Paul de Kock
Der Mann mit drei Hosen
Paul de Kock

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Neunzehntes Kapitel.

Ein Zusammentreffen auf dem Balle

Während der ganzen Zeit, in welcher Prosper genöthigt war, das Bett zu hüten, pflegte ihn Pauline mit der zärtlichsten Sorgfalt; eine Schwester, eine Tochter hätte keine rührendere Anhänglichkeit an den Tag legen können, und der Verwundete sagte zuweilen: »Wahrhaftig, theure Pauline. Sie bringen es noch dahin, daß es mir beinahe leid ist, zu genesen ... Sie verwöhnen mich; wenn Sie nicht mehr um mich sind, werde ich zu viel entbehren.« – Ei! und warum sollte ich nicht mehr um Sie sein?« flüsterte das junge Mädchen. – »Wenn Sie verheirathet sind, wird Ihr Gatte den größten Theil Ihrer Zuneigung in Anspruch nehmen ... und zwar mit allem Recht.«

Auf solche Worte erwiderte Pauline nichts, entfernte sich aber dann gewöhnlich von ihrem Beschützer und kehrte nicht sobald wieder zurück.

Der General hatte Prosper öfters besucht, und sobald er genesen war, nahm er ihn mit sich nach Haus, um mit ihm und seiner Frau zu speisen. Er gab ihm Beweise seines vollkommensten Zutrauens; allein Prosper machte keinen Mißbrauch davon, und obwohl er durchaus nicht beabsichtigte, mehr als ein Freund für Jeannetten zu sein, so vermied er doch, dieselbe anders als in Gegenwart ihres Mannes, zu besuchen. Dieses rücksichtsvolle Betragen gewann ihm die wärmste Freundschaft des Generals, welcher trotz seines Zutrauens doch gerne sah, daß man es nicht auf die Probe stellte. Pauline trat in ihr neunzehntes Jahr; der General, der sie bei Prosper gesehen hatte, forderte diesen auf, sie mit in seine Gesellschaften zu bringen, und Jeannette vereinte ihre Bitten mit denen ihres Mannes. Prosper hätte es auch gewünscht, daß die Waise unter die Leute gegangen wäre, und er ersuchte sie oft, ihn in die Soiréen des Generals zu begleiten, aber das junge Mädchen weigerte sich beharrlich.

»Warum wollen Sie mich in diese großen Gesellschaften führen?« fragte Pauline. »Ich bin so glücklich in meiner gegenwärtigen Lage! ... Ich brauche keine anderen Bekanntschaften anzuknüpfen.«

Einmal übrigens drang er inständiger als gewöhnlich in sie, ihn auf einen Ball des Generals zu begleiten. Pauline aus Furcht, ihren Wohlthäter zu beleidigen, wenn sie sich stets weigere, seinen Wünschen nachzugeben, willigte ein, und versprach ihm, mit ihm auf den Ball zu gehen.

Prosper wünschte, daß die Tochter des holländischen Bankiers mit Glanz in der Welt auftrete, und kaufte deßhalb, ohne Paulinens Wissen, einen glänzenden Schmuck für sie; kurz, er sorgte, daß ihrer Toilette nichts fehlte. Als der Tag der Festlichkeit herbeigekommen, als es Zeit war, in die Gesellschaft des Generals zu gehen, fühlte sich Prosper stolz beim Anblicke der Jungfrau, welche ein elegantes Seidenkleid mit eben so viel Anmuth und Ungezwungenheit trug, als ob sie ihr ganzes Leben unter der vornehmen Welt zugebracht hätte.

Es war eine Masse Menschen in den Sälen des Generals versammelt, aber Pauline konnte unter die hübschesten der anwesenden Damen gerechnet werden. Jeannette empfing die junge Waise auf's Freundlichste; sie kannte Prospers Zuneigung für dieselbe, und das war ein Grund für sie, das junge Mädchen ebenfalls zu lieben.

