Paul de Kock
Der Mann mit drei Hosen
Paul de Kock

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Zehntes Kapitel.

Die zwei Nächte

»Und nun,« dachte Prosper, »da ich über das Schicksal des mir anvertrauten Kindes beruhigt bin, ist es mir erlaubt, auch an mich, das heißt, an meine Liebe zu Camilla zu denken. Seit meiner sechswöchentlichen Abwesenheit von Melun kann ihr ein Unglück zugestoßen sein; ich habe Durouleau den Auftrag gegeben, über sie zu wachen, aber es fragt sich, ob der Exbrauer, der mir im Grunde kein böser Mann zu sein scheint, immer Meister über den Eifer der ihn umgebenden Patrioten blieb! ... Wer weiß, ob seine Freundschaft für mich nicht kühler geworden ist! gleichviel, ich will wieder zu ihm gehen. Ich kann ihm sein Pferd zwar nicht wieder zurückbringen, weil es todt ist, aber ich sage, es sei im Dienste der Republik krepirt.«

Prosper hatte kein Geld mehr in der Tasche, aber er war kräftig, muthig und erst achtzehn Jahre alt: ein Alter, wo man keine Hindernisse kennt. Er machte sich um drei Uhr Mittags auf den Weg und langte Abends zehn Uhr in Melun an. Er hatte zu Fuß elf Stunden in sieben zurückgelegt und fühlte sich nicht müde, weil er verliebt war und auf dem ganzen Wege an Camilla dachte.

Denen, welche an der Schnelligkeit dieses Marsches zweifeln, möchte ich zurufen: Ihr seid nie verliebt oder eifersüchtig gewesen! Ihr habt nie eine Geliebte überraschen oder belauern, nie unverhofft bei ihr eintreffen wollen? Denn sonst würdet ihr wissen, daß man in solchen Fällen nicht geht, sondern fliegt.

Prosper klopfte an Durouleau's Hausthüre; Jeannette, das junge Dienstmädchen, machte ihm auf und stieß einen Freudenschrei aus, als sie ihn erkannte; denn Jeannette fühlte viel Freundschaft für den Schützling ihres Herrn und sie war ein großes, hübsches Mädchen, deren schwarze und sanfte Augen Alles ausdrückten, was in ihrem Herzen vorging.

»Ach! unser Herr wird froh sein, Dich wieder zu sehen, Bürger Prosper, er sehnt sich recht nach Dir ... Alle Tage sagt er: ist mein junger Freund Rothhose wohl an den Missi ... Missi ... ach! mein Gott, ich weiß nicht mehr recht ... ach ja! pipi, an den Missipipi geflohen?«

»Nein, Jeannette, hier bin ich,« entgegnete Prosper, das junge Mädchen anlächelnd, welches immer so erfreut war, ihn zu sehen; »aber Dein Herr ist vielleicht schon schlafen gegangen?«

»Nein, Bürger, mein Herr hat, seit Du fort bist, einen heftigen Gichtanfall gehabt; erst seit acht Tagen geht es wieder besser, und heute Abend hat er, als er wieder nach Hause kam, ein Nachtessen verlangt. Er hat sich eben in seinem Zimmer an den Tisch gesetzt; Du kommst gerade recht, um ihm Gesellschaft zu leisten.«

»Meiner Treu! das wird mich nicht schwer ankommen, denn ich sterbe vor Hunger.«

Prosper wartete nicht lange, bis ihm Jeannette leuchtete, er eilte die Treppe, immer zwei Stufen überspringend, hinauf und fand Durouleau vor einem gut versehenen Tische, wie er eben ein Rebhuhn mit Trüffeln tranchirte.

»Guten Appetit!« rief Prosper, seinem Freunde die Hand hinstreckend.

»Ach! Du bist es, mein braver Rothhose!« rief der dicke Durouleau aus, indem er entzückt die Hand seines Freundes drückte. »Ich bin glücklich, Dich wiederzusehen; seit Deiner Entfernung ging's nicht mehr gut: gar kein Appetit; das verfluchte Podagra packte mich am Beine; der Arzt hat mich auf Wasser gesetzt! schöne Lebensweise! Doch jetzt geht's etwas besser, und nun bist Du da; nun wollen wir unsere heitern Mahlzeiten wieder beginnen ... Schnell, schnell setze Dich her ...«

Prosper verlangte nicht mehr als Ruhe und Stärkung. Jeannette brachte ein Gedeck, Durouleau ließ Volney und Champagner auftragen.

»Ich glaubte, es sei Dir befohlen, nur Wasser zu trinken,« sagte Prosper, als er den Gichtleidenden sich Champagner bis zum Rande des Glases einschenken sah.

»Befohlen ja, aber ich gehorche nicht ... sobald es besser geht, spotte ich über alle Rezepte ... Der Arzt hat mir auch gesagt, ich soll nichts als Kartoffeln essen, deßhalb stopfe ich mich mit Trüffeln voll ... Ach! meiner Treu, mein Junge, wenn man sechzig Jahre alt ist, meine ich, soll man sich nichts mehr versagen; man hat nicht mehr zu viel Zeit, um sich gütlich zu thun ... Nun, nun! Deine Gesundheit Prosper. Ach! wenn Du wüßtest, wie froh ich bin. Dich wiederzusehen, wie ungeduldig ich Dich erwartete ...«

»Danke! danke! alter Römer,« entgegnete Prosper, noch einmal seines Freundes Hand drückend. »Auch ich habe mich nach Dir gesehnt, denn ich habe vielerlei Fragen an Dich zu stellen.«

»Vor allen Dingen wollen wir essen und trinken.« – O! nein, gib mir sogleich Antwort! Camilla ... die Tochter des Grafen von Trevilliers? – »Sei ruhig. Du wirst sie sehen! sie ist unverletzt!« –Es ist ihr Nichts geschehen! Gottlob! ich athme wieder auf.–»Nichts geschehen! das ist eine andere Frage,« sagte Durouleau, eine Pastete anschneidend.– »Wie? ist ihr etwas geschehen? war sie Gefahren ausgesetzt? Du hattest Dich mit Deinem Kopfe für dieses junge Mädchen bei mir verbürgt.«– Ei, Sapperment! ich weiß es wohl. Ich habe Dir gelobt. Du sollest bei Deiner Rückkehr noch Herr ihres Schicksals sein, und ich habe meinen Eid gehalten. Aber laß uns zu Nacht essen; wir haben noch lange Zeit, über Geschäfte zu sprechen ... Deine Gesundheit!«

