Paul de Kock
Der Mann mit drei Hosen
Paul de Kock

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Fünfzehntes Kapitel.

Die blaue Hose

Roger hatte Wort gehalten; er kam oft zu Poupardot; an dem Anblick dieser friedlichen Haushaltung erholte er sich von den Strapazen des Krieges. Hier sprach er von seinen alten Freunden, von Maximus, den er nirgends finden konnte, und von Prosper, von welchem man keine Nachrichten mehr erhielt. Aber der Kaiser, welcher seine Soldaten nicht lange müßig ließ, hatte von Neuem die Waffen ergriffen, und Roger, der eiligst zu seiner Fahne zurückkehren mußte, nahm Abschied von seinen Freunden in Clichy, indem er zu ihnen sagte: »Wenn Ihr mich wieder sehet, so werde ich kein Lieutenant mehr sein ... ich will mein Leben lassen oder avanciren; doch der Kaiser kennt seine Leute und belohnt stets die Braven.«

»Wenn wir ihn wiedersehen!« sprach Elisa. »Ach! wenn ich einen Soldaten zum Manne hätte, verlebte ich keinen einzigen Tag in Ruhe.« – Er wird wiederkommen, ich bin es gewiß,« entgegnete Poupardot, sich die Hände reibend. »Trägt der große Napoleon nicht immer den Sieg davon? ... Wir werden Roger wiedersehen, und er dann vielleicht Oberst! General sein! ... wer weiß? ha! man sieht, daß er die Schlachten liebt! Wenn je mein kleiner Napoleon solche Neigungen an den Tag legt, so lasse ich ihn sicher auch zur Armee abgehen, er müßte nur nicht die gehörige Größe haben ... Man muß nie dem Beruf entgegenarbeiten, das ist mein Grundsatz ... Was Navet anbetrifft, so weiß ich noch nicht recht, wozu er einen hat ... – »Aber ich weiß, daß er mir mein Eingemachtes stiehlt,« versetzte Elisa. – »Ei, meine liebe Freundin, alle Kinder sind mehr oder minder naschhaft. Wenn Du Dein Eingemachtes nicht einschlößest, so würde er es einfach nehmen und nicht stehlen.«

Bald steigerte sich die Begeisterung der Franzosen für ihren Kaiser durch die Nachricht eines großen Sieges noch höher; Napoleon hatte die Schlacht von Austerlitz gewonnen. In Paris feierte man durch Festlichkeiten diesen neuen Triumph der französischen Waffen; fast alle Familien hatten eines ihrer Mitglieder unter der Armee; und der Ruhm eines Gatten, Vaters, Bruders oder Vetters erstreckte sich auch auf seine Verwandten und beglückte sie doppelt bei der Nachricht eines Sieges.

Poupardot schwamm in Entzücken, er wollte seine Frau jeden Tag mit nach Paris nehmen, um sie in irgend ein Theater zu einem Gelegenheitsstück zu führen; aber Elisa blieb lieber bei ihren Kindern, das heißt bei ihrem Säugling und der kleinen Pauline, denn Herr Navet wollte immer seinen Vater begleiten, und ließ sich bei jedem Pastetenbäcker, an dem sie vorbeikamen, Kuchen kaufen.

Picotin und seine Frau besuchten Clichy nicht mehr; Euphrasia hatte sich, wenn sie bei ihren Freunden Poupardot aß, nicht begnügt, bloß einen Offizier einzuführen, sondern bald darauf zwei, hernach drei mitgebracht! so daß sich Poupardot und seine Frau, um nicht Gefahr zu laufen, ein ganzes Regiment empfangen zu müssen, genöthigt sahen, Madame Picotin zu bitten, sie möchte ihnen keine Militärs mehr vorstellen. Euphrasia, der mehr an ihren Eroberungen als an ihren Freunden gelegen war, fühlte sich durch diese Andeutung beleidigt, kam nicht mehr nach Clichy und verbot auch ihrem Manne, wieder dorthin zu gehen. Elisa und ihr Gatte trösteten sich leicht über dieses Unglück. Es gibt Leute, die uns ein großes Vergnügen machen, während sie glauben, sie legen uns eine Strafe auf.

Es war im Beginne des Jahres 1806; Pauline trat in ihr dreizehntes Jahr. Schon vereinigte sich in ihr die schüchterne Jungfräulichkeit mit der Anmuth der Jugend! aber nicht mit jener lächerlichen Anmaßung eines kleinen Mädchens, welches sich das Ansehen eines Fräuleins geben will. Pauline gedieh an Geist und Körper, ohne daß ihr Charakter jene widerliche Veränderung erlitt, die gewöhnlich bei dem Uebergang der Kindheit zur Jungfräulichkeit stattfindet. Ihr Herz blieb immer gleich gut, ihr Gemüth gleich sanft, ihr Geschmack eben so einfach und ihr kleiner Vogel Tom stets ihr Liebling.

Nur etwas trübte das Glück dieses jungen Mädchens. Seit sie denken und fühlen konnte, hatte man ihr von Prosper gesprochen. Elisa hatte ihr hundertmal wiederholt, was dieser junge Mann gethan, um ihre Mutter vom Schaffot zu retten, und wie ihm diese ihr Kind übertragen hatte. Sie hatte ihr auch oft die Besorgniß und die Verlegenheit Prospers geschildert, als er sie auf seinen Armen von Passy nach Paris trug.

Während Pauline auf Elisa's Erzählungen lauschte, flossen Thränen aus ihren Augen. Ihr Herz fühlte die lebhafteste Dankbarkeit für diesen Mann, der ihre Eltern so sehr geliebt hatte. Je älter sie wurde, je stärker sprach sich diese Empfindung in ihr aus. Man hatte sie ihren künftigen Beschützer lieben und ehren gelehrt; und das junge Mädchen kannte nur einen Wunsch, hatte nur eine Hoffnung, ihren Freund Prosper wieder zu sehen.

