Paul de Kock
Der Mann mit drei Hosen
Paul de Kock

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Neuntes Kapitel.

Die guten Leute

Prosper kam, immer noch das kleine Mädchen im Arme haltend, in Paris an; ganz mit dem Kinde beschäftigt, bald fürchtend, es habe kalt, und es bedeckend, bald es wieder aufdeckend und mit ihm sprechend, es küssend und sich Mühe gebend, es zum Lachen zu bringen, hatte der arme Junge so viel zu thun, das Geschäft war ihm so neu, daß es ihm keine Zeit ließ, zu bedenken, was er, einmal in Paris angekommen, beginnen, und wie er sich und seiner kleinen Schutzbefohlenen ein Nachtlager verschaffen könne.

Nach seiner Ankunft in Paris lenkte Prosper zuerst seine Schritte seiner frühern Wohnung zu; doch bald hielt er, sich an Goulard erinnernd, stille: denn dieser Mann konnte Beschwerde gegen ihn eingereicht haben; und durfte überdies das Kind des unglücklichen Derbroucks mit dem Elenden in einem Hause wohnen, der seine Eltern angeklagt hatte?

»Nein,« sprach Prosper zu sich, »nein, ich will nicht mehr in dieses Haus zurückkehren! es ist mir jetzt verhaßt ... und meine kleine Pauline wäre dort nicht in Sicherheit! ... Ach! wenn ich wüßte, wo Maximus' Mutter, die gute Frau Bertholin ist! wie schnell würde ich ihr das theure, mir anvertraute Gut überbringen! sie hätte so treulich für die Kleine gesorgt! Ach! ich selbst, ich fühle es wohl, bin mit dem besten Willen nicht im Stande, dieses theure Kind aufzuziehen; es ist noch zu klein ... Eine Frau muß Mutterstelle bei ihm vertreten ... und zwar eine Frau, welche würdig ist, einen solchen Schatz zu bewahren! ... die für das Kind sorgt und es liebt, wie ich es liebe. Aber wo eine solche Frau finden? was anfangen? wo hingehen? Die liebe Kleine muß Hunger haben ... ich weiß nicht, was ich ihr geben soll ... Soll ich ihr ein Stückchen Kuchen, eine Bretzel kaufen? ... ach nein! sie würde daran ersticken ... O! ich bin grausam in Verlegenheit! ...«

Damit ging Prosper weiter in den Straßen von Paris umher, hielt das Kind in seinen Armen, ließ es schaukeln, wenn es schrie, reichte ihm ein Stengelchen Gerstenzucker, den er gekauft hatte, und war überglücklich, als er die Kleine daran saugen sah.

Die Vorübergehenden betrachteten diesen jungen, sonderbar gekleideten Mann, der einen Säbel an seinem Gürtel hängen, eine ungeheuere Mütze auf dem Kopfe hatte, und die Rolle einer Kindsmagd spielte.

»Reich' ihm auch die Brust,« sagte der Eine. – »Halt es doch besser!« rief ihm ein Anderer zu. – »Ist's Dein kleines Brüderchen?« – »Wenn das sein Kind ist, so läßt das auf einen famosen Papa schließen.« – »Steck' es in Deine Kappe, es hat Platz darin, dann wird's nicht mehr schreien.«

Prosper erwiderte nichts auf diese schlechten Witze, aber es fing ihn an, gewaltig zu jucken, und wenn er das Kind nicht auf den Armen gehabt hätte, so würde er Denjenigen, die sich solche unverschämte Bemerkungen gegen ihn erlaubten, mit schlagenden Witzen gedient haben.

Der arme Junge hatte schon im Sinn, nach Melun zurückzukehren; aber wem sollte er dort wie in Paris die Waise anvertrauen? An seinem Freunde Durouleau durfte er nicht hoffen, eine zweite Mutter für dieses Kind zu finden.