»Ihre Mündel ist ausgezeichnet hübsch,« sagte der General zu Prosper. »Sie haben, glaube ich, Lust, sie an Mann zu bringen?« – Ja, General, aber ich möchte gewiß sein, daß sie glücklich wird. – »Ei, der Kuckuk! das müßte ein Hundsfott sein, der sich nicht bestreben würde, das Glück eines so hübschen kleinen Rosenbouquets zu machen. Hat sie auch Mosen und die Propheten?«

Prosper besann sich einen Augenblick. Er hatte noch etwa sechzigtausend Franken im Besitze. Entschlossen, nur wenig für sich zu behalten, um Paulinens Glück sicher zu stellen, antwortete er: »General, ich gebe ihr fünfzigtausend Franken mit ... sie hat überdies schon zwanzigtausend.«

»Nun! das ist kein Hundsd ... Wir werden einen Mann für sie finden, einen guten, braven Kerl ... so meines Schlags ... Ueberlassen Sie das nur mir ... Unterdessen handelt es sich aber darum, alle diese Dämchen heute Abend ihre Sprünge machen zu lassen ... Ah! da kommt unser Freund, der Oberst Roger ... Sie werden doch tanzen, wie ich hoffe, Oberst?«

Roger, der eben eintrat, grüßte den General und streckte Prosper die Hand hin, indem er sagte: »General, ich tanze nur noch beim Schall der Kanonen ...«

»Warum nicht gar! schon wieder ein Invalide!« rief der General aus. »Potz Donnerwetter! meine Herren, man muß doch diesen Damen Gelegenheit zum Tanzen geben ... Ich habe da eine ganze Menge auf dem Hals ... der Teufel soll mich holen, wenn ich die Hälfte davon kenne!«

»Wir wollen einmal diese Schönheiten in Augenschein nehmen,« sagte Roger, Prospers Arm ergreifend, nachdem sich der General von ihnen entfernt hatte ... »Komm, wir wollen sie die Revue passiren lassen ... Deine junge Tochter tanzt, Du brauchst hoffentlich nicht neben ihr aufgepflanzt zu bleiben.«

»Nein, sicher nicht,« erwiderte Prosper, »auch hat mir Madame Bloumann versprochen, sich Paulinens anzunehmen. Aber ich gestehe Ihnen, Oberst, daß ich, anstatt die Damen zu betrachten, mich lieber nach den Männern umschauen möchte, um zu sehen, ob keiner darunter ist, der meiner jungen Waise würdig wäre.«

»Laß doch Dein Fräulein selber wählen, sie wird besser wissen, was für sie taugt.«

Mit diesen Worten zog Roger Prosper mit sich fort. Man tanzte in mehreren Sälen. Der General hatte sein ganzes Haus zur Disposition der Gesellschaft gestellt, und trotz dem war Alles so angefüllt, daß man oft längere Zeit in einem Gemache verweilen mußte, ehe man Zugang in ein anderes finden konnte.

Der Oberst examinirte jedes Frauenzimmer, machte seine etwas soldatesken Bemerkungen über sie, und ging dann zu einer andern über. Prosper lächelte nur und schaute nicht immer nach der, von welcher Roger sprach. Mit Einemmale stand der Oberst stille und rief aus: »Ah! tausend Schwadronen! da ist einmal eine hübsche ... Sie ist nicht mehr in der ersten Jugend; aber noch sehr schön. Welch edle Haltung ... welche stolze Miene ... Dieses Frauenzimmer muß in ihrem zwanzigsten Jahre zum Entzücken gewesen sein. Laß hören, Prosper, wie alt schätzest Du sie.«

»Welche?« fragte Prosper. – »Jene Dame dort, welche nicht tanzt, sondern neben dem Kamine sitzt und die ganze Gesellschaft mit ziemlich verächtlicher Miene zu betrachten scheint.«

