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Seine Majestät die Nickmaschine

Keine Operette kann das Hofleben eines exotischen Monarchen läppischer darstellen, als es das Seiner Hoheit des Beys von Tunis ist.

Bekanntlich ist Tunis nicht etwa französische Kolonie, sondern ein selbständiges Reich, das unter französischem Protektorat steht. Das heißt, der Bey hat ohne Widerspruch das anzuordnen, was der französische Generalresident von ihm verlangt, und das Volk hat ohne Widerspruch zu gehorchen, denn der Bey ist absolutistischer Regent.

Dieses System hat den Vorteil, daß die Eingeborenen für ihr Unglück nur den angestammten Monarchen verantwortlich machen könnten, und solches verbietet ihnen die Religion; ferner hat das Pariser Parlament, dessen Opposition zum Beispiel die Maßnahmen der französischen Regierung in Algerien unangenehm kritisiert, in tunesische Dinge nichts hineinzureden. Was geht's die französische Regierung an, was der Bey von Tunis, ein Selbstherrscher, verfügt?

Die Thronfolgeordnung von Tunis kommt dieser Regierungsweise sehr zustatten. Stirbt ein Bey, so wird weder sein Sohn noch ein gewähltes Mitglied der Familie sein Nachfolger, sondern der älteste Prinz aus dem seit zweihundertzwanzig Jahren regierenden Hause der Husseniten. So ist der neue Fürst gewöhnlich fünfundsechzig Jahre alt und hat nicht Lust und Temperament, sich durch unbesonnenen Widerstand den Lebensabend zu vergällen.

Gegenwärtig schwingt Mohammed el Habib Bey das Zepter, der schon vor sechzig Jahren – damals spürte man von Frankreichs Protektorat noch kein Anzeichen, und das Beylikat war wirklich absolutistisch – als ältester Sohn des Souveräns im Schlosse an der tunesischen Kasbah wohnte. Seither hat ein halbes dutzendmal der Thron seinen Besitzer gewechselt, bevor Mohammed el Habib wieder in den Dar el Bey einzog. Im Jahre 1906, achtundvierzig Jahre alt, rückte er in den Rang eines Kronprinzen und Feldmarschalls vor, aber er hatte noch sechzehn Jahre zu warten, ehe sein Vordermann und Vetter, Mohammed el Nassr, starb.

Es war höchste Zeit, denn für ihn waren, wie für alle Prinzen, die fetten Jahre vorbei, und die mageren dauerten bereits ziemlich lange. Die fetten Jahre waren die gewesen, als man unbeschränkt herrschte, in Saus und Braus lebte und sich vom Untertanen pumpen konnte, was man wollte, ihn höchstens durch die Verleihung des Ordens Nischan Iftikhar abspeisend; zu den fetten Jahren gehörten ferner die, in denen die Wartezimmer der französischen Okkupationsbehörden voll waren von Kaufleuten und Gewerbetreibenden aus der Gegend von Bardo, des Kasbah-Platzes, von La Marsa auf den Trümmern Karthagos und anderen Orten Tunesiens, wo die Husseniten ihre Schlösser hatten; es waren Gläubiger, sie präsentierten Rechnungen und erhielten sie bezahlt. Die mageren Jahre aber begannen am 11. Juni 1902, als vor Stadt und Welt und arabisch und französisch, also urbi et orbi et arbi et rumi, kundgetan wurde das Decret sur l'administration des biens beylicaux:

»Jede Ausgabe, jede Rechnung, jeder Vertrag, welcherart sie auch immer seien, darauf abzielend, die Person oder die persönlichen Güter der Herrscherfamilie zu irgend etwas zu verpflichten, sind nicht gültig und können dem betreffenden Mitgliede des Herrscherhauses, auch wenn sie von ihm befohlen oder signiert sind, nicht als Forderung vorgelegt werden, sobald sie nicht mit Autorisation des Bey durch den besonderen Administrator unserer Zivilliste vidiert sind.«

Mit diesem schäbigen Dekret hörte jeder Kredit auf, man mußte sich mit der Apanage bescheiden, und es läßt sich denken, daß unser Freund Mohammed el Habib heilfroh war, endlich den Thron seiner Onkel zu besteigen und eine Zivilliste von 280 000 Franken im Monat zu erhalten.