So lief Prosper immerfort planlos umher, indem er der Kleinen, so oft sie schrie, den Gerstenzucker reichte und dachte: »Unglücklicherweise kann man das Kind nicht bloß mit Gerstenzucker aufziehen! ... Ach! wenn nur Fräulein Camilla nicht so jung wäre! ... Doch, an was denke ich? dürfte ich es wagen, die Tochter eines Grafen mit der Aufziehung eines armen kleinen Mädchens zu belästigen? ... Und wenn es Fräulein von Trevilliers auch auf sich nehmen wollte, schwebt sie nicht selbst in tausend Gefahren? könnte man sie nicht auch verhaften? O! nein, nein, dort wäre die Tochter des unglücklichen Derbrouck nicht in Sicherheit ... Sackerlott! ich hätte gute Lust, zu einem Restaurateur hineinzugehen, und Brei für uns beide zu verlangen ... ich würde mit dem Kind essen.«

In diesem Augenblicke befand sich Prosper in der Bärenstraße; beim Vorübergehen an einem Pelzladen fiel ihm eine höchst kokett gekleidete Frau mit weit ausgeschnittener Brust auf, die auf der Schwelle ihrer Thüre stand, wo sie sich mehr mit ihrer Toilette als mit ihrem Handel zu beschäftigen schien.

Es war Euphrasia. Sie erkannte Prosper, lächelte ihm anmuthig zu und rief: »Ach, mein Gott! Bürger Prosper, was trägst Du denn da? Ei, das ist ja bei Gott ein Kind!« – Ja,« entgegnete Prosper, vor dem Laden stehen bleibend, »es ist ein Kind. – »Tritt doch ein und ruhe ein wenig aus! glaubst Du, das Haus falle Dir über dem Kopf zusammen?«

Prosper verlangte es nicht besser. Er trat in den Pelzladen des Bürgers Picotin ein, über welchem der Schild mit dem tapfern sansculotten Kater angebracht war, setzte sich und sagte: »Da Du es erlaubst, Bürgerin, so will ich einen Augenblick ausruhen, denn ich bin ein wenig müde.« – Ich will's wohl glauben, wenn Du das Kind schon lange auf den Armen hast ... Was ist's denn? ein Knabe oder ein Mädchen? – »Ein Mädchen.« – Ei, laß es einmal sehen ... Ach! wie hübsch! Doch! .. ich meine, ich hätte es sonstwo schon gesehen ... Das ist aber kein Wunder, in diesem Alter gleichen sich die Kinder alle ... Ach! wie glücklich wäre ich, wenn es mir gehörte ... Aber mein Mann ist so ungeschickt ... Uebrigens komme ich allmählig auf den Gedanken, es sei nicht seine Schuld, ich selbst bin wahrscheinlich nicht gehörig organisirt, um Mutter zu werden ... Ach! die arme Kleine schreit ... muß man ihr Etwas geben?« – Ja, wenn Sie Milch hätten ... würde sie trinken. – »Ach! wenn ich Milch hätte, hätte ich auch ein Kind! aber die Kaufmännin gegenüber muß welche haben, denn sie kommt gar nicht aus den Kindbetten heraus, sie hat bereits sieben ganz kleine Kinder, worunter drei paar Zwillinge; ... man sieht nichts als Breilöffel und Klystierspritzen im ganzen Hause: wahre Familiengemälde! Ich will sie um Milch bitten.«

Euphrasia ging fort und Prosper dachte: »Diese junge Frau hat ein gutes Herz: aber ich möchte ihr doch mein Kind nicht anvertrauen; sie ist zu leichtsinnig, zu kokett.«

Das kleine Mädchen fing gerade wieder an zu weinen, und Prosper konnte nicht dazu gelangen, es zu beschwichtigen, als Picotin, mit einem Pack Felle beladen, in den Laden trat und ausrief: »Ich bin betrogen! schimpflich betrogen! .. Das sind Schaffelle, die man mir für weiße Bärenfelle verkauft hat! .. Der Teufels- Romulus schmiert mich auch jedesmal an.«

Picotin warf seine Felle auf den Ladentisch; als er Prosper in einer Ecke seines Ladens sitzen sah, war er ganz erstaunt und schien nicht sehr erfreut über dessen Besuch. In diesem Augenblicke kam seine Frau mit einer Tasse Milch wieder zurück.

