Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Polizei und ihre Beute

Vor dem Kriege ließ der Polizeipräsident Jagow, da es galt, eine Demonstration zu verhindern, an den Straßenecken anschlagen: »Die Straße dient dem Verkehr.« Eine Demonstration, wollte er damit sagen, sei nicht ein Teil des Verkehrs, und gegen Trupps von Hungerleidern werde seine Polizei vorgehen. Jagow warnte Neugierige, auf daß sie bei diesem Einschreiten nicht zu Schaden kämen.

Noske war ehrlicher. Für ihn diente die Straße nicht mehr dem Verkehr, der Verkehr konnte seiner und seiner Freunde Macht nur abträglich sein; er sperrte die Straße, die zu einer Einschränkung seines Gebietes führen konnte, einfach mit Stacheldraht und stellte weißgardistische Offiziere mit Eierhandgranaten, Maschinengewehren, Revolvern und Flinten davor. »Wer weitergeht, wird erschossen.« Das war das Manifest von Ebert, Scheidemann, Noske an die neue Republik.

Wer weitergeht, wird erschossen! Auf den Pilastern, die vor den Berliner Bahnhöfen zum Besuch der Großen Berliner Polizeiausstellung einladen, sollte, von Girlanden umschlungen, dieses Motto stehen; die Polizei hat es sich zu eigen gemacht, bevor sie es in den stürmischen Tagen von 1918 und 1919 öffentlich verkündete. Wer weitergeht, wird erschossen.

Ursprüngliche Aufgabe der Polizei war der Schutz der Gesellschaft vor Verkehrsunfällen und vor Verbrechen. Längst aber ist sie darüber hinaus zu einer Waffe geworden, angewendet wider alle, die aufzumucken wagen gegen Willkür des Unternehmers, gegen Dünkel des Bürokraten und gegen Mißbrauch der Gesetze. Die Polizei ist ausführendes Organ der Machthaber, und schrankenlos wütet sie in ihrem Wirkungsbereich.

Es gibt keine ethische Rechtfertigung für die Mittel, deren sie sich bedient. Auch die willfährigsten Staatsphilosophen könnten keine Entschuldigung dafür finden, daß ein Land seine Ordnung aufrechterhält durch eine Armee von Lockspitzeln, welche Verbrechen in Vorschlag bringen, um sie für acht Groschen oder für eine Belobung oder für ein Avancement ihren Auftraggebern zu melden; es kann keine sittliche Begründung dafür ausgeklügelt werden, daß Hyänen vom Schlage Haarmanns mit der Legitimation eines Detektivs den Behörden als »wertvolle Mitarbeiter« helfen; es kann nicht glaubhaft gemacht werden, man vermöge Arrestanten, von hundert Leuten bewacht (sogar im Innern des Polizeipräsidiums, wie im Falle Sült), nur an der Flucht zu hindern, wenn man sie erschießt.

Die Foltermethoden, mit denen man von politischen Häftlingen Geständnisse erpressen will (zum Beispiel die aus dem Leipziger Tschekaprozeß bekannten »Verhöre zweiten Grades«), lassen alles hinter sich, was an Instrumenten der mittelalterlichen Inquisition bei der Polizeiausstellung zu dem Zwecke vorgeführt wird, daß das Heute im Gegensatz zu den vergangenen Zeiten als human erscheine.

In Staaten, wo man Widerstand des Volkes zu fürchten hatte, kann die Polizei keine Selbstherrschaft ausüben; in England schränkt die »Habeas Corpus Acte« zugunsten der Freiheit des Staatsbürgers die Freiheit der Polizei ein, indem sie eine willkürliche Verhaftung verbietet. Gegen dieses Gesetz ist oft in der Praxis gesündigt und in der Theorie angekämpft worden. Mirabeau hat schon vor der großen Revolution auf jeden Versuch, die Machtbefugnis der Polizei zu erweitern, eine Antwort gegeben, die in ihrer Schärfe gegen Polizeigeist und Polizeibegeisterung gerade in den Tagen, da das Bütteltum zum Feste lädt, Aktualität besitzt. Mirabeau sagt in seinem »Aufsatz über Steckbriefe und Staatsgefängnisse«:

