Egon Erwin Kisch
Landung in Australien
Egon Erwin Kisch

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Gefahren der Bodyline

Die Sache mit der Bodyline ist eine Sportsache, aber sie spielt tief in die Politik hinein. Über Australien schreiben und die Sache mit der Bodyline weglassen, hieße den Vatikan schildern und des Papstes nicht Erwähnung tun, oder – doch wir können uns nicht mit Vergleichen aufhalten, wenn wir die Bedeutung von Kricket für Australien und von Bodyline für die internationale Politik darlegen wollen.

Zum Unterschied von den Pferderennen, dem allgemeinen Glücksspiel, ist Kricket der nationale Sport. Kricket hat Australien »auf die Landkarte gesetzt«. Diese Redewendung, in Australien gang und gäbe, charakterisiert die Ehrgeize dieses Kontinents. Ist er ja erst vor kurzem in die Landkarten der Welt eingezeichnet worden, zunächst nur als Kontur, so wie ihn die Umsegler vom Umsegelschiff aus sahen, und am Ende des 18. Jahrhunderts kam zu dem Umriß noch ein Ringelchen, die Siedlung Botany Bay, später Sydney genannt.

Was sonst auf dem Kontinent vorhanden war, wußten nicht einmal die Inwohner des Ringelchens, denn keine andere Ortschaft, kein Flußlauf, kein See war noch »auf die Landkarte gesetzt«. Da machten sich Entdecker auf, nahmen die Gefahren des Urwalddurchdringens, die Anstrengungen des Stromdurchschwimmens, die Beschwerden des Felsenerklimmens, nahmen Tod durch Hunger, 360 Durst und Entkräftung auf sich, um neue Gebiete »auf die Landkarte zu setzen«.

Und als das Land schon ziemlich erschlossen war, war noch lange nicht jede Siedlung auf der Karte eingezeichnet, obzwar jede Siedlung sich darum bemühte und sich beizeiten ringelte. Wer durch eine große Schafherde oder einen Mineralfund oder sonstwie einem Ort zur Ehre des Eingezeichnetwerdens verhalf, von dem sagte man anerkennend: er hat uns auf die Landkarte gesetzt. Heute, nachdem die Kartographie auch innerhalb Australiens ihr Werk vollendet hat, ist die Wendung metaphorisch und ironisch, und wird zumeist im Sinne von »bloßstellen« gebraucht.

So war es aber nicht gemeint, als wir sagten, das Kricketspiel habe Australien auf die Landkarte gesetzt. Dank dem Kricket steht Australien in regelmäßigerem und engerem Besucherverhältnis zum Mutterland als Kanada und Indien, die weit mehr Bewohner haben und England näher liegen.

Mitte der Siebzigerjahre fuhr eine australische Kricketmannschaft über See, um bei Lord's, dem Londoner Kricketplatz, ihr Können zu zeigen. London betrachtete das nicht einmal als exotische Sensation, geschweigedenn als eine sportliche. Kricket war englisches Monopol auf englischem Boden, schon im 15. Jahrhundert war es unter anderem Namen gespielt worden, seit dem Jahre 1550 hieß es Kricket. Cromwell war ein Kricketer gewesen, Frederick Louis Prinz von Wales war 1751 beim Kricketspiel durch einen Ballwurf getötet worden, seit 1744 galten die gleichen Regeln, und seit 1787 trainierte der Marylebone Cricket Club regelmäßig bei Lord's und siegte anderthalb Jahrhunderte lang turmhoch über alle anderen Mannschaften in England. 361

Wenn sich also ein paar Kolonisten damit vergnügt haben, zwischen Buschnegern und Känguruhs die Künste des Mutterlands nachzuahmen, und sich jetzt in London zeigen wollten, – was kann dabei herauskommen?

Allerhand kam dabei heraus. Das Wicket, die Dreieinigkeit der Holzpfosten, die vom Ball des Gegners unberührt zu erhalten, Aufgabe jeder Mannschaft ist, die drei Pfosten des englischen Wickets, die noch niemals von Nichtengländern getroffen worden waren, sie purzelten wie Kegel.

Der Mann, der sie vor allem schützen sollte, war kein Geringerer als W. G. Grace, Kricketkönig der Vereinigten Königreiche von Großbritannien und Irland. Großmächtig, mit einem Bart wie ein Schild, das Bat, den Schläger, schwungbereit, abwehrbereit, schlagbereit in den Händen, erhob er sich überlegen neben dem ihm anvertrauten Wicket, – er konnte es trotz Bart und Bat nicht vor den heransausenden Bällen Australiens bewahren.