»Hier bringe ich Etwas zur Beruhigung der Kleinen,« sagte Euphrasia, ohne zu thun, als ob sie die Anwesenheit ihres Mannes bemerke; »aber wie gibt man ihr zu trinken? ich verstehe es nicht.« – Sie nimmt's aus einem Löffel,« entgegnete Prosper. – »Gut, ich will einen Löffel holen ... Warte ein wenig, Bürger.« Picotin betrachtete nach einander seine Frau, Prosper und das Kind, und machte ein höchst einfältiges Gesicht; als endlich Euphrasia mit einem Löffel zurückgekehrt war und dem Kinde die Milch zu trinken gab, rief er aus: »Bürgerin, Frau, siehst Du nicht, daß ich da bin?« – Ei! o mein Gott, freilich, aber was sehe ich an Dir? ... Warum sagst Du dem Bürger Prosper nicht guten Tag? ... erkennst Du ihn nicht? .. Er ist ein Freund von Maximus Bertholin.«

»Doch, doch, ich erkenne den Bürger, und erinnere mich sogar, daß er mir bei der ersten Aufführung von Epicharis und Nero im Theater der Republik auf dem Schooße saß.«

»Nur halb!« versetzte Prosper, »ich war indeß an jenem Abend so außer mir ... Ich habe Dich vielleicht absichtslos beleidigt ... wenn Du jedoch Genugthuung verlangst, so stehe ich zu Deinem Befehl, Bürger.«

Bei diesen Worten schlug Prosper auf seinen Säbelgriff; allein Picotin, der beim Klirren des Säbels bleich wurde und zitterte, suchte eine liebenswürdige Miene anzunehmen und entgegnete: »Warum nicht gar? Bürger! .. Habe ich gesagt, Du habest mich beleidigt? .. im Gegentheil, Du hast mir ein Vergnügen dadurch gemacht; unter Bekannten setzt man sich, wo Platz ist ... aufeinander, nebeneinander, untereinander ... Gleichheit, Brüderschaft oder den Tod! ... Geht's gut, Bürger?« – Ja ... ich danke Dir.«

»Frau, Du weißt es noch nicht, Romulus hat mich wieder angeführt; er hat mir Schaf für weißen Bären verkauft.« – Ei! mein Gott, das wundert mich nicht! Du bist so dumm. Eines schönen Morgens wird man Dir Hasen- für Fuchspelze verkaufen.«

»O! was das betrifft, so hat es keine Gefahr; ich verstehe mich zu gut auf die Hasen ... und habe in Betreff des feinen Gehörs selbst etwas von einem Hasen an mir.« – Ja, und auch in Betreff seiner Läufe, aber in Betreff seiner andern lobenswerthen Eigenschaften stehst Du ihm sehr nach!« sagte Euphrasia achselzuckend.

»Ei aber, Bürger Prosper, was ist denn das für ein Murmelthier, das Du da auf den Armen hast?« fragte Picotin nach einer Pause. – »Das ist ... das ist ein Kind,« erwiderte Prosper, »welches ich sehr lieb habe. – »Es scheint so.«

»Sie ist allerliebst, diese Kleine!« rief Euphrasia aus. »Ach! mein armer Picotin, schämst Du Dich nicht, mir nicht schon etwas Aehnliches gemacht zu haben?« – Und schämst Du Dich nicht, immer dasselbe Geschwätz zu führen,« sagte Picotin zornig und mit dem Fuße stampfend, »wahrhaftig, wenn es meiner Frau nachginge, so würde mir der Sinn nach nichts als Kindereien stehen ... und wenn man das ganze Jahr nur für den Pelz lebt, wie ich, hat man ohnedies genug zu thun ... Um aber wieder auf das Kind zurückzukommen, Bürger ... Ist es mit Dir nur verwandt ... oder wäre es vielleicht gar schon ... nun! nun! ... das würde mich nicht wundern; Du bist ein Bursche, der schon viele lustige Streiche gemacht hat ...«

Prosper blickte mißlaunig nach Picotin und brummte: »Ei, was geht's Dich an! muß ich Dir Rechenschaft geben?« – Nein, sicher nicht, Du bist vollkommen frei. Es lebe die Freiheit! ... Ich sagte das ohne Arg. Apropos, Euphrasia, ich bin eben Poupardot begegnet, der ist vergnügt; seine Frau ist endlich einmal ...«