Prosper that Durouleau zu gefallen seiner Neugierde Gewalt an; überdies empfand er selbst einen Appetit, der sich nicht gut mit einer langen Besprechung vertragen hätte. Aber nachdem er drei Viertel von der Pastete hatte verschwinden lassen und Schlag auf Schlag mehrere Flaschen geleert hatte, sah er seinen Wirth an und sprach: »Hoffentlich wirst Du jetzt sprechen?«

»Ja, ja! wir haben es uns ordentlich schmecken lassen ... Ja, ich erkenne Dich wieder. Du bist immer der Mann auf dem Platze. Du wirst Dich übrigens wundern, mich so allein bei Tische gefunden zu haben, da doch sonst immer die Freunde, die Getreuen daran Theil nahmen.«

»Wahrhaftig ... haben sie Dich verlassen? ... Das klingt eben nicht wahrscheinlich, man speist zu gut bei Dir.«

»Benedikt, der Gewürzkrämer, ist einer Erbschaft wegen verreist; Ducroquet hat sich mit einem seiner intimsten Freunde geprügelt, der ihm das Schlüsselbein einschlug, und mußte längere Zeit das Bett hüten. Cornelius Ducornard ist nach Paris gegangen, um Robespierre das Werk anzutragen, welches er über die Notwendigkeit, in Frankreich nur lateinisch zu sprechen, damit man den Römern ähnlicher werde, geschrieben hat. Ich gestehe Dir, daß es mich bedeutend geniren würde, wenn man seine Motion annähme, obgleich Cornelius mich versichert hat, er werde mir so viel Küchenlatein, als man ins Haus braucht, schon eintrichtern.« – Weiter? – »Was Trappeur anbetrifft, so ist das ein Duckmäuser, dem ich die Thüre gewiesen habe; doch das hängt mit der Tochter des Emigranten zusammen.« – Ach! sprich, sprich, ich bitte Dich. – »Deine Gesundheit! ... Ich fange schon an. Nun, so wisse denn, daß Trappeur, einige Zeit nach Deiner Entfernung, von Dir zu sprechen anfing; sich beleidigende Aeußerungen über Dich erlaubte.«

»Was sagte er? Erkläre Dich, ich verlange es.«

»Zuerst behauptete er, Du habest uns daran gekriegt; Du seiest kein Abgesandter von Paris; kurz, Du seiest ein falscher Sansculotte. Ich und die Andern haben Deine Partei genommen, ich besonders ... Ich erinnerte sie an jenen Abend, wo Du den Freiheitsbaum wieder aufgepflanzt hast, und stand für Deine Grundsätze und Deinen Bürgersinn ein; als Trappeur nun merkte, daß ich nicht seiner Ansicht war, fing er an, von der Tochter des Grafen von Trevilliers zu sprechen, von der Du sagtest, Du seiest beauftragt, sie zu beaufsichtigen; hierauf schlug er vor, da Du sie nicht mehr beaufsichtigtest, müsse man sie aus Gründen der Vorsicht einsperren. Diese Maßregel wollte ich bekämpfen, da schimpfte er mich einen Gemäßigten, einen Weichling, einen Freund der Adeligen! Darauf warf ich ihm eine Flasche an den Kopf, die unglücklicherweise nur seinen Hut traf. Du kannst Dir vorstellen, daß er sich seitdem nicht mehr bei mir sehen ließ; aber um sich zu rächen und Dir einen Streich zu spielen, hat er die Tochter des Emigranten angegeben. Zum Glück habe ich überall Freunde ... Citron, der Perrückenmacher, hat mich in Zeiten hievon unterrichtet; da bin ich selbst zu der kleinen Aristokratin gegangen und habe ihr gesagt, ich käme von Dir aus, man wolle sie verhaften, sie müsse sich retten und sich sogleich verbergen. Die Kleine folgte mir ohne Zögern und ich habe sie an einem Orte versteckt, wo, ich stehe Dir dafür, sie Niemand suchen wird.«

Prosper stand vom Tische auf, um sich Durouleau an den Hals zu stürzen, indem er ausrief: »Du bist ein braver Mann, Du hast Camilla gerettet! ... Du begreifst gar nicht, welchen Dienst Du mir geleistet hast! Ich verdanke Dir das Leben.«

»Ja ... ich habe Deine Camilla gerettet ... ich hatte Dir versprochen, Du könnest bei Deiner Rückkehr noch über sie verfügen; ich habe mein Wort gehalten. Ob ich dadurch, daß ich die Verhaftung dieser jungen Aristokratin verhinderte, mich wohl um die Republik verdient gemacht habe, weiß ich nicht recht ... denn, höre, unter uns gesagt ... wenn Du verlangst, daß ich frei von der Brust sprechen soll, so muß ich Dir gestehen, daß ich zu glauben anfange, Du habest in der That, als Du das junge Mädchen unaufhörlich beobachtetest, dies im eigenen Interesse und nicht im Dienste der Regierung gethan ... kurz, ich bin der Meinung, Du seiest in Camilla verliebt ... Hm! ist es so?« – Ja ... ja, ich liebe sie, ich bete sie an! Ich will Dir's nicht mehr verbergen ... Aber könntest Du wirklich glauben, Durouleau, die Verhaftung dieses jungen Mädchens sei zur Sicherheit Deines Vaterlandes nöthig? ... Nein, nein, gib kein solchen Dummheiten Gehör ... Denkt man in Camilla's Alter an Verschwörungen? ... Glaub' mir, durch die Rettung derselben hast Du ein gutes Werk vollbracht, welches Du keinen Grund zu bereuen haben wirst.«

