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Vatikan in der Sahara

Der sehr verehrungswürdige und äußerst heilige Scherif und Scheik Sidi El Hadschi Ali ben Sidi El Hadschi Aissa, Kalif der Ordensbruderschaft Tidjania, hat das Kloster Tamelaat vor mehr als hundert Jahren gegründet, und auf seiner Gruft ist der obige Name und Titel abzulesen.

Diese ist ein Mausoleum von den Ausmaßen eines Domes, mindestens zwanzig Meter hoch schwebt die steinerne Wölbung über dem Sarg, skulptierte Steinornamente, echt arabische Arabesken verschnörkeln die Innenmauern, ein Kristallüster senkt sich auf den Toten herab, ein zweiter auf die Betenden, die schmiedeeisernen Gitterfenster bauchen sich in weitem Bogen nach außen, der Sarkophag ist, wie üblich, behängt mit Opfergaben der Wallfahrer, mit Seide, Gold, Teppichen und Rosenholz, und die Wand schmücken bunte Fresken und ein Stammbaum des großen Marabut, was für die heutigen Klosterbewohner wichtig ist, denn sie sind fast allesamt seine Nachkommen.

An die monumentale Gruft schließt sich die Moschee, in der Greise und Kinder sitzen mit gekreuzten Beinen, Texttafeln in der Hand, und in gleichbleibender Melodie Suren des Korans schreien, immerfort, immerfort, während man den Konvent durchwandert, der eine weitläufige Stadt ist, eine höchst merkwürdige Stadt mit Resten von Befestigungen an ihren Ecken und mit zwei Toren: für die Pilger, die aus Tem Assin kommen, der nächsten Gemeinde, und die, die nach Blidet Amar ziehen, der letzten Oase des Ued Rirh.

Zerfallen ist die Mehrheit der ebenerdigen Häuser, das »Mauerwerk«, rissige, mit Kamelmist aneinandergepickte Lehmklumpen, blieb übrig, in offenen Höfen wuchert Gras, Ziegen und Rinder weiden darin. Sogar Paläste, einstöckige Häuser sind eingestürzt, und man blickt von der Straße in buntbemalte Gemächer mit Stalaktitengewölben.

Früher, als nach dem Wüstenland kein gallischer Hahn krähte, nur der Halbmond herrschte, muß die Za-uja Tamelaat bevölkerter gewesen sein, obwohl sich Enkel und Urenkel des Gründers ausgiebig vermehrt haben und obwohl sie noch heute der wichtigste mohammedanische Stützpunkt Algeriens und das einflußreichste Kloster der Sahara ist und noch immer reich.

Die weltliche Macht des Islam ist gebrochen, der »Rumi« hat die Gewalt in Händen, sein sind die Regimenter der Spahis, sein die Bataillone der Senegalesen, sein die Tirailleure und Zuaven und Fremdenlegionen, er ist es, der Palmengärten kauft und die erbeingesessenen Eigentümer vertreibt, er schießt und sperrt ein und deportiert, er fordert Steuern und assentiert, und vier Jahre lang mußte das mohammedanische Afrika für die Entente kämpfen, trotzdem gegen diese die Fahne des Propheten entrollt war zum Heiligen Krieg. Der Rumi hat Macht über Leben und Tod.

Nicht Macht aber hat er über Liebe und Haß! Er weiß es, deshalb die sprachfremde, ortsfremde, rassenfremde Besatzung im Territoire militaire, deshalb überall die Garnisonen aus anderssprachigen, andersrassigen Kolonien, deshalb ist manches Minarett zur Beobachtungsstellung umgewandelt, auf daß Trieder und Scheinwerfer die sandige Ebene nach herannahenden Djichs (bewaffnete Trupps der Eingeborenen) absuchen können, deshalb die Verbote des Waffentragens, des Munitionsverkaufs, der Ferngespräche und Telegramme in arabischer Sprache. All das nützte nicht ganz, es gab im Weltkrieg Aufstände, die an vielen Orten gleichzeitig aufflackerten und die einmal gefährlich werden können, wie drüben in Marokko die Rifkabylen nachdrücklich bewiesen.

Wer organisiert diese Widerstände? Nichts liegt näher, als daß es die heiligen Klöster sind, denn sie stellen die einzigen unabhängigen und unkontrollierbaren Instanzen dar. Es gibt keinen Muselman, der das zugibt, nur in Glaubensdingen mache sich der Einfluß der Za-ujas geltend, sie seien nichts anderes als Stätten gläubiger Einkehr und theologischer Schulung.

Vor Sonnenuntergang darf sie der Fremde ruhig besichtigen – Juden müssen allerdings nach der religiösen Vorschrift getötet werden, wenn sie Moschee oder Za-uja zu betreten wagen. In kleinen Klöstern, zum Beispiel in Tolga oder Rab-Abbar, sah ich ein Labyrinth von Höfen, Menschen psalmodierten, uralte Drucke oder prachtvolle Handschriften des Korans haltende Kinder, bleiche Jünglinge, Männer mit weißen Bärten, alle die Beine untergeschlagen, laut und rhythmisch sich die Worte des Gesetzes einprägend, sie schienen den Eindringling mit brennenden Augen zu mustern.

So sitzen sie auch hier, in der Moschee der Za-uja Tamelaat. Aber ich begegne in den engen, oft überwölbten Gassen Männern, die ersichtlich mehr sind als Leser und Lerner der heiligen Suren. Sie haben seidene Turbane, mit Posamenten fünffach umwickelt, und goldverschnürte Sandalen, ihr Burnus ist aus feinem blaugrauem Tuch, sie gehen rasch, und den Europäer, der sonst in den Siedlungen der Sahara mit Neugierde und in jenen Stätten des Gebets prüfend betrachtet wird, würdigen sie keines Blickes.

Jene feingekleideten Esoteriker sind die Enkel des Sidi El Hadschi Ali ben Sidi El Hadschi Aissa in männlicher und weiblicher Deszendenz, ihre Namen wachsen aus dem an seinem Grabe gemalten Stammbaum empor, und sie haben ein Erbrecht, hier als Marabuts zu wohnen, in Fragen des Glaubens Entscheidungen zu treffen und Amulette auszuschreiben, mit ihren Frauen aus dem Stamme des Fundators dafür zu sorgen, daß der heilige Samen nicht aussterbe, sie lehren die Weisheit jenen, der in der Einöde in den Oasen und in den Negerdörfern als Priester zu wirken bestrebt ist, für sie arbeitet das dreihundertköpfige Laienbrüdertum von Tamelaat in der Palmenpflanzung, im Schafstall und in den Häusern, und sie stellen auch den obersten der Marabuts, den Papst der Sahara.

Der ist freilich nicht anwesend. In seinem Haus, das sich durch breiteres Steinportal, einen Arkadenhof, durch einen Thronsaal mit buntbemalter Wölbung und durch ein Audienzzimmer mit alten Uhren auf geschnitzten Konsolen als Vatikan der Sahara präsentiert, kann man höchstens den Sohn des Papstes antreffen, dieser selbst ist lungenkrank und lebt, da er den Ärzten mehr vertraut als den medizinischen Vorschriften des Korans, in Biskra, wo ein Haus der Tolgaer Wüstenstraße Klostereigentum ist.

Dort kann man ihn sprechen. Beturbant und beburnust, die Füße gekreuzt, sitzt Sidi Laid ben Sidi El Baschir Tidjani ben Sidi El Hadschi Ali, Enkel und Amtsnachfolger des ersten Scheiks von Tamelaat, ein etwa fünfundfünfzigjähriger Herr, in seinem Krankenbett.

Auf der Erde ringsumher: das Gefolge und die Freunde des Meisters. Der mit dem weißen Gelehrtenbart und der goldenen Brille, zur Linken des Kranken hockend, ist Si Mohammed Tahar, aus der Schule von Tamelaat hervorgegangen, jetzt betet und predigt er in Taibal, ein Taaleb von großem Ruf im Reiche des ewigen Sandes. Mit schwarzen Schnüren ist das Turbantuch des schwarzbärtigen Mannes im schwarzen Burnus dekoriert, der gleichfalls aus der Za-uja Tamelaat sein Wissen von himmlischen Dingen bezog und nun sein Wissen von irdischen Dingen erweist, indem er als reichster Teppichhändler des Maghreb wirkt. Die anderen Gäste sind ein Sohn, zwei Neffen und zwei Schüler des Meisters und zwei fromme Männer aus Biskra.

Ein mit Perlmutter eingelegtes, geschnitztes Tischchen wird hereingeschoben, und aus kleinen Gläsern trinkt man Tee mit Menthe.

Politik? Was für Politik? O nein, mit Politik hat die Za-uja nichts zu tun. Gar nichts. Nur mit Einkehr und Lehre.

Schon Sidi El Hadschi Ali, als der Sultan von Tuggurt die Za-uja belagerte, zog mit den Seinen, betend und ohne Waffen, dem Feinde entgegen. Und es geschah solches: Zu Häupten der Belagerer fingen die Palmen Feuer, zusammen stürzten sie, unter sich vom Heer des Sultans all das begrabend, was nicht rechtzeitig enteilte. Nein, die Klöster treiben keine Politik. Im Gegenteil (im Gegenteil?), wir sind den Franzosen freundlicher als andere Sekten gesinnt, unser Mutterkloster ist die Za-uja Kurdan zwischen Langhuat und Ain-Mahdi, dort hat eine Französin gelebt, die den Scheich der Tidjani heiratete und nach dessen Tode seinen Nachfolger. Als die Rumi ins Land kamen, stand sie ihnen bei, riet den Arbi vom Widerstand ab und verhütete viel Blutvergießen. Früher hatte sie Aurélie Picard geheißen, sie war aus Orleans.

Lange ist sie tot, nein, wir treiben keine Politik, trink doch noch eine Tasse Tee mit uns, Efendi!


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