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Wer mag wohl in diesem Schlosse wohnen

Vom Bodensee zur Zuidersee.
Das ist ein langer Weg, juchhe,

und das Wasser, das ihn auf rollendem Band durchläuft, hat unterwegs mancherlei Anlaß, juchhe zu rufen; unzweifelhaft den schönsten Anlaß dazu haben die Wellen knapp vor ihrem Ende, auf der Strecke von Arnheim nach Utrecht.

Die breite Heerstraße längs des Krummen Rheins hat Napoleon angelegt; aber schon seit dem zwölften Jahrhundert war dieses Paradies in den Niederlanden voll von Landsitzen reicher Ritter und reicher Domherren, beinahe zwei Dutzend solcher Kastelle des Mittelalters stehen noch heute auf dem Weg von fünfzig Kilometern. Als der Kaiser – gewaltsam – ins Exil gebracht wurde, 1815, siedelten sich die reichsten Kaufleute Hollands hier an, die, die an Tulpen, die, die an Diamanten, und die, die an Kolonialwaren Millionäre geworden waren. Elektrische Bahn und Autobus verkehren ununterbrochen in der Allee von Lindenkolossen, der Equipagen und Luxusautos mit Wappen am Wagenschlag sind noch mehr.

Nördlich ist dichter Wald; man sieht jedoch nichts davon, denn zwischen ihm und der Straße verlaufen meilenweit schmiedeeiserne Gitter, hinter denen grelle Beete und Rasenhügel, Fontänen, Marmorbänke, Balustraden, Altane und – drei-, vierhundert Schritte vom Straßenrand – die Schloßbauten sind. Südwärts dehnt sich typisches Holland bis zum verkrümmten Arm des Rheins, Windmühlen, scheckige Rinder, die im Morgennebel zu schweben scheinen, Fischer sitzen am Ufer, zwischen den Grachten armselige Hirten, Hütten stehen vereinzelt, und Langebroek, das gerade bei dem prunkvollsten Orte, gerade hinter Doorn liegt, ist ein Nest. Ein auffallender Kontrast, und der Schullehrer von Langebroek, zu dem man etwas darüber äußert, zeigt ein Buch aus dem siebzehnten Jahrhundert, worin diese Beobachtung schon vermerkt ist:

Neerlangebroek
Die schrale hoek!
Daar wonen niets dan edellui
En bedellui,
Ridders
En broodbidders,
Daar zijn niets dan kasteelen en nesten
Sterkenburg ist het besten.

In Doorn wohnen keine Bettelleute und keine Brotbitter, dort wohnen nur Edelleute und Ritter, dort sind nicht Nester, dort sind Kastelle! Alle Orte an der Reichsstraße (an deren Bauherrn ein Dorf Austerlitz, das der Kaiser den Invaliden dieser Schlacht zur Besiedlung geschenkt hat, und ein Monument erinnern), besonders Zeist, Driebergen und Amerongen, sind teure Sommeraufenthalte.

Der teuerste ist Doorn, denn die Wälder sind hier am schönsten, und die Luft soll Lungenkranke zu heilen vermögen. Drei Tbc-Sanatorien sind da, mögen sie sich auch versteckt halten.

Von der Vornehmheit Doorns kann man sich einen Begriff machen, wenn man erfährt, daß der Bürgermeister dieses Dorfes Schimmelpenninck van der Oye van Hoevlaken heißt und ein Nachkomme jenes Ratspensionärs Jan Rutger Schimmelpenninck ist, der, als einziger Nichtoranier innerhalb von dreihundert Jahren, Präsident der Niederländischen Republik war und sein Amt 1806 an den ersten König von Holland abtrat, an Ludwig Bonaparte; vom Staatsoberhaupt bis zum Bürgermeister von Doorn ist also nur ein Schritt.

Auch die fünf Großgrundbesitzer von Doorn tragen aristokratische Namen: das Kastell Hyde-Park gehört dem Baron van Zuylen van Nyevelt, der Herrensitz Aerdenburg dem S. P. van Eghen, Altpräsidenten der Handelskammer von Amsterdam, das Rittergut Moersbergen der Familie van Luden und das Kastell Schoonoord den Jonkfrouwen de Beaufort, deren Vater Jonkheer-Meester de Beaufort, emeritierter Kantonsrichter, vor kurzem gestorben ist. Seine Schwester, die achtzigjährige Baronin van Heemstra, war Eigentümerin des Nachbarschlosses »'t Huis ten Doorn« gewesen, jedoch nach dem Tode ihres Mannes (er war ein Menschenalter lang Bürgermeister von Driebergen) trug sie das Erbe dem jetzigen Besitzer zum Kaufe an, der am 12. November 1918 in Holland angekommen war und zunächst die Metternichsche Villa zu Limburg und dann das gräflich Bentincksche Palais Amerongen als Gast bewohnt hatte; Freifrau van Heemstra zog aufs nahe Schoonoord zu ihren Nichten, und die frühere Schloßherrin und der gegenwärtige Schloßherr des »Huis ten Doorn« leben in bestem Einvernehmen.

Das Schloß, das sich schlicht »Das Haus in Doorn« nennt, ist uralt (vor sechshundert Jahren hat es der schwelgerische Dompropst Floris van Jutphaas, † 1337, erbaut) und war bis 1634 Sommersitz der Pröpste von St. Martin zu Utrecht. Im Vorbeifahren kann man nur einen Teil der zweistöckigen Fassade sehen und den achteckigen Turm mit hoher Dachpyramide; im Vorbeifahren scheint's, das Gebäude erhebe sich auf der Waldwiese, die bis zur Straße reicht. Doch ist diese umfriedete Fläche nur ein Lambrequin des eigentlichen Parkes: Hinter der Wiese führt noch ein öffentlicher Fußsteig, der Molenweg, längs der Vorderfront des Schlosses von einem Drahtverhau eingesäumt und von dichten Dornbüschen flankiert, dann erst ein starkes Eisengitter, zwei Meter hoch und reichlich mit Stacheldraht umrändert, wieder lebende Hecke, fast undurchdringlich.

Kein Garten – ein Hain.

Hundertjährige Buchen und Tannen, der Moosbalg ihres Stammes wuchert vom Boden bis in Manneshöhe, Baum an Baum, die Kronen greifen ineinander, nur Süd- und Westseite des umfangreichen Besitzes sind gelichtet, jemand hat Axt angelegt, und olivengrüne breite Strünke mit klaffender Wunde sagen, daß hier hohe Herrlichkeit geköpft.

Mitten in der Waldung erhebt sich die Burg am Weiher, sein uraltes Wasser verdichtet sich an der Oberfläche zu Blättern der Wasserrose, Schwäne segeln majestätisch und unbekümmert, Bosketts wachsen aus dem Uferboden – oder aus dem Wasser – empor. Eine Blumenpracht, wie sie selbst in Holland überrascht, umrahmt den beneidenswerten Besitz mit Farben und Düften, auf den Seitenflügeln des Schlosses lagert der Efeu als Fläche, als Raum, und vom zurücktretenden Quergebäude bleibt kaum der Mitteltrakt frei, mit dem Balkon über der Einfahrt, der eine prangende Jardinière ist.

Waldwiesen unterbrechen das Dickicht der Bäume, auf einer ist ein eigentümliches altes Taubenhaus erbaut: Nach außen gebogen, wie Lilienblätter, steigen die Pfeiler aus der Erde auf und tragen die von hundert Kreisluken durchbrochene Voliere, um die sich Tauben drängen.

Die Ferme außerhalb des umzäunten Waldes ist nunmehr vom Schloßherrn angekauft und teils zu einer modernen Waschküche umgestaltet worden, teils dient sie als Wohnung des Gesindes, das so zahlreich ist, daß es im Schloß nicht Platz fand, nicht in der Orangerie, nicht in der Villa Capanella, nicht in den neuen Bauten im Park und nicht in dem neuen Torgebäude an der Ostseite.

Dieses Torgebäude ist halbkreisförmig errichtet, in holländischem Stil aus Backsteinen, drei hohe Treppengiebel schmücken es, auf deren Stufen Steinkugeln ruhen; die hölzernen Fensterflügel sind in Diagonalfeldern rot und weiß lackiert, und das Schildchen im Zentrum ist schwarz-weiß; über dem eisernen Rundtor ragt schräg der Flaggenstock aus der Fassade, und auf dem Dachfirst dreht sich eine Karavelle aus Goldblech als Wetterfahne. Ein Schilderhaus links und eine Polizeiwachstube auf der rechten Seite im Hochparterre des Gebäudes – ein königlich niederländischer Schutzmann sieht aus dem Fenster – sind Inventarien, die man sonst bei keinem Schloß der Gegend bemerkte.

Gegen den Ort Doorn zu ist eine Mauer längs des Parkes aufgeführt worden; überecks, dem Postkontor gegenüber, das das Wappen der Oranier und ihren Wahlspruch trägt: »Je maintiendrai« (Ich halte aus), wird das Rot der Ziegelwand durch ein massives Tor unterbrochen, aus Gußeisen, wie daneben die Türe für Fußgänger. Ein eisengetriebenes Ornament krönt die Wölbung, den Buchstaben W und darüber eine Kaiserkrone zeigend.

Das Tor aber ist geschlossen und bleibt geschlossen.

Durch dieses Tor fuhr die tote Schloßherrin für immer davon, und ihr Gatte verfügte, daß es niemals geöffnet werden dürfe: Was der Toten gedient, sollte keinem mehr dienen! Ja, der untröstliche Witwer warf sogar, wie man erzählt, den Schlüssel in den Weiher. Jedenfalls blieb das Tor versperrt; niemand hat seither, aus dem Schloß tretend, den Wappenspruch der Oranier vor sich gesehen, für keinen wurde eine Ausnahme gemacht; und als vier Wochen später die neue Braut des Schloßherrn ankam, mußte sie bereits durch das neue Torgebäude in das Haus zu Doorn ihren Einzug halten!


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