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Kuriositätenkabinett des Viehhofes

Es ist ein Museum zum Hausgebrauch und aus dem Hausgebrauch entstanden, aus dem Hausgebrauch dieses Komplexes, den der sonst unsentimentale Fleischesser nicht ohne Erregung durchwandert hat.

Kinderspielzeug steht auf Tischen und auf dem Boden, zierliche Modelle der Transportgerätschaften für jene Passagiere, die täglich in sieben bis acht Eisenbahnzügen aus Ostpreußen, Schlesien, Bayern und Thüringen am Leipziger Schlacht- und Viehhof eintreffen, auf Ausladebrücken den Etagewaggons entsteigen, über Rampen in umgitterte Buchten aus Zement und Eisen getrieben werden in ihr letztes Logis.

Spätestens am nächsten Montag oder Donnerstag werden sie auf der Börse oder auf dem Wochenmarkt lebend per Stück verkauft, lebend in Massen weiterverkauft, geschlachtet, ausgeweidet, ausgeschrotet, tot im Großhandel verkauft und im Detailhandel wiederverkauft – ein rapider Verteuerungsprozeß, das Tollste im tollen Betrieb einer Schlachtbank, aber im Kuriositätenmuseum des Hauses nicht veranschaulicht. Denn solche Spekulationen, einem Unkaufmännischen unfaßbar, sind in der Welt der Spekulanten selbstverständlich, gar nicht kurios. Das arme Tier interessiert den Verdiener ebensowenig wie der arme Mensch, man rühmt sich nur, wie rationell man verdient. Nichts geht verloren!

Die Düngerwagen en miniature: Das Original fährt unterhalb des Pflasters vor das erhöhte Düngerhaus; die Arbeiter der Darmschleimereien haben inmitten eines widerlichen und erstickenden Gestanks den Kot aus den Gedärmen des Schlachtviehs geschabt, entleeren nun all diesen breiigen Dreck in den Wagen, es schließen sich die Klappvorrichtungen, und man koppelt ihn an den Eisenbahnzug, der hinaus auf die großen Güter rollt.

Ein schwarzes Lederstück, im Museum fleckenlos und harmlos, ist die gleiche Maske, die sich die Rinder um Stirn und Augen schnallen lassen, ohne zu zucken.

Oh, über die Unbekümmertheit des Rindviehs! Gleichmäßig stapft es in die riesige Schlachthalle über die glattglänzenden Fliesen, auf denen seine erschlagenen Brüder liegen, die Beine anklägerisch gegen den Himmel gestreckt, das grüne Auge im Entsetzen erstarrt; seelenruhig bewegen sich ausgewachsene Ochsen, alte Kühe und sogar Bullen durch Nebelschwaden und Blutgeruch unter und zwischen den Laufkranen, den Galgen ihrer gehäuteten und zerschnittenen Angehörigen; ohne muh zu sagen, waten sie durch Bäche von Blut ihrer Blutsverwandten zum Schlachtplatz, in die Mitte eines von vier Riemen umsäumten Rechtecks, wo sie angebunden werden.

Unnötigerweise angebunden – denn geduldig warten sie, eines wie 's andere, bis der Metzger ihnen die Haube anlegt – jene schwarzlederne Larve eben, von der man ein neues Exemplar, ein Museumsstück, ohne Scheu in der Hand hält. Mit hölzerner Keule schlägt der blutbefleckte Hauer auf den am Rand geschärften Bolzen, der (durch eine metallene Führung am Leder) in Schädeldecke und Schädelhöhle dringt; mit einem Aufschrei sinkt das Tier zu Boden, eine Rohrsonde wird in den Wirbelkanal eingeführt, sie zertrümmert das verlängerte Mark, das Opfer bäumt sich, noch einmal zucken die Beine, und eines anderen Schlächters, des »Stechers«, Bruststich läßt alles noch lebendige, rauchende, rotschwarze Blut in ein bereitgehaltenes Becken sprudeln.

Die Masken sind für Großvieh und Pferde gleich, die für Schweine, Schafe und Hammel haben eine andere Form. Systeme der Bolzenschlaginstrumente, wie sie in Schlachtbänken anderer Städte verwendet werden, sind gleichfalls hier Museumsobjekte, auch Schußapparate mit Kugeln und Bolzen.

In einer Art Vorgärtchen am Kleinviehgebäude harren die Kälber ihres jungen Endes. Sie haben nichts von jener stillen Gottergebenheit, mit der drüben ihre Väter, Mütter und Onkel auf den Richtplatz gingen, sie kennen noch nicht die Sinnlosigkeit des Lebens und das Erlösende des Sterbens, sie blöken verzweifelt, und naht der Tod mit Schlächterfratze, blutiger Schürze und aufgekrempelten Ärmeln, um sie in die Halle zu führen, dann zerren sie am Halfter, wollen sich gewaltsam befreien, springen in die Höhe, jedesmal dieser angespannte Kampf gegen die Macht, jedesmal vergeblich – immer kommt ein zweiter Büttel, reißt das Kalb am Schwänzchen abwärts – eines Kalbes Kräfte sind ja so schwach –, gleich bei der Tür wirft man ihm einen Strick um das rechte Hinterbein, zwei Paar Menschenarme heben das Tierchen, schon baumelt es an einem Rechen, ein Schlag auf das Genick – es blökt nicht mehr – Halsstich – junges Blut, junges Blut verströmt.

Zwei Kälber in gläsernem Schrein sind ausgestopft. Schwarze Körper mit weißen Ärmchen, so daß ihre zärtliche Umarmung noch deutlicher hervortritt. Sie umschlingen sich brüderlich, sie sind an der Brust zusammengewachsen, siamesische Zwillinge der Rinderwelt. Eine Oldenburger Kuh gebar sie in Leipzig, aber sie waren tot. Schade, sie hätten vielleicht gehätschelt von Jahrmarkt zu Jahrmarkt ziehen und hochbetagt in Ehren leben dürfen, während ihre Brüder als Kinder mit dieser beschlagenen Keule oder als Erwachsene mit dieser Schlachtmaske gemordet worden wären.

Abnormitäten der Tierwelt, aus alten Schaubudenprogrammen bekannt, Kälber mit zwei Köpfen, Schweine mit fünf Beinen, doppelte Zahnreihen von Wiederkäuern und ähnliche barocke Launen der Natur, Brehms Tierleben Lügen strafend, Steinfrüchte (Kälber, vor ihrer Geburt im Leib der Mutterkuh vertrocknet und jahrelang dort gebettet) sind präpariert zu sehen. Viel verträgt ein Rindermagen: Diesen stattlichen Eisenstab hat ein jütländischer Ochse in seiner Jugend verschluckt, und siehe da, er störte ihn nicht, der Ochse erreichte ein hohes Mannesalter.

Ungeheure Minerale, drei Kilogramm schwer, groß wie Totenschädel von Wasserköpfigen, manche mit schön kugelrunden Ausbuchtungen, muschelförmigen Strukturen füllen die Vitrinen: Kotsteine aus dem Darm der Wiederkäuer, die sich rings um einen verschluckten Gegenstand – und sei es auch nur ein Hosenknopf – durch Absonderung von phosphorsaurem Ammoniakmagnesium gebildet haben.

Wie kamen diese Seesterne und diese Meeresschwämme in das Innere des Viehs? Es sind keine Seesterne und keine Meeresschwämme, sondern Haarwickel: Durch Lecken des behaarten Körpers von Mutter oder Gattin, Freund oder Freundin geraten einzelne Haare in den Tierleib, aber sie gehen nicht verloren; die Natur (aus Langeweile wahrscheinlich, sonst hat sie in den Innereien des Großviehs kaum viel zu tun) fügt Haar an Haar in kunstvollem, erstaunlich regelmäßigem Geflecht, rundet die Stickerei zu glatten Formen, und das vollbrachte Werk nimmt sich nun im Schaukasten wie eine bizarre Pflanze vom Meeresgrunde aus.

Die Präparate von Kehlköpfen, Luftröhren, Lungen, Euter, Knochen, Hoden und Milz, die Rüsselscheiben und Hufe, aller Krankheiten Merkmale von Tuberkulose bis zu Maul- und Klauenseuche tragend, die Sammlung von Schmarotzern und ein Bandwurm, unzerstückelt, in Lebensgröße und in Spiritus, mit winzigem Köpfchen, Schwanenhals und korpulentem Körper von vielen Metern Länge sind für den Menschen nicht allzu interessant; die Gehirnblasenwürmer, Ursache der Schöpsdrehe, verschmähen gleichfalls die menschliche Welt. Deshalb widmet ihnen der Musealbesucher kaum Beachtung, und da weiter keine Gefahr besteht, daß er mit seiner Nahrung Eier der Bremsenfliege verschlucken wird, aus denen sich vorliegende Larven im Magen bilden, so hält er den Anschauungsunterricht für erschöpft und verläßt in diesem Zustande das Kuriositätenkabinett und, einigen zufriedenen Viehagenten, Großschlächtern und anderen dicken Herren begegnend, den Schlachtviehhof.


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