Prosper blickte gleichgültig auf die ihm bezeichnete Person; aber bald, nach näherer Betrachtung dieser Dame, fühlte er sein Herz gewaltig pochen; sein ganzer Körper fing plötzlich an zu zittern und er stützte sich so fest auf den Arm des Obersts, daß ihn dieser fragte: »Was hast Du denn? Willst Du umfallen?« – Nein, Oberst,« entgegnete Prosper, der vor innerer Bewegung kaum sprechen konnte; »nein, aber diese Dame ... – »Mag etwa dreißig Jahre alt sein, nicht wahr?« – O! mein Gott! wenn es möglich wäre ... – »Ich sehe nichts Unmögliches darin, sie kann sogar noch älter sein ... Uebrigens gefällt sie mir jetzt minder, weil sie gar zu spöttisch aussieht ... Ich wette, sie bekrittelt Alles hier ... Nun! was Teufels hast Du denn, daß Du so zitterst?« – Was ich habe? Ach! Oberst, jene Frau ist die, welche ich so innig geliebt habe und so schwer vergessen kann! – »Nach der Bewegung zu urtheilen, die Du an den Tag legst, fürchte ich, daß Du sie noch gar nicht vergessen hast ... So! das war Deine Passion ... Beim Donner! Du hattest keinen übeln Geschmack.« – Ach! ja ... es ist Camilla ... noch immer schön, stolz und herrlich. Die jetzt über ihr Antlitz verbreitete Blässe macht sie noch reizender. – »Aha! sie heißt Camilla.« – O! ich erkenne sie; aber mich, davon bin ich überzeugt, wird sie nicht wieder erkennen ... Oberst, ich bitte Sie, erkundigen Sie sich beim General nach ihr ... Sehen Sie, da geht er eben an Ihnen vorbei.«

Roger stellte den General und fragte ihn, auf die Dame zeigend, welche Prosper zu erkennen meinte, wer diese sei.

»Kenne ich alle die Weibsbilder, welche heute Abend da sind!« entgegnete der General. »Die Frau Baronin von Montaurey hat diese mitgebracht, ein altes Roß ... die ganz gelbe da unten ... eine wahnsinnige Tänzerin trotz ihrer Vierzig. Engagiren Sie Frau von Montaurey zum Tanze, Oberst, bringen Sie sich zum Opfer, und sie wird Ihnen, solange Sie wollen, von ihrer Freundin und noch von vielen Andern, von denen Sie nichts wissen wollen, erzählen: die Baronin ist schwatzhaft wie ein Regiment Elstern.«

Roger hatte schon lange nicht mehr getanzt, aber um Prosper einen Gefallen zu thun, opferte er sich gerne; er engagirte Frau von Montaurey; sie nahm es an, und nach einem Contretanz, bei dem er alle Touren in Verwirrung gebracht, zwei Kleider zerrissen und mehrere Füße zusammengetreten hatte, kam er mit triumphirender Miene zu Prosper zurück, der, ohne sich zu rühren, noch auf demselben Platze stand, und sagte zu ihm: »Um Dir einen Gefallen zu erweisen, habe ich Diejenige zum Tanze aufgefordert, welche jene Dame hier eingeführt hat. Ich habe mich besser aus der Sache gezogen, als ich selbst geglaubt hätte; abgesehen von ein paar Kleidern, die sich in meinen Beinen verwickelten, ist mir kein Unfall begegnet, und diese gehen mich nichts an.«