»O! ich bereue nie etwas ... Abgesehen davon, wiederhole ich Dir, daß ich Dich lieb gewonnen ... Du hast die kleine Vormalige verlangt ... ich habe sie Dir aufbewahrt ... Jetzt aber laß uns trinken!« – Sage mir noch ... wo sie ist? – »Sei unbesorgt ... ich stehe Dir dafür, sie ist ganz in Sicherheit, und es geht ihr durchaus nichts ab.«

»Kann ich sie morgen sehen?« – So lange Du willst. – »Ist ihre Gouvernante bei ihr?« – Die Gouvernante! ach! warum nicht gar, nein; ich habe das junge Mädchen verborgen, das ist schon genug; aber ich verberge keine Gouvernanten ...«

»Und seit wie lange hat sich Camilla aus ihrem Hause geflüchtet?« – Seit fünf Tagen. – »Erst seit fünf Tagen ... Man hat ohne Zweifel Nachsuchungen nach ihr angestellt?«

»Ah! das will ich meinen: Trappeur war wie wüthend, als er merkte, daß ihm die Kleine entwischt war ... er ist vielleicht auch in sie verliebt ...«

»Und ihren Zufluchtsort hat man nicht entdeckt?« – O! nein. Ich sage Dir noch einmal, es ist nichts zu fürchten ... Aber nun trink und iß ... Du bist hoffentlich zufrieden? – »O! gewiß ... ich weiß nicht wie ich Dir meine Erkenntlichkeit beweisen soll ...« – Indem Du mit mir anstößest! – »O! so oft Du willst!« – Nun, so laß ich mir's gefallen.«

Man leerte noch eine weitere Flasche Champagner; Prosper war entzückt über seinen Wirth, und dieser, der auch höchst zufrieden mit ihm schien, lächelte oder schüttelte auf eine ganz besondere Weise den Kopf, so oft er nach seinem jungen Freunde hinblickte.

»Ei! und mein Pferd,« fragte Durouleau, »warst Du zufrieden mit ihm?« – Wahrscheinlich besser, als es mit mir ... Ich habe es leider nicht zurückbringen können ... denn es ist in Passy krepirt.«

»Das ist ein sehr einleuchtender Grund! mach' Dir deßhalb auch keine Sorgen, und wenn es Dich wieder gelüstet, ein wenig in der Welt herumzureiten, so kann ich Dir noch mit anderen Pferden aufwarten.« – Meinen Dank, alter Römer; wahrhaftig, Du zeigst eine Freigebigkeit gegen mich ... womit habe ich sie verdient?«

»Meiner Treu, wenn Du mich dies auf's Gewissen fragtest so wäre ich in Verlegenheit, was ich Dir antworten sollte ... aber ich war allein ... ich habe keine Verwandten, keine Kinder ... ich langweilte mich in meinem großen Hause ... und wußte nicht, obgleich es mit Möbeln überfüllt ist, was ich darin thun sollte. Seit Du bei mir eingezogen bist, habe ich mich unterhalb ten ... Du hast Leben und Bewegung in mein Haus gebracht und ich möchte Dich immer bei mir behalten ... Deine Gesundheit!«

Während die beiden Tischgenossen noch bei ihren Gläsern saßen, hörte man zwei Uhr schlagen.

»Teufel! es ist schon spät in der Nacht,« sagte Durouleau; »aber wenn man bei Tische schwatzt, vergeht die Zeit schnell. Du wirst müde sein mein Junge, Du mußt schlafen gehen.« – Gerne. Aber morgen, sobald ich auf bin, will ich Camilla besuchen ...«

»Beruhige Dich ... ich sage Dir ... morgen wirst Du zufrieden sein, ha, ha, ha!« – Warum lachst Du so, wenn Du mich ansiehst? – »Ach, es fährt mir ein Gedanke durch den Kopf ...Darf ich denn aber nicht lachen, wenn ich mit mir zufrieden bin ... Geh, lege Dich schlafen; Du weißt, wo Dein Zimmer ist? ...« – Gewiß ... – »Warte, warte ... ich will Dir den Schlüssel geben ...« – Hattest Du denn mein Zimmer abgeschlossen? ... – »Ja, Niemand als ich durfte hinein ... Hattest Du nicht ein kleines Päckchen darin liegen lassen? ...« – Ach! ja ... Meiner Treu, ich dachte nicht mehr daran! es enthält den Rest von meines Pathen Erbschaft. – »Ich weiß nicht, was es enthält, allein ich stehe Dir dafür, daß nichts angerührt worden ist ... Hier ist Dein Zimmerschlüssel! ... gute Nacht.« – Schlafe wohl, Durouleau.«

»Du auch, mein wackerer Rothhose ... ha, ha, gute Nacht. Ach! höre ... mach' kein Geräusch wenn Du zu Bette gehst ... denn Alles im Hause schläft schon, und es ist unnöthig, die Leute aufzuwecken.« – Ganz recht ... o! ich werde bald in meiner Ruhe sein, ich stehe Dir dafür. Gute Nacht.«

Durouleau lachte abermals, indem er Prosper die Hand schüttelte, und dieser nahm, von den öftern Gesundheiten etwas benebelt, ein Licht und verließ das Zimmer seines Wirthes.

Die Zimmer, welche Prosper in dem geräumigen Hause des ehemaligen Brauers bewohnte, befanden sich im zweiten Stockwerke; sie bestanden aus einem kleinen Vorzimmer und einem großen Schlafgemach mit einem tiefen Alkov, der mit ungeheuren Damast-Vorhängen verhängt war. Dieses Zimmer war mit Möbeln aller Art dergestalt angefüllt, daß man sich kaum darin umkehren konnte.

Prosper schloß die Thüre des Vorzimmers auf, ging dann vorsichtig weiter, um sich nicht an eines der vielen Möbeln zu stoßen, und während er sich seine Gedanken über die sonderbare Anempfehlung Durouleau's machte, welcher so besorgt war, man könnte seine Dienerschaft im Schlaf stören, trat er ganz leise auf.