»Seine Frau ist endlich einmal! was ist sie? Du drückst Dich stets unvollkommen aus?« – Nun, beim Kuckuk,. seine Frau ist ... schwanger ... das kann man doch errathen, das versteht sich ja von selbst. – »Ach! bei mir nicht! ... o! sie ist glücklich.« – Das kommt auf Ansichten an. Mich z. B. in meinem Pelzgeschäfte würde es sehr geniren, wenn ich neben einem Packe Fuchs-, wollte sagen Hasenfelle, auf dem Rücken auch noch ein Kind im Bauch herumschleppen müßte. – »Pelz und immer Pelz! kennst Du denn nichts höheres als eine Pudelmütze und einen Muff! Wahrlich, Du bist pelzicht, wo man Dich anrührt!« – Du sprichst in sehr derben Bildern, Bürgerin. – »Kann ich anders bei einem Manne, der beständig den Pelz waschen will, ohne ihn naß zu machen

Prosper schenkte dem Gespräche der beiden Gatten keine große Aufmerksamkeit; der Name Poupardot hatte ihn frappirt, als daher Picotin zu sprechen aufgehört hatte, fragte er: »Nicht wahr, Bürger, das Ehepaar Poupardot lebt gut miteinander?«

»Sie führen eine musterhafte Ehe, ihr einziges Geschäft besteht darin, sich zu schnäbeln wie ein Paar Turteltauben! ...« – Ja,« versetzte Euphrasia höhnisch, »sie sollten eigentlich in einem Neste auf einem Baume wohnen.«

»Möchtest Du mir sagen, wo sie wohnen?« fragte Prosper weiter. – »Ach! ja ... wo sie ihr Nest haben, wie meine Frau sagt; nun, ihr Nest ist ziemlich geräumig, nicht weit von hier ... vorn in der Vorstadt Denis Numero sieben, oder acht, oder dreißig, in einem Hause, vor welchem meist ein Dreckhaufen liegt.«

»Schon gut,« sagte Prosper aufstehend; »und nun, Bürgerin, empfange meinen Dank für die Sorgfalt, die Du diesem Kinde gewidmet hast.« – Wie, gehst Du so schnell wieder?« fragte Euphrasia den jungen Mann mit der anlockendsten Miene.

»Ja, Bürgerin.« – Ach! das ist nicht Recht! Du hättest mit uns zu Mittag essen sollen; das hätte mir ein großes Vergnügen gemacht, und meinem Manne auch, nicht wahr, Picotin? – »Natürlich, das wäre mir äußerst angenehm gewesen!« versetzte Picotin, indem er eine ellenlange Nase machte.

»Ich erkenne eure Gefälligkeit mit Dank,« erwiderte Prosper, »aber ich kann nicht bleiben.« – Du kommst aber doch hoffentlich ein ander Mal wieder, Du weißt jetzt das Haus? – »Und außerdem ist der tapfere sansculotte Kater überall bekannt,« sagte Picotin.

»Sobald ich Zeit habe, besuche ich euch wieder. Ich werde Deinen freundlichen Empfang nicht vergessen, Bürgerin. Adieu, Bürger Picotin, ich wünsche Dir wohl zu leben.« – Oder den Tod!« brummte Picotin, sich vor Prosper, den er mit Freuden aus dem Hause hinausgehen sah, bis auf den Boden verbeugend.

Prosper schlug, immer mit dem Kinde auf dem Arm, den Weg zum Thore Saint-Denis ein, welches man damals nur, schlecht weg Denis-Thor nannte, weil alle Heiligen unter die verbotenen Artikel gehörten, und weil man im Reiche der Freiheit nicht nach seiner Façon selig werden konnte. Der junge Mann fand bald Poupardots Wohnung; er ging bebend hinauf, denn er war sehr ergriffen und fürchtete, seine Hoffnung vereitelt zu sehen; ein Dienstmädchen machte ihm auf und führte ihn in das Wohnzimmer, wo die beiden Gatten beisammen waren.