Damals war er nicht nur ein alter, sondern auch kränklicher Mann, und der französische Resident bemühte sich, die Krönungsfeierlichkeiten hinauszuziehen – solche Dinge kosten Geld, und man will sie deshalb nicht allzurasch wiederholen.

Aber wie sich bekanntermaßen Päpste und Staatspräsidenten nach ihrer Wahl erstaunlich rasch verjüngen, erging es auch nach dem 10. Juli 1922 dem neuen Bey, der sich bald darauf in feierlicher Weise abermals vermählte. Die Landesmutter war nur über zweiundfünfzig Jahre jünger als ihr königlicher Gemahl, nach einigen Angaben war sie dreizehn, nach anderen fünfzehn Jahre alt (der Gothaische Hofkalender verschweigt delikat die Damen der orientalischen Herrscherhäuser), sicher jedoch ist, daß sie die Tochter eines Grünzeug- und Milchhändlers war und die Unklugheit oder Klugheit begangen hatte, sich unverschleiert vor dem vorbeigehenden König zu zeigen.

Dieser besitzt zwei Söhne von etwa vierzig Jahren, eine seiner Gattinnen lebt eingeschlossen in Menonba, die andere im Sommerschloß La Marsa, während die dritte und jüngste im Dar el Bey zu Tunis schläft, immer zur Seite ihres Gatten sitzt und ihm, eine liebende Bey-Sitzerin, bereits eine kleine Prinzessin geschenkt hat.

Sonst hat der Bey von Tunis wenig zu tun. Er unterschreibt und siegelt die von der französischen Residentur verfaßten Erlässe, natürlich nicht er selbst, es gibt einen Minister der Feder und einen Großsiegelbewahrer. Dreimal im Jahr hat er die marmorne Löwentreppe des Palastes Bardo hinanzusteigen, am Aid el Kebir, dem Tage des Opferlamms, am Morgen des Mulud, dem Geburtstage des Propheten, worauf er mit seinem Gefolge die beleuchteten und bekränzten Geschäfte in den Suks abschreitet, und am Aid es Seghir, am Ende des Ramadan-Monats. Dort in Bardo, wo die Wände mit Alabaster aus Karthago, mit tunesischen Fayencen aus Nabeul, mit maurischen Stuckarabesken und mit riesigen Porträts europäischer Kaiser geschmückt sind und der Thronsessel mit einem riesigen Brillanten, reicht er den Würdenträgern seines Reiches die Hand zum Kusse und nickt den Ehrengästen gnädig zu, so wie er die von den Franzosen vorgelegten Gesetze mit einem Kopfnicken zu empfangen und zu unterfertigen hat, wofür er das Salär von dreieinhalb Millionen Franken per Anno bezieht. Ebenerdig ist ein Saal, in dem er jedem zum Tode verurteilten und nicht begnadigten Untertan ins Gesicht sagen muß, daß er ihn nicht begnadigt habe.

Dem Herrscher bleibt also ausgiebig viel Zeit, sich seinen Privatpassionen zu widmen. Mohammed el Habib übt drei Sporte aus: erstens das Dominospiel, zweitens das italienische »Scopa«, ein Spiel mit vierzig Karten, und drittens den Fischfang; man kann in La Marsa während des ganzen Sommers den Bey von Tunis stundenlang an der Bai von Tunis mit der Angelrute sitzen sehen. Mit Vorliebe näht er Anzüge und kocht, was nur für die Beteiligten unangenehm ist.

Außerdem bildet er sich auch ein, ein Maler zu sein. Das überlebensgroße Selbstbildnis im Audienzsaal ist von Fachleuten derart korrigiert worden, daß es inmitten der anderen Porträtkitsche nicht auffällt, jedoch bei den Arrangeuren der Kunstausstellung von Tunis erregte es vor zwei Jahren peinliches Aufsehen, als plötzlich ein Ölgemälde des Präsidenten Millerand, gemalt von Seiner Hoheit, ankam, um ausgestellt zu werden. Das ging nicht – bei aller loyalen Gesinnung ging das nicht. Man mußte im »Palast der französischen Gesellschaften«, wo der Salon veranstaltet wurde, ein Zimmer als »Exposition orientalischer Möbel« einrichten, und dorthin hing man nun den Präsidenten der französischen Republik.