Nachdem der junge Mann sein Licht auf das erste beste Möbel gestellt hatte, kleidete er sich eilends aus; das war bald geschehen, dann löschte er die Kerze und tappte im Finstern nach dem Alkov. Er hatte sein Bett bald gefunden und wollte gerade in dasselbe schlüpfen.

Aber in demselben Augenblicke drang ein Schrei zu seinen Ohren; es lag Jemand neben ihm ... Er breitete seine Arme aus, es war ein Frauenzimmer.

»Wie! Sie sind es, Jeannette!« flüsterte Prosper, das junge Mädchen küssend. – »Nein, nein ... es ist nicht Jeannette,« wiederholte dieselbe Stimme. »O! das ist schändlich! ... abscheulich!..«

»Camilla ... Camilla ist es! ...« rief Prosper trunken vor Freude und Liebe aus. – »Ja, es ist Camilla ... die Sie flehend bittet, sie zu schonen ...«

Allein es war schon zu spät, als daß Prosper den Bitten des jungen Mädchens hätte Gehör schenken können; wenn es Augenblicke gibt, wo die Leidenschaft stärker ist als die Vernunft, so muß dies besonders in der Lage der Fall sein, in welcher sich unser junger Verliebter befand; wenige Männer gleichen dem heiligen Robert von Abrissel. Es gibt Versuchungen, bei welchen man sehr von der Natur vernachlässigt sein müßte, wenn man ihnen nicht unterläge.

Diese Nacht schien Prosper sehr kurz, obgleich er jeden Augenblick Thränen zu stillen und Vorwürfe zu beschwichtigen hatte; vergebens schwur er Camilla, er habe nicht gewußt, daß sie in seinem Zimmer sei, Durouleau habe ihm nicht gesagt, wo er sie verborgen halte; Camilla wollte es nicht glauben.

Sobald der Tag graute, stand das junge Mädchen auf, und sich gegen Prosper wendend, sagte sie zu ihm in einem Tone voll Stolzes: »Sie haben mich betrogen. Sie, der Sie sich meinen Beschützer nannten, und auf den ich mein Vertrauen setzte! ... Ich habe mich in dieses Haus geflüchtet, weil man in Ihrem Namen erschien ... weil ich mir in meinem Innern sagte: Er ist da ... er wird über mich wachen ... Und Sie legten mir eine Schlinge ... und verstanden sich mit diesem Durouleau ... um mich zu Grunde zu richten ... um Ihrer Leidenschaft zu fröhnen ... Ha! das ist nichtswürdig, und Sie verdienen die Achtung nicht, die ich für Sie hegte.«

»Ich wußte nicht, daß Sie in diesem Hause waren!« rief Prosper, sich zu Camilla's Füßen werfend, aus. »Gezwungen, mich auf einige Zeit zu entfernen, hatte ich Durouleau beauftragt, über Sie zu wachen. An dem Interesse, welches ich an Ihnen nahm, errieth dieser Mann, daß ich Sie liebe; er dachte vielleicht auch, daß Sie mich lieben ... Ach! ich sehe wohl ein, daß er sich sehr getäuscht hat ... Er hatte den Einfall, Sie in meinem Zimmer zu verbergen; aber ich schwöre Ihnen abermals, er hatte mir nichts davon gesagt. Ich bin diesen Abend ganz spät von Paris zurückgekommen und sogleich zu Dem geeilt, dem ich Sie anvertraut hatte. »›Ich habe sie gerettet,‹« sprach er, »›denn man wollte sie verhaften; sei beruhigt, sie ist in Sicherheit und morgen wirst Du sie sehen!‹« Mehr brachte ich nicht aus ihm heraus ... das Uebrige wissen Sie. Ach! Camilla, wenn ich strafbar bin, glauben Sie denn, daß es möglich war, zu widerstehen? ... Ich bete Sie an ... und Sie lagen in meinen Armen ... Wenn aber diese Nacht, deren Erinnerung ewig in mir fortleben wird ... Schuld an Ihrem Hasse gegen mich ist, so muß ich ja mein Glück verfluchen! O! verzeihen Sie mir, seien Sie barmherzig und verzeihen Sie mir ...«

»Und meine Schmach, mein Herr, meine Schmach, die nun öffentlich bekannt ist ... Wer wird sie jetzt mehr von mir nehmen?« »O! Fräulein ... Durouleau allein kennt unser Geheimniß ... und er wird schweigen ... Ja, ich stehe Ihnen dafür, denn ich werde ihm sagen, mein Leben hänge von seinem Schweigen ab ... Dieser zwar rohe, ungebildete Mann ist nicht aller guten Gefühle baar, er hegt eine aufrichtige Freundschaft für mich. O! er wird nichts sagen. Wenn Sie mich geliebt hätten ... wenn Sie eingewilligt hätten, meine ... Doch, was sage ich ... was wage ich zu hoffen? ... Die Revolution, die alle Abstände ausgleichen will, wird es, ich sehe das wohl ein, doch nie dahin bringen, daß Sie den Unterschied der Geburt, der zufällig zwischen uns besteht, vergessen!«

»Wenn ich an Ihre Reue glauben und wirklich davon überzeugt werden soll, daß Ihnen die niederträchtige Absicht, die mein Verderben herbeigeführt hat, unbekannt war ... so bleibt nur ein Mittel übrig ...« – Sprechen Sie, Camilla ... sprechen Sie, Fräulein ... O! ich will Alles thun, um Ihrer Verachtung zu entgehen.«

»Nun! so müssen Sie mir noch heute Gelegenheit zur Abreise nach Boulogne verschaffen ... dort habe ich einige Bekannte, und man wird Mittel finden, mich nach England überzuschiffen, wo ich mich zu meinem Vater begeben werde. Aber bedenken Sie wohl, mein Herr, ich will keinen Tag länger in diesem Hause bleiben ... Ich will diesen unwürdigen Menschen nicht mehr sehen, der Schuld an meiner Entehrung ist ... Ach! ich stürbe vor Schande bei seinem Anblicke ... Wenn Sie meinen Bitten nicht nachgeben ... so gehe ich fort und überliefere mich den Commissären der Republik ... Und wenn Sie mich mit Gewalt hier zurückhalten wollen ... nun, so mache ich dieses Fenster auf und mein Schreien soll kund geben, daß man hier Jemand gegen seinen Willen gefangen hält.«