Prospers Anzug machte einen sonderbaren Eindruck. Er trug keine entblößte Brust, sah aber demungeachtet dem Räuberhauptmann Robert bedeutend ähnlich; bei seinem Anblick wurde es Poupardots Frau unwohl, sie fing an zu zittern, faßte jedoch wieder Muth, als sie das kleine Wesen auf seinem Arme bemerkte.

Poupardot hatte Prosper unverzüglich erkannt, er reichte ihm die Hand und rief ihm zu: »Das ist der Bürger Prosper Bressange, den ich vor ungefähr drei Wochen im Theater der Republik traf ... Guten Tag, Bürger, es ist recht schön von Dir, daß Du uns besuchst ... Elisa, Du mußt den Bürger kennen ... wir haben ihn bei Maximus gesehen.«

»Ja, jetzt erinnere ich mich wieder seiner, obwohl ihm diese große Mütze ein sehr verändertes Aussehen gibt.«

»Bist Du nicht mehr in einer Druckerei, Bürger?« fragte Poupardot, »ich meine, das war sonst Dein Geschäft.« – Allerdings,« entgegnete Prosper, »aber ich habe es aufgegeben ... Wir leben jetzt in einer Zeit, wo uns Handeln mehr vorwärts bringt als Arbeiten.«

»Du hast Recht ... Ja! wir schreiten vorwärts! wir werden aufgeklärt! es geht gut, ganz gut! ... nur einige Mißgriffe ausgenommen.«

Dabei rieb sich Poupardot mit freudiger Miene die Hände, während seine Frau Prosper einen Stuhl anbot und zu ihm sagte: »Setz Dich doch, Bürger! ... Mein Gott! welch' hübsches Kind hast Du auf dem Arme! Es ist aber noch gar zu jung, um der Obhut eines Mannes anvertraut zu werden! ...«

»Nicht wahr, Bürgerin, diese Kleine ist schon recht interessant?« – O! ja ... Und ich liebe die Kinder über die Maßen! ...«

»Wir werden bald eines bekommen!« versetzte Poupardot selbstvergnügt. »Sieh, Bürger, man sieht's schon deutlich.«

»Still! still!« sagte die junge Frau erröthend. »Spricht man auch über solche Dinge!« – Ei! warum nicht! Zwischen Mann und Frau ... ist's erlaubt, es ist uns sogar durch die heilige Schrift anempfohlen, worin es heißt: Wachset und vermehret euch.«

»Ach! ich wollte, mein Kind wäre schon so groß wie diese hübsche Kleine da! ... Wie alt ist sie, Bürger?« – Ein Jahr. – »Ein Jahr ... Sieh doch, Poupardot, wie frisch und rosig sie ist ... Willst Du mir sie ein wenig geben, Bürger?«

Statt aller Antwort reichte Prosper der jungen Frau das Kind hin, diese küßte es herzlich und rief aus: »Es lächelt mich an, das liebe Kind! ... Ach! wie glücklich muß seine Mutter sein! ... Obwohl ich aber nicht an dem Antheil zweifle, den Du an der Kleinen nimmst, muß ich Dir doch gestehen, Bürger, daß, wenn ich ihre Mutter wäre, ich sie Niemand anvertrauen würde.«

»Ihre Mutter!« flüsterte Prosper mit zu Boden gehefteten Blicken, »ihre Mutter! ... ach! das arme Kind hat keine Mutter mehr! sie ist eine Waise ... Ihr Vater fiel als ein Opfer der Revolution. Sie hat keine Eltern und kein Vermögen mehr ... Sie hat nur mich als Stütze auf der Welt! mich ... der nicht einmal weiß, wie er ihr zu essen geben soll!«

Poupardot schien erstaunt und ergriffen, seine Frau bedeckte das Kind, das sie in den Armen hielt, mit Thränen und stammelte: »Arme Kleine! ... keine Eltern mehr! Was soll aber aus ihr werden! Du bist zu jung, Bürger, um dem Kind alle für sein Alter erforderliche Sorge zu widmen! Du wärest es überhaupt nicht im Stande!«