»Wenn das alleinige Ziel der Regierung nicht darin besteht, unsere Freiheit und unser Eigentum zu gewährleisten, dann kümmert uns herzlich wenig ihre schöne Polizei, kümmern uns ebensowenig die Vorzüge einer Gesellschaft, die nur als Vorwand für all die kleinen Ungerechtigkeiten dienen und um derentwillen wir die Rechte verlieren sollen, zu deren Erhaltung und Vermehrung wir uns mit unseresgleichen zusammengeschlossen haben. Ob wir durch einen Räuberhauptmann oder durch einen Steuerpächter ausgeplündert werden – deswegen werden wir keine größere Freiheit besitzen. Und im zweiten Falle ist die Kränkung empfindlicher, größer, weil unser Vertrauen verraten wurde, weil uns die Scham bedrückt, unseren Bedrücker bezahlen zu müssen, der von uns selbst seine Macht erhielt, weil jede Notwehr uns dann als Verbrechen verboten ist. – Man sehe nur, wie heutzutage die Franzosen von ihren dreißig Polizeiinspektoren der Pariser Stadtviertel, von ihren fünfzig Polizeikommissaren, von ihren Hunderten von Polizeibeamten, von ihrer Unzahl Polizeispitzeln, von ihrer Legion an Polizeidienern und Hilfsdienern maßlos begeistert sind! Mit einem Wort: begeistert von einem ungeheuren Aufgebot einer höchst verwickelten, herrischen und kostspieligen Polizei, die so viele Schurken loben und so viele Narren bewundern. Dabei ist sie doch einzig und allein zu dem Zweck geschaffen worden, für die Reinigung und die Beleuchtung der Straße zu sorgen, die öffentliche Ruhe aufrechtzuerhalten und ein wachsames Auge auf die Spitzbuben zu haben. Trotzdem ist die Polizei aber eine richtige Inquisitionsbehörde geworden, der alle Bürger unterworfen sind, unter dem Vorwand, man sorge für ihre Sicherheit. Sie kostet den Staat unermeßliche Summen, um höfische Intrigen zu fördern oder in amüsanter Weise die Neugier einiger Herrschaften zu befriedigen. Wenn man – so behaupte ich – unsere Bewunderung für die prächtigen Machenschaften der Polizei sieht, muß man beinahe glauben, man könne überhaupt nur in Paris in Ruhe und Frieden leben, überall sonst in der Welt bringe man sich gegenseitig um, oder die Bewohner gerade dieser Stadt seien eine Horde von Schwerverbrechern. Aber ganz und gar nicht! In allen Ländern der Welt, so kann man – nach Fénelon – behaupten, bilden fast alle anständigen Menschen das Volk.«

Was hätte Mirabeau erst gesagt, wenn er in den Tagen der Polizeiausstellung nach Berlin gekommen wäre und die Stadt gesehen hätte, »begeistert von dem ungeheuren Aufgebot einer höchst verwickelten, herrischen und kostspieligen Polizei, die so viele Schurken loben und so viele Narren bewundern«! Mit den Geldsummen, die die Erhaltung der Polizeikasernen und der Polizeiheimarbeiter, der Spitzel, kostet, könnte man Eigentumsverbrechen in ihren Wurzeln bekämpfen, könnte man die Not, den Antrieb zu den meisten Eigentumsverbrechen, bedeutend mildern. Das hypertrophische Anwachsen der polizeilichen Institution, das die Ausstellung in Tabellen veranschaulicht, hat keineswegs die Zahl der Verbrechen zu verringern vermocht, im Gegenteil, die Züchtung von Denunziationen und die Schaffung überhitzter Atmosphären hat nur zur allgemeinen Unsicherheit beigetragen. Der Fortschritt der Kriminalwissenschaft, der in daktyloskopischen Registern, in Systemen der Tatbestandsphotographie, in Reformen des Steckbriefwesens und der Verbrecheralben, in Rekonstruktionen des Tatortes, in Erfindungen zur Spurensicherung, in Dressur von Polizeihunden, in Organisierung von Überfallkommandos und hundert anderen Dingen dem Publikum stolz vor Augen geführt wird, ändert nichts daran, daß weitaus der größte Teil aller Delikte unaufgeklärt bleibt.