Prosper erblaßte vor Bestürzung, als er Camilla's Entschluß vernahm; allein er war bald entschieden und, seinen Schmerz überwindend, entgegnete er: »Sie sollen reisen, Fräulein; ferne sei der Gedanke von mir, Sie gewaltsam hier zurückzuhalten ... aber Sie werden mir erlauben, Sie zu begleiten, Sie erst dann zu verlassen, nachdem ich die Gewißheit erlangt, daß Sie außer aller Gefahr sind.«

»Nein, mein Herr ... wenn ich mit Ihnen reiste, so hätte es das Ansehen, als billigte ich, was hier geschehen. Ich will allein und heute noch abreisen; das ist mein unabänderlicher Entschluß.«

Trotz der Verzweiflung, die Camilla's Entschluß in Prosper hervorbrachte, versuchte er nicht einmal mehr ihn zu bekämpfen, und er verließ Fräulein von Trevilliers mit der Versicherung, daß er sich mit der Vollziehung ihrer Wünsche beschäftigen werde.

Prosper begab sich zu Durouleau; der Exbierbrauer lag noch in tiefem Schlafe; das üppige Nachtessen des gestrigen Tages hatte eine wunderbare Wirkung hervorgebracht, es hatte auch die Gicht eingeschläfert, und doch ist es ein Mittel, welches man nicht gegen dieselbe zu verordnen wagen würde.

Ohne auf das Schnarchen des dicken Mannes zu achten, rüttelte ihn Prosper tüchtig am Arme, und Durouleau, der endlich die Augen aufschlug und um sich herblickte, brummte: »Wer ist da? was gibt's ... Ich schlief so gut ... warum weckt man mich auf? ... Ich arbeite nichts mehr! Ich habe nichts mehr zu thun. Ich habe mir Vermögen gesammelt, um nach meiner Bequemlichkeit schlafen zu können ...« – Ich wecke Dich! ...« rief Prosper aus. »Schnell, Durouleau ... auf! auf! es hat Eile ...«

Der dicke Mann rieb sich die Augen, setzte sich aufrecht hin und brummte: »Schau ... Du bist es? ... Wie! schon auf? ... das wundert mich! Warst Du nicht zufrieden mit der Ueberraschung, die ich Dir bereitet hatte? ... ha! ha! ha!«

»Ach! schweig! schweig! ... Nie mehr ein Wort über das, was in dieser Nacht vorgefallen! Durouleau, ich sollte Dich hassen, denn es ist abscheulich, was Du gethan hast ... Ein junges, tugendhaftes Mädchen ... welches sich vertrauensvoll in Dein Haus flüchtete ... die Tochter eines Grafen ... lieferst Du in meine Hände ...«

»Ei! laß mich doch in Frieden ... die Tochter eines Grafen! gibt es in unserer Zeit noch Grafen? Du liebtest diese Kleine; nun, ich habe euch zusammengegeben ... das ist eine republikanische Hochzeit ... die nach meiner Ansicht die von Carrier auf den Schiffen der Loire wohl aufwiegt.«

»Aber Du weißt nicht, daß mich Camilla jetzt haßt und verabscheut!« – Ah! bah! Du bist jung, Du kennst die Weiber noch nicht! noch drei bis vier Nächte bei ihr zugebracht, und sie wird Dich anbeten.«

»Diese Nacht wird die einzige sein ... mein Glück war nur von kurzer Dauer! ... denn Camilla will noch heute abreisen, und ich muß ihren Wünschen Genüge leisten.« – Abreisen! Vergissest Du, daß ein Verhaftsbefehl gegen sie erlassen ist? Wenn sie sich zeigt, wird sie eingesteckt.«

»Ich weiß nur, daß man ihr Gelegenheit zur Flucht verschaffen muß. Höre mich; Du ziehst Dich an, begibst Dich sogleich mit Jeannette auf's Paß-Bureau und verlangst einen Paß für Deinen Dienstboten ... Du sagst, sie habe in Boulogne eine schwer erkrankte Tante ... Du bist bekannt, geachtet, man wird Dir den Paß ohne Schwierigkeiten ausstellen.«

»Daran zweifle ich auch nicht ... aber alsdann?« – Begreifst Du denn noch nicht, daß dann Camilla in Jeannettens Kleidern abreisen wird? – »Camilla ... aber das Signalement?«

»Sie sind von einem Alter, haben ungefähr dieselbe Gestalt und sind beide braun. Das Uebrige überlassen wir der Vorsehung ...« – Wenn die aber nichts davon will, und der Teufel sich in diese Sache mischt, könnte ich in eine schöne Bredouille gerathen.«

»Wenn Du Dich weigerst, so geht Camilla aus dem Hause fort, liefert sich aus und sagt, Du habest sie verborgen gehalten, dann sitzest Du erst recht in der Tinte.« – Ach, ach! aber hat denn das Mädchen den Teufel im Leibe?«

»Sie besitzt einen stolzen, entschiedenen Charakter, und hat sie einmal einen Entschluß gefaßt, so sehe ich wohl, kann sie nichts mehr davon abbringen. Auf! Durouleau, ziehe Dich an ... Wenn Du wirklich Freundschaft für mich hast, so mußt Du mir es dadurch beweisen, daß Du mir das Uebel wieder gut machen hilfst, welches Du angerichtet.« –Aber Jeannette ... – »Mußt Du damit bekannt machen, ihr ihre Lection einlernen ... Du wirst wohl irgend einen Pachthof in der Gegend haben ... da kannst Du sie auf vierzehn Tage hinschicken.« – Aber ... – »Keine Aber! oder Camilla liefert sich aus, und ich jage mir eine Kugel durch den Kopf ... nachdem ich Dir jedoch zuvor zum schuldigen Dank die Hirnschale zerschmettert habe.« – Bei solchen Aussichten stehe ich sogleich auf.«

Prosper suchte das junge Dienstmädchen auf, welches ihm zärtlich ergeben war. Jeannette versprach ihm, seinen Anweisungen nachzukommen, und brachte ihm auch sogleich einen ihrer vollständigen Anzüge, Haube, Halstuch, Schuhe, kurz Alles, was sie am Dekadi zum Tanze anzog. Dann ging sie zu ihrem Herrn herab. Durouleau ließ nicht lange auf sich warten. Er war angekleidet, nahm Jeannetten beim Arm und ging mit ihr auf das Paß-Bureau.