»In der That,« entgegnete Prosper traurig, »fühle ich wohl, daß mein bester Wille nicht zureichen würde. Auch habe ich deßhalb an Maximus' Mutter ... an die gute Frau Bertholin gedacht ... und wollte ihr das Kind bringen; aber sie hat sich mit ihrem Sohn aus Paris entfernt, und man weiß nicht, wohin sie sich gewendet haben.«

Während Prosper's Erzählung drückte die junge Frau das Kind an ihr Herz, küßte es zärtlich, blickte nach ihrem Manne hin, und schien ihn mit ihren Augen zu demselben Gedanken, den sie hatte, aufzumuntern. Endlich konnte sie nicht mehr an sich halten und rief aus: »O! Bürger, wenn Du mir das kleine Mädchen anvertrauen wolltest, ich würde treulich für sie sorgen! Mutterstelle an ihr vertreten ... Das Kind, worauf ich hoffe, wird mich nicht an der Liebe zu diesem verhindern, sondern im Gegentheil! ... Sie werden mit einander spielen ... und immer um mich sein! bis der glückliche Zeitpunkt eintritt, werde ich all meine Sorgfalt auf diese Kleine wenden, und mich so in meinen Beruf als Mutter einüben, und dann weniger unerfahren mit dem Kinde sein, welches mir der Himmel zusendet ... Nicht wahr, Poupardot, Du wünschest auch, daß wir diese hübsche Kleine behalten? Versichere doch den Bürger, daß wir alle Sorge für sie tragen werden.«

Poupardot sprach nichts; er schien durch den Vorschlag seiner Frau allzu gerührt, Thränen traten ihm in die Augen; nach einer Weile faßte er sie beim Kopf, küßte sie vielmals, wendete sich dann gegen Prosper und sagte: »Nicht wahr, ich habe eine gute Frau, hm?« – Daran hatte ich nie gezweifelt,« entgegnete Prosper mit Rührung.

»Du willst diese Kleine behalten ... Nun, so soll sie da bleiben ... Mir ist's recht ... deßhalb können wir unsere eigenen Kinder doch lieben und gut erziehen! ... Ich bin ja in guten Umständen ... ich habe ja Vermögen! Man hat mir mein Haus in Assignaten bezahlt ... sie verlieren zwar gegenwärtig alle Tage an ihrem Werthe, die Assignaten ... Allein sie werden auch wieder steigen! Staatspapiere haben ja sonst nichts zu thun! ... Und dann wird Alles gut gehen ... Also wir behalten das Kind ... es ist ausgemacht.«

»Diese Kleine wurde mir von ihrer sterbenden Mutter anvertraut,« sagte Prosper. »Ich gebe sie mit Freuden in Ihre Hände; aber unter der Bedingung, daß Sie mir sie zurückgeben, sobald ich sie wieder verlange.«

»Du sollst immer die Rechte eines Vaters an sie haben,« entgegnete Elisa; »aber ich denke, daß Du mit der Zurücknahme warten wirst, bis sie gehen und sprechen kann ... Sei ruhig, ich werde ihr auch die Liebe zu Dir einpflanzen ... Ich bin überzeugt, sie bekommt ein gutes Herz! ...«

»Suche sie Dir ähnlich zu machen!« rief Prosper aus, indem er Elisa's Hand ergriff, »das wird ihr schönstes Lob sein ... Ach! Bürgerin, wie viel Dank bin ich Dir schuldig ... denn ich gestehe Dir, ich war sehr in Verlegenheit, was ich mit diesem Kinde anfangen sollte! ...«

»An uns ist es, Dir zu danken, daß Du an uns gedacht und zu uns gekommen bist ... Ei, wie heißt die Kleine?« – Pauline.«

»Pauline ... Und mit ihrem Familiennamen?« fragte Poupardot. Aber Elisa blickte mit unzufriedener Miene nach ihrem Mann und sprach zu ihm: »Lieber Freund! Deine Frage ist vielleicht indiscret ... Was geht uns der Name der Eltern ... der Familie dieses Kindes an! Müssen wir ihn wissen, um es zu lieben, um für es zu sorgen? Wenn er ein Geheimniß ist, Bürger Prosper, so verschweig' ihn ... Die Kleine heißt Pauline, das genügt uns!«