Allein diese Hoffnung wurde jeden Tag schwächer. Da man im Laufe so langer Zeit nie eine Nachricht von ihm bekommen hatte, mußte man befürchten, er sei ferne von seiner Heimath und seinen Freunden gestorben. Wenn Pauline bisweilen noch von Prosper sprach, so schüttelte Elisa traurig das Haupt mit einer Miene worin sich ausdrückte: Daran ist nicht mehr zu denken! Und Poupardot sagte: »Mein liebes Kind, der, welcher einst Dein Beschützer werden sollte, ist ohne Zweifel in fernen Landen gestorben; aber wir werden Dich nie verlassen ... Wenn Du im gehörigen Alter bist, werden wir Dich verheirathen ... Und auch abgesehen davon, hat Prosper für Dich gesorgt; Du hast zwanzigtausend Franken, die er mir für Dich geschickt hat und die ich angelegt habe; das gibt einst eine hübsche Mitgift ... die Zinsen ungerechnet!«

Die kleine Pauline seufzte und entgegnete: »Ach! ich wollte lieber, er hätte mir nichts gegeben, und ich wäre überzeugt, daß er zurückkehrte!«

Und jeden Morgen und jeden Abend, wenn die junge Waise ihr Gebet zum Himmel schickte, flehte sie auch um die Rückkehr dessen, der die letzten Worte ihrer Mutter vernommen hatte.

An einem schönen Frühlingsmorgen, als Poupardot, nachdem er seine Frau geküßt hatte, eben im Begriffe war, mit Navet auf's Feld hinaus zu spazieren, zog das Gerassel eines Wagens, welcher vor ihrer Hausthüre anhielt, die Aufmerksamkeit der beiden Gatten und ihrer Kinder auf sich.

Navet eilte schnell zu einem Fenster; nachdem er Paulinen, welche sich zuerst daran stellen wollte, etwas barsch zurückgestoßen hatte, rief er aus: »O! das ist kein Fiaker ... das ist eine dreispännige Chaise.« – Es ist eine Postchaise,« sagte Pauline. – »Eine Postchaise!« rief Poupardot, »seht doch, wer aussteigt.« – Ein Herr mit einem dreieckigen Hute und Stulpstiefeln springt heraus und kommt ins Haus herein. – »Hat er eine Uniform an?« fragte Poupardot. – »Nein ... aber dessen ungeachtet ein militärisches Aussehen. – »Es ist wahrscheinlich Herr Roger, der von der Armee heimkehrt ...« – Nein, es ist nicht Herr Roger. – »Bah! Du wirst ihn nicht erkannt haben, weil er in Civilkleidern ist, aber ich wette, daß er es ist, übrigens höre ich schon die Treppe heraufkommen ... wir werden den Herrn sehen, und da Roger diesmal nur ein Jahr fort war, so werde ich ihn gewiß erkennen.«

Man öffnete die Thüre rasch. Ein Mann erschien auf der Schwelle des Zimmers, stand stille und betrachtete alle Anwesenden aufmerksam. Er war groß und schlank; seine ziemlich schönen Gesichtszüge schienen von Anstrengung und Sorgen gelitten zu haben; seine braunen Haare fielen in langen Locken auf beiden Seiten des Gesichts herab; eine Narbe von der Stirne bis oberhalb in die linke Wange trug nicht unbedeutend zu einem sonderbaren Aussehen dieses Mannes bei, dessen Alter auf den ersten Anblick schwer zu errathen gewesen wäre. Seine Kleidung war eben so außergewöhnlich, als seine Physiognomie. Ein langer, nicht zugeknöpfter grüner Oberrock ließ eine weiße, bis an die Cravate zugemachte Weste sehen, und eine blaue Hose, die für den Inhaber viel zu weit schien, und deren rothes Passepoil ihm einen militärischen Anstrich verlieh, eine schwarze Cravatte und ein dreieckiger Hut, dessen Spitze nach vorn sah, vervollständigten den Anzug des Neuangekommenen.

Alle starrten den auf der Schwelle Stehenden an; man schien eine Erklärung von ihm zu erwarten; man konnte nicht begreifen, worauf er mit dem Sprechen warte, und doch wagte man nicht, ihn zu befragen. Ein eigenthümliches Gefühl bewegte alle Anwesenden; aber der Fremde schien sich nicht im mindesten um die Neugierde zu bekümmern, die er erregte, sondern fuhr ruhig in seiner Betrachtung fort. Seine Blicke schweiften nacheinander von Poupardot zu seiner Frau und seinen Kindern über, als sie sich aber auf Paulinen hefteten, belebte sie ein unerklärlicher Ausdruck. Thränen benetzten seine Wimpern; endlich entwand sich ihm ein Schrei, er flog auf das junge Mädchen zu, drückte sie an sein Herz und rief aus: »Sie ist es! ... es ist meine kleine Pauline! ... das Kind, welches man in meine Arme gelegt hatte! O! ich kann mich nicht täuschen ... das ist das Lächeln ihrer Mutter ... das sind die Züge ihres unglücklichen Vaters! ...«

Als Poupardot und seine Frau diese Worte hörten, näherten sie sich dem Unbekannten; sie betrachteten ihn mit mehr Aufmerksamkeit, sie trauten ihren Ohren und ihrem Herzen noch nicht. Was Paulinen betraf, so fühlte sich diese, ohne den Grund zu begreifen, wohl und glücklich in den Armen dieses Mannes, der sie mit Liebkosungen überhäufte.