Prosper blieb daheim. Er hielt es nicht für klug, sie zu begleiten; aber er wagte auch nicht, zu Camilla hinaufzugehen, ehe er wußte, ob sein Plan gelingen werde. Er ging mit großen Schritten im Salon auf und ab; jeden Augenblick horchte er, sah zum Fenster hinaus oder nach der Uhr; noch nie hatte ihm die Zeit so lang geschienen!

Mehr als zwei Stunden verstrichen, als endlich Durouleau mit seiner Magd nach Hause zurückkehrte.

»Wir haben den Paß!« schrie der dicke Mann, »aber nicht ohne Schwierigkeiten gelangten wir dazu ... Es sind so viele Förmlichkeiten zu erfüllen! gewöhnlich muß man am andern Tage noch einmal hingehen. Glücklicherweise kennt man mich ... Ich sagte: Bis dahin kann Jeannettens Tante sterben ... und die Kleine erbt nichts ... kurz, ich erdichtete eine Masse Lügen ... und da ist der Fetzen Papier.« – Gut ... ganz gut ... aber jetzt muß man auf die Post gehen ... und in der Diligence, die zuerst abfährt, einen Platz auf ihren Namen bestellen ... – »Von hier aus geht kein Wagen nach Boulogne.« – Macht nichts; die Hauptsache ist, daß sie aus dieser Stadt hinauskommt ... – »Aber ich habe noch nicht gefrühstückt ...« – Nachher ... nachher ... Ich werde nichts genießen, bis Camilla gerettet ist.«

»Närrischer Kamerad! Ist in ein Frauenzimmer verliebt und hat keine leibliche Ruhe, bis sie von ihm fort ist. Nun, ich gehe auf die Post.«

Durouleau machte sich wieder auf den Weg. Prosper küßte Jeannetten aus Dankbarkeit; das junge Dienstmädchen ließ sich küssen und schien geneigt, Alles, was der junge Mann wollte, mit sich vornehmen zu lassen; aber dieser blieb dabei stehen; er dachte nur an Camilla.

Durouleau kam zurück und sagte: »Der Platz ist für Jeannette Bridoux auf heute Abend um fünf Uhr bestellt; der Wagen fährt nach Rouen.« – Ganz gut,« erwiderte Prosper. »Ich will Camilla gleich davon benachrichtigen und ihr die zu ihrer Verkleidung nöthigen Gegenstände bringen. Ach! noch einen Dienst, Durouleau ... – »Welchen? ... Wenn ich noch einmal ausgehen müßte, so gestehe ich Dir, daß mich meine Beine nicht mehr tragen würden.« – Nein ... Geld sollte ich haben; Camilla wird unterwegs welches brauchen ... – »Das ist leichter und kostet nicht so viel Anstrengung ... Hier in dieser Börse sind fünfzig Louisd'or ... stecke sie in ihre Kleider: ist's genug?« – Ja, ja; mehr, als man zu einer Reise nach England nöthig hat.«

Prosper ging zu Camilla hinauf, überreichte ihr Jeannettens Kleider und sprach mit ergriffener Stimme: »Hier das Nöthige zu Ihrer Verkleidung, Fräulein, und hier der Paß ... lesen Sie die Namen, damit Sie sie im Gedächtniß behalten; Ihr Platz ist auf fünf Uhr auf den Wagen nach Rouen bestellt; Don dort aus wird es Ihnen nicht schwer sein, Boulogne zu erreichen. Um fünf Uhr werde ich selbst Sie zum Wagen hinführen, damit ich überzeugt bin, daß nichts Ihre Reise verzögert hat. Sie sehen, ich habe keine Zeit verloren, um den Augenblick zu beschleunigen, der Sie mir entreißen wird, und doch werde ich von nun an, ferne von Ihnen, ewig unglücklich sein. Werden Sie abreisen, ohne mir zu verzeihen, ohne mir ein Wörtchen der Hoffnung zu gönnen? verdammen Sie mich zu der Qual, Sie nie wieder sehen zu dürfen?«

Camilla wendete, um den Blicken Prospers nicht zu begegnen, ihr Gesicht ab, aber ihre Stimme war sanfter, als sie zu ihm sprach: »Was Sie so eben gethan, mein Herr, überzeugt mich in der That, daß Sie kein Mitverschworener des Mannes sind, der meine Entehrung wollte. Ich glaube an Ihre Reue, an Ihre Liebe; allein ich weiß nicht, welche Zukunft meiner wartet. Indessen verspreche ich Ihnen, Nachricht von mir zu geben, und wenn die Verhältnisse uns eine Annäherung gestatten, so werde ich Sie es wissen lassen.«

»Ach! Camilla! ach! Fräulein, bedenken Sie, daß ein Wort, ein Andenken von Ihnen mich dem Leben, dem Glücke wiedergeben wird; bedenken Sie, daß jetzt ein Geheimniß ... eine Nacht ... uns miteinander verbunden hat.«

»Ach! erinnern Sie mich nicht an Etwas, was ich aus meinem Gedächtniß vertilgen möchte ... Ich will diese Kleider anziehen, und werde vor fünf Uhr bereit sein.«

Prosper ging traurig von Camilla hinweg, er fürchtete, seiner Liebe werde es nie gelingen, ihren Stolz zu besiegen; da begegnete ihm Jeannette, die ihn seufzend anblickte.