Poupardot schien etwas beschämt über die Lektion, die ihm seine Frau gab, und doch war seine Neugierde sehr natürlich. Prosper beeilte sich, dieselbe zu befriedigen und begann: »Es ist kein Geheimniß dabei, wenigstens für Euch nicht, die Ihr Euch mit der Erziehung der Waise befassen wollt, was ich ja selbst noch nicht im Stande wäre. Das kleine Mädchen ist das einzige Kind des holländischen Bankiers Derbrouck, der mit Maximus und mir in einem Hause wohnte ... Dieser Mann hatte mir mehrmals große Dienste geleistet; er war voll Güte gegen mich, und ich allein habe seine Wohlthaten nicht vergessen! Ach! der Himmel hat mich dafür belohnt, indem mir Madame Derbrouck ihr Kind anvertraut hat.«

»Derbrouck! ... dessen erinnere ich mich!« sagte Poupardot, »ich hatte einige Male mit ihm zu thun ... Effekten, die ich umsetzen wollte ... Es war ein Mann, dessen Anblick allein schon Achtung und Verehrung einflößte ... Und er wurde hingerichtet?«

»Er kannte Hebert, und das hat ihn compromittirt und zu Grunde gerichtet.«

»Und Du findest das Alles gut, Poupardot!« rief die junge Frau mit gen Himmel gerichteten Blicken aus.

»Goulard ... der Portier des Bürgers Derbrouck ... ein Elender! hat den Bankier angegeben. Er hatte auch dessen Frau angegeben; aber sie ist diesen Morgen, mit einem Rufe nach ihrem Gatten, verschieden! Goulard! ... dieses Ungeheuer? scheint ganz erbittert gegen diese Familie, von der er doch nur Wohlthaten empfangen hat.«

»So lange die Kleine bei uns ist,« versetzte Elisa, »hast Du nichts für sie zu fürchten.« – Zudem kannst Du sie ja öfters besuchen ... so oft Du willst ... Du weißt, daß Du uns immer angenehm bist,« sagte Poupardot, dem jungen Mann die Hand schüttelnd.

»Ich danke Dir,« entgegnete Prosper; »aber ich weiß nicht recht, was mir Alles bevorstehen wird ... Es liegt mir noch Jemand am Herzen, für den ich sorgen möchte; diese Person wohnt jedoch nicht in Paris ... und heute noch werde ich die Stadt verlassen.«

»In jedem Fall, Bürger, damit Du weißt, wo Du uns finden, oder uns schreiben kannst, um Nachrichten über das Kind zu erhalten, künde ich Dir zum Voraus an, daß wir gleichfalls Paris verlassen werden; meine Frau und ich haben uns entschlossen, das Landhaus zu bewohnen, welches ich in der Nähe von Clichy besitze; dort werden wir ruhiger leben, sofern man uns nicht stört ... und können unser Kind ... oder jetzt vielmehr unsere Kinder, besser erziehen. Allein Clichy ist nicht ferne, es liegt vor den Thoren von Paris.« – Ich kenne den Ort und hoffe Euch bald dort zu besuchen. Nun dieser Kleinen noch einen Kuß, Euch beiden einen Händedruck, und dann Adieu. – »Was! jetzt schon ... Du gehst so bald wieder ... bleibst nicht bei uns zu Tische? ...«

»Nein, ich wiederhole Euch, es drängt mich, Nachrichten über eine andere Person einzuziehen ... Lebet wohl, meine guten Freunde; Ihr erlaubt mir doch, Euch so zu nennen, nicht wahr?«

»Und ich verlange sogar, daß Du mich küssest und meine Frau auch; sieh, ich kenne Dich noch nicht lange, aber ich betrachte Dich schon wie einen Bruder, abgerechnet den Namen.«

Prosper schloß Poupardot und dessen Frau in seine Arme, empfahl ihnen Paulinen noch einmal, küßte die Kleine abermals und entfernte sich, dem Himmel dankend, daß er ihm den guten Gedanken eingegeben hatte, die Waise zu diesen guten Leuten zu thun.


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