Endlich wendete der Fremde sein Haupt gegen Poupardot und seine Frau, und reichte ihnen die Hand mit den Worten: »Nun! meine Freunde, erkennt ihr mich denn gar nicht? ... Ach! ich habe mich freilich sehr verändert ... aber mein Herz ist immer noch dasselbe, und Prosper liebt euch wie ehedem.« – Er ist es! ... Prosper ist es! ... Pauline, da ist der Freund, den Du immer erwartet hast! ... endlich ist er zurückgekehrt!«

Während mehreren Minuten waren das die einzigen Worte, welche man inmitten der Rührung, die sich aller Herzen bemächtigt hatte, auszudrücken im Stande war; als man ein wenig ruhiger geworden, als Prosper im Kreise seiner Freunde Platz genommen und das kleine Mädchen, an dem er sich nicht satt sehen konnte, auf seinen Schooß gesetzt hatte, sammelte man sich erst, und fing an mit einander zu sprechen.

»Wie! Du bist es!« rief Poupardot aus; »wir hatten bereits die Hoffnung aufgegeben, Dich wiederzusehen ... Du lebtest und gabst uns keine Nachricht von Dir! ...«

»Ach, mein lieber Prosper,« sprach Elisa, »es ist nicht recht, daß Sie uns so lange in Sorgen ließen ... Und diese arme Kleine sprach jeden Tag von Ihnen und flehte jeden Tag zum Himmel, er möchte Sie zu uns zurückführen ...«

»Und diese Hose mit dem Passepoil!« sagte Poupardot, »und dieser Hieb im Gesicht ... bist Du jetzt Soldat? ... Uns neun Jahre lang nicht zu schreiben ... das ist abscheulich!«

»Meine lieben Freunde,« versetzte Prosper, »wollt ihr mich hören, ehe ihr mich scheltet?«

»Ei! ganz gewiß! mehr verlangen wir gar nicht; wir sind sehr neugierig zu erfahren, was Du in so langer Zeit gethan hast.« – So hört mich.«

Prosper schaute noch einmal Paulinen an, deren Blicke auf ihm hafteten, drückte einen Kuß auf ihre Stirne und begann folgendermaßen die Erzählung seiner Abenteuer.

»Ich war nach England gegangen, um dort eine Person aufzusuchen, die ich liebte; diese fand ich auch; aber nun erst sah ich, wie sehr meine Hoffnungen getäuscht worden waren ... Die, welche ich meine Gattin zu nennen glaubte, verheirathete sich mit einem Andern! ... Da fühlte ich, die Verzweiflung im Herzen, das Bedürfniß zu reisen, die Welt zu durchziehen, und unter andern Himmelsstrichen, bei andern Völkern Zerstreuung und neue Eindrücke zu suchen, um von dem Uebel zu genesen, welches an meinem Leben nagte.

»Damals schrieb ich auch an Dich, meine lieber Poupardot; ich weiß nicht mehr was ich Dir sagte, ich war so schmerzlich betrübt! mein Kopf glühte und bei euch meine lieben Freunde hätte ich die Ruhe nicht wieder gefunden. Ich mußte Bewegung, Abenteuer, starke Erschütterungen haben; meine Seele bedurfte jener gewaltsamen Mittel, die man Kranken reicht, für welche man keine Hoffnung mehr hat.

»Ich hatte ungefähr achtzigtausend Livres in guten Wechseln auf die ersten Bankiers von Europa bei mir; es war Alles, was mir von meinem Vermögen blieb ... der Erbschaft des guten Durouleau's ... Das wundert euch? aber ich hatte den größten Theil schon Jemand gegeben ... oder vielmehr pflichtgemäß zurückerstattet.

»Ich begab mich nach Italien, sah Venedig, Florenz, Neapel. Ich lebte wie ein Fürst, wie ein großer Herr: dort genoß ich alle Vergnügungen, welche der Ueberfluß gewährt. Ich hatte eine wohlbestellte Tafel, bald zahlreiche Freunde ... oder wenigstens von jenen Bekanntschaften, die sich zu den Glückskindern des Tags drängen; von jenen Menschen, die euch für ein Mittagessen, für einen Ball, für ein Fest, sogleich ihre Freundschaft, ihre Complimente, ihnen Beifall schenken. Eine traurige Race! die man überall findet und geringschätzt, deren man sich aber wie eines Spielzeugs, gleich Karten oder Würfeln, bedient.

»Ich brachte drei Jahre in Italien zu; sein schönes Klima, seine leidenschaftlichen Frauen, der Wohlklang seiner Sprache und die Ungezwungenheit seiner Sitten hatten meinen Gram zerstreut; indessen fühlte ich doch die Leere dieser Freuden, denen ich mich hingab; ich dachte an euch, meine Freunde, und sprach zu mir: Ein Tag bei ihnen, im Kreise ihrer Familie, am Kamine mit Festlichkeiten, Spiel und Tanz verlebte Nächte. Aber zur Rückkehr nach Frankreich, wo mich so viele Erinnerungen erwarteten, fühlte ich mich noch nicht geheilt genug.

»Eines Tages fiel es mir ein, meine Kasse zu Rathe zu ziehen, da fand ich nur noch zwanzigtausend Livres; ich hatte sechzigtausend in drei Jahren gebraucht ... Um den großen Herrn zu spielen, war es nicht zu viel; aber in meinen Verhältnissen fand ich, daß damit die Zerstreuungen etwas theuer bezahlt waren; abgesehen davon würde ich, wenn ich auf diesem Fuße fortgemacht hätte, es nur noch ein Jahr lang haben treiben können. Ich dachte, es sei Zeit, inne zu halten.