»Jeannette,« redete sie Prosper an, »das Frauenzimmer, welches Deinen Namen annimmt, reist um fünf Uhr ab; also mußt Du um diese Zeit auch fortgehen und Dich auf einige Zeit von diesem Hause entfernt halten. Dein Herr wird Dir sagen, wo Du hingehen sollst. Warum weinst Du, Jeannette? Du wirst nicht lange von hier weg sein, in vierzehn Tagen kannst Du wieder zurückkehren.«

»Meiner Treu,« entgegnete das große Mädchen, mit der Schürze ihre Augen auswischend, »als ich Deinem Wunsche folgte, Bürger, vermuthete ich nicht, daß Du mich dann fortgehen heißen werdest. Das macht mir kein Vergnügen fortzugehen, während Du hier bist.«

»Du begreifst aber doch wohl, daß, wenn man Dich in Melun sehen würde, während Jemand auf Deinen Namen abgereist ist, Alles entdeckt wäre; man würde Diejenige, welche ich retten will, verfolgen, und sie vielleicht einholen.«

»Ach! Du liebst jene sehr, nicht wahr, Bürger? Aber sei ruhig, um fünf Uhr werde ich fortgehen. Man wird mich nicht mehr sehen.«

Prosper verließ sie und dachte: »Warum fühlt Camilla nicht, wie Jeannette, für mich? Mag es daher rühren, weil sie die Tochter eines Grafen ist, und ihr von Jugend auf eingeprägt wurde, Diejenigen, die nicht von Adel sind, als unter ihr stehend zu betrachten? ... oder habe ich niemals ihr Herz gerührt? Ich wollte, ich hätte nur ihren Stolz zu bekämpfen ... Aber nach dem, was zwischen uns vorgekommen ist, würde sich ein anderes Frauenzimmer für immer an mich gebunden betrachten, und Camilla behandelt mich im Gegentheil mit noch größerer Strenge.«

Einige Minuten vor fünf Uhr stellte sich Prosper bei Camilla ein. Die Tochter des Grafen von Trevilliers hatte die Kleider der einfachen Magd angezogen. Der junge Mann fand sie noch hübscher in diesem bescheidenen Costüm; so geht's allen Liebhabern, wenn sie ihre Geliebte in einem neuen Anzug sehen; selbst wenn derselbe häßlich ist, würde sie ihnen hübscher darin erscheinen, weil der von uns geliebte Gegenstand Alles verschönert, was er an sich trägt, und sich das Pikante der Neuheit noch dazu gesellt.

»Ich bin bereit!« rief Camilla aus. »Lassen Sie uns schnell fortgehen.«

Prosper antwortete nichts, sondern nahm sie beim Arme. Sie verließen Durouleau's Haus, ohne ihm zu begegnen. Der dicke Mann hatte begriffen, daß es dem jungen Mädchen kein großes Vergnügen machen würde, ihn wiederzusehen.

Der Weg bis zu den Diligencen war nicht weit. Indessen zitterte Prosper, nicht für sich, denn er kannte keine Furcht, sondern für Diejenige, die er am Arme führte. Camilla schritt ziemlich fest einher, aber ihr Begleiter fühlte oder sah vielmehr ihre Brust sich häufig heben, und errieth die Bewegung, welche sie gewaltsam zu verbergen suchte.

Eben, als sie am Ziele ihres Weges anlangten, kam ein Mann nahe an ihnen vorüber, betrachtete Camilla, stand dann still und rief aus: »Ei! ei! warum rennen wir so sehr, Bürger Carotte, genannt Rothhose, mit einem so hübschen Mädchen am Arme? Alle Wetter, die Bürgerin ist hoffentlich eine Sansculottin?«

Es war der Rothgerber Ducroquet, der, kaum von seinem Rippenstoß genesen, einen Besuch in mehreren Schenken gemacht und sich dabei gehörig angetrunken hatte, so daß er bereits sehr geschwätzig und lärmend war.

Prosper, welcher Durouleau's Freund gleich erkannt hatte, beschleunigte seine Schritte mit Camilla noch mehr und entgegnete nur: »Gute Nacht, Bürger, es geht wieder besser mit Dir, das freut mich, Gleichheit, Brüderschaft ...«

»Ganz gut! allein davon ist nicht die Rede!« lief der Rothgerber aus, sich an Prospers Arm hängend. »Du hast eine Eroberung gemacht ... Halb Part! ... Ich will Deine Kleine auch! ... Was ist das für ein hübsches Gesichtchen? Ich will ihre Bekanntschaft machen ... Komm, wir wollen irgendwo einkehren, denn ich lasse Dich jetzt nicht mehr los.«

»Bürger Ducroquet, wir haben Eile, halte uns nicht auf, sonst könntest Du eine andere Bekanntschaft machen, die Dir vielleicht weniger angenehm wäre, denn ... ich gehöre nicht zu den Geduldigen ...«

»Bürger Carotte ... der Rothe ... ich schere mich nichts um Dein Geschwätz; Du bist tapfer, das weiß ich. Um so besser. Ich achte Dich und werde mir eine Ehre daraus machen, mich mit Dir zu schlagen ... Es juckt mich schon lange darnach ...«

»Ein ander Mal!« schrie Prosper, indem er sich von Ducroquet loszumachen suchte, »will ich Dir meinen Mann stellen. Aber jetzt muß ich dieser jungen Bäuerin das Geleit geben.«

»Du willst Dich nicht mit mir schlagen, also werde ich sie küssen.« Damit war der Rothgerber im Begriff, sein sinniges Gesicht mit Camilla's edlem Antlitze in Berührung zu bringen; aber ehe sein nach Wein riechender Athem die Wangen des jungen Mädchens streifte, hatte ihm Prosper einen so heftigen Stoß versetzt, daß er mitten in die Gosse hineinplumpte. – »Jetzt schnell weiter!« sagte Prosper, Camilla mit sich ziehend.

