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Käsemarkt zu Alkmaar

Ein Platz wie Anno 1573

Verwunderlich, daß es nicht stinkt und daß es verwunderlich wäre, wenn es stinken würde. Das paßte keineswegs zu der Ware des Marktes und noch weniger zu seiner Umrahmung.

Wohl ist es Käse, nur Käse, Zehntausende von Stücken Käse, um die das Getümmel geht, aber dieser Käse ist leblos, jedes Stück eine steinerne Kanonenkugel, der ganze Markt ein Munitionslager von Herzog Alba.

Und das Gelände sah vor dreihundertfünfzig Jahren, als die Spanier es zu berennen versuchten, kaum anders aus, das Gebäude der alten Stadtwaage trägt spätgotischen Charakter, in den mit Zillen vollgestopften Grachten staut sich ewig das gleiche Wasser, mittelalterliche Zugbrücken mit rasselndem Kettenwerk führen darüber, und nur Treppengiebel und Backsteinfassaden können den Platz umsäumt haben; sicherlich waren schon damals in den Häusern am Rande des Kanals die Marktkneipen, wenn sie auch noch nicht Café, Melksalon oder Lunchroom hießen, und auf der anderen Seite die Magazine und Kontore, wenn sie auch einzelnen Händlern und noch nicht den Aktiengesellschaften gehörten – ein Fremder würde heutzutage nicht »Kannitverstan«, sondern »Maatschappij« für den Namen des reichsten Mannes halten.

Über Farbe und Anordnung der Ware

Innerhalb dieses feudalen Rahmens liegt der Käse Freitag, vormittags, auf dem Straßenpflaster in größter Ordnung, Kugel an Kugel geschmiegt, so daß sich eine schnurgerade Tangente ziehen ließe, bildet er Rechtecke, die acht Meter lang und zwei Meter breit und zwei Käse hoch sind, denn in geometrischem Sinn ist's keine Fläche, sondern ein Prisma, und über der Schichte auf dem Pflaster lagert eine zweite. Diese orthogonalen Käseschichten sind mit Segeltuch bedeckt, nur aus einer Ecke lugen Schädel, je einen Schädel balancierend.

Im Steingrau der Kugeln zeigen sich kleine grüne Flecken, sie sehen wie Schimmel aus, vielleicht sind sie es sogar, aber jedenfalls ist dies eine Feinheit. In der Nähe der neuen Marktwaage, der alten gegenüber, gibt es ganz frische Bälle, ihre Farbe ist das verdünnte Orange des niederländischen Königshauses. Rot aber, rot ist kein einziger Edamer Käse! Wenigstens bei sich zu Hause nicht – nur die Exportfirmen färben die Rinde, weil das Ausland nun einmal den Edamer Käse rot haben will. Die rote Farbe ist in Holland für die Fremden da, die roten Wämser der Markener Fischerjongen werden erst angelegt, wenn der Rundreisedampfer die Fremden landet, die hart am Schienenstrang stehenden Windmühlen sind rot lackiert, und der Edamer Käse zieht ein rotes Röcklein an, wenn er in die Fremde fährt.

Von Tragbahren, Gondolieri und Polizisten

Ganz weiß dagegen sind die Markthelfer gekleidet, schneeweiße Leinenhosen und schneeweißes Hemd. Farbig ist bloß der Strohhut mit gebogener breiter Krempe, rot, blau, grün oder orange – je nachdem, wie ihre Trage lackiert ist, die keine gewöhnliche Tragbahre ist, sondern gleichfalls eine gebogene breite Krempe. Die Wölbung der Holme ist möglicherweise statisch begründet, ihre Buntheit aber und der Schwung und die Lackierung der Hüte sind von wegen der Ähnlichkeit mit den Gondolieri da – Alkmaar erhebt Anspruch auf den Titel »Venedig des Nordens«. Auch andere Städte prätendieren darauf, Danzig mit seinen marmornen Patrizierpalästen, Leningrad mit seinen Kanälen, Amsterdam mit seinen Pfahlbauten, Alkmaar schlägt jedoch die Rivalen, indem es seinen Käse auf kühngeschwungenen Gondeln tragen läßt, von Männern in malerischem Kalabreser.

Die Welt erfährt schon davon – allfreitäglich sind im Sommer Hunderte von Engländern und Engländerinnen auf dem Markt, um zu schauen, sie knipsen die Käsehaufen und die Waage und die Zugbrücke und das Haus mit der steinernen Kanonenkugel Albas und das Verladen der käsernen Kanonenkugeln in die Kähne, sie gucken auf den Turm, auf dem fast ununterbrochen ein Glockenspiel tönt und außerdem jede Stunde ein Herold Fanfare bläst und zwei gewappnete Reiter gegeneinander ansprengen. Die Karawanen der Neugierigen verstellen dem Transport den Weg und würden wohl heftiger angeschrien werden, wäre vom Dogen von Alkmaar die Weisung an die Markthelfer unterlassen worden, nicht bloß den Käse, sondern auch den Fremdenverkehr zu heben.

In schwarzes Tuch gekleidet, silbern ziselierter Degenknauf, weiße Handschuhe, passen die Polizisten zum Käsemarkt auf der Piazza di San Marco und sorgen dafür, daß das Photographieren und Staunen der Gäste nicht etwa durch den Marktverkehr behindert werde.