»Nun, Oberst, was haben Sie erfahren?« – Diese Dame ist die Marquise von Clairville, die Tochter des verstorbenen Grafen von Trevilliers. – »Ganz richtig; o! sie ist es freilich.« – Es ist eine Frau von altem Adel ... sie ist Wittwe. – »Wittwe! wäre es möglich!« – Warum sollte sie keine Wittwe sein können? und zwar ist sie eine Wittwe ohne Kinder, aber auch ohne Vermögen; der Marquis von Clairville, ihr Gatte, hat beinahe Alles durchgebracht, was sie hatten, der Rest reicht kaum hin, daß seine Wittwe anständig leben kann; allein sie ist deßhalb nicht minder stolz, und um sie zu bewegen, auf den Ball eines Generals des Kaiserreichs zu kommen, hat ihre Freundin tausendmal in sie dringen müssen. Das ist Alles, was ich herausbrachte ... Bist Du zufrieden. – »Ich danke Ihnen, Oberst.« – Willst Du nun aber den ganzen Abend auf demselben Fleck stehen bleiben? – »Lieber Roger, lassen Sie mich einen Augenblick allein; ich will sehen, ob sie mich erkennt.« – Ah! ich verstehe: Du willst die Bekanntschaft wieder anknüpfen. – »Seien Sie so gefällig und gehen Sie zu Paulinen hin. Sagen Sie ihr, ich sei beim Spiele und werde bald wieder zu ihr kommen.« – Schon gut, schon gut! Höre, ich habe Lust, Fräulein Derbrouck zum Tanzen zu engagiren, ich bin jetzt schon im Zuge! Es ist sonderbar, die Lust zu tanzen kommt Einem, wie der Drang ... zu niesen.«

Roger verließ Prosper; dieser schlich sich hinter Camilla's Stuhl, welche eben mit der Baronin, ihrer Freundin, sprach, und zuweilen ein etwas spöttisches Lächeln entgleiten ließ. Die Baronin entfernte sich aber wieder, um zu tanzen. Dann näherte sich Prosper der Marquise von Clairville und sagte halblaut zu ihr: »Und Sie, gnädige Frau, tanzen nicht?« Camilla drehte den Kopf gegen Prosper hin, maß ihn mit strengem Blicke und entgegnete ziemlich trocken: »Nein, mein Herr, ich bin hierher gekommen, um zu sehen, aber nicht, um Andere zu unterhalten.« – Und doch machen Sie, gnädige Frau, die Zierde dieses Balles aus, und nach fünfzehn Jahren finde ich in der Wittwe des Marquis von Clairville das Fräulein von Trevilliers eben so schön als ehemals wieder.«

Die Marquise betrachtete Prosper noch einmal, und diesmal sagte sie mit etwas liebenswürdigerer Stimme: »Sie kennen mich, mein Herr?« – Ja, gnädige Frau ... und schon lange. – »Wollen Sie dann so gefällig sein und mir sagen, wo wir uns begegnet sind? Ihre Stimme, ja, Ihre Stimme ist mir bekannt, aber Ihre Gesichtszüge ..« – O! diese haben Sie ohne Zweifel nicht im Andenken behalten. Außerdem haben allerdings die Jahre, die Reisen und vielleicht mehr als all' das, ein tiefer Gram, den ich nicht besiegen konnte, in meinen Zügen eine Veränderung hervorbringen müssen.«

Camilla hörte Prosper aufmerksam zu; bei jedem Worte, welches er sprach, schien sie ihm mehr Interesse zu widmen; endlich sah sie ihn noch einmal an und stotterte: »Ich glaube zu träumen! Ach! ich täusche mich, nicht wahr? Der, den ich nennen will, ist schon lange todt.« – Es wäre Ihnen also sehr leid, gnädige Frau, wenn Prosper Bressange noch lebte. – »Ach! Sie sind es!« – Ja, gnädige Frau, ja, Camilla ... Ach! verzeihen Sie, die Zeit, die zwischen uns liegt ... verschwand aus meinem Gedächtnisse, da ich Sie eben so schön wiederfinde. Mein Herz schlägt wie ehemals, und ich war eben im Begriffe, Ihnen zu sagen, daß ich Sie noch immer liebe.«

