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Das Vermächtnis der Frau Mende

Frau Maria Pauline Mende hatte, so erzählen die älteren Leipziger, das Haus Marienstraße 4 inne. Es war gewiß ein vornehmes Etablissement, selbst angesichts der stattlichen Vergleichsmöglichkeiten, durch die Leipzig in der Welt berühmt ist.

In dem offenen Hause, das Frau Maria Pauline hielt, verkehrten die feinsten Herren der Stadt, und auch den Damen, die hier sozusagen zu Hause waren, wird nachgerühmt, daß sie die Kunst der vollendeten Unterhaltung besaßen.

Die Prinzipalin genoß in ihrem Heim bei Gästen und Angestellten größten Respekt – aber es konnte ihr nicht verborgen bleiben, daß alle Freundschaftsbeweise und alle Ehrenbezeigungen in dem Augenblicke ausblieben, da sie sich öffentlich zeigte. Vom Theater, in dem sie eine Loge abonnieren wollte, wurde ihr das Geld zurückgesandt, und in ähnlicher Weise wurde sie brüskiert, wenn sie sich an gesellschaftlichen Veranstaltungen zu beteiligen versuchte.

Dabei hatte sie sich nichts zuschulden kommen lassen, hatte ihre Steuern immer pünktlich bezahlt, stand mit der Polizei dienstlich und außerdienstlich auf dem allerbesten Fuße und war den Mädchen, deren Gewerbe sie als schimpflich betrachtete, durch keinerlei andere Beziehung verbunden, als daß sie sie in ihrem gastlichen Hause leben und lieben ließ, wofür sie deren Einnahmen an sich nahm. Warum also, warum verachteten sie die Leipziger?

Ob es nun die Sehnsucht war, wenigstens nach ihrem Tode für diese Mißachtung durch eine mächtige Ehrung entschädigt zu werden, oder ob sie aus Wut über die Heuchelei der Leipziger Männerwelt diese sichtbarlich und für ewige Zeiten zu demütigen beschloß – solches steht in den Ratsakten der Stadt Leipzig nicht verzeichnet. In den Ratsakten der Stadt Leipzig steht dagegen verzeichnet, daß der Magistrat nach dem am 25. Oktober 1881 erfolgten Tode der Frau Maria Pauline Mende, geb. Thieriot, Witwe nach dem Herrn Ferdinand Wilhelm Mende, von einem Testament verständigt wurde, in welchem besagte Frau Mende einen Betrag von fünfzigtausend Talern »zum Bau eines zur Verschönerung der Stadt bestimmten Brunnens auf einem Platze in der Nähe der inneren Promenade, etwa zwischen dem Museum und dem Neuen Theater«, mit der Verfügung testiert hatte, daß darauf ihr Name in goldenen Lettern eingemeißelt werde.

Der Stadtrat beriet lange und war schon nahe daran, die hohe Spende abzulehnen, als plötzlich ein Mitglied mit der sensationellen Enthüllung hervortrat, die verblichene Witfrau sei – Dame des Königlich Sächsischen Sidonienordens gewesen. Man zweifelte daran, aber jenes Mitglied war genau informiert und wußte hinzuzufügen, daß allerdings bei der Verleihung der Auszeichnung ausnahmsweise von der öffentlichen Verlautbarung Abstand genommen worden war.

Unter sotanen Umständen erübrigte sich natürlich jede weitere Debatte, man konnte weder königlicher als der König sein noch das Andenken einer Dame des Königlich Sächsischen Sidonienordens durch Ablehnung eines hochherzigen Legates kränken! Die hundertfünfzigtausend Mark wurden am 4. Januar 1882 dem Rate ausbezahlt. Oberbaurat Adolf Gnauth wurde beauftragt, auf dem Augustusplatz den Brunnen auszuführen; er tat es, der Obelisk steht achtzehn Meter hoch, und im Becken treiben sich sechzig Lebewesen umher, aus denen sechzig Wasserstrahlen hervorsprudeln.

Das Kunstwerk verschlang mehr Geld, als man angenommen hatte, die Kosten beliefen sich auf 188 726 Mark 3 Pfennig, so daß man also noch zur Ehrung dieser – Verzeihung, daß man zur Ehrung der Sidoniendame noch viele tausend Mark aus dem Grassischen Vermächtnis zusteuern mußte.

Den Vers auf der Frontseite verfaßte der akkreditierte Dichter Paul Heyse:

Zum Himmel streb in frischer Kraft,
Der Erde gib, was Segen schafft.
In lauterer Helle
Lehrt es die Quelle.

Und auf der Rückseite, nur auf der Rückseite steht zu lesen: »Errichtet aus dem Vermächtnis der Frau Maria Pauline Mende, geb. Thieriot.«

Hintenherum also kommt man zu Frau Mende, so wie es wohl zu ihren Lebzeiten war, aber sie hat jetzt immerhin ein erhabenes Monument, auf das jeder Anspruch erheben darf, der hinreichend viel Geld besitzt. Woher es stammt, ist gleichgültig. »In lauterer Helle lehrt es die Quelle«, so spricht Paul Heyse.


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