Trotzdem handelt es sich nicht um ein kulturhistorisches Theater,

trotzdem ist dieser Markt kein lebendes Museum wie die Fischerinseln Volendam und Marken mit den malerischen Trachten und Posen. Nein, bei aller Koketterie ist es ein ernsthaftes Handeln. An jedem der rechteckigen Stapel steht ein Verkäufer, entweder Vertreter einer Fabrik oder Besitzer einer kleinen Molkerei, und wartet auf den Käufer, der seinerseits Vertreter einer Nahrungsmittel-AG oder einer Konsumgenossenschaft ist und städtisch gekleidet, obwohl er der lokalen Eigenart und dem Fremdenverkehr dadurch Rechnung trägt, daß seine Füße in Alkmaarer Pantinen stecken, hellgelb polierte Holzschuhe, auf die Schnürsenkel, Absatz und Stiefelspitze – mit schwarzem Lack gemalt sind.

Angebot ist größer als Nachfrage, und der Einkäufer nützt das aus, er schlägt die Zeltbahn zurück, unter der die aus Butter gepreßten Bälle in Reih und Glied liegen. Einen ergreift er, schüttelt ihn, ihn ans Ohr haltend, oder sticht gar mit einem hohlen Bohrer tief hinein, holt ein längliches Stück von Form und Farbe einer Mohrrübe hervor, beschnuppert und kostet es und schiebt es wieder in das Loch.

Dann bietet er, streckt dem Produzenten die Hand hin, dieser nennt einen anderen Preis, die beiden Handflächen klatschen wiederholt aneinander, streicheln sich, indes, der gegenseitige Zugriff der Finger erfolgt nicht, so atemlos auch ein dichter Kreis britischer Kiebitze des Abschlusses harrt, der Vertreter des Konsums begibt sich zum nächsten Stapel, der Vertreter der Produktion bleibt achselzuckend bei seinem Käse und bei seinem Preis, bis wieder einer kommt, das Spiel der Handflächen zu treiben. Gerade diese Szenen müßte man für publikumsberechnet halten, wenn man nicht den Betrieb der Viehmärkte kennen würde, wo Käufer und Verkäufer einander schreiend umschlingen und mit Brachialgewalt den besiegelnden Händedruck des Partners zu erzwingen versuchen.

Krieg und Käse

Schon viele hundert Jahre geht auf diesem Platz der Kampf um den Käse: Im Stadthaus ist graphisch dargestellt, wie sich Kriege, Zollkrisen, Einfuhrverbote und besonders Napoleons Kontinentalsperre auf den Alkmaarer Käsemarkt äußerten. Im Jahre 1916, während des Weltkrieges, erreichte der Käseumsatz seine Kulmination: 9 750 000 Kilogramm, im Jahre 1919 fiel er auf kaum ein Drittel dieses Gewichts. Die vier Millionen Kilogramm, die jetzt auf dem Markt von Alkmaar jährlich verkauft werden – ein Käse ist etwa fünfzehn Zentimeter hoch und wiegt zwei Kilogramm –, würden aufgeschichtet einen Rundturm von achtundzwanzig Meter Umfang ergeben (achtzehn Menschen könnten ihn kaum umspannen) und siebzehn Meter höher als der Eiffelturm – ein Turm aus dem Edamer Käse eines einzigen Jahres und eines einzigen holländischen Marktes.

Man sieht also, daß dies mutuelle Streicheln der Handflächen nicht immer ohne Folgen bleibt, oft genug resultiert der Gegendruck, dann winkt man den Trägern, und auf den Boden der geschweiften Festlandsgondel wird eine Schichte von zweiundvierzig Laiben Käse und darüber eine von achtundzwanzig gelegt, und schon schnallen die Markthelfer die Last an die Tragriemen, die wie Hosenträger sind, und rudern ab – sie rudern wirklich mit Armen und mit auswärtsgebogenen Füßen, die Menge mit kurzen, animalischen Rufen auffordernd, Platz zu machen.

So steht König Salomonis Psalm über dem Tor des Gewichtshauses:

Een valsche Waghe is den Heere eenen grouwel
daar en tegen een vol ghewicht is sijn welbehagen.

Vier mächtige Waagschalen, den nahen Zugbrücken verwandt. Jede nimmt beladene Tragbahren auf, der Gewichtsmeister notiert die Kilogramme, die Gondeln bewegen sich zu den wirklichen Gondeln, zu jenen in den Grachten Voordam, Mient und Zijdam.

Dort beginnt ein Wurfballspiel zwischen Träger und Schiffer, die Landratte ergreift je zwei schwere Bälle und schleudert sie vom Kairand der Wasserratte zu, die sie auf den Schiffsboden schlichtet. Das gibt den englischen Marktbesuchern Anlaß zu sportlicher Bewunderung, ihren Kodaks Gelegenheit zu Snapshots. Weiter abseits rollen die Kugeln wie auf der Kegelbahn durch eine Holzrinne in den Verladeraum …

Was nicht verkauft wird, landet in den Speichern, und wenn mittags der steinerne Herold auf dem Turm seine Tuba hebt und die geharnischten Reiter gegeneinander lossprengen, vollzieht sich ihr Kampf ohne Turniergäste, die Händler sind fort, die Schiffer sind davon, die Gäste vom Inselreich im Autobus abgereist, ihre Käserundfahrt ist zu Ende.


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