Die Marquisin fühlte eine lebhafte Bewegung in ihrem Innern, sie gab sich jedoch Mühe, sie zu verbergen, und entgegnete mit leiser Stimme: »Schweigen Sie, mein Herr, ich bitte Sie; auf einem Balle ist nicht der Platz, von der Vergangenheit zu sprechen ... Sie könnten mich compromittiren.« – Das würde ich unendlich bedauern, gnädige Frau; würden Sie mir übrigens nicht erlauben, Sie wieder zu sehen, würden Sie mir nicht eine kurze Unterredung gewähren?«

Camilla schien sich einen Augenblick zu bedenken, endlich erwiderte sie ganz leise: »Kommen Sie zu mir in die Grenellestraße, nächst der Bacstraße im Faubourg Saint-Germain.« – Sie gestatten mir, Sie zu besuchen!« rief Prosper freudetrunken aus, »ach! tausend und aber tausend Dank!«

Doch die Marquise, welche befürchtete, man möchte Prospers Freude gewahren, zwang sich zum Lachen und sagte ganz laut: »Was, ich die Gavotte tanzen? o! warum nicht gar, Sie sind nicht klug, mein Herr, es kann Ihr Ernst nicht sein.«

Die Quadrille hatte geendet; Frau von Montaurey kehrte zu ihrer Freundin zurück und Prosper entfernte sich; aber das Entzücken strahlte aus seinen Blicken, und in diesem Momente gab es keinen glücklichern Menschen als ihn.

In dieser Stimmung wollte er zu Paulinen zurückkehren, allein der General, der an ihm vorbei ging, hielt ihn an und fragte: »Nun, mein Tapferer, wie finden Sie unsern Ball?« – Herrlich, General, köstlich! ... ich habe mich noch nie so gut unterhalten. – »Ah! weil Sie die Weiberröcke lieben, und sich von allen Sorten hier befinden. Wissen Sie auch, daß Ihre Waise Eroberungen macht? Man reißt sich um sie beim Tanze.« – Wirklich, General. – »Ich glaube, wir haben schon für sie was wir brauchen. Sehen Sie jenen jungen Mann dort? einen hübschen, blonden Jungen, der die Hand an seinen Jabot legt?« – Ich sehe ihn. – »Er ist der einzige Sohn eines Lieferanten, und sie haben Geld wie Heu, diese Lieferanten! es ist der junge Alfred Ramincourt. Nun! er hat schon dreimal mit Ihrer Mündel getanzt, dann ist er zu mir hergekommen, hat mich in eine Ecke gezogen und gesagt: Donner und Wetter! General, das ist ein teufelmäßig hübsches Mädchen! Das heißt, er hat es mir vielleicht nicht gerade in diesen Ausdrücken gesagt, ich suche nur seinen Gedanken wieder zu geben. Hernach hat er mich gefragt, wer sie sei. Als er erfuhr, daß sie eine Waise sei, und daß ihre Verheirathung nur von Ihnen abhänge, hat er mir die Hand wie ein Rasender gedrückt und ausgerufen: General, ich bitte Sie, stellen Sie mich dem Herrn Bressange vor. Alsdann habe ich ihm geantwortet: Wir wollen schon sehen. Und ohne meine Absicht merken zu lassen, habe ich ihm gesagt, was die Kleine Mitgift bekommt; hm! bringe ich die Sache nicht im Dublirschritt vorwärts?« – Meinen Dank, General, diese Partie scheint mir in der That sehr vortheilhaft, und wenn der junge Mann Paulinen gefällt ...«

Allein der General hörte schon nicht mehr auf Prosper, er eilte in ein anderes Zimmer und schrie: »He da, wo ist denn das Gefrorene? Ich kann gar keins bekommen, es sind eine Masse Marodeurs da, die es unterwegs wegkapern. Ich muß Ordnung in diese Sache bringen!«