Binnen wenigen Stunden hatten die Hinterwäldler von der unteren Erdhälfte die englischen Kricketer besiegt und Australien auf die Landkarte gesetzt.

Die wirtschaftlichen Gründe der Tatsache, daß Old-England in seinem alten Nationalsport auf eigenem Boden von Grünschnäbeln aus neuem Land geschlagen wurde, waren die Aufhebung der Sträflingsverschickung nach Australien und die Entdeckung der Goldfelder dortselbst. Dadurch wurde es dem australischen Unternehmer schwer, seine Arbeitskräfte bei der Stange zu halten, zu verhindern, daß sie sich als Goldgräber, Schafzüchter, Farmer oder Kaufleute etablierten. Er mußte sie durch höhere Löhne und bessere Behandlung an sich fesseln, und so willigte er schließlich sogar ein, die bis dahin 362 unbeschränkte Arbeitszeit der Betriebe einzuschränken und den Arbeitern und Angestellten wöchentlich einen Nachmittag freizugeben. Wo Platz ist, sind auch Spielplätze, und es gab viel Platz in Australien, man hatte nicht weit zu laufen, wenn man spielen wollte. Sogar im Winter konnte man trainieren, Australiens Städte kennen keinen Schnee. (Auf das bißchen Schnee am Gipfel des Kosziusko-Berges sind die Australier sehr stolz.)

Seit jenem Zusammentreffen in London fährt die Ländermannschaft, in deren Land der Winter kommt, zu den Antipoden, bei denen eben Sommer ist; einmal die Engländer nach Australien, das andere Mal die Australier nach England.

Alljährlich sind die Briten beider Hemisphären aufgewühlt von der bangen Frage: wer wird diesmal die Asche heimholen? Aus Furcht und Hoffnung ward die Sache mit der Bodyline geboren, – bevor jedoch einem in die Geheimnisse des Kricketspiels nicht eingeweihten Lesepublikum die Sache mit der Bodyline erklärt wird, muß noch anderes erklärt werden.

Zum Beispiel das Heimholen der Asche. In Australien und in England weiß jeder genau, daß damit der Sieg im jährlichen Kricketkampf gemeint ist. Was das mit Asche zu tun hat, weiß man allerdings nicht genau. Einige Historiker behaupten, die »Sporting Times« haben nach dem ersten Sieg der Australier eine satirische Todesanzeige veröffentlicht, das englische Kricket sei gestorben, sein Leichnam verbrannt und die Urne nach Australien gebracht worden; auf diesen Hohn sollen die Engländer mit dem feierlichen Gelübde geantwortet haben, die Asche wieder zurückzuholen. Einer anderen Überlieferung zufolge hat der 363 australische Spielleiter nach dem Sieg über England die drei ruhmreich verteidigten Pfosten in Flammen aufgehen lassen, damit auch fürderhin kein Engländer sie treffe. Ob so oder so, – fest steht, daß die Asche nicht existiert, um die alljährlich auf Leben und Tod gefochten wird.

Dabei wird kein Kampfmittel verschmäht, die Sache mit der Bodyline, von der wir später sprechen wollen, ist nur das letzte in der langen Reihe von Kampfmitteln, mit denen der Gegner aus dem Feld geschlagen werden soll.

Die englischen Mannschaften bestehen aus Amateuren und Professionals. Man darf sich das nicht etwa so vorstellen, daß Gentlemen und Players ebenbürtige Klub-Kameraden sind. Im Gegenteil. Damit niemand im Publikum glaube, alle Spieler der gleichen Sportklasse gehörten auch zur gleichen Gesellschaftsklasse, wird der Rangunterschied besonders betont. Es gibt eigene Ankleidekabinen für Gentlemen und eigene Ankleidekabinen für Players, und die Gentlemen betreten den Platz durch einen Eingang, der »nur für Herrschaften« bestimmt ist, während die Profis durch einen anderen, sozusagen durch den »für Dienstboten und Lieferanten« kommen.