»Mein Gott! haben Sie den Mann getödtet?«

»Nein, nein! Er ist betrunken und schwer niedergefallen, das ist Alles. Aber dieser Elende beleidigte Sie, durfte ich das dulden? ... Hier sind wir bei den Wagen ... Ah! man ruft Jeannette Bridoux. Geben Sie Acht, antworten Sie mit Sicherheit und thun Sie nicht ängstlich ... Ein Gendarme prüft die Reisenden und sieht ihre Reisepässe durch.«

»Ah! es soll mir nicht an Muth fehlen ...«

»So leben Sie denn wohl, Fräulein ... Aber Sie geben mir doch Nachricht von sich? Sie haben es mir versprochen, Camilla, werden Sie meiner gedenken? ...«

»Jeannette Bridoux! Vorwärts, Jeannette Bridoux!« rief der Post-Conducteur. »Man wartet nur noch auf Euch ...«

Camilla hatte keine Zeit mehr, Prospern zu antworten; sie eilte dem Wagen zu. Ein Gendarme hielt sie an, fragte nach ihrem Passe, untersuchte ihn, sah sie an und ging dann weg mit den Worten: »Es ist gut! Ihr könnt reisen.«

Camilla stieg in den Wagen, und Prosper sah ihr nach, bis er sie völlig aus den Augen verloren hatte.

Dann kehrte der junge Mann langsam zu Durouleau zurück. Er war erfreut über ihre Rettung, aber traurig beim Gedanken einer Trennung, deren Ende nicht abzusehen war.

»Nun!« fragte Durouleau, als er seinen jungen Freund wieder sah, »Deine kleine Aristokratin?« – Ist gerettet. – »Also bist Du zufrieden ... Nun wollen wir aber auch eins trinken.« – Nein, ich habe keine Lust zu trinken ... denn ich bin traurig. – »Traurig, jetzt, wo Deine Schöne fort ist, und vorhin wolltest Du Dich und die ganze Welt umbringen, wenn man ihr nicht schnell zur Flucht verhelfe! Sapperment, weißt Du auch, daß man gar nicht mehr klug aus Dir wird!« – Ach! Durouleau, Du begreifst die Liebe nicht! – »Alle Wetter, ich meine, ich begriff sie ehedem nicht übel, als mein Bauch noch keine Tonne war. Ich glaubte mir durch den Einfall, Dir Deine Schöne in die Hände zu spielen, Deinen Dank zu verdienen. Statt dessen machst Du mir nichts als Grobheiten; es scheint. Du habest Recht: ich begreife die Liebe nicht mehr!.,. Um so mehr verstehe ich mich auf den Wein. Drum also laß uns trinken ... ah! da wirst Du meine Tüchtigkeit anerkennen!« – Und Jeannette ... hast Du sie auf einen Deiner Pachthöfe geschickt? – »Jeannette! ... Möge man mich einen Tyrannen, einen Despoten heißen, wenn ich weiß, wo sie hingekommen ist ... Sie ist zu gleicher Zeit mit Dir und Deiner Schönen verschwunden.« – Arme Jeannette! wo mag sie hingerathen sein? – »Ach! beim Kuckuk! willst Du Dich nicht auch wegen dieser abquälen? Sie hat ohne Zweifel einen Liebhaber und hat den aufgesucht ... Komm her, mein Braver ... Deine Gesundheit.«

Prosper that sein Möglichstes, um die Traurigkeit aus seinem Gemüthe zu verscheuchen; aber die Erinnerung an Camilla trat unaufhörlich vor seine Seele, und er stieß schwere Seufzer aus, wenn ihn Durouleau zum Trinken aufforderte, so daß der Exbrauer endlich zu ihm sagte: »Du taugst heute Abend zu nichts, lege Dich schlafen, wir wollen hoffen, daß Du morgen wieder ein Mann bist.«

Prosper ging mit dem Gedanken an die verflossene Nacht in sein Gemach hinauf; er machte seine Thüre auf, trat in sein Zimmer, stellte sein Licht auf einen Tisch und warf sich auf einen Stuhl; dann heftete er seine Blicke auf den Alkov, dessen Vorhänge, wie gestern, geschlossen waren, und sagte seufzend: »Gestern war sie da! ...«

In diesem Augenblicke schien es ihm, als ob sich ein leises Geräusch, wie ein zurückgehaltener Athem, von der Richtung des Bettes her, vernehmen lasse: er lauschte einen Augenblick; doch bald erröthete er über seine Schwäche und sprach zu sich: »Es ist nur eine Täuschung! Ich möchte mir mit der Einbildung schmeicheln, sie sei noch da; aber sie ist fort und jetzt schon weit von mir entfernt.«

Prosper entkleidete sich eilig, um wo möglich im Schlafe seinen Schmerz zu vergessen. In ein paar Minuten war er ausgezogen, löschte sein Licht aus und stieg ins Bett. Aber da entfuhr ihm ein Schrei des Staunens. Es war abermals Jemand da, hart an seiner Seite, und eine bebende Stimme sagte zu ihm: »Sie hat meinen Platz im Eilwagen genommen, und ich den ihrigen hier ... Ist das nicht ganz in der Ordnung?«

»Was, Jeannette! Du bist es; Du bist nicht abgereist! ... o! mein Gott ... wenn man Dich sieht, ist Alles entdeckt.«

»Man wird mich nicht sehen. Ich bleibe in diesem Zimmer und rühre mich nicht, bis Du glaubst, daß ich mich wiedersehen lassen darf. Du bist demnach sehr böse, daß ich da geblieben bin? O! zanke mich nicht, ich bitte Dich; denn ich liebe Dich auch! und ... vielleicht mehr als die Andere ... Wenn Du aber böse bist, so stehe ich auf und bringe die Nacht auf einem Stuhle zu; ich will kein Geräusch machen, nur Dich ansehen. Dich schlafen hören und werde schon dadurch glücklich sein.«

Man hätte ein Herz von Stein haben müssen, um die arme Jeannette die Nacht auf einem Stuhle zubringen zu lassen; Prospers Herz war aber von Fleisch und Blut, und statt fortzuzanken, was doch zu nichts geführt hätte, that er, was jeder Andere an seiner Stelle gethan haben würde, indem er der Vorsehung für die viele Gnade dankte, mit der sie ihn schon seit zwei Nächten bedacht hatte.


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