Von den dreieinhalb Millionen Franken, die dem Bey jährlich bewilligt sind, werden vor allem seine Hofhaltung, seine Palastbeamten und sein Heer bezahlt, das allerdings nur siebenhundert Mann zählt, aber eingeteilt ist wie eine richtige Armee und aus einem Feldmarschall, zwei Divisionsgeneralen, einem Brigadegeneral, einem Bataillon Infanterie, einer Eskadron Kavallerie, drei Artilleriebatterien mit zusammen zwei Kanonen von 90 mm Kaliber und einer Musikkapelle besteht; zur Sicherheit ist dieses Heer dem Chef der französischen Militärmission unterstellt, der allein eine Ausrückung befehlen darf.

Bargeld bekommt der Bey sehr wenig in die Hand, und da er von Schmarotzern umgeben ist und gleich am Monatsersten alles verschleudert und da seine Erlässe, vermittels welcher er verschiedene Lieferanten mit dem Nischan Iftikhar auszuzeichnen die Gnade hat, von der Residentur ad acta gelegt werden, borgt ihm kein Mensch einen Sou. Der Glaser, der geholt wird, der Fleischer, der täglich kommt, die Ärzte, die eine unheilbare Krankheit des Bey seit Jahren behandeln, wollen vorher bezahlt sein.

Was Wunder, daß Seine Hoheit ewig Geld verlangt, ungehalten wird, wenn man keines gibt, und eines schönen Tages seinen Ministerpräsidenten Mustapha Dugezli windelweich prügelte, weil eine solche Forderung abgelehnt wurde. Schnurstracks lief der mißhandelte Premier zu seinem eigentlichen Vorgesetzten, dem französischen Generalresidenten, und beschwerte sich, worauf Monsieur Saint mit Dugezli und einem Angst-einflößen-sollenden Reiterfähnlein beim Bey vorfuhr. Kaum sah dieser die böse Miene des Monsieur Saint, so fiel er dem Dugezli um den Hals und tat, als weine er vor Schmerz. »Über mich gehst du dich beschweren, über mich, deinen Vater, der dich liebt und züchtigt wie seinen eigenen Sohn …« Kein Auge blieb tränenleer ob solcher Vaterliebe.

Französisch versteht Seine Hoheit, der französische Protegé, überhaupt nicht, er spricht nur ein wenig Italienisch, und da er auch arabisch kein politisches Wort sagen darf und der Dolmetsch selbst das, was er sagt, nicht übersetzt, kann man sich vorstellen, wie die Audienz eines Europäers bei Seiner Hoheit verläuft. Spielt nun der fremde Gast nicht »Scopa«, kann ihn nur seine Kenntnis des Dominospiels vor sofortiger stummer Verabschiedung retten.

Präsumtiver Nachfolger Mohammed el Habibs ist der Prinz Ismail Bey, ein sehr dicker, lebenslustiger und mitteilsamer Herr, der aus seinem zukünftigen Herrscherprogramm kein Hehl macht und immer wiederholt, er werde sich bei der Thronbesteigung einen ordentlichen Rausch antrinken. Der Verwirklichung dieses Entschlusses sieht man in politischen Kreisen mit Besorgnis entgegen, denn auch die jetzigen Räusche des starken Prinzen können von normalen Menschen nicht gerade als unordentlich qualifiziert werden.

Man hofft also, Mohammed el Habib werde noch lange keinem Nachfolger Platz machen, und die Araber, unterdrückt und ausgepowert, verehren in der von Religion und Gesetz vorgeschriebenen Weise ihren Herrscher, der malen und lieben und kochen und schneidern kann, nur das Beste seines Landes will und seinen Ersten Minister verprügelt hat, »weil dieser dem Volke wieder eine Steuer aufbürden wollte«.


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