Der erste Engländer, der diese strenge Trennung aufzuheben wagte, war Mister Percy Fender, Kapitän des Kricketklubs von Surrey. Er zog mit seiner gesamten gemischten Mannschaft durch die gleiche Pforte auf dem »Pitch«, dem Spielfeld, ein. Diese rebellische Tat büßte Mister Percy Fender bitter, niemals wurde er Kapitän der Ländermannschaft Englands, obwohl ihm diese Würde unzweifelhaft jahrelang und jahrzehntelang gebührt hätte.

»Jahrzehntelang?« Ist das nicht ein bißchen übertrieben?

Keineswegs. Kricket kennt keine Altersgrenze, man kann 364 jung sein wie ein Boxer oder alt wie ein Golfspieler, Kricket kann man von Kindesbeinen an spielen bis zum Lebensabend. Um dies zu illustrieren, sei, bevor wir auf die Sache mit der Bodyline zu sprechen kommen, von Phil Mead berichtet, dem Batsman von Hampshire, der mit den Engländern anno 1912 nach Australien kam. Er hütete das Wicket schlecht, und so sahen ihn die Australier vor dem Krieg nicht mehr. Erst 1928 erschien er wieder unter den Auserwählten und erzielte beim Wettspiel in Brisbane 72 Punkte.

»Bravo, Phil Mead,« belobte ihn der Obmann von Brisbane nach dem Match, »Sie sind ein großer Kricketer. Sie können es mir glauben, ich bin ein alter Veteran, ich habe 1912 noch gegen Ihren Vater gespielt.« Wir alten Fußballer vernehmen diese Episode mit Neid, denn wenn wir heute zu einem Wettspiel antreten würden, hielte man uns nicht für unsere Söhne, sondern für unsere Väter, bestenfalls.

Kricketer halten länger durch, obwohl ihnen die Dienstjahre nicht immer zum Aufstieg in den Rang des Länderkapitäns verhelfen. Nehmen wir die drei englischen Heroen, die an der Sache mit der Bodyline entscheidend beteiligt sind: Larwood, Mister Jardine und Voce. Nicht zufällig haben wir dem Namen Jardine ein »Mister« vorangesetzt und solches bei Larwood und Voce unterlassen. Mister Jardine betreibt den Beruf eines Kricketers als Sport, während die beiden anderen den Sport als Beruf betreiben. Deshalb spricht Jardine den Voce niemals als »Mister Voce« an, und Voce sagt zu Jardine nicht einfach Jardine, sondern Mister Jardine. Zeitungen und Rundfunk Englands machen die gleiche Unterscheidung zwischen dem Spieler und dem Herrn Spieler. 365

Verstandesfrage: wer von den drei englischen Heroen ist der Länderkapitän, Larwood, Mister Jardine oder Voce? – – Ganz richtig! Es ist Mister Jardine.

Die Wirtschaftskrise macht allerdings auch vor dem Kricketplatz nicht halt, sie tritt ein durch Herrschaftstore und Domestikenpforten. Heutzutage kommt es vor, daß ein Gentleman zum Berufsspieler wird oder daß ein Klub seinen Profi nicht mehr bezahlen kann, und dann hört über Nacht der eine auf, ein Herr zu sein, wogegen der andere als Herr aufwacht, vergleichbar jenem Neuvermählten, der erfährt, daß keine Mitgift vorhanden ist, und er demnach eine Liebesheirat geschlossen hat.

Das sind natürlich nur Grenzfälle, zwischen ihnen liegt der Normalfall: die Amateure ziehen mehr Geld aus der Klubkasse als die Profis, und darum nimmt man es in England mit den Eingangstorheiten und Herrlichkeiten heute nicht mehr allzu genau. In Australien hat man sie nie ernst genommen, ganz jedoch – und das sei offen ausgesprochen, bevor wir auf die Sache mit der Bodyline kommen –, ganz hat sich Australien von dem englischen Vorbild nicht freizuhalten vermocht.

So war zum Beispiel Jack Ryder nicht Kapitän der Australier auf ihrer 1930-Reise nach England, weil sie befürchteten, Ryders rauhe Manieren könnten von dem feinen Publikum bei Lord's als shocking empfunden werden. Aus dem gleichen Grund wurde Ironmonger, der beste slowbowler (Langsamschleuderer) unter dem Kreuz des Südens, niemals zu einem Spiel unter dem nördlichen Sternenhimmel entsandt. Ironmonger rühmt man nach, er »lasse den Ball sprechen«, das heißt, er könne mit ihm machen, was er wolle. Eines kann er jedoch mit dem Ball 366 nicht: ihn bei Lord's gegen die englischen Pfosten schleudern. Denn Ironmonger war Müllkutscher, ehe er Kricketamateur wurde. (In Australien sind alle Kricketspieler Amateure, was man vielleicht auch so ausdrücken könnte, daß alle Professionals sind.) Außerdem rutscht dem Ironmonger das große australische Adjektiv »bloody« und das große australische Substantiv »bastard« auch beim Wettspiel durch die Zähne, während sich die anderen Spieler (mit Ausnahme von Jack Ryder) dieser Ausdrücke nur bei Trainingsspielen bedienen.

