Egon Erwin Kisch
Landung in Australien
Egon Erwin Kisch

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Der Kontinent der Gewerkschaften

1934

Die Melbourner Gewerkschaften besitzen einen Palast mit Atrium und Giebel und Säulen und Freitreppe und Rampe, vergleichbar den Parlamenten in europäischen Hauptstädten. Zu den heraldischen Tieren gehören in Australien auch Känguruh und Emu, und sie fehlen nicht in den Basreliefs des Gebäudes.

So wie dieses Gewerkschaftshaus dasteht, entspricht es durchaus der Vorstellung derjenigen, die Australien das Arbeiterparadies nennen hörten; noch mehr ähnlicher Beinamen führte Australien, es war der »verwirklichte Zukunftsstaat«, der »Kontinent der höchsten Arbeitslöhne«, das »Land der sozialen Wunder«. Generationen von Reformisten wiesen mit erhobenem Zeigefinger auf diesen Erdteil hin: Blickt nach Australien, Arbeiter, es geht auch ohne Revolution . . .

Empfinden die Kumpels, die da die Freitreppe des Melbourner Palazzos emporsteigen, Besitzerfreude, Besitzerstolz?

Sie kommen, um nach Arbeit zu fragen, und kriegen keine.

1888

Weit weniger imposant ist die Trades Hall von Sydney. In Goulburn Street gelegen, ziemlich nah von den Docks 234 und Industriebezirken, stammt sie noch aus alten Zeiten. Aber schon als sie gebaut wurde, standen die Gewerkschaftsführer bei Behörden und Gesellschaft in Ansehen, und waren auch stolz darauf.

Wieso wir das wissen? Bevor wir das erstemal das Sydneyer Gewerkschaftshaus betraten, mußten wir, da unsere Achselhöhlen vom Druck der Krücken schmerzten, vor dem Tor ein wenig verschnaufen, und lasen bei dieser Gelegenheit auf einer Marmorplatte, daß der Grundstein gelegt wurde im Beisein Seiner Exzellenz des Recht Ehrenfesten Barons Carrington, Lord-Gouverneur und K. C. M. G. (?) im Januar 1888.

Auch die Gedenktafeln des Stiegenhauses sind nicht von Pappe; sie rühmen nicht nur jene Gewerkschaftsmitglieder, die im Weltkrieg fielen, sondern alle, die gekämpft hatten, heldenhaft gekämpft, wie wir erfahren.

So rasch wir konnten, strebten wir von diesen Meilensteinen auf dem Weg gewerkschaftlicher Entwicklung hinweg, die Treppe empor.

1934

130.000 Arbeiter von Sydney und Umkreis haben in dieser Trades Hall ihr gewerkschaftliches Zentrum. Oberste Instanz ist der hundertköpfige Gewerkschaftsrat, der Labor Council; die achtundzwanzig Mitglieder seiner Exekutive amtieren im Haus, ferner das Arbitration-Department, dessen Funktionäre als Rechtsvertreter der Arbeiter vor dem Schlichtungsgericht erscheinen, die Unfallsentschädigungs-Abteilung und das Untersuchungsbüro, das sich mit Fragen der Hygiene und Unfallsverhütung, mit vergleichenden Informationen und mit dem Ablegen eingelangter Zeitungen befaßt. 235 Außerdem waltet hier die Leitung der Radiostation 2 K Y, die täglich von dreiviertelsieben Uhr abends bis elf Uhr nachts fünfmalhunderttausend Arbeiterhörern das sendet, was zu senden sie für ihre Sendung hält: Berichte über Kricket, Pferderennen, Fußball (Tennis weniger) und Schwimmen, Musikstücke, Tagesnachrichten, ernste und heitere Vorträge, Inserate. Gelegentlich auch etwas politische Übersicht.

In der Trades Hall haben die einzelnen Fachverbände ihre Büros, Bauarbeiter, Drucker, Nahrungsmittelarbeiter, Bekleidungsarbeiter, Metallarbeiter, Holzarbeiter, Stadt- und Gemeindearbeiter, Transportarbeiter des Wassers, Transportarbeiter des Festlands, Angestellte, Zuckerbäcker (die seltsamerweise Konfektionäre heißen), »Miscellaneous«, meist ungelernte Arbeiter, sowie die Pastoral Workers.

Was die Pastoral Workers, die bei der Schafzucht Beschäftigten, anbelangt, so genießt neben ihrem Büro auch die Redaktion ihrer Zeitschrift »The Bushworker« im Sydneyer Gewerkschaftshaus Gastfreundschaft, obwohl sie, ebenso wie der mächtige Bergarbeiterverband, kommunistisch orientiert sind; »Pastoral Workers Union« erfaßt nur eine kleine Minderheit aus der Masse der Landarbeiterschaft, das Gros der Säer und Mäher, der Hirten und Scherer ist in der A. W. U. organisiert.

A. W. U. bedeutet »Australian Workers Union«, aber fast jedermann, A. W. U.-Mitglieder nicht ausgeschlossen, beeilt sich zu versichern, die drei Buchstaben bedeuten Australia's Worst Union – Australiens ärgste Gewerkschaft. Sie gehört nicht dem Labor Council an, weil sie sich selbst für einen Bund von Gewerkschaften, eine Gewerkschaftszentrale hält. Die A. W. U. besitzt eigene Gebäude in allen 236 Städten, sie steht weiter rechts als die anderen Gewerkschaften, ist die älteste Arbeitervereinigung, ihr entstammten die ersten Garnituren der Labor-Regierungen, sie übt heute noch den entscheidenden Einfluß auf die Labor Party aus.

1934/35

Mit Dankbarkeit gedenken wir der australischen Trade Unions. Sie unterstützten die Massenbewegung gegen die behördliche Verfolgung der Antikriegs-Delegierten und erlegten wiederholt die gerichtliche Kaution. Wir haben in den Trades Halls, es gibt in jeder Industