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Polizeischikanen in Sardinien

Daß die Bewohner der Insel Sardinien äußerst abergläubisch sind, ist sicher. Nicht sicher dagegen, ob sie, wie ihre Aber-Glaubensgenossen im Westen, eine vorbeigehende Nonne für ein Unglückszeichen ansehen, gegen das man sich schützt, indem man den untersten Knopf seines Rockes so lange festhält, bis ein Soldat des Weges kommt. Sollte dieser Aberglaube bei ihnen bestehen, dann sind die Bewohner von Cagliari, der Hauptstadt, in der unangenehmen Lage, immerfort nach dem Knopf greifen zu müssen, und in der angenehmen Lage, ihn bald wieder loslassen zu können.

Die Soldaten gehören meist dem Orden Carabinieri an, tragen Dreispitz auf dem Kopf und rote Lampassen an der Hose, die Offiziere silbergestickte Kragen, sternenbesäte Epauletten, posamentenverschnürte Waffenröcke mit Medaillengarnierung und sind braungebrannt und gutbezahnt.

Die Nonnen, größtenteils vom Regiment Mercedaires, haben einladende Gesichter, aber ausladende Flügel an ihren Hauben. Einstmals betrieben die Mercedaires Sammlungen für den Loskauf von Christensklaven aus türkischer Gefangenschaft. Das gibt es nicht mehr. Trotzdem wurden sie nicht demobilisiert, ebenso wie man es unterlassen hat, das Heer nach dem Weltkrieg zu säkularisieren.

Zwischen dem erfaßten und wieder losgelassenen Knopf, also nur einen Augenblick lang, denkt man, wie gut es wäre, wenn das Zölibat der Nonnen und Offiziere aufgehoben würde und gleichzeitig ihre Stammkörper, wie gut es beide Teile hätten, wie gut die Welt und vor allem die abergläubischen Passanten.

Wer fremd ist in Cagliari, kann den fest gefaßten Knopf auch beim Anblick der Polizisten loslassen, denn diese sehen gleichfalls martialisch drein, und damit sie verdoppelten Respekt einflößen, stehen und gehen sie meist paarweis.

Außerdem gibt es noch eine superfaschistische Polizei, die dem Aberglauben huldigt, jeder nach Sardinien kommende Fremde werde den Faschismus von ganz Italien stürzen. Läßt sich gar aus dem Passe des besagten Fremden ersehen, daß er jemals in Rußland war, so ist er der Ermordung Mussolinis endgültig überführt. Von jedem Buch in seinem Koffer, von jedem Brief und jedem Zettel muß er eine lückenlose Übersetzung ins Italienische liefern und nachweisen: Alle diese Handschriften und Druckschriften seien nicht nur nicht antifaschistisch und nicht nur unfaschistisch, sondern sogar faschistisch. Dann erst darf er seinen Rundgang um die Insel Sardinien antreten, also keineswegs in bester Laune.

Dies ist aber gerade die richtige Laune, die Hauptstadt einer vergessenen Insel, einer ausgesprochen unglücklichen Insel zu besuchen. Wohl hat sie eine Rolle gespielt, jedoch in den zweitausend Jahren war sie immer Objekt, niemals Subjekt der Geschichte. Die Ägypter, die Phönizier, die Griechen, die Karthager, die Römer, die Sarazenen, die Pisaner, die Genuesen, die Spanier, die Österreicher und schließlich die Piemontesen haben das Land nur als Flottenstützpunkt und als Ausbeutungsgebiet betrachtet – es ist bezeichnend, daß die italienische Renaissance auf keinem Bauwerk Sardiniens eine Spur hinterließ.

Eine lokalpatriotisch eingestellte Archäologie hat versucht, dem Lande wenigstens eine prähistorische Vergangenheit als Residenz von Hirtenkönigen zuzubilligen, aber dieser Beweis mißlang; denn von den Nuraghi, den konischen Türmen aus Steinblöcken, die das Volk »domus de janas« (Hütte der Hexe) oder »Grab des Riesen« nannte und in denen jene Forscher Burgen oder Gräber der Hirtenkönige erblicken wollten, waren zu viele erhalten: Sechstausend Könige auf der kleinen Insel ist mehr, als der von Vaterlandsliebe verblendetste Professor zu vertreten vermag. Auch fand sich kein Skelett vor, und die Königsburgen, Sardiniens Stolz, entpuppten sich als befestigte Wohnhäuser aus der Urzeit.

Da ferner die Vendetta fast nicht mehr ausgeübt wird (der Weltkrieg hat die Ausrottung rachelüsterner und racheverdienender Familienmitglieder zu gründlich besorgt), da die sardinischen Nationalkostüme nicht mehr in Mode stehen und da es auch jene Herba sardonica nicht gibt, nach deren Genuß man unter sardonischem Gelächter sterben muß – was bleibt von dem spärlichen Ruhm des Eilands?

Bleibt im Grunde nur die Sentimentalität der Geschichte, die man zur Genüge empfindet, wenn man auf der Prefettura stundenlang dafür büßt, nach Sardinien gekommen zu sein. Vielleicht besäßen die Hohenstaufen noch heute Macht über die Welt, hätte der junge Enzio nicht hierhergeheiratet; nun hat er es aber getan, die Hohenstaufen sind abgesägt, und Enzio starb so gründlich im Kerker, daß sein Name vergessen ist, obwohl er (und nicht Konradin!) der letzte Waibeling war.

Ähnlich sind auch die Familien der Guidici ausgestorben. Die haben unter der aragonischen und unter der pisanischen Oberhoheit in Sardinien Recht gesprochen, und ihr bedeutendster Mann war eine Frau, Eleonora von Arborea; sie hat einen Kodex verfaßt, in welchem unter anderem der Klatsch und die Indiskretionen bestraft wurden, und jeder, der einen Ehemann als Hahnrei beschimpfte, erhielt fünfundzwanzig Dublonen Geldstrafe, und wenn die Beschuldigung auf Wahrheit beruhte, fünfzig. Aus dieser trefflichen »Carta di Logu« ist nichts in andere Gesetzbücher übergegangen; zu einer Infanteriekaserne wurde Eleonorens Haus in Oristano, und ihren Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch, während ihren mächtigeren Zeitgenossinnen Margarete von Anjou, Philippine von England, Johanna von Neapel und Margarete von Dänemark der ewige Ruhm gesichert ist.

Große Männer werden hier weder geboren, noch sterben welche hier. Nur einmal tat einer aus dem Geschlechte der Unterdrücker, Martin von Aragonien, der Hauptstadt seiner sardinischen Provinz den Gefallen, hier an Intemperia – so hieß damals die Malaria – zu sterben und sich in der Kathedrale von Cagliari begraben zu lassen. Zwischen dem damaligen Erzbischof (das kleine Sardinien hat drei Erzbistümer und viele Bistümer) und seinen Nachfolgern begann nun ein Wettstreit um die Ausschmückung des Grabmals, das eine ganze Kirchenwand mit architektonischen Kinkerlitzchen und Marmorfiguren aller Stile bedeckt und einer senkrechten Siegesallee gleicht.

Die Pisaner haben in Cagliari zwei Türme erbaut, die älter sind als ihr eigener und doch nicht geneigt, sich zu neigen: die Torra dell' Elefante und den Torrione di S. Pancrazio. Von ihren Plattformen aus beherrschte Pisa das Meer und die Stadt, und weil man die unteren Stockwerke der Türme nicht leer stehen lassen wollte, verwendete man sie als Gefängnis und warf die unbotmäßigen Elemente hinein. Sicherlich wäre damals ein aus Rußland kommender, also verdächtiger Fremdling hier eingekerkert worden; der Reisende von heute freut sich demnach, nur die Prefettura geschmeckt zu haben, und ist endlich gelaunt, den positiven Seiten der sardinischen Hauptstadt Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Er bestätigt daher gerne von neuem, daß die Polizei imposant, die Nonnen und Soldaten schön und zahlreich und besonders der Aberglaube und der Glaube sehr stark sind. Sehr stark: Jedem vor einen Karren gespannten Eselchen ist ein silbernes Kreuz zwischen den Augen befestigt, und bei den Prozessionen zu Ehren Sancti Ephisii gehen die Ochsen mit geschmücktem Geweih vor dem Heiligen einher.

Aber das ist nicht alles. Schon P. Fuos, der anonyme Verfasser der zu Leipzig bei Siegfr. Leberecht Crusius 1780 erschienenen »Nachrichten aus Sardinien« (von ihm und dem Franzosen M. Valéry hat später der Jungdeutsche Alfred Meißner das romantische Material bezogen, als er von der für deutsche Dichter vorgeschriebenen Marschroute einer Italienischen Reise nach Sardinien abwich); schon Fuos also erzählt von seltsamen religiösen Gebräuchen, und die haben sich bis zum heutigen Tage erhalten. Stattet zum Beispiel ein Bildnis der Mutter Gottes einer anderen Kirche einen Besuch ab, so wird sie in einer Sänfte getragen und von einem Cavaliere Servente mit entblößtem Haupte begleitet; auch der vordere Träger muß die Mütze abnehmen, nicht aber der hinten, denn ihn kann die Madonna ja nicht sehen. Am Karsamstag begegnen einander Prozessionen mit dem Bildnis Christi und dem Bildnis Mariä, sie bleiben stehen, man neigt die Gestalten, Mutter und Sohn begrüßen sich mit vielen Komplimenten.

Das Schönste von Cagliari: wenn man, nach hochnotpeinlichem Verhör endlich aus der Prefettura entlassen, die frische Luft der Fischhalle atmen kann. Vor den kleinen Ständen der Einzelhändler und vor den großen des »Sindicato fascista pescatori« sind die seltsamsten Polypen und Mollusken zu sehen, von denen man bisher geglaubt hat, daß sie nur in den Aquarien von Berlin, Neapel und Monaco gedeihen. Dieses Meeresgeziefer und anderes, besonders Seesterne, wird nicht bloß zum Verkaufe angeboten, sondern auch von den Bürgern frischweg in der Markthalle gegessen, als welches man mit Entsetzen erblickt. Beim Besuch des Berliner Aquariums würde einem Cagliareser das Wasser im Munde zusammenlaufen!

Von der Stadt ist noch zu sagen, daß sie außer den schönen und überflüssigen und doch gefährlichen Soldaten und schönen und überflüssigen und doch gefährlichen Nonnen, außer den doppelt auftretenden schönen und überflüssigen und doch gefährlichen Polizeidreispitzen und den fromm beschützten Eseln noch Denkmäler zu Ehren der Beherrscher aus dem jetzigen Königshause besitzt, Carlo Felice, Vittore Emanuele – Monumente, nicht so pompös wie das des Aragoniers in der Kirche, aber an Geschmacklosigkeit ihm mindestens ebenbürtig.

Herrlich ist das Terrazzo Umberto Primo und der Blick von den Bastionen, zu denen die Stadt aus dem Meer steigt, der Prospekt auf ebenes Wasser und hügeliges Land. Dort drinnen ist's voll von Malariabazillen und Orangenblütenduft, Kaktus und Lorbeer wohnen hart an hart, viele Hasen, Rebhühner, Wildkatzen und Eber sind da, allerdings nur halb so groß als in anderen Ländern, denn die Insel wird von der Natur ebenso stiefmütterlich behandelt wie von der Geschichte.

Vom Fremdenverkehr unberührt, ohne Hotels und ohne Villen sind Städte und Dörfer, man glaubt, daß Hexen und Riesen in den Nuraghi wohnen, man glaubt an den Bösen Blick und an die Wirkung der Blutrache auf die Seligkeit des Ermordeten. Wer herbe Jungfräulichkeit liebt, kann auf Sardinien sein Glück machen. Zu längerem billigem Aufenthalt ist die Mitnahme eines Passes mit russischem Visum zu empfehlen.


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