Offiziös wird die Nicht-Entsendung Ironmongers damit begründet, daß er den Ball werfe; er werfe ihn mit gebogenem Arm, statt ihn vorschriftsmäßig aus der Schwingung des gestreckten Arms zu schnellen. Warum läßt man ihn dann bei innerstaatlichen Wettspielen antreten, he?

Gegen Eddie Gilbert wird der gleiche Einwand erhoben, und hier ist die Ursache noch klarer. Eddie Gilbert ist Australneger, und daß ein Schwarzer im Namen Australiens gegen England antritt, kommt nicht in Frage. Einige Neunmalweise behaupten mit hochgezogenen Augenbrauen, der Knochenbau der Eingeborenen, insbesondere der des Ellenbogens, verwehre diesen, den Ball nach den Regeln des Marylebone Cricket Clubs zu schleudern.

Vor uns liegt ein reproduzierter Filmstreifen, Eddie Gilbert beim Schleudern, keine Spur von Armbeugung. Und wenn nicht andere Gründe dagegen gesprochen hätten, die Lüge von seiner Armkrümmung hätte den armen Eddie nicht davor geschützt, in die Sache mit der Bodyline verwickelt zu werden.

Nun soll es aber mit den Einleitungen und 367 Anspielungen ein Ende haben, wir wollen rundheraus sagen, was die Sache mit der Bodyline ist.

»Bodyline« bedeutet, daß der Ball nicht gegen das aus den drei Pfosten bestehende Wicket geschleudert wird, sondern in der Richtung auf den Körper (body) des Mannes, der das Wicket zu verteidigen hat. Diese Taktik wendet England gegen Australien an, gebraucht aber das Wort »Bodyline« niemals, ja, es erklärt sogar, jedermann, der diesen Ausdruck verwende, sollte gefedert und gerädert, geteert und entehrt werden. Spielen dagegen dürfe man Bodyline, wenn man es nur mit dem richtigen Namen nenne: »Leg Theory Bowling«. Ob der Batsman dabei getroffen werde, mache nichts aus.

Was liegt wirklich daran, denkt auch ihr, was liegt wirklich daran, wenn der Ball einen Spieler trifft?

Ihr denkt eben in Tennisbällen oder in Fußbällen, und das ist ein Denken im hohlen Raum. Der Kricketball ist kein hohler Raum. Wohl ist sein Kern nur Kork, seine Hülle jedoch ist Leder und Vulkanfiber, und er wiegt nicht weniger als sechs Unzen. Stellt euch mal vor, daß er aus zwanzig Schritt Entfernung mit einer Stundengeschwindigkeit von neunzig Meilen gegen den Unterleib, gegen das Herz oder gar gegen den Kopf eines Menschen saust.

Aber, wendet ihr ein, der Mann, gegen den die massive Kugel saust, kann doch ausweichen.

Nein, ausweichen kann er nicht, denn dann würde der Ball, dem der Schleuderer eine ganz bestimmte Fälsche gegeben hat, auf den Boden aufschlagen und, seitlich springend, das Wicket umwerfen. Der Batsman steht nämlich nicht unmittelbar vor dem Wicket, sondern seitlich davor, 368 so daß der Ball, der den Batsman verfehlt oder vom Batsman verfehlt wird, das Wicket trifft.

Schlägt der Batsman den Ball nur ab, um sich zu schützen, so kann er ihn nicht dirigieren wohin er will, der Ball fliegt infolge seiner Fälsche in die Linke Hälfte des Spielfelds, dem Gegner geradenwegs in die Hände.

Beim normalen Kricket sind die Spieler auf das ganze Feld verteilt. Ist Bodyline im Spiel, dann postiert der Kapitän der Bodyliner seine Mannschaft auf die linke Seite, das »Legfield«. Also nicht zufällig gefährdet oder verletzt der Wurf den Körper, Absicht liegt vor, die Helfershelfer des Täters haben schon vorher ihre Stellung bezogen und lauern auf die Beute.