Läßt man auch nur flüchtig die Bluttaten Revue passieren, die in der letzten Zeit die Öffentlichkeit erregt haben, so fragt man sich, wer die Bestien waren, die den Pagen Schäpel aus dem »Café Vaterland« ermordeten, so fragt man sich, wer es war, der den Ernst Straffke in Schöneberg mit Zyankali vergiftete, so fragt man sich, wer im Tegeler Forst den Fememord an Arnold Schwenke beging, so fragt man sich, wer im Wald der schußbereiten Herren von Kaehne den jungen Otto Laase erschoß, so fragt man sich, wer am Arnswalder Platz die Elisabeth Stangerski erwürgte und wer all die anderen Morde in Berlin verübte, von denen man in den Zeitungen las, ohne daß diesen Nachrichten die offizielle Siegesmeldung gefolgt wäre: »Es ist der Polizei gelungen …«

Von der Provinz ganz zu schweigen, wo Denke in Freiheit wirken konnte, während ein Unschuldiger wegen dieser Massenmorde im Zuchthaus saß, und der arme Landstreicher Olivier in den Arrest geworfen wurde, weil er Denke beschuldigte; wo Haarmann jahrzehntelang die Achtung der Polizei genoß, wo man nicht einmal der Tiermenschen habhaft werden konnte, die die Kinder Fehse auf dem Weg zum Postamt umgebracht und den Eltern der Kinder deren Geschlechtsteile zugeschickt hatten. Diese Beispiele aus der letzten Zeit ließen sich um Hunderte vermehren, und auch der Rest wäre unaufgeklärt geblieben, hätte nicht der Zufall mitgewirkt oder jemand aus der Bevölkerung die Anzeige gegen den Schuldigen erstattet.

Und schließlich werden auch, das weiß sogar das Sprichwort, nur die kleinen Diebe gehängt, und die großen laufen frei umher, trotzdem ihre Aktienbetrügereien, Inflationsschwindeleien, Beamtenbestechungen, Häuserschiebungen und Spekulationsgaunereien ziemlich unverschleiert die Presse aller Richtungen füllen. An hunderttausend Menschen wurden im Laufe der republikanischen acht Jahre in den Straßen von Hamburg, Essen, München, Leipzig und anderen Industriestädten erschossen, eingekerkert, mißhandelt, verfolgt und vernichtet. Noch sind die deutschen Zuchthäuser voll von politischen Häftlingen, zu denen freilich die Riesenorganisationen der Fememörder nicht gehören; noch heute wird von Polizeiknüppeln und Polizeirevolvern und Polizeiverboten das beseitigt, was für ein neues Sein einzutreten wagt. Alles soll bleiben, wie es war und mit blutigen Opfern wiederhergestellt ward, jeder hat in seiner Bedrückung zu verharren, und wer weitergeht, wird erschossen.

Schon die Tatsache, daß die Polizei es wagt, sich zur Schau zu stellen und sich als eine der Volksbegeisterung werte Einrichtung aufzuspielen, obwohl sie ein notwendiges Übel wie Abdecker oder Wanzenjäger darstellt, wäre selbst im absolutistischen Mittelalter, als Sbirren und Folterknechte herrschten, nicht möglich gewesen.