Prosper wollte sich Paulinen nähern, welche ihn mit den Blicken unter der Menge suchte; endlich bemerkte sie ihn, lächelte ihm zu und winkte ihm, zu ihr her zu kommen. Er war schon im Begriffe, ihrem Wunsche zu folgen, als in demselben Augenblicke die Musik wieder begann. Diesmal bot Roger Paulinen die Hand zum Tanze; der Oberst hatte so viel Geschmack am Tanzen gefunden, daß er keine Quadrille mehr ausließ, welches dem General viel Stoff zum Lachen gab, der, als er ihm zusah, sagte: »Ha, beim Kuckuk! wenn mein Fußboden nicht so fest wäre, würde er bei jedem Sprunge, den der Oberst macht, unter ihm zusammenbrechen!«

Pauline überließ sich dem Vergnügen des Tanzes, und schien jene Freude zu empfinden, der sich selbst die bescheidenste Frau hingibt, wenn sie sich als den Gegenstand allgemeiner Verehrung sieht. Prosper gratulirte sich, daß er sie mit auf den Ball des Generals genommen hatte, und begab sich in ein anderes Zimmer, wo er Camilla noch einmal zu sehen hoffte. Hier war er schon einige Zeit, die Quadrille hatte eben aufgehört, als die Generalin auf ihn zutrat, ihn beim Arme nahm und zu ihm sagte: »Kommen Sie, kommen Sie schnell. Ihre Kleine fühlt sich unwohl.« – Wie! Pauline? Sie tanzte doch eben noch mit Roger. – »Ja, ja, sie hat getanzt, sie konnte aber nicht fortmachen ... vielleicht ist die Hitze daran Schuld ... Ich habe sie in mein Zimmer geführt ... sie weint ... es muß ein Nervenanfall sein ...«

Prosper folgte Jeannetten eiligst. Er trat in das entlegene Zimmer, wohin man Paulinen geführt hatte, damit sie vom Geräusche der Menge entfernt sei. Roger war bei ihr; der arme Oberst hielt ein Riechfläschchen und Zuckerwasser in der Hand, war trostlos über den Vorfall und wiederholte in einem fort: »Welches Unglück! ... Wir tanzten so gut mit einander! Das Fräulein ist so leicht wie eine Feder ... sie schien durchaus nicht unwohl ... wir sprachen zusammen ... ich erzählte ihr eine Menge Geschichten ... und auf einmal sehe ich sie erblassen ... und ich glaube, wenn ich sie nicht gehalten hätte, wäre sie umgesunken.«

Prosper sah Paulinen an; sie war in der That entsetzlich bleich; ihre Blicke hatten einen traurigen, sogar düstern Ausdruck, und sie wendete hastig ihr Gesicht ab, als sie ihren Beschützer eintreten sah.

»Was haben Sie, meine theure Pauline?« fragte Prosper, indem er die Hand der Jungfrau ergreifen wollte; aber diese zog sie sogleich wieder zurück und entgegnete: »Ich fühle mich sehr leidend ... und wünschte nach Hause zu gehen ... indessen möchte ich Sie des Vergnügens an diesem Balle nicht berauben ... bleiben Sie hier ... die Frau Generalin wird mir Jemand von ihren Leuten zur Begleitung mitgeben.« – Können Sie dem Gedanken Raum geben, theure Pauline! daß ich hier bleiben werde, wenn Sie leidend sind! ... nein, nein ... wir gehen fort ... Es sind ohne Zweifel Wägen unten! – »Ja, ja,« erwiderte Jeannette, »aber wenn Sie noch ein wenig gewartet hätten, meine liebe Freundin, so wäre es Ihnen vielleicht wieder besser geworden ...« – O! ... nein, Madame ... ich gehe lieber nach Hause ...«

Die gute Jeannette wickelte das junge Mädchen sorgfältig in einen ungeheuern Shawl ein, dann führte sie Prosper weg und stieg mit ihr in einen Fiaker. Unterwegs richtete er mehrere Fragen an Paulinen, um zu wissen, wie es ihr gehe; allein sie antwortete ihm nur einsilbig, und als sie zu Hause angekommen waren, zog sie sich eiligst in ihr Zimmer zurück.


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