Der ärgste Bodyliner heißt Harold Larwood. Er hat den englischen Journalisten, die ihm bei seiner Rückreise nach Suez entgegenkamen, erklärt, sein australischer Aufenthalt sei ein Spießrutenlauf gewesen, die Zuschauer hätten ihn beschimpft, im Kino sein Bild ausgepfiffen, ihm Drohbriefe geschrieben, und er habe sein Hotel nicht ohne Polizeibedeckung verlassen können. Das mag wahr sein. Wir hörten australische Sportfanatiker von Larwood sprechen, sie waren blaß vor Empörung. Gleichzeitig aber funkelte in ihren Augen Verzückung. Keiner, der nicht von den poetischen Bewegungen des ehemaligen Kohlenkumpels Larwood schwärmte, vom Rhythmus seines Schwungs und sogar davon, daß seine verletzenden Bälle auf einen Millimeter genau treffen, wie Projektile eines Meisterschützen.

Sie zollen dem gehaßten Feind fast die gleiche Bewunderung wie ihrem geliebten Freund Don Bradman. Dieser Don ist kein spanischer Don, sondern ein australischer Donald, zärtlich abgekürzt. Nie gab es einen herrlicheren 369 Batsman als Don Bradman. Betritt man in einem Kleinbürgerhaus das Zimmer der Söhne oder Töchter, so findet man die Wand mit Fotos von Don Bradman tapeziert. Von Don Bradmans Ruhm leben Zeitungen, Zeitschriften und Filme. Selbst England hat ihm die höchste Ehrung zuteil werden lassen, die England einem Ausländer zuteil werden läßt: Don Bradmans wächsernes Konterfei steht zu London in Madame Tussauds Panoptikum. (Katalognummer 264.)

Diese Anerkennung ehrt England ebenso, wie es Australien ehrt, daß es bei aller Wut gegen Larwood ihm Anerkennung nicht versagt. Jedoch für Mister Jardine, den Kapitän der Engländer, den Auftraggeber der Bodyliner, lassen die Australier keine mildernden Umstände gelten, und wenn sie ihn »bastard« nennen, schwingt der übliche freundliche Unterton nicht mit. Nach dem letzten Wettspiel höhnten sie, Jardines Eltern seien auf die australischen Erfolge ihres Sohnes so stolz, daß sie beschlossen hätten, zu heiraten.

Die Australier haben Grund zum Haß gegen die Bodyliner. Fielen doch diesen Kopfjägern die Spielleiter Australiens Bill Woodfull und Bert Oldfield zum Opfer, welch letzterer in der Liebe des Volkes nicht weit hinter Don Bradman rangiert.

Schlimm ist es, Sportlieblinge des Lieblingssports verletzt vom Pitch wegtragen zu sehen. Schlimmer aber ist es fürwahr, daß man, um die eigenen Schädeldecken zu retten, dem Engländer den seit fast zwei Menschenaltern umkämpften Sieg in die Hände spielen muß. Sollen wir uns durch Bodyliner von der Landkarte jagen lassen?

Die Sache mit der Bodyline sprang aus den 370 Sportrubriken in die Leitartikel, die drohende Sprache der Presse war diesmal nicht Ursache, sondern Wirkung der Volkserregung.

»Auge um Auge, Zahn um Zahn,« riefen die ganz Ungestümen, und verlangten, Eddie Gilbert solle auch Bodyline spielen und dem Larwood mal zeigen, was eine Harke ist.

Weil aber das Zeigen einer Harke eine in Australien unbekannte Wendung ist, und weil die australischen Sportbeherrscher lieber Körperverletzung und Niederlage dulden als mit einem Schwarzen bei Lord's einziehen wollten, verzichteten sie auf Eddie Gilberts rächenden Arm und lehnten den radikalen Vorschlag ab.

Der Board of Control, jene Sportbehörde, die das australische Kricket in der internationalen Sphäre beaufsichtigt, mußte der Volksstimmung in anderer Weise Rechnung tragen. Diese in Australien höchst unbeliebte Instanz schickte an die in Australien noch unbeliebtere englische Instanz, den Marylebone Cricket Club, einen Protest, Protest gegen Bodyline, Protest gegen absichtliche Körperverletzung, Protest gegen »unsportsmanlike action«.

Noch nie hatte jemand gewagt, den Engländern so etwas vorzuwerfen, ihnen vorzuschreiben, was fair, was sportsmanlike ist.

Vorsitzender des Marylebone Cricket Club ist Viscount Hailsham, durch seine Tätigkeit als Aktionär des Rüstungskonzerns Vickers Armstrong nicht an friedlichen Beilegungen interessiert. Von oben herab wurde den australischen Meuterern geantwortet, Bodyline sei weder erlaubt noch verboten, denn es stehe nicht in den Spielregeln. Ebensowenig gäbe es eine Vorschrift, wohin der Bowler zu zielen habe und wo die Fieldsmen aufzustellen seien. With kindly regards, etc. 371

Australien verwandelte sich in einen Vulkan, als diese Antwort bekannt wurde. Wie Feuer und Lava schlug die Empörung hoch, die australische Erde bebte, und das Band, das sie mit dem Mutterland verknüpfte, bebte mit. Die Herren in England gehen mit Körperverletzungen gegen uns vor, und nachher wird vom grünen Tisch aus noch erklärt, das sei vollkommen in Ordnung, jeder Engländer dürfe mit uns umspringen, wie es ihm beliebe!

Möge England seine Kricketpartner und seine Schafwolle aus Südafrika beziehen, das ist uns immer noch lieber, als daß das Leben unseres Don Bradman und unserer anderen Helden länger gefährdet wird, und Marylebone das mit seinem Hohn begleitet.

Eines Morgens fand man in Sydney die Statue von Albert dem Gütigen, Gatten der Königin Victoria, beschädigt. Auf den Sockel hatten die Täter das Wort »Bodyline« gemalt, und gegen den Kopf des Prinzgemahls einen Stein geschleudert; sie waren keine Larwoods gewesen, denn sie hatten nur das Ohr abzubrechen vermocht. Das Attentat kam nicht in die Zeitung, aber ein Foto des Denkmals hält das Ergebnis der Tat fest. Vor dem Palast des Gouverneurs zogen doppelte Wachposten auf. Der Abfall der Tochterlande schien unvermeidlich.

Im Australia-House in London ist ein Thron für abgesägte australische Ministerpräsidenten aufgerichtet, auf ihm sitzt der High-Commissioner, sozusagen Gesandter des australischen Commonwealth beim englischen Hof. Nie noch war einem High-Commissioner Australiens in London, nie einem britischen Kolonialminister die Hölle so heiß gemacht worden, wie in den Tagen der Bodyline-Debatte. Das englische Kabinett trat zusammen, um in der Sache mit der 372 Bodyline eine Entscheidung zu fällen, eine schwere Sache. Nach den Kricketregeln hatte Marylebone recht, und selbst, wenn Marylebone unrecht gehabt hätte, konnte man diese erlauchte Kricketbehörde nicht desavouieren, England als höchste Sportinstanz der Welt nicht bloßstellen. Aber man mußte auch den Australiern entgegenkommen, ihre Absage der nächsten Wettspiele hätte die Kette zerrissen, mit der seit sechzig Jahren diese beiden Teile des Empire aneinandergeschmiedet sind.

Erfahren in der Behandlung von Rebellionen, fand das British Empire einen Ausweg. Zwar wurde Bodyline nicht durch einen Kabinettsbeschluß verboten, jedoch dem Marylebone Cricket Club nahegelegt, für das Länderspiel keinen Bodyline-Spieler aufzustellen. Larwood, Voce und die anderen »erkrankten«.

Damit aber Australien sich nicht einbilde, es habe auch den Kapitän Englands, einen englischen Gentleman, gezwungen, strafweise im Winkel zu stehen und neidisch dem Spiel zuzusehen, wurde die Nichtteilnahme Jardines anders motiviert. Reutters Office verlautbarte, Mister Douglas Jardine sei zu einer Tigerjagd in Indien eingeladen worden und habe im Hinblick darauf gebeten, ihn vom Match gegen Australien zu dispensieren; der Marylebone Cricket Club habe nach längerer Beratung beschlossen, dem verdienstvollen Capt'n ausnahmsweise diesen Urlaub zu bewilligen.

Die Australier empfanden das immerhin als Sieg, und erzählten lachend, die Eltern Jardines hätten sich wieder entlobt.

Vorläufig hat die Sache mit der Bodyline die Landkarte der Welt nicht verändert.

 


 


 << zurück