»Da stiegen ehrgeizige Gedanken in mir auf, ich hatte alle Annehmlichkeiten des Reichthums empfunden, und faßte den Entschluß, nur mit einem großen Vermögen wieder nach Frankreich zurückzukehren. Ich machte die schönsten Pläne für die Zukunft ... Ich brauche euch nicht zu sagen, meine Freunde, daß ich in meinen Träumen euch immer zuerst im Auge hatte! auch an diese liebe Kleine dachte ich und sprach zu mir: würde ich nicht besser daran thun, mein Glück zu versuchen, anstatt nach Frankreich zurückzukehren, nachdem ich Durouleau's Hinterlassenschaft aufgezehrt habe? ... Wenn mir das Schicksal günstig ist, so kann ich bei meiner Zurückkunft dieser armen Kleinen, deren sich meine Freunde so gütig annahmen, ein beneidenswerthes Loos verschaffen.

»Vielleicht schlummerte auch noch ein anderer Gedanke in der Tiefe meiner Seele, den ich mir selbst nicht einmal zu gestehen wagte! ... Denn in Frankreich konnte ich jener Frau begegnen, die mich verschmäht hatte, und ich hätte sie gerne durch meinen Glanz niederdrücken mögen.

»Mein Entschluß wurde bald ausgeführt: ich schiffte mich nach Ostindien ein, denn dort sucht man gewöhnlich sein Glück. Nach einer langwierigen Ueberfahrt kam ich auf der Insel Java an; mit meinem noch übrigen Gelde kaufte ich Land und Sklaven. Ich pflanzte Zucker und Indigo, und gab mich mit Eifer den Geschäften hin. Damals hätte ich euch allerdings schreiben können, aber mein Lieblingsplan war, euch eines Tages von Gold strotzend zu überraschen. Ich sah ein, daß man sein Glück in Indien nicht so schnell macht, als man gewöhnlich meint. Doch hatte ich nach Verlauf von fünf Jahren mein Vermögen verzehnfacht. Da wurde mir ein ausgezeichnetes Unternehmen angetragen; indem ich meine zweimalhunderttausend Livres in Waaren steckte, die nach China abgingen, konnte ich mein Besitzthum um das Vierfache vermehren ... Dann wäre ich wirklich reich geworden! Ich versuchte das Glück. Ein Schiff ging mit meinen Waaren ab. Ich erwartete seine Rückkehr, um nach Frankreich heimzukehren: es kam nicht wieder, es ging unterwegs zu Grunde! ...

»Die ganze Frucht meiner Arbeit war verloren! Ich ertrug dieses Unglück geduldig. Das Schicksal, dachte ich, will nicht, daß ich reich zu meinen Freunden zurückkehre; nun! so kehre ich arm zurück ... ich bin überzeugt, daß sie mich doch gut aufnehmen! ... diesen Vortheil habe ich vor Manchem voraus. Ihr seht, ich hing nicht am Gelde! ich hatte nur einfach einen Traum genährt.

»Mit dem Wenigen, was mir geblieben, war ich im Stande, die Ueberfahrtskosten auf einem Schiffe zu bezahlen, welches mich nach Frankreich zurückbringen sollte; allein diesmal war die Fahrt nicht glücklich; nach argem Unwetter und fürchterlichen Stürmen, die uns zu verschlingen drohten, sahen wir uns endlich genöthigt, an der Küste von Dalmatien ans Land zu steigen. Ich fügte mich abermals ohne Murren in mein Geschick; ich habe überhaupt gefunden, daß ich mich besser ins Unglück als in das Glück zu schicken weiß; das ist immerhin eine Entschädigung.

»Ich entschloß mich, meine übrige Reise zu Fuße zurückzulegen; und ich hatte überdies auch gewichtige Gründe, mich der Oekonomie zu befleißigen. So pilgerte ich nun, einen Stab in der Hand und ein leichtes Päckchen auf dem Rücken, ohne Kenntniß der Wege, was mich aber wenig kümmerte, fort; nichts trieb mich zur Eile an, und ich sagte oft zu mir: irgendwo werde ich doch hinkommen.

»Während ich so vorwärts wanderte, gelangte ich, ohne zu wissen wie, nach Oesterreich und Mähren, und dort drangen Kriegsgerüchte zu meinen Ohren; die armen Landleute in den Gegenden, die ich durchstrich, theilten mir mit, daß Oesterreich und Rußland gegen Frankreich im Kampfe ständen, daß alle Augenblicke Truppen durchs Land zögen, und man in Kurzem einer großen Schlacht entgegensehe.

»Ich konnte nur sehnliche Wünsche für das Glück unserer Waffen zum Himmel senden, denn ich hatte gar nichts von einem Krieger an mir; meine Kleider waren abgetragen und meine Garderobe bot mir keine Hülfsmittel, der Unordnung meiner Toilette zu steuern.

