Paul de Kock
Der Mann mit drei Hosen
Paul de Kock

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Zwanzigstes Kapitel.

Camilla und Pauline

Am Morgen nach dem Balle begab sich Prosper, der wegen Paulinens Gesundheit sehr in Unruhe war, bei Zeit zu ihr. Er fand sie blaß und mit gerötheten Augen, als ob sie viel geweint hätte, auch schien sie traurigen Gedanken nachzuhängen; bei seinem Anblick zwang sie sich übrigens zu einem Lächeln und sagte abermals: »Mein Gott, wie sehr bedaure ich es, daß Sie um meinetwillen diesen Ball verließen, auf dem Sie sich so vorzüglich unterhielten! ... Sie sehen, ich bringe Unglück. Nehmen Sie mich von nun an nicht mehr in Gesellschaften mit, lassen Sie mich zu Hause ... das wird besser sein.« – Es thut mir leid, Sie so sprechen zu hören,« versetzte Prosper. »Ich glaubte im Gegentheile, Sie hätten sich bei Madame Bloumann gut unterhalten. Jedermann fand Sie reizend, meine liebe Pauline; man hat mir Ihretwegen nichts als Complimente gemacht ... Ich hoffte, Sie würden Geschmack an der Gesellschaft finden. – »Die Frau Generalin war voll Aufmerksamkeit gegen mich ... Ach! ich habe diese Dame sehr gerne ... aber demungeachtet halte ich mich lieber von der Gesellschaft fern.« – Welch' sonderbarer Einfall! Weil es Ihnen unwohl geworden ist? – »O! nicht deßhalb ...« – Was hat wohl Ihr Uebelsein herbeigeführt? ... vielleicht das Gefrorene? ... die Hitze? ... oder das Tanzen? ...«

Ein bitteres Lächeln trat auf Paulinens Lippen, und sie flüsterte: »Nein, das ist nicht Schuld ...« – Es hat Ihnen doch hoffentlich Niemand etwas Unangenehmes gesagt, was Sie hätte betrüben können? ... – »O! nein, Niemand ... Mein Gott, Sie haben Recht, die Hitze war ohne Zweifel Schuld daran.«

Pauline schlug die Augen nieder und sprach nichts weiter. Prosper, wegen ihres Befindens beruhigter, verließ sie, nahm ein Cabriolet und ließ sich in die Vorstadt Saint-Germain an das ihm von Camilla bezeichnete Haus führen.

Das Aeußere dieses Hauses war höchst bescheiden, und der Portier hieß Prosper in das vierte Stockwerk über dem Entresol hinaufgehen.

»Sie wohnt beinahe eben so hoch oben wie Maximus!« dachte Prosper, während er die Treppe hinaufging. »Es scheint wirklich, daß ihr Mann ihr nur sehr wenig hinterlassen hat ... Arme Camilla! ... sie, die im Ueberflusse erzogen wurde ... und an alle Genüsse des Luxus und des Reichthums gewöhnt war ... vielleicht in der Dürftigkeit leben zu müssen! ... und ich bringe meine Habe so verschwenderisch durch!«

Prosper befand sich vor der Thüre der Frau von Clairville. Eine Dienerin öffnete ihm; es war eine alte, zwar reinlich, aber äußerst einfach gekleidete Person, die eher einer Aufwärterin, als einer Kammerfrau ähnlich sah. Prosper trat in ein ganz kleines Zimmer ein, welches ein Vorzimmer vorstellte, und fragte, ob er die Frau von Clairville sprechen könne.

Die Dienerin befragte ihn um seinen Namen und sagte: »Ich will sehen, ob die Frau Marquise zu sprechen ist. Wollen Sie so gefällig sein, mein Herr, und im Salon warten.« Damit machte sie eine Thüre auf, und Prosper trat in ein anderes, etwas größeres Gemach, worin sich zwei schlechte Lehnstühle, ein Sopha, vier Stühle und einige Familiengemälde befanden.

»Das Alles verkündet keinen sonderlichen Wohlstand!« sprach Prosper zu sich, indem er sich umsah. »Aber trotz dem herrscht immer noch dieselbe Förmlichkeit, es ist immer noch eine Marquise, mit der ich sprechen werde.«

Nach einer Weile ging eine andere Thüre auf, und Camilla erschien. Sie hatte ein schwarzes, äußerst einfaches Kleid an, aber die Anmuth, womit sie es trug, das edle Wesen, welches sie im unbedeutendsten Negligé beibehielt, ließ die Einfachheit ihres Anzuges übersehen; und man war nur betroffen über ihre Schönheit und ihre ausgezeichneten Manieren.

Camilla nahm Prosper mit einer liebenswürdigen, obgleich etwas zurückhaltenden Höflichkeit auf; sie hieß ihn Platz nehmen und sagte: »Wenn es nicht unbescheiden ist, mein Herr, so wäre ich sehr neugierig, die Erzählung Ihrer Abenteuer zu hören. Im Laufe der vielen Jahre, welche wir uns nicht gesehen haben ... müssen Sie allerlei erlebt haben!«

Prosper folgte mit größtem Vergnügen ihrem Wunsche. Er machte ihr eine Schilderung von seinen Reisen, und ließ, während er von seinen Erlebnissen sprach, öfters einige Worte fallen, welche daran erinnerten, daß sein einziger Zweck immer gewesen sei, eine Leidenschaft aus seinem Herzen zu verbannen, die ihn zur Verzweiflung brachte. Allein dann schien ihn Camilla nicht zu verstehen, oder sie lenkte schnell das Gespräch auf einen andern Gegenstand. Als Prosper seine Erzählung beendigt hatte, sagte er zu der Marquise: »Wenn ich nicht meinerseits befürchtete, unbescheiden zu sein, Madame, so würde ich Sie ebenfalls ... um einige Worte über Ihr Schicksal bitten ... Seit fünfzehn Jahren habe ich nichts mehr von Ihnen gehört ... und doch verging kein Augenblick, wo mir Ihr Glück nicht am Herzen lag.« – Ich, mein Herr,« entgegnete Camilla, »habe Ihnen nur sehr wenig zu berichten. Bald darauf, nachdem ich Sie in England gesehen hatte, heirathete ich den Herrn Marquis von Clairville ... Ich kannte ihn nur wenig, aber mein Vater wünschte diese Verbindung. Wir kamen wieder nach Frankreich, als den Emigranten gestattet wurde, dahin zurückzukehren. Mein Vater starb ein Jahr darauf, und vor fünf Jahren verlor ich auch meinen Mann ... Das ist Alles, mein Herr. – »Und Ihre Lage, gnädige Frau, ist sie von der Art, daß sie Ihnen nichts zu wünschen übrig läßt?« fragte Prosper nach langem Zögern; doch Camilla antwortete ihm schnell mit stolzem, beinahe unwilligem Tone: »Ja, mein Herr, meine Lage ist sehr angemessen ... Allerdings könnte ich reicher sein ... ein anderes Haus machen; allein es genügt mir, von Niemand Unterstützung zu bedürfen.«

