in der Eile einige Kleidungsstücke angezogen hatte, den Gerichtsbeamten vorstellte.

Derbroucks Antlitz drückte nur Ueberraschung aus, es war immer noch gleich vertrauensvoll und edel, und beinahe lächelnd sprach er zu den im Salon Anwesenden: »Was gibt es, Bürger, welcher Grund führt euch mitten in der Nacht zu mir her?«

»Wir haben den Befehl, Dich zu verhaften!« antwortete mit rauher Stimme ein Mann mit einer dreifarbigen Schärpe, welcher der Anführer der Uebrigen zu sein schien.

»Mich ... verhaften! Und weßwegen ... was habe ich gethan?«

»O! das kann man Dir hier nicht auseinandersetzen ... gib Deine Erklärung beim Revolutions-Tribunal ab ... wenn Du gerichtet wirst.«

»Aber, Bürger, das kann nur ein Irrthum sein ... Ich habe mir nichts vorzuwerfen ...«

»O! nein!« rief Maximus, während er hastig Derbroucks Hand ergriff und innig in den seinigen drückte; »nein, der Bürger Derbrouck hat nichts gethan, um verhaftet zu werden ... Sein Betragen ist so rein wie seine Grundsätze! ich stehe dafür! und man kennt mich wohl und weiß, daß ich keinem Verräther die Hand drücken würde. Darunter muß irgend eine Bosheit, eine geheime Angeberei stecken.«

»Das Alles geht uns nichts an!« entgegnete der Abgesandte des Ausschusses, »wir haben den Auftrag, den Bürger Derbrouck, einen holländischen Bankier, der sich erst seit wenigen Monaten in Frankreich befindet, zu verhaften ... Bist Du das?« – Ja, Bürger.«

»Dann mußt Du uns folgen ... nachdem zuvor in Deiner Gegenwart bei Dir versiegelt worden ist.« – Thut es, Bürger; aber meine Frau schläft, wenn man nur wenigstens ihre Ruhe nicht störte!«

In diesem Augenblicke drang aus einem anstoßenden Gemache ein Schrei, der verkündete, daß die Frau des Bankiers nicht mehr schlief und wußte, warum man ihre Ruhe gestört hatte; sie rannte blaß, trostlos, bebend und kaum mit einem Kleide und einem Tuche bedeckt, die sie in der Eile um sich geworfen hatte, herbei; sie stürzte sich in die Arme ihres Gatten und rief aus: »Ist es wahr ... sie kommen, Dich zu verhaften ... O! dann, mein Freund ... verlasse ich Dich nicht. Ich will mit Dir fortgeführt werden ... ich will Dein Schicksal theilen.«

»Beruhige Dich, meine liebe Freundin,« sprach der Holländer, seine Gattin zärtlich ans Herz drückend. »Man verhaftet mich, weil mich irgend ein böser, niederträchtiger Mensch angegeben haben wird! Du weißt aber wohl, daß ich mir nichts vorzuwerfen habe, daß mein Gewissen rein ist. Ich darf also nichts fürchten. Meine Richter werden, daran zweifle ich nicht, bald einsehen, daß man sie hintergangen hat und ich unschuldig bin, und mich Dir in kurzer Zeit wieder zurückgeben.«

Madame Derbrouck weinte bitterlich; die ruhige Miene ihres Gatten tröstete sie nicht. Maximus bemühte sich ebenfalls, die Hoffnung in ihrem Innern wieder zu beleben und sagte zu ihr: »Es kann nur ein Irrthum oder die Folge einer Privatrache sein, Bürgerin; übrigens will ich vor das Tribunal gehen, und wenn, wie ich hoffen darf, mein Zeugniß von einigem Gewicht ist, so wird der Bürger Derbrouck schnell wieder seine Freiheit erlangt haben!«

Diese Worte waren nicht im Stande, die aus den Augen der armen Frau fließenden Thränen zu stillen, und sie flüsterte immer fort: »Ihn verhaften ... o mein Gott! das habe ich gefürchtet!«

Indessen hatten die Gerichtsbeamten auf Alles ihr Siegel gelegt, und der Anführer sprach, während er zugleich schrieb: »Wir ernennen als Siegelwächter den Bürger Leonidas Goulard, Portier des genannten Hauses und Mitglied der Sektion Bonne-Nouvelle.«

Beim Namen Goulard schauderte die junge Frau zusammen, und des Holländers Stirn bedeckte sich mit einer düstern Wolke. Dann neigte er sich gegen seine Gattin hin und flüsterte ihr ins Ohr: »Geh' nach Passy zurück, bleibe nicht hier ... Du hättest zu viel auszustehen.«

»Sind wir bereit?« fragte der Abgesandte, indem er dem Bankier ein Zeichen gab, den Gendarmen zu folgen.

»Ja Bürger,« erwiderte Derbrouck, »ich folge euch. Aber gestattet mir, ehe ich gehe, mein Kind zu küssen.«

Madame Derbrouck hatte ihren Gatten diese Worte nicht vollenden lassen. Sie war schon in das Nebenzimmer geeilt, aus dem sie unverzüglich mit dem kleinen Mädchen auf dem Arme, das sie noch säugte, und welches in diesem Augenblicke fest schlief, wieder zurückkam.

Der Holländer betrachtete einige Augenblicke sein Kind und sprach so leise, daß er nur von Maximus verstanden werden konnte: »Armes Kind! das erst einige Monate alt ist und seinen Vater noch nicht einmal kennen kann ... Vielleicht liegt es in seiner Bestimmung, ihn niemals kennen zu lernen! Aber ich hinterlasse ihm einen fleckenlosen Namen, einen Namen, auf den man, eine innere Ahnung sagt es mir, einst stolz sein wird!«

Trotz seiner Festigkeit fühlte Derbrouck sein Auge feucht werden; aber alsbald diese Schwäche überwindend, drückte er einen Kuß auf die Stirne seiner kleinen Pauline, schloß zärtlich seine Gattin an die Brust, entriß sich dann ihrer Umarmung und verließ das Gemach mit dem Ausrufe: »Gehen wir, Bürger!«

Des Holländers Frau wäre ohnmächtig niedergesunken, wenn Maximus sie nicht in seinen Armen aufgefaßt hätte. Derbrouck schritt bereits von Gendarmen umringt durch den Hof. Da stellte sich Goulard neben das Hofthor und lächelte auf eine höllische Weise, als er den Verhafteten vorbeigehen sah.


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