»Wißt ihr jedoch, meine Freunde, was ich auf meinen langen Reisen, seit meiner Entfernung aus England, sorgfältig und getreulich mit mir genommen hatte? Nun? den Rest der Erbschaft von meinem Pathen Brillancourt; zwei Hosen, eine blaue und eine weiße. Ihr lacht ... Das scheint euch zum Erstaunen, und ihr begreift ohne Zweifel nicht, daß ich, während ich in Italien das Leben eines großen Herrn führte, während ich sechzigtausend Livres in tollen Orgien durchbrachte, an die Aufbewahrung zweier so bescheidenen Kleidungsstücke denken konnte, die nicht einmal für mich gemacht waren! Und doch ist es so; denn seht, meine Freunde, trotz meiner Thorheiten, meiner Neigung zur Unabhängigkeit und meiner liberalen Grundsätze bin ich doch ein wenig abergläubisch und lege einen großen Werth auf das Vermächtniß meines Pathen. Die rothe Hose hatte mir außerdem zu treffliche Dienste geleistet, als daß ich nicht einiges Vertrauen in die andern hätte setzen sollen. Kurz, durch alle Länder, in denen ich gewesen, hatte ich die beiden Hosen mitgenommen, und als ich mich jetzt in einem ans Elend grenzenden Zustande sah, und besonders der unentbehrlichste Theil meiner Garderobe sehr schlecht bestellt war, da ich nur ein einziges Paar Beinkleider besaß, die aussahen, als ob eine feindliche Armee an mehreren Stellen Bresche in sie geschossen hätte, so sagte ich zu mir: jetzt ist der günstige Moment, Zuflucht zu meinem Pathen zu nehmen, ich will eine von seinen Hosen anziehen.

»Nun knüpfte ich mein Päckchen im freien Felde auf; ich befand mich an einem einsamen Orte, wo mich nichts an dem Wechsel dieser so nöthigen Kleidungsstücke hinderte. Ich betrachtete meine beide Hosen: die erste war von weißem Atlas mit Stickereien und Flitterchen verziert; sie taugte für die gegenwärtigen Umstände nicht; aber die blaue war von festem, dauerhaften Tuche und hatte ein rothes Passepoil, welches ihr etwas Militärisches verlieh. Ich zog folglich die blaue Hose an ... es ist dieselbe, die ich jetzt noch trage.

»Kaum hatte ich meine Toilette beendigt, als ich durch Weibergeschrei und einen Haufen fliehender Bauern in Kenntnis gesetzt wurde, daß Truppen ins Land eingefallen seien; es waren Russen, wie man mir sagte. Da ich durchaus keine Lust hatte, ihnen zu begegnen, so beschleunigte ich meine Schritte, und lief bis in die Nacht hinein, wo ich eine halbe Stunde von dem Städtchen Austerlitz entfernt vor einem Landhause, dessen elegantes Aeußere Reichthum und Geschmack verkündigte, anhielt. Ich war von Müdigkeit und Hunger ganz erschöpft, und erblickte weder eine Hütte noch sonst ein Bauernhaus um mich herum. Da ich nun keinen Armen um Gastfreundschaft ansprechen konnte, so entschloß ich mich in Gottes Namen, mich an einen Reichen zu wenden. Ich klopfte an die Thüre, denn alle Zugänge zu dem Hause waren sorgfältig verschlossen, was mir in Kriegszeiten ganz natürlich vorkam. Man öffnete mir nicht, aber eine Stimme fragte mich auf Französisch, was ich begehre. Entzückt, diese Laute zu vernehmen, entgegnete ich, ich sei ein armer Reisender und bitte in dem hintersten Winkel des Hauses um Obdach für eine Nacht. Ich hatte noch nicht geendet, so rief eine Stimme im Innern: »Es ist ein Franzose, machen Sie auf, geschwind Peter, machen Sie ihm auf!«

»Man schloß mir auf; ich gewahrte einen vollständig bewaffneten Bedienten, der aber am ganzen Leibe zitterte. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß ich allein und unbewaffnet war, ließ er mich eintreten und führte mich in ein wunderhübsches mit eben so viel Geschmack als Eleganz ausmöblirtes Zimmer. Dort hieß er mich sitzen und warten; nach einigen Minuten kam ein etwa vierzigjähriger, in einen prachtvollen Schlafrock eingehüllter Mann herein. Dieser Herr, der am Beine verwundet zu sein schien und kaum gehen konnte, stützte sich auf den Arm einer jungen und reizenden Frau, die ihn mit Zeichen der zartesten Aufmerksamkeit überschüttete. Er setzte sich in einen Lehnstuhl und es entspann sich folgendes Gespräch zwischen uns: »Sie sind ein Franzose?« – Ja, mein Herr. – »Um so besser, ich auch. Sie sind nicht im Militärdienste?« – Nein ... Ich komme aus Ostindien ... Das Schiff, welches mein Vermögen trug, ging unter; ich kehre zu Fuße zurück ... aber ich fühle Kraft und Muth in mir; in Frankreich hoffe ich Freunde zu finden, und dieser Gedanke hält mich aufrecht.« – Ganz gut. Ich bin sehr reich. Zufällig in dieses Land gekommen, ließ ich mich hier nieder, weil ich diese kleine, hübsche Mährin fand, mit der ich mich verheirathete, und die mein Glück ausmacht. Jetzt können Sie hier bleiben, so lange es Ihnen Vergnügen macht; Sie werden wie ein Landsmann, das heißt mit andern Worten, wie ein Bruder behandelt werden. Nur muß ich Ihnen zum Voraus ankündigen, daß es meine Absicht ist, wenn österreichische oder russische Soldaten hier eindringen wollten, mich auf das Aeußerste zu vertheidigen, weil ich dieselben hasse, und nicht dulde, daß sie meiner Frau zu nahe kommen. Sind Sie damit einverstanden? – »Vollkommen.« – Schon vor zwei Tagen wollten einige Plänkler von der russischen Armee bei mir eindringen. Ich habe nur vier Bedienten hier, aber trotzdem habe ich ihrer mehr als fünfzehn Mann getödtet ... Sie haben geglaubt, es liege ein französischer Posten hier im Hause und haben sich zurückgezogen. Unglücklicherweise bin ich am Beine verwundet worden ... was mich hindern würde, wenn sie wieder kämen. Doch gleichviel, entweder fallen, oder sie zurückdrängen. Ueberdies würden sie, wenn ich sie hereinließe, mich als Franzosen erkennen, und weder mich noch meine Frau verschonen ... Wenn ich denke, daß diese Elenden! ... Ach! ... und ich bin verwundet! – »Mein Herr, lassen Sie mir Waffen geben und zählen Sie auf mich. Wenn man Sie angreift, verspreche ich Ihnen, würdig Ihre Stelle zu vertreten, und eher zu sterben, als zu dulden, daß Ihrer Gattin der geringste Schimpf angethan werde.« –