Prosper schwieg, denn er sah ein, daß wenig dazu gehören würde, diese Frau zu verletzen, deren Stolz unbeugsam war. Indessen wunderte er sich, daß sie im Verlaufe ihres Gespräches nicht ein Wort des Dankes für sein Benehmen gegen ihren Vater, in Beziehung auf das Gut bei Melun, an ihn richtete.

Nachdem Prosper zwei Stunden bei Camilla zugebracht hatte, die ihm sehr kurz geschienen, empfahl er sich der Marquise, indem er sie um die Erlaubniß bat, sie wieder besuchen zu dürfen, welche sie ihm auch ziemlich huldvoll bewilligte.

Ein Monat verstrich. Prosper ging oft zu Frau von Clairville, sie empfing ihn stets mit großer Artigkeit, behielt aber ihren zurückhaltenden und ceremoniellen Ton bei, der ihm Wort unleserlich schien, mehr als ein gewöhnlicher Bekannter für sie zu sein, und wenn er im Begriffe stand, sie daran zu erinnern, daß ihr Verhältniß inniger gewesen sei, so hielt ein strenger Blick der Marquise die Ergüsse, denen sich sein Herz hingeben wollte, auf seinen Lippen zurück.

Prosper hatte gewünscht, Camilla zärtlicher, gefühlvoller zu finden, und besonders erwartet, daß sie ihn ihres Vertrauens für würdig erachten und ihm ihre bedrängte Lage nicht verbergen werde.

Eines Morgens, als er ihre Dienerin allein antraf und bemerkte, daß die Person rothe, geschwollene Augen hatte, gelang es ihm vermöge inständiger Bitten und eines ihr in die Hand gedrückten Goldstückes, sie zum Sprechen zu bewegen.

»Ich habe geweint, mein Herr« sagte das Dienstmädchen, »weil sich meine gnädige Frau fast zu Tode arbeitet, um nur leben zu können ... und sich standesgemäß zu kleiden ... sie bringt ganze Nächte mit Sticken zu; ich trage die Arbeiten aus und hole wieder neue her ... aber heute hatte man mir keine Aufträge zu geben ... die gnädige Frau ist deßhalb selbst ausgegangen, um sich umzusehen ... und anderwärts nach Beschäftigung zu suchen! Sie begreifen wohl, daß sie nicht sagt, es sei für sie selbst! O! das hält sie durchaus geheim ... und wenn sie erführe, daß ich Ihnen dieses Geständniß gemacht habe, so würde sie mich plötzlich fortjagen.«

Prosper versprach dem Mädchen, hierüber zu schweigen, aber sein Plan war gefaßt; und als er am andern Morgen zu Camilla ging, war er fest entschlossen, endlich von ihr zu erfahren, was er zu hoffen habe.

Frau von Clairville nahm Prosper mit ihrer gewöhnlichen Artigkeit auf; ihr Antlitz war so liebenswürdig, so ruhig wie immer, und man hätte ihr die pekuniären Verlegenheiten, in denen sie sich befand, nicht ansehen können; sie gab Prosper einen Wink, sich einen Stuhl zu nehmen; aber dieser setzte sich näher als sonst neben sie, betrachtete sie mit unverwandten Augen und begann endlich: »Nun, Madame! werden wir auch für die Folge nur kalte Bekannte für einander bleiben? ... Gibt es nichts, was uns einander näher bringen könnte ... und ist die Vergangenheit in Ihrem Andenken ganz erloschen?«

Camilla's Angesicht wurde ernst und düster; erst nach einem langen Schweigen antwortete sie: »Mein Herr, wenn uns die Vergangenheit erröthen macht, ist es dann nicht eine Pflicht, sie zu vergessen?« – Erröthen! ... Immer dieses Wort!« rief Prosper aus. »Ach! Madame, Sie haben mich schwer für ein Vergehen bestraft ... das doch nicht mit Vorbedacht ausgeführt wurde! ... Muß es mir denn auf ewig Ihr Herz verschließen? und ist meine Liebe nicht wahrhaft, nicht beständig genug gewesen, um Eindruck auf Sie zu machen? In England hat Ihr Vater meine Bitte mit Verachtung zurückgewiesen ... Er gab Sie dem Marquis von Clairville zur Frau ...Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was ich gelitten habe, als ich Ihre Vermählung erfuhr! Doch damals waren Sie noch von Ihrem Vater abhängig ... Ich konnte glauben ... daß Sie, selbst wenn Sie an mich dachten, dem Herrn von Trevilliers Gehorsam schuldig waren. Aber jetzt lebt Ihr Vater nicht mehr; Sie sind Wittwe, vollkommen unabhängig; wer also außer Ihnen kann mich hindern, von meiner Liebe mit Ihnen zu sprechen? – »Ich meine, da wir von nun an nur Freunde sein wollen, sei es überflüssig, uns von einem Gefühle zu unterhalten, welches nicht mehr bestehen soll ...«– Nicht mehr bestehen soll! ... Ach! Camilla ... denn ich will Sie noch einmal bei diesem theuern Namen nennen! ... Warum sollten wir nur zwei Freunde sein? Sind Sie nicht immer noch schön, reizend ... zum Lieben geschaffen, wie früher? Und habe ich nicht ein eben so glühendes Herz, eine eben so flammende Seele behalten? ... O! ja ... ich fühle es! die Liebe, die Sie mir eingeflößt haben ... ist noch unverändert ... sie schlummerte in der Tiefe meines Herzens, aber ein Blick von Ihnen reichte hin, sie wieder zu erwecken. – »Mein Herr!« rief Camilla mit entrüsteter Miene aus, »welcher Hoffnung geben Sie sich hin? Wo will diese Sprache hinaus?« – Betrachten Sie mich nicht mit so unwilligen Blicken, Madame! ... Was ich will ... was mein Glück ausmachte ... wäre, mich Ihren Gatten nennen zu dürfen ... Sie sind frei ... reichen Sie mir Ihre Hand ...«