Die Wiener Polizei, das hemmungsloseste Reklameunternehmen Europas, bringt außer der Photographie ihres unersättlich eitlen Präsidenten bei Abnahme einer Parade noch einige Abbildungen von Wohltätigkeitsinstitutionen für Schutzleute, die direkt oder indirekt dem Busenfreunde Schobers, dem Kettenhändler, Kriegsgewinnler und Valutenschieber Bösel, zu verdanken sind. Außerdem ist ein neues Abformungsverfahren aus buntem Wachs zu sehen, dessen Produkte ins Schaufenster eines Modengeschäftes oder eines Friseurladens gehören, aber mit Kriminalistik wenig zu tun haben.

Admiral Horthy hat darauf verzichtet, die Holzknüppel auszustellen, mit denen die ungarischen Kommunistinnen mißhandelt wurden, nachdem sie geschändet worden waren; Horthy hat darauf verzichtet, die Instrumente der Frankenfälscher vorzuführen, er begnügt sich mit Beweisstücken harmloserer Verbrechen, wie Jagdfrevel und Heiratsschwindel, und zeigt die sportlichen Leistungen seiner Polizisten. – Ägypten hatte seine Beteiligung an der Ausstellung zugesagt, und begeistert gab die Ausstellungsleitung im vorhinein eine riesige Koje. Leider kam Ägypten nur mit ein paar Photographien angerückt, und nun steht ein kleiner Ägypter weltverloren da, als hätte er sich mit seinem Guckkasten in der Wüste verirrt … Danzig naht mit falschen Spielmarken und mit Spielertricks aus dem Kasino Zoppot, hat jedoch nicht unterlassen, einen legalen Bakkaratschlitten auszustellen, um zu beweisen, daß auf diese Art gesetzlich Bauernfang und Spielschwindel betrieben wird.

Besondere Ideenarmut macht sich in der Historischen Abteilung breit. Die Polizei des Altertums ist durch die Wachsfiguren eines Cäsaren und zweier Liktoren und durch einige Fascesbündel dargestellt, was herzlich albern ist, wenn es nicht eine Huldigung für die modernen Faschisten bedeuten soll. Im Mittelalter finden wir alte Bekannte wieder: Folterinstrumente und Richtschwerter, die wir in Castans Panoptikum gruselnd betrachtet haben und die nach dessen Versteigerung in den Besitz der Polizei gelangten.

In der Abteilung »Neuzeit« ist von der Ansbacher Polizei ein Zimmer dem Andenken des armen Findlings Kaspar Hauser geweiht; man sieht seine Uhr, seine Kleider und Wäsche mit den Stichmarken des Mordinstrumentes und die ganze Literatur über diesen geheimnisvollen Unbekannten. Solcherart wäre die ganze Ausstellung zu arrangieren gewesen, ein Raum für das Attentat auf Kotzebue, eines für den Rastatter Gesandtenmord, ein paar Räume für die Demagogenverfolgungen und die Hochverratsprozesse – und die politische und Geistesgeschichte Deutschlands hätte in polizeilichen Einzeldarstellungen erstehen können. Davon aber findet sich außer einigen Vitrinen mit Zensurvermerken, beschlagnahmten Büchern und verbotenen Bühnenmanuskripten nirgends eine Spur.

Die politische Polizei vereinigt in einem Rahmen Bilder vom Überfall auf Walther Rathenau; die Leute, die das Auto und die Waffen beschafft und auch sonst für den Mord und die Mörder vorgesorgt haben, fette Popogesichter mit Schmissen, haben fürchterliche Strafen erleiden müssen: zwei Monate Gefängnis, durch die Untersuchungshaft abgebüßt! Photographien von den Fememorden an Leutnant Sand, dem Bäcker Willi Legner in Elsgrund-Döberitz und einem Unbekannten aus Küstrin fehlen nicht; die Mörder des jungen Erich Pannier sind in effigie als Tableau angeordnet, doch ist die Glasplatte darüber mit schwarzen Papierstreifen derart beklebt, daß man den Beruf der Bravi nicht lesen kann – unter diesen Streifen stehen nämlich die Worte: »Hauptmann«, »Oberleutnant«, »Leutnant« und »Wachtmeister«. Leider sind manchmal von Mördern nur die Uniformbilder zu beschaffen gewesen, und der Attentäter auf Maximilian Harden ist mit dem studentischen Stürmer abkonterfeit.

Die übrigen Objekte aus dem Tätigkeitsgebiet der politischen Polizei gelten den Kommunisten. Beschlagnahmte Literatur von Lenin, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Larissa Reißner und vielen anderen, Bilder vom Siegessäuleattentat, die Opfer des Leipziger Tschekaprozesses – ohne den angeblichen Hauptangeklagten, den Spitzel Felix Neumann.

Max Hölz ist in der Ausstellung überall zu sehen, Max Hölz mit Vollbart, Max Hölz mit Schnurrbart, Max Hölz glattrasiert, die rote Armbinde von Max Hölz, die Armbinde des Adjutanten von Max Hölz – die Festnahme von Max Hölz scheint überhaupt der Stolz der deutschen Polizei zu sein, und man vergißt, daß die Tschechoslowaken, als sie ihn nach dem Vogtländischen Aufstand verhafteten, ihn binnen kurzem wieder entlassen haben, indem sie ihm bescheinigten, er habe seine Taten nur aus politischer Überzeugung begangen.

In der Geschlossenen Abteilung, vor deren Tür sich Kämpfe der Einlaßheischenden entspinnen, sind vor allem jene pornographischen Zeitschriften gesammelt, die man an jedem Zeitungskiosk ausgehängt findet, und andere unzüchtige Literatur, meist auf photographischem Wege vergrößert

Ein Salon, von einer Möbelfirma eingerichtet – sie empfiehlt sich mit vollem Namen und Adresse den p. t. Interessenten –, stellt die Wirkungsstätte einer Masochistin vom Schlage der ermordeten Gräfin Strachwitz dar. Mit Ruten, Peitschen, gespornten Damenstiefeln, Maulkörben für Menschen und einem riesigen Nickelkäfig, in dem der zu Peinigende nackt hochgezogen wurde. Wer den Zweck eines oder des anderen Gegenstandes nicht begreifen sollte, kann aus einem Inventarverzeichnis von liebevoller Genauigkeit ersehen, Nummer 6 sei ein Keuschheitsgürtel und Nummer 8 eine Beischlafschürze mit Stacheln. Im besetzten Gebiet Deutschlands hatte ein Photograph seine Kundinnen mit gespreizten Beinen auf einen hohen Schemel setzen lassen und nicht nur deren Gesicht, sondern, mit einem auf dem Boden postierten Apparat, auch deren Körper photographiert; von seinen Bildern sind nahezu hundert ausgestellt.

An die erotischen Köstlichkeiten schließen sich verschiedene Neuerungen auf dem Gebiete des Fahndungswesens.

Besonders raffiniert erdacht ist eine Lauschzelle zwischen zwei Kerkerzellen, in denen sich je ein Komplize befindet; zwischen ihnen sitzt Tag und Nacht unbemerkt der Spitzel, der jedes Wort abhören kann.

In der Geheimen Abteilung sind auch die politischen Flugblätter in Mappen gesammelt. Einige fehlen, aber es wird auf einer großen Tafel verkündet: »Zahlreiche beschlagnahmte Druckschriften, insbesondere linksradikale Zersetzungsschriften zur Agitation in der Schutzpolizei und in der Reichswehr, können aus dienstlichen Gründen nicht ausgestellt werden.«

Denn der politische Polizist darf niemals auf den Gedanken kommen, daß seine Gegner für eine Überzeugung eintreten, die auf wissenschaftlicher Lehre fußt und zur Besserung der Gesellschaftsordnung bestimmt ist!