»Als der Verwundete mich so sprechen hörte, reichte er mir die Hand, drückte sie innig und sprach: »Sie sind ein tapferer Mann! Der Himmel sendet Sie mir zu. Uebrigens ist Napoleon nicht mehr ferne mit seinem Heere, und ich zweifle nicht, daß er in Kurzem die Herren Alliirten geschlagen haben wird. Betrachten Sie sich nun hier wie zu Hause! ... Auf Wiedersehen, ich muß meiner Wunde pflegen ...«

»Mein Wirth entfernte sich mit seiner jungen und schönen Frau. Ich brauche euch nicht zu sagen, daß ich bei diesem Franzosen aufs Rücksichtsvollste behandelt wurde. Zwei Tage befand ich mich bei Herrn von Derneval, dies war der Name meines Landsmannes, als uns gegen Morgen in der Ferne fallende Flintenschüsse ankündigten, daß man sich in unserer Gegend schlage. Bald darauf ließ sich Pferdegetrappel vernehmen, und die Bedienten brachten mir mit schreckerfüllter Miene die Nachricht, daß Russen das Haus umringten, und daß sie zu demselben Corps gehören, welches schon einmal da gewesen sei und wovon ihr Herr so viele getödtet habe. Gut denn! sagte ich zu ihnen, wir werden ihrer noch mehr tödten; jetzt nur Waffen, Besonnenheit und Muth!

»Nach wenigen Minuten griffen uns die Russen an. Herr Derneval wollte mich unterstützen, er war aber nicht im Stande, sich auf den Beinen zu halten. Ich sah bald ein, daß wir verloren waren; nun stellte ich mich vor die Thüre des Gemaches, worin die Gattin meines Gastfreundes verborgen war. Ich hatte gelobt, zu sterben, ehe man zu ihr gelange; ich wollte mein Wort halten. Kaum hatte ich mich dort aufgestellt, als die Russen von allen Seiten in das Haus eindrangen. In kurzer Zeit standen mir mehrere gegenüber und einer derselben sagte in schlechtem Französisch zu mir: »Hast Du vor einigen Tagen von unsern Leuten umgebracht? ... Bist Du der Herr des Hauses?« – Ja, ja,« fiel ein Anderer ein, »er ist es ... ein französischer Offizier ... mit einer militärischen Hose ... – »Nun,« entgegnete ich, »was wollt ihr von mir?« – Dich Deinen Widerstand theuer bezahlen lassen ... Dich lehren uns abzuweisen.«

»Alsbald wurden mehrere Säbel gegen mich erhoben. Ich vertheidigte mich wie ein Löwe; zwei meiner Gegner fielen; aber endlich traf mich ein Säbelhieb in den Kopf. Ich fiel ... und sah nichts mehr um mich her.

»Als ich die Augen wieder aufschlug, lag ich in einem guten Bette; mein Wirth und seine Gattin standen an meiner Seite, und Herr Derneval sagte mit einem Händedruck zu mir: »Ihre muthvolle Vertheidigung hat die Ehre meiner Gemahlin gerettet, indem unsere Landsleute Zeit dadurch gewannen, zu Hülfe zu eilen ... Ich habe Ihr edles Betragen den französischen Generalen geschildert, die hier waren. Sie haben mich beauftragt, Sie zu versichern, daß sie dasselbe dem Kaiser mittheilen würden. Wissen Sie, daß Napoleon einen großen Sieg davon getragen hat, und daß die Schlacht von Austerlitz unter die Zahl jener schönen Tage gerechnet werden wird, die den Sieger unsterblich machen.« – Und seit wann bin ich im Bette?« fragte ich, mit der Hand nach meiner Wunde greifend. – »Seit vierzehn Tagen. Sie waren sehr schlimm daran; man hat für Ihr Leben gefürchtet, aber die Gefahr ist vorüber; Sie haben nur noch Ruhe und Sorgfalt nöthig. Lassen Sie sich also verpflegen. Sie sind mir mehr als ein Bruder, denn ich verdanke Ihnen meine Ehre und das Glück, meine angebetete Frau noch an mein Herz schließen zu können.«

»Statt aller Antwort drückte ich Dernevals Hand und ließ mich pflegen. Das war das Beste was ich thun konnte. Meine Genesung dauerte sehr lange; denn außer dieser Kopfwunde hatte ich auch einen Säbelhieb in die Seite, und einen Lanzenstich erhalten, der beinahe durch den ganzen Schenkel ging. Ich blieb also noch zwei Monate bei meinen neuen Freunden; sie wollten mich für immer bei sich behalten, aber ich sprach unaufhörlich von Paris und von euch, meine Freunde, daher begriffen sie, daß ich nur in Frankreich vollkommen gesunden könne. Eines Morgens trat Derneval bei mir ein und sagte: »Sie können nur in Paris glücklich sein, wir wären egoistisch, wenn wir Sie noch länger zurückhielten. Vor der Thüre steht eine Postchaise, die auf Sie wartet. Gehen Sie, mein lieber Prosper, aber erinnern Sie sich, daß Sie in Mähren Freunde haben, die Sie nie vergessen werden.«

»Ich war höchst erfreut, mit der Post abzureisen, aber ich befand mich in großer Verlegenheit, denn ich hatte nur noch einige Stücke kleine Münze bei mir, die kaum hingereicht hätten, drei Stationen zu bezahlen. Ich weiß nicht, ob Derneval meinen Gedanken errieth; aber er kam lächelnd auf mich zu und sagte: »Reisen Sie ohne Furcht ab, es wird Ihnen unterwegs an Nichts mangeln, ich habe für Alles gesorgt.« – Dann schloß er mich in seine Arme; seine Frau reichte mir die Hand zum Kusse, und Beide nehmen zärtlich von mir Abschied. Man hatte mir Kleider zur Auswahl in mein Zimmer gebracht, aber ich wies sie zurück ... Ich kehrte gerne mit dieser blauen Hose nach Frankreich zurück, die mir ebenfalls Glück gebracht hatte. Ich stieg in den Postwagen und fand dort ein Paket mit meiner Adresse. Ich öffnete es: eine Börse voll Gold, eine Brieftasche mit fünfzigtausend Livres und folgender Brief von Derneval war darin enthalten:

»Sehen Sie Beifolgendes nicht als einen Lohn für den mir geleisteten Dienst an, denn solche Handlungen sind unbezahlbar, sondern als einen Beweis meiner Freundschaft. Diese Summe, die für mich unbedeutend ist, kann Ihnen zur Wiederherstellung Ihres Vermögens verhelfen. Wenn Sie dieses Geschenk nicht annehmen, so würde ich denken, daß Sie mich nicht als Ihren Freund betrachten wollen.«

»Während ich das Paket öffnete und das Schreiben las, hatte der Postillon seine Pferde angetrieben und wir waren schon weit von Derneval entfernt. Was sollte ich thun? zu meinem Landsmann zurückkehren und ihm zurückgeben, was er mir so großmüthig anbot ... Nein, denn ich hatte in seiner Seele gelesen, und meine Weigerung hätte sie verwundet. Ich dachte daher, ich wolle dieses neue, mir vom Schicksal vergönnte Vermögen annehmen ... Ich that es, indem ich der Freundschaft dieses edelmüthigen Franzosen meinen Dank zollte ... und darum, meine Freunde, seht ihr mich heute wieder reich, mit der blauen Hose meines Pathen ... in einer Postchaise ankommen.«

Prosper schloß seine Erzählung, die Alle mit der lebhaftesten Aufmerksamkeit angehört hatten; Pauline besonders ließ kein Wort davon verloren gehen; sie erblaßte, als Gefahren ihren Freund bedrohten; sie bebte vor Freude, wenn ihm ein glückliches Ereigniß begegnete, und als er geendet hatte, fragte sie ihn mit ihrer sanften Stimme: »Aber jetzt verlassen Sie uns nicht mehr, nicht wahr?« – Nein, mein liebes Kind,« entgegnete Prosper, ihr noch einmal um den Hals fallend; »ich bin lange genug in der Welt herumgereist, ich darf wohl ausruhen. Und abgesehen davon, obgleich ich erst dreißig Jahre alt bin, haben meine letzten Wunden die Heftigkeit meines Blutes etwas gedämpft. Von nun an werde ich mich nur noch Deinem Glücke widmen, und das unserer Freunde theilen, denen ich für Alles, was sie an Dir gethan haben, nicht genug zu danken weiß. – »Das gefällt mir sehr!« versetzte Poupardot; »Du wolltest mich ohne Zweifel mit den zwanzigtausend Livres, die Du schicktest, bezahlen! Ich habe sie für diese Kleine auf Zinsen angelegt. O! Wenn ich ihrer bedürftig gewesen wäre, hätte ich sie ohne Erröthen angenommen; aber dem Himmel sei Dank, ich hatte sie nicht nöthig, obwohl sich mein Vermögen etwas vermindert hat, weil die Assignaten ganz außer Cours gekommen sind; aber ich habe doch noch genug, um meine zwei Söhne, die Du hier siehst ... Navet und Napoleon ... zwei vielversprechende Jungen ... erziehen zu lassen.« – Nun, meine Freunde, ihr seid glücklich, das ist mein höchster Wunsch, und ihr gebt mir statt des Kindes, welches ich euch zurückließ, ein junges, liebliches Mädchen zurück. – »Wollen Sie uns dasselbe schon abnehmen?« fragte Elisa mit bewegter Stimme. – »Nein, nein ... ich möchte diesem Kinde nicht gleich bei meiner Ankunft Betrübniß verursachen. Wir wollen später sehen, ob ihr überhaupt meine Gesellschaft gefällt. Jetzt denke ich nur an das Glück, mich wieder in Frankreich und bei meinen Freunden zu befinden. Ach! gebt mir Nachricht von ihnen ... wie steht es mit Maximus? – »Man weiß nicht, was aus ihm geworden ist! ... man konnte seinen Wohnort nicht einmal ausfindig machen. – »O! ich werde ihn ausfindig machen, und wenn er nicht gestorben ist, ihn sicher noch in meine Arme drücken. Und Roger? – »Ist seit einem Jahr Husarenlieutenant ... er ist zur Armee zurückgekehrt. Ich meine gehört zu haben, er sei Rittmeister geworden. O! wir werden ihn bald wiedersehen.« – Und Picotin und seine Frau? – »Picotin handelt mit Schaffellen, während er auf eine Lieferung für die Armee wartet. Seine Frau hat sehr ausgebreitete Bekanntschaften unter dem Militär ... Sie unterhält einen eigenen Generalstab.«

Prosper schwieg eine Zeitlang. Man sah ihm an, daß er eine andere Frage zu machen wünschte, jedoch in Verlegenheit war, sie anzubringen; endlich entschloß er sich, und sagte zögernd: »Und ... die Emigranten? ...« – O! die sind größtentheils wieder nach Frankreich zurückgekehrt ... ein kaiserliches Dekret gestattete es ihnen ... Es bewerben sich bereits wieder einige um Stellen bei der Regierung, und man sieht Edelleute vom alten Hofe sich unter die des neuen Hofes mischen.«

Prosper blieb einen Augenblick in Nachdenken versunken, aber bald schien er, alte Erinnerungen verbannend, sich dem Vergnügen hinzugeben, das er bei dem Wiedersehen seiner Freunde fand. Besonders von Paulinen war er entzückt; das verständige Betragen, die Sanftmuth und Anmuth des jungen Mädchens versetzten ihn in Staunen und Entzücken. Als ihm die gute Elisa erzählte, daß das liebenswürdige Kind keinen Tag hatte vergehen lassen, ohne von ihm zu sprechen, und den Himmel um seine Rückkehr anzuflehen, fühlte Prosper sein Auge naß werden, und er machte sich Vorwürfe, so lange nicht zu der Waise zurückgekehrt zu sein. Aber früher wäre er ohne Zweifel nicht reich heimgekommen, daher fand er am Ende doch, daß Alles noch zum Besten geschehen war.

Nach einem bei seinen Freunden zugebrachten Tage ging Prosper wieder nach Paris. Dort miethete er eine schöne Wohnung, ließ sie elegant möbliren, und besonders ein für Paulinen bestimmtes Zimmerchen recht zierlich einrichten. Dann versah er sich mit Dienstleuten, nahm einen Bedienten, eine Köchin und eine Hausverwalterin an, welche letztere er zugleich zur Erzieherin für die Waise bestimmte.

Nachdem alle diese Anordnungen getroffen waren, zögerte Prosper doch, obgleich er vor Begierde brannte, seine Adoptivtochter in seiner Nähe zu haben, das junge Mädchen von Poupardot wegzunehmen; er fürchtete Elisa zu betrüben, und fürchtete besonders, Pauline möchte sich bei ihm langweilen und sich nach Clichy zurücksehnen.

Nachdem aber Prosper mehrere Tage bei Poupardot zugebracht hatte, bemerkte er, daß Herr Navet das junge Mädchen unaufhörlich neckte und quälte, und diese dagegen, um keinen Streit im Hause zu veranlassen, tausend Widerwärtigkeiten, die ihr der junge Mensch zufügte, ohne sich zu beklagen, ertrug.

Eines Tages, als Prosper unverhofft bei seinen Freunden eintrat, fand er Paulinen in Thränen gebadet im Garten.

»Was gibt es, liebe Kleine?« fragte Prosper, auf das Mädchen zueilend. »Wer kann Dir Kummer verursachen? ... Wer erlaubt sich, Dir Thränen auszupressen?«

Pauline zögerte, sie wollte sich nicht beklagen, um Elisa keinen Kummer zu bereiten, die schon genug durch ihres Sohnes Unarten litt; allein Prosper ließ sich nicht mit Ausflüchten zufriedenstellen, er verlangte Wahrheit. Da gestand ihm das junge Mädchen weinend, daß Herr Navet ihren kleinen Vogel Tom, den sie so zärtlich liebte, mit Steinwürfen getödtet habe, weil er in einen Rahmkäse gepickt hatte, den der kleine Junge zum Frühstück essen wollte.

Nun nahm Prosper Paulinen auf seinen Schooß und sagte zu ihr: »Wärest Du nicht unglücklich, wenn ich Dich zu mir nähme? Du würdest ein hübsches Zimmer, eine Gesellschafterin, Dienstboten bekommen ... Ich werde Dir alle Lehrer halten, die Du wünschest und alle Vergnügungen gewähren, die für Dein Alter passen. Aber wenn Du lieber bei Poupardots bleiben willst, wenn Du Diejenigen nicht verlassen willst, die Dich seit meiner Abwesenheit erzogen haben, so steht das ganz in Deinem Belieben ... und ich werde Dir darum nicht gram sein.«

Pauline erhob ihre schönen Augen zu Prosper und antwortete ihm ohne Zögern: »Meine guten Freunde Poupardot können mich entbehren, weil sie noch andere Kinder haben ... Aber Sie ... da Sie allein sind, brauchen Gesellschaft ... Ach! Sie werden mir von meiner Mutter und meinem armen Vater erzählen ... und ich mich nie bei Ihnen langweilen.«

Prosper hatte nicht die Kraft zu antworten, so sehr war sein Herz ergriffen; aber er eilte unverzüglich zu den beiden Gatten und sagte zu ihnen: »Meine Freunde, ich komme, um Paulinen abzuholen ... ich möchte sie mit mir nehmen.«

Elisa blickte das kleine Mädchen an, seufzte tief auf, küßte sie und sagte ihr ins Ohr: »Geh, liebe Kleine, Du wirst recht glücklich bei ihm sein ... und dort wird Dich Niemand zu Thränen bringen!«

Und Poupardot gab Prosper einen Handschlag und sagte: »Nun! ich tadle Dich eben nicht ... Pauline wächst heran ... mein Navet auch ... Er ist schon elf und ein halb Jahr alt! scheint ein wahrer Herkules zu werden ... Solche Leutchen sind schwer miteinander zu erziehen ... abgesehen von den Vorsichtsmaßregeln, welche man ergreifen müßte!«

Am nämlichen Abend noch bezog das junge Mädchen das hübsche Zimmer, welches ihr Prosper in seiner Wohnung hatte einrichten lassen. Eine achtungswerthe Erzieherin war beauftragt, stets in ihrer Nähe zu sein, und die Dienstboten leisteten all ihren Wünschen Gehorsam.


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