Eine lebhafte Bewegung malte sich in Camilla's Zügen ... ihre Brust wogte stürmisch, sie kehrte das Gesicht ab, um nicht Prosper's Blicken zu begegnen, welche fest auf ihr hafteten, es war, als ob ein heftiger Kampf im Grunde ihres Herzens vorgehe. Endlich antwortete sie: »Nein ... nein ... das ist unmöglich ... Ich kann Ihr Anerbieten nicht annehmen, mein Herr.« – Sie können es nicht annehmen!« sagte Prosper, sich von seinem Sitze erhebend. »Genug, Madame, jetzt bin ich nicht mehr im mindesten im Zweifel über Ihre Gefühle ... denn Sie ... Sie allein stoßen meine Liebe zurück. Von nun an werde ich Ihnen mit meinen Besuchen nicht mehr zur Last fallen ... – »Und doch, mein Herr, war Ihnen meine Freundschaft gewiß.«–Man kann die Freundschaft einer Frau, die unsere Liebe verschmäht hat, nicht annehmen ... so denke wenigstens ich; meine Lage in Ihrer Nähe wäre zu peinlich; ich sehe ein, daß künftig jede Verbindung zwischen uns beiden aufhören muß. Leben Sie wohl, gnädige Frau, seien Sie glücklich ... das wird mein beständiger Wunsch bleiben.«

Mit diesen Worten verbeugte sich Prosper vor Camilla; diese war sehr ergriffen, sie machte eine Bewegung, wie um aufzustehen und Prospern zurückzuhalten, allein sie sank wieder auf ihren Stuhl zurück und ließ den Mann weggehen, der schon seit so vielen Jahren in zärtlichster Liebe für sie entbrannt war.

Prosper hatte sich rasch entfernt. Diesmal überließ er sich nicht der Verzweiflung, denn die Marquise hatte seine Eigenliebe verletzt; nur seine Schwachheit verwünschte er, und er bedauerte, Camilla noch einmal eine Liebe zu Füßen gelegt zu haben, die sie zurückgewiesen hatte.

»Diese Frau hat mich nie geliebt!« sprach er zu sich; »heute habe ich den Beweis davon erhalten ... Und ich verwünschte mein ganzes Leben hindurch das Schicksal, welches mich von ihr trennte! ... O! es ist aus! ... es ist aus! ... Ja, aber so lange ich sie im Elende weiß, kann ich sie nicht vergessen, und überdies darf ich nicht dulden, daß Diejenige, welche der Abgott meiner Jugend war, ihre Nächte durchwacht ... und ihre Augen durch übermäßige Arbeit anstrengt ... Eine Unterstützung von meiner Seite würde sie ausschlagen ... aber wenn sie nicht weiß, daß sie von mir herrührt! ... Ach! ich besinne mich ... Sie hat mir im Gespräche von einigen Schuldnern ihres Mannes erzählt, von welchen sie nichts erhalten konnte ... das gibt einen Vorwand.«

Prosper trat zu einem öffentlichen Schreiber ein und diktirte ihm folgendes Billet:

»Gnädige Frau!

Ein alter Schuldner des Herrn von Clairville, der nunmehr im Stande ist, seine Schuld zu bezahlen, bittet Sie, die inliegenden zwanzigtausend Franken in Empfang zu nehmen. Er unterzeichnet sein Schreiben nicht, weil er sich schämt, seine Schuld nicht schon früher abgetragen zu haben.«

Diesen Brief nahm Prosper mit sich, ging nach Hause, holte zwanzigtausend Franken in Banknoten, machte Alles zusammen und begab sich Abends mit einem zuverlässigen Comissionär vor Camilla's Haus; dort ließ er das Päckchen an den Portier abgeben, mit dem Auftrage, es sogleich zu Frau von Clairville hinaufzutragen.

Prosper fühlte sich glücklicher, beruhigter, nachdem er seinen edelmüthigen Plan ausgeführt hatte.

»Von nun an,« sprach er in seinem Sinne: »will ich nur noch an Paulinen denken, mich nur mit ihr beschäftigen. Sie ist seit einiger Zeit ... seit jenem Ballabend bei dem General ... traurig und träumerisch ... Ei! welcher Gedanke! wenn dort Jemand ihre Aufmerksamkeit erregt hätte ... jener junge Alfred, der so oft mit ihr tanzte ... ja, das muß es sein! ... Wenn ein junges Mädchen seufzt, wenn sie ihre Munterkeit verliert, so ist beinahe immer die Liebe Schuld daran. In wen sonst könnte sie verliebt sein? ... es kommt ja Niemand zu uns ... und auch die Veränderung, die mir an ihr auffiel, schreibt sich von jenem Balle her ... Thor, der ich bin! daß ich das nicht früher schon errathen habe! ... Ach! ich dachte nur an Camilla ... diese Frau ließ mich alles Andere vergessen ... sogar meine theure Pauline, deren Glück zu begründen ich geschworen habe.«

Prosper ging eilig zu Paulinen; er fand sie traurig und schweigsam. Seit der von dem General gegebenen Soirée schien in der That die Stimmung des jungen Mädchens verändert. Sie war weniger mittheilend als sonst, sie wußte wohl, daß ihr Beschützer beinahe alle Tage ausging, aber sie befragte ihn nicht mehr hierüber wie früher; sie schien im Gegentheil seiner Unterhaltung auszuweichen; sie bemühte sich zwar immer noch, ihn mit einem Lächeln zu empfangen, aber es war nicht mehr ihr liebevoller Blick von ehedem.

Prosper setzte sich neben die Waise, welche mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt war; er nahm sie bei der Hand, aber sie zog sie sachte zurück, indem sie ihm sagte: »Das hindert mich am Arbeiten ...« – Nun! meine liebe Freundin,« sagte Prosper, aufs Neue Paulinens Hand ergreifend, »ich denke, es hat damit keine solche Eile. Hören Sie, liebes Kind Sie zürnen mir ein wenig ... und Sie haben Recht. – »Ich zürne Ihnen? ... ich begreife Sie gar nicht,« entgegnete das junge Mädchen, bis in daß Weiße der Augen erröthend. »Ich will damit sagen, daß ich mich seit einiger Zeit weniger um Sie bekümmert, Ihnen seltener Gesellschaft geleistet habe. Sie müssen mir aber deßhalb nicht böse sein; es hatte etwas meine Gedanken in Anspruch genommen. Ich will Ihnen das später erzählen, meine theure Pauline; denn Sie sind meine Freundin, meine beste Freundin! Indessen sind auch Sie Ihrerseits nicht mehr die Nämliche: Ihre Heiterkeit ist verschwunden; Sie sprechen nicht mehr mit mir, wie früher.« – Ich? ... aber ... Sie täuschen sich, ich versichere Sie ...« versetzte das junge Mädchen mit unsicherer Stimme.

»Nein, ich täusche mich nicht ... und von dem Ball beim General Bloumann schreibt sich Ihre Aenderung her. Von demselben Tage an habe auch ich ...doch nicht um mich handelt es sich, sondern um Sie allein ... Wenn Sie zutraulicher wären, meine theure Freundin, wenn Sie mir die Geheimnisse Ihres Herzens mittheilen wollten, so wäre es mir vielleicht leichter möglich, Ihnen Ihre frühere Munterkeit wieder zu verschaffen.« – Meine Geheimnisse!« stotterte Pauline; »aber ich habe keine Geheimnisse; ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen; ich bin so heiter wie gewöhnlich.«

Mit diesen Worten fing das junge Mädchen an zu schluchzen und Thränen flossen über ihre Wangen herab. – »Da haben wir's ... meine Fragen betrüben Sie; ich will nicht weiter in Sie dringen; aber ich wiederhole Ihnen, daß ich mich von nun an nur mit Ihrem Glück beschäftigen werde, und ich hoffe, das Mittel ausfindig zu machen, es fest zu begründen.« – Und was wollen Sie zu diesem Zwecke thun?« fragte Pauline mit bewegter Stimme. – »Was ich thun werde? Sie sollen es bald erfahren ... Ach! vor allen Dingen will ich Ihnen ankündigen, daß ich eine Abendgesellschaft geben und Gäste hier empfangen werde; es soll musicirt und getanzt werden. Sie besitzen Talent, Pauline; Ihre Stimme ist weich und wohltönend und Sie spielen sehr gut Klavier ... zu was dient das Alles, wenn Niemand zu uns kommt?« – Aber Sie wissen, daß ich die Gesellschaften nicht liebe. – »O! ich weiß nicht Alles ...wenn man die Zierde der Gesellschaft ausmacht, ist es ein Unrecht, sie zu fliehen ... Bei dem General hat Sie Jedermann reizend gefunden; kurz, ich wiederhole es Ihnen, ich will am nächsten Sonnabend eine Gesellschaft geben; ich gehe, meine Einladungen zu machen, und hoffe, daß Sie so gefällig sein werden, die Honneurs bei meiner Soirée mit Ihrer gewöhnlichen Anmuth zu machen.«

Pauline verneigte sich schweigend, und schien keineswegs entzückt von Prospers Vorhaben; allein dieser ... in der Ueberzeugung, das rechte Mittel gefunden zu haben, die Schwermuth des jungen Mädchens zu heben, ... beschäftigte sich sogleich mit den betreffenden Einladungen.

Die Familie Poupardot, so wie Maximus und einige andere Personen, welche mit den Bewohnern von Clichy gut bekannt waren, gehörten zu den Erstgeladenen; an Roger durfte man nicht mehr denken, er hatte sich aufs Neue zur Armee begeben, aber der General Bloumann befand sich noch in Paris; Prosper suchte ihn auf, lud ihn ein und fragte ihn, ob er nicht den jungen, hübschen Blondkopf, den Sohn des Lieferanten, mitbringen könne?

»Alfred Ramincourt?« rief der General aus. »Das glaube ich doch beim Henker, daß ich den mitbringen kann! das kommt mir gerade vor, als wenn Sie einen alten Schnurrbart des Kaiserreichs fragten, ob er ins Feuer gehe? So oft ich den jungen Mann sehe, spricht er von Ihrer Pauline mit mir ... er muß ganz scheußlich in sie verliebt sein ... Wenn ich ihm sage, daß ich ihn zu Ihnen mitnehmen wolle, ist er im Stande und platzt vor Freude auseinander wie eine Bombe ... Rechnen Sie auf mich, mein Tapferer, und auf meine Jeannette ... Meine Frau mag die ceremoniellen Leute nicht, aber bei Ihnen weiß sie, daß es Einem kannibalisch wohl ist: daher wird sie auch mitkommen.«

Prosper ließ auch an mehrere Leute, die er beim General hatte kennen lernen, Einladungen ergehen. Er beschäftigte sich ausschließlich mit dieser Gesellschaft und mit Paulinens projektirter Heirath; auf diese Weise zwang er sich, Camilla zu vergessen und das Bild dieser heißgeliebten Frau aus seinem Andenken zu verbannen.

Aber während Prosper die verschiedenen Zurüstungen zu dem festlichen Abend machte, mußte er auch in seine Kasse greifen. Da zum ersten Male schlug er sich vor die Stirn und rief aus: »Ach! mein Gott! ich habe Camilla zwanzigtausend Franken zugeschickt, was ich zwar sicherlich nicht bereue, aber die Mitgift, die ich Paulinen zu geben versprochen, die fünfzigtausend Franken ... wovon ich mit dem General gesprochen ... ich habe sie nicht mehr ... es bleiben mir kaum achtunddreißigtausend übrig ... Ich gebe immer Geld aus, ohne zu rechnen ... Maximus hat Recht! ... Sparsamkeit ist nicht meine glänzende Seite ... Teufel, was anfangen? ... An meiner Soirée darf nichts fehlen; sie mag kosten, was sie will. Aber wie soll ich nun dieses Heirathsgut, diese fünfzigtausend Franken ergänzen? ... wie konnte ich auch das vergessen!«

Um mit Ergänzung der fehlenden Summe den Anfang zu machen, kaufte Prosper einen Spitzenschleier und ein wunderschönes Collier für Paulinen; kurz, er machte ungeheure Ausgaben, damit seine Soirée prachtvoll werde. Er ließ Kron- und Armleuchter in seinem Saale anbringen, bestellte ein Orchester, Musiker; nachdem er zuerst nur ein kleines Concert hatte geben wollen, entschloß er sich nun zu einem großen Ball; nachdem er Anfangs nur an zwanzig Personen gedacht hatte, lud er achtzig ein, und statt hundert Thaler hatte er nun fünfzehnhundert Franken zu zahlen; auf diese Art verstand er das Sparen.

Pauline wagte nicht, ihm eine Vorstellung zu machen; aber man bemerkte wohl, daß sie sich über diese großartigen Vorbereitungen zu der Gesellschaft mehr wunderte, als freute; doch ihr Beschützer wollte so, und um gefällig gegen diesen zu sein, unterstützte sie ihn nach Kräften.

Seitdem Prosper den Stand seiner Kasse untersucht hatte, verfolgte ihn beständig der Gedanke an die fünfzigtausend Franken, die er seiner Schutzbefohlenen zur Mitgift versprochen hatte. Die Zurüstungen zu seiner Soirée hatten ihn für einige Zeit zerstreut, als aber der Tag gekommen, wo man sich bei ihm versammeln sollte, und Alles gerichtet war, so hatte er bis zum Abend nichts mehr zu thun; und nun trat der Gedanke, der ihn unaufhörlich verfolgte, noch lebhafter vor seine Seele.

Plötzlich lief Prosper an seinen Sekretär, schloß ihn auf, langte mehrere Banknoten heraus, steckte sie in die Tasche und ging aus, indem er zu sich selbst sprach: »Ich sehe kein anderes Hülfsmittel vor mir, versuchen wir das Glück! ... im Spiel ... im Roulette ... Man sagt, man könne in wenigen Augenblicken ungeheure Summen darin gewinnen ... Das brauche ich gerade ... ich liebe die raschen Mittel ... Beim Kuckuk! daran hätte ich früher denken sollen. Ich will für Paulinen spielen, um dieser lieben Kleinen ein Heirathsgut mitzugeben, da werde ich gewiß gewinnen.«

Prosper war schon einige Male mit Roger in eines jener Spielhäuser im Palais-Royal gegangen, wo das Roulette und Tente-et-un die Spieler und Fremden hinzog, aber damals hatte ihn die Neugierde allein zu jenen grünen Tischen hingeführt, auf denen das Gold und die Banknoten aufgehäuft lagen: diesmal jedoch brachte ihn der Wunsch, zu spielen, und die Hoffnung, zu gewinnen, in ein solches Haus. Er stieg rasch die Treppe hinauf, durcheilte die Säle, stellte sich vor einen Roulettetisch und zog eine Banknote aus seiner Tasche; er setzte tausend Franken auf einmal; er glaubte bei hohem Spiele seine Absicht bälder zu erreichen. Alle Blicke richteten sich auf diesen Menschen, der zum Anfang gleich tausend Franken aufs Spiel setzte, und dabei so ruhig und so heiter schien, als ob er nur ein einfacher Zuschauer wäre.

Das Spiel fing an: die tausend Franken waren verloren. Prosper schien erstaunt, fuhr aber fort. In kurzer Zeit verlor er fünfzehntausend Franken, die ganze Summe, die er bei sich hatte. Jetzt fing sich seine Stirne an zu verfinstern. Er konnte nicht weiter spielen, und die Farbe, auf die er gesetzt hatte, kam heraus, sobald er zurückgetreten war.

Prosper ballte die Faust vor Zorn und rief aus: »Eine Banknote mehr, und ich hätte gewonnen ... Alles wieder erlangt, was ich verloren hatte ... ich hätte sogar, wenn ich doublirt hätte ... sieben ... acht Rouges nach einander gewinnen können ... Ach! ich muß diesen Fehler schnell wieder gut machen.«

Er entfernte sich aus dem Spielhause, stieg in ein Cabriolet, ließ sich nach Hause fahren, eilte an seinen Sekretär, nahm Alles, was ihm noch von Banknoten übrig blieb, heraus, und kehrte damit zu dem grünen Tische zurück.

Aber nun war nicht mehr jenes Vertrauen, jene Ruhe in ihm, womit er das erste Mal gespielt hatte. Seine Hand zitterte, als er sein Geld auf den Teppich legte, sein Auge starrte mit Todesangst auf die rollende Kugel; er athmete kaum: seine Hoffnung, sein Leben, Alles hing davon ab. Der Ball rollte und stand stille. Prosper verlor, gewann und verlor wieder. Er war außer sich, er brannte vor Ungeduld, er wollte das Schicksal zwingen, er verdoppelte, er verdreifachte sein Spiel ... die Chance war ihm ungünstig; der heillose Rechen strich seine Bankzettel ein; nach kurzer Zeit wühlte er vergebens in seinen Taschen ... er fand nichts mehr, er hatte Alles verloren.

Ein kalter Schweiß troff über Prospers Stirne herab, aber keine Klage kam über seine Lippen; er ging vom Spiele weg, verließ dieses unselige Haus und lief lange, ohne zu wissen wohin, in der Irre herum ... er wagte nicht mehr, zu denken ... er fürchtete sich vor der Besinnung.

Endlich brach die Nacht herein, und die Frische des Abends wirkte einigermaßen beruhigend auf Prospers Geist und Gemüth; nun erinnerte er sich, daß jetzt die von ihm eingeladenen Personen in seinem Hause eintreffen werden, gedachte Paulinens, die seiner Abwesenheit wegen in Unruhe sein mußte, und sprach zu sich: »Ich will nach Hause gehen ... und mich bemühen, die Bestürzung meines Innern zu verbergen ... Ueber dieses Geld würde ich, wenn ich allein wäre, bald getröstet sein! ... aber das junge Mädchen, welches man mir anvertraut hat ... ich kann nichts mehr für sie thun!.. Ach! Maximus, Maximus! ... Du hattest wohl Recht ... ich bin noch nicht vernünftiger als früher! Und diese Heirath, die ich zu Stande bringen wollte ... Ach! ich sollte mich umbringen ... doch nein ... das wäre eine Feigheit ... das hieße das junge Mädchen, welches ich so sehr liebe, preisgeben! ... Ich kehre nach Haus zurück und verberge vorsichtig, was in mir vorgeht ... Glücklicherweise habe ich alle Kosten dieser Gesellschaft zum Voraus bezahlt ... Die Vorsehung hat mir schon oft geholfen! ... vielleicht steht sie mir noch einmal bei ...«

Jetzt sah sich Prosper um, in welchem Quartier er sich befinde; dann beschleunigte er seine Schritte und begab sich eilig in seine Wohnung. Als er ankam, befanden sich schon mehrere Personen im Saale; Pauline war verdrießlich und unruhig, sie begriff Prospers Abwesenheit nicht; seine Ankunft brachte ihre Heiterkeit zurück.

»Mein Gott!« sagte sie leise zu Prosper, »Sie kamen so lange nicht, und ich wußte nicht, was ich anfangen, was ich zu all diesen Leuten sagen sollte. Ohne Sie, scheint es mir, könne es kein Vergnügen geben.« – Verzeihen Sie, theure Pauline, ein unerwartetes Geschäft ..– »Sie scheinen sehr aufgeregt.« – Weil ich so schnell hergelaufen bin ... Vergessen wir diese Widerwärtigkeit, unsere Besuche nehmen uns in Anspruch ... und Sie sollen die Königin dieses Festes sein.«

Um Prosper zu gefallen, bemühte sich Pauline, gegen Jedermann liebenswürdig zu sein. Die Familie Poupardot langte an. Herr Navet war lang und schmal geworden, wie eine Spargel; aber seine Neigungen hatten sich nicht verändert; kaum eingetreten, blieb er vor dem Buffet stehen, verschlang zwei Gläser Mandelmilch und stopfte sich den Magen mit Backwerk voll; der kleine Napoleon hatte beständig Zahnweh, weßhalb er sehr mürrisch war. Aber Poupardot war stets entzückt von seinen Söhnen, und stellte sie Prosper mit den Worten vor: »Hm! wie die heranwachsen! gerade so nehmen sie auch in geistiger Hinsicht zu ... sie beißen an Allem an ... nur addiren kann Navet noch nicht.«

Bald darauf kam Maximus, immer bescheiden, rücksichtsvoll, schweigsam und zurückgezogen; allein er wußte die Dinge weit richtiger zu beobachten und zu beurtheilen, als jene Schwätzer, die sich über Alles aussprechen und Alles wissen wollen.

Dann der General Bloumann und seine Frau: diese war hocherfreut, bei Prosper zu sein, und drückte gegen Paulinen das innigste Interesse, die wahrhaftigste Freundschaft aus.

Endlich erschien auch der große, blonde, junge Mann, Herr Alfred Ramincourt; er war prächtig gekleidet; zwar schien er etwas steif in seiner Cravate und seinem Fracke; aber seine Blicke strahlten von Glück und er bedankte sich tausendfach bei Prosper, daß er so gütig gewesen, ihn zu seiner Gesellschaft einzuladen. Der Hausherr that sein Möglichstes, um den Abend vergnügt zu machen. Er sorgte für Gesang, Spiel und Tanz; Getränke, Punsch, Gefrorenes wurden im Uebermaß herumgereicht.

»Ha! tausend Bomben und Granaten! hier ist's schöner als bei mir!« rief der General aus. »Bei mir konnte ich nie ein Gefrorenes erwischen! und hier habe ich schon drei gegessen.« »Und ich elf!« murmelte der große Navet, indem er auf eine Confektplatte zulief.

Der Sohn des Lieferanten engagirte Paulinen oft zum Tanze; er war fast immer um sie und verlor sie nicht aus den Augen. Das junge Mädchen schien gelangweilt durch das unaufhörlich zuvorkommende Wesen dieses jungen Mannes und wußte nicht, wie sie sich demselben entziehen sollte. Was Prosper betrifft, so that dieser sein Möglichstes, um sich zu betäuben und vergnügt zu scheinen; aber zuweilen hielt eine unselige Erinnerung das Lächeln auf seinen Lippen zurück und verbreitete einen düstern Schatten über seine Züge.

Maximus, der Alles beobachtete und im Innern der Seele seines Freundes las, trat auf Prosper zu und sagte leise zu ihm: »Du hast etwas ...« – Wie? – »Ja, Deine Heiterkeit ist heute Abend erheuchelt ... Dein Lächeln erzwungen ... Ist es denn ein Kummer, den Du Deinem Freunde nicht mittheilen kannst?« – Du irrst Dich, ich habe nichts. – »Das heißt. Du willst Deinen Gram für Dich allein behalten, Du glaubst, ich sei nicht im Stande, Dich zu trösten; ich will Dich nicht weiter fragen.«

Maximus entfernte sich von Prosper, und dieser bestrebte sich aufs Neue, eine Fröhlichkeit zu erheucheln, die seinem Herzen sehr fremd war; aber nichts ermüdet so sehr, als seinem Gesichte Zwang anzuthun. Gegen das Ende des Abends zog sich Prosper, dem die Rolle, die er sich auferlegt hatte, schwer fiel, einen Augenblick in ein vom Tanzsaale entferntes Gemach zurück; dort warf er sich auf ein Sopha und glaubte ungestört zu sein; aber Jemand, der ihm von ferne nachgefolgt war, stellte sich alsbald auch dort ein: es war der junge Alfred, der zu ihm sagte: »Entschuldigen Sie, mein Herr ... ich bin vielleicht unbescheiden ... allein ich wünschte Sie gerne ohne Zeugen zu sprechen ... das Glück meines Lebens hängt von dieser Unterredung ab.« Prosper gab dem jungen Manne einen Wink, sich zu setzen und sagte zugleich: »Sprechen Sie, mein Herr, ich höre.«

»Sie haben ohne Zweifel errathen, was ich Ihnen zu sagen habe, mein Herr; denn die Liebe, welche ich für Fräulein Pauline empfinde, ist von der Art, daß ich sie unmöglich verbergen kann ... Ja, mein Herr, ich liebe dieses reizende Frauenzimmer, deren Beschützer Sie sind; ich weiß, daß sie eine Waise ist und nur von Ihnen abhängt; nun wohl! mein Herr, ich komme, Sie um ihre Hand zu bitten.«

Prosper war auf diese Bitte gefaßt; aber er wußte nicht mehr, was er darauf erwidern sollte. Nach einem augenblicklichen Zögern entgegnete er: »Mein Herr, der General Bloumann hat mit mir von Ihnen in sehr lobenswerthen Ausdrücken gesprochen. Ihr Ansuchen kann für meine junge Waise nur schmeichelhaft sein; aber ... Sie sind sehr reich, mein Herr, und können eine vorzügliche Partie machen, während Pauline, welche fünfzigtausend Franken mitbekommen sollte ... durch einen mißlichen Umstand ...« – Ach! mein Herr, Sie beleidigen mich!« rief der junge Mann aus, »ich bin keiner von Denen, die eine Frau kaufen, die um eine Frau handeln. Ihre reizende Mündel verlange ich, nur sie, keine Mitgift! Ich bin reich, und mein Vater läßt mich eine Frau nehmen, wie ich sie will.«

Prosper fühlte wieder Hoffnung in seine Seele zurückkehren; das Herz ging ihm auf; er drückte die Hand des jungen Mannes und flüsterte: »Wie! ... Sie würden Paulinen selbst ohne Mitgift heirathen? ...« – Ich wiederhole Ihnen, mein Herr, ich will nur sie, und wäre überglücklich ... bewilligen Sie mir Paulinens Hand? – »Herr Alfred, Ihre Liebe scheint mir aufrichtig ... fürchten Sie von meiner Seite keine Einwendung ... diese Verbindung hängt jetzt nur noch von Paulinen ab; aber ich glaube nicht, daß sie unempfindlich für Ihre Gefühle sein wird; morgen werde ich Ihnen die Antwort derselben mittheilen.« Alfred schwamm im Entzücken; er bedankte sich tausendmal bei Prosper, beide kehrten zur Gesellschaft zurück, und nun strahlte eine wahrhafte Freude aus ihren Augen.

Der Abend war bald zu Ende; die Gesellschaft entfernte sich, der General mit der Betheuerung, daß er sich vorzüglich unterhalten habe, die Generalin mit einem Lächeln gegen Prosper, Navet, indem er überzählte, was er gegessen hatte, und der junge Alfred, indem er noch einen leidenschaftlichen Blick auf Paulinen warf.

Am folgenden Tage ging Prosper, sobald Pauline im Wohnzimmer war, zu ihr, setzte sich neben sie und sprach: »Meine theure Freundin, ich habe Ihnen etwas höchst Wichtiges zu eröffnen ... es handelt sich um Ihre Zukunft, um Ihr Glück ... Ich lese in Ihren Blicken, daß Sie ungeduldig sind, meine Erklärung zu vernehmen. Wohlan! Pauline ... es hat mich Jemand um Ihre Hand gebeten ... Sie errathen ohne Zweifel wer ... Der junge Alfred Ramincourt, welcher Sie schon bei dem General gesehen hat, ist leidenschaftlich in Sie verliebt ... Er ist sehr reich ... Er liebt Sie ... und ich habe gedacht, diese Verbindung würde Ihr Glück begründen.«

Pauline war ernst geworden beim Beginne von Prospers Rede, aber je länger sie ihm zuhörte, desto trauriger wurde der Ausdruck ihrer Miene.

»War also das der Grund, warum Sie gestern diese Gesellschaft gegeben haben?« sagte endlich das junge Mädchen; »also auf diese Weise glauben Sie mir meine frühere Munterkeit zurückgeben zu können? ... Ach! da haben Sie sich sehr getäuscht!«

Prosper blickte Paulinen erstaunt an und murmelte: »Ich habe also Ihre Traurigkeit falsch gedeutet? Ich gestehe Ihnen, ich war der Meinung, Sie hätten diesen jungen Alfred auf dem Balle vom General ausgezeichnet, er hatte Ihnen doch die Cour gemacht.« – Ah! das hatte ich nicht einmal bemerkt! – »Aber jetzt wissen Sie, daß er Sie liebt, daß er Ihre Hand begehrt. Er ist reich, der junge Mann, und außerdem auch hübsch.« – Ich finde ihn abscheulich!– »Abscheulich? o! wie ungerecht! Welche Antwort darf ich ihm von Ihrer Seite ertheilen?« – Sagen Sie ihm, ich lasse ihm danken, aber ich wolle ihn nicht heirathen – »Wie, Pauline, Sie schlagen eine so glänzende Partie aus? Ueberlegen Sie doch vorher!« – O! ich habe schon Alles überlegt. Ich werde ihn nicht heirathen.«

Prosper stand auf, ging einige Zeit mit großen Schlitten im Zimmer auf und ab, und rief endlich aus: »Ich will Sie nicht zwingen ... aber wahrhaftig, Pauline, für ein so vernünftiges Mädchen handeln Sie in diesem Augenblicke unverständig.«

Pauline bedeckte das Gesicht mit ihrem Taschentuche und entgegnete mit thränenerstickter Stimme: »Es ist Ihnen, wie es scheint, sehr darum zu thun, daß ich heirathe ... es wäre Ihnen vielleicht sehr lieb ... unabhängig zu sein ... mich nicht mehr um sich zu haben ... meine Gegenwart ist Ihnen wahrscheinlich zur Last ... Wohlan! ich will gehen ... ich will Sie verlassen wenn Sie es wünschen ... aber heirathen werde ich nicht.«

»Sie mir zur Last! Ach! Pauline, welches Wort haben Sie da ausgesprochen! Ich liebe Sie doch so sehr! Mein Gott, jetzt weint sie, das theure Kind; beruhigen Sie sich, Sie wissen wohl, daß Sie jederzeit nur nach Ihrem Wunsche handeln dürfen, aber ich hätte Sie so gerne glücklich gesehen.« – Da ich es aber bei Ihnen bin ... warum wollen Sie mich durchaus verheirathen? – »Warum? ... ach! wenn Sie wüßten ... wenn ich Ihnen sagen dürfte ...«

Prosper ging auf's Neue im Zimmer auf und ab; man sah ihm an, daß er litt, und sich auszusprechen fürchtete. Nun ging Pauline auf ihn zu und sagte mit jener Stimme, die bis in die Tiefe der Seele dringt, zu ihm: »Wenn Sie mich recht lieb hätten, mein Freund, so würden Sie mir sagen, was Sie betrübt, denn ich sehe, daß Sie Kummer haben ... aber Sie finden mich nicht würdig, mir ihn mitzutheilen.« – Nun denn! Pauline ... so will ich Ihnen Alles sagen ... Alles beichten ...Sie werden sich überzeugen, wie strafwürdig mein Betragen ist ... aber ich will lieber Ihre Vorwürfe erdulden, als Ihnen etwas verbergen. – »Vorwürfe? o! nie.« – Hören Sie mich an ... Ich habe fünfzigtausend Thaler mit nach Frankreich gebracht ... Ich habe nie rechnen können ... und geglaubt, das würde ewig reichen ... Vor einiger Zeit, als wir auf den Ball des Generals gingen, untersuchte ich den Bestand meiner Kasse ... es blieben mir noch sechzigtausend Franken übrig. Ich wollte Ihre Zukunft durch eine Heirath sichern, und nahm mir vor, Ihnen fünfzigtausend mitzugeben ... – »Also beinahe Alles! ... Sie wollten für sich nichts behalten? ...« – Ich? o! meinetwegen war ich nicht in Sorgen! ... aber auf diesem Balle traf ich Jemand ... Sie haben vielleicht von einer Dame sprechen hören ... die ich früher sehr liebte ... – »Camilla von Trevilliers, nunmehr Wittwe des Marquis von Clairville ... und Sie haben sie auf dem Balle bei dem General wieder gesehen?« – Ganz richtig ... wie wissen Sie aber das?«

Pauline erröthete, schlug die Augen nieder und entgegnete: »Der Oberst Roger hat mir es erzählt, während er mit mir tanzte ...«– Roger ... wie ... er hat Ihnen gesagt ... – »Daß Sie dem Gegenstand Ihrer ersten Liebe wieder begegnet seien ... daß Sie so glücklich ... so vergnügt seien ...«

Prosper schwieg lange. Tausend Erinnerungen, tausend Gedanken traten ihm plötzlich vor die Seele ... Es war, als ob sich ein Schleier theilte, der bisher seine Augen bedeckt hatte; einen Moment blickte er auf Paulinen; aber er wendete schnell sein Gesicht ab, wie wenn er gefürchtet hätte, ihren Blicken zu begegnen; seine Stimme war nicht mehr die nämliche, und mit weniger freundlichem Tone antwortete er ihr: »Roger hat Ihnen wahr berichtet ... ich habe Camilla ... das heißt die Marquise von Trevilliers wieder gesehen ... denn es war nicht mehr jene frühere Camilla ... Sie nahm mich höflich auf ... aber kalt ... und ich, Pauline, war schwach genug, von Liebe mit ihr zu sprechen und ihr meine Hand anzutragen.« – Sie werden sie heirathen?« flüsterte die Jungfrau mit leiser Stimme. – »O! nein ... sie hat mein Anerbieten zurückgewiesen ... sie hat meine Liebe abermals verschmäht ... und jetzt ist es aus, ganz aus ... ich werde sie nie wiedersehen!« – Wäre es möglich!« rief Pauline aus, indem sie kaum die Freude mäßigen konnte, die aus ihren Augen leuchtete; »Sie lieben sie nicht mehr ... Sie werden sie nie wiedersehen?– »Nein ... nie! ... Allein sie lebte in der Dürftigkeit ... ich wollte ihr ihre Lage etwas erleichtern, und ließ ihr ... ohne daß sie wußte, daß es von mir kam, aber auch, ohne zu bedenken, daß dieses schon zu Ihrer Mitgift bestimmt war, einen Theil meines Vermögens zukommen.« – O! Sie haben wohl daran gethan, mein Freund. Sie hätten ihr Alles geben sollen.– »Hierauf wollte ich das mir fehlende Geld wieder einbringen ... o! jetzt wurde ich erst strafbar ... Ich ging in ein Spielhaus ... spielte dort wie ein Narr, wie ein Wahnsinniger, und verlor Alles, was mir übrig geblieben war!« – Alles ... o! um so besser! o! welches Glück, nun wird man mich nicht mehr heirathen wollen!«

Damit hüpfte das junge Mädchen vor Freude im Zimmer herum.

»Sie irren sich, Pauline,« versetzte Prosper, »man will Sie dennoch ... Herr Alfred verlangt keine Mitgift ... Er ist außerordentlich reich ... bei ihm werden Sie in der Welt glänzen; während Sie dagegen bei mir auf diesen Wohlstand ... diese Dienerschaft ... diese prächtige Wohnung Verzicht leisten müssen. Sie sehen wohl ein, daß Sie thöricht wären, diese reiche Partie, welche sich darbietet, auszuschlagen ... und daß ich Recht hatte, diese Heirath zu wünschen ... Nun, sind Sie jetzt überzeugt?« – O! ja ...ich bin fest entschlossen ...Hier, mein lieber Freund, ist eine Feder und Papier, setzen Sie sich hin und schreiben Sie an Herrn Alfred: Mein Herr, Fräulein Derbrouck ist äußerst geschmeichelt durch die Ehre, welche Sie ihr erweisen wollten, aber sie weigert sich entschieden, Ihnen ihre Hand zu reichen – »Was! Pauline ...«– Schreiben Sie ...o! schreiben Sie, ich bitte Sie darum. – »Aber bedenken Sie doch, daß ich Alles verloren habe ... Alles!« – Nun! kann man denn nicht arbeiten? Wir verlassen diese große Wohnung, in der man sich verliert ... wir schaffen die drei Dienstboten ab, die mich langweilen ... wir geben keine großen Gesellschaften mehr, die mir in der Seele zuwider sind ... o! wie glücklich werde ich dann sein! ... Schreiben Sie, mein Freund, schreiben Sie doch! – »Wenn aber ...«– Und meine zwanzigtausend Franken, die im Zinse sind, und woran wir gar nicht gedacht haben! Sie sehen wohl, wir sind noch reich, sogar noch allzureich. – »Diese Summe, Pauline, gehört Ihnen allein ...« – Mir oder Ihnen, ist das nicht einerlei? Doch abgesehen davon, wenn ich Herr darüber bin, so trage ich sie Ihnen jetzt an ... Vorwärts, mein Freund ... keinen Aufschub mehr, schicken Sie schnell diesem Herrn meine Antwort.«

Prosper widerstand nicht länger; er schrieb an den jungen Alfred, daß ihm Pauline ihre Hand verweigere, und während er schrieb, empfand er ein ihm unerklärliches Gefühl, welches viele Ähnlichkeit mit Befriedigung hatte.


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