Die Polizei nimmt es gerne in Kauf, daß bei ihrer Ausstellung die Mittel zur Bekämpfung des Verbrechens viel weniger in Erscheinung treten als die Mittel der Verbrecher selbst und daß die Veranstaltung nicht nur zur Verherrlichung der Polizei, sondern in weit größerem Maße zur Verherrlichung des Verbrechens dient und einen Anschauungsunterricht für werdende Kriminelle bildet.

Die Polizei nimmt es gerne in Kauf, daß man sich vor den rekonstruierten Tatbeständen, den Reliquien von Massenmördern, vor den Andenken an Kinderschändungen und vor dem Grünen Gewölbe mit der Juwelenbeute eines Fassadenkletterers berechtigt sagt, die Täter haben jahrelang, jahrzehntelang ihr Gewerbe ausgeübt, ohne erwischt worden zu sein, und sind meist durch Anzeige vom Komplizen, aber fast niemals durch kriminalistische Schliche und Schlauheiten ausgeforscht worden – wenn sie überhaupt ausgeforscht wurden. Die Polizei nimmt es ja auch in Kauf, daß der denkende Mensch mit Widerwillen die Namensnennung und Beweihräucherung von Kriminalbeamten in der Zeitung liest, die den Filmschauspielerinnen und Operettensängerinnen an Popularität den Rang ablaufen wollen.

Die Polizei nimmt all das gerne in Kauf, denn ihr gilt es nur für wichtig, von dem politischen Zweck ihrer Existenz abzulenken. An den wahrhaft ungeheuren, ziffernmäßig gar nicht zu erfassenden Spitzelapparat, der alle linksgerichteten Organisationen, alle Betriebe und alle Straßen durchsetzt, erinnert nichts in der großen Propagandaschau, nichts erinnert an die Eroberung der russischen Handelsvertretung in Berlin, nichts an die Salven gegen unbewaffnete Versammlungsteilnehmer in Halle, nichts an die polizeiliche Beteiligung bei den »Verrätermorden« in Bayern, und selbst in der Geschlossenen Abteilung wird nicht gezeigt, in welcher Art die Karikaturisten der neuen Zeit, Künstler wie George Grosz, Rudolf Schlichter, John Heartfield und Griffel, der Ansicht des Volkes über die Polizei Ausdruck geben.

Alles lenkt auch ab von dem Anblick der Verheerung, die das Häschertum im Schrifttum angerichtet.

Die Haftbefehle und Akten sollten von neuem ausgestellt werden, die gegen deutsche Dichter ausgestellt wurden, von Schubart, Kinkel und Reuter angefangen bis zu Mühsam, Toller, Becher; es müßten die Zensurverbote exponiert sein, kein Kunstwerk blieb verschont.

Eine Ausstellung des Verbrechens wäre von kulturellem Wert, veranschaulichte sie, wie Tat und Täter im Wechsel der Zeiten Motiv der Literatur gewesen, und wären die Erinnerungsstücke an Prozesse aufbewahrt, die den Dichtern Anlaß gaben zum Schrei nach Recht, die Verhaftung des Jean Calas, durch die Voltaire die Justiz der Welt revolutionierte, der Fall des Notars Peytel, an dem Balzac zerschellte, oder die Affäre Dreyfus, von Zola zur Affäre des Erdballs gemacht.

Hierher würden die höhnischen Denkschriften Beaumarchais' in seiner eigenen Gerichtssache passen, jene Mémoires, die in Zehntausenden von Exemplaren in Paris aufflatterten und die man noch heute nicht lesen kann ohne die Vorstellung, ihre Wirkung könnte sich anders äußern als in einer großen Revolution; um diese Zeit war es, daß ein Buch ganz anderer Art erschien, eine grande Reportage des ehemaligen Advokaten Linguet, das alle Verzweiflung und allen aufgestapelten Haß auf ein Ziel konzentrierte: die Bastille zu erstürmen und die Opfer des Polizeigeistes zu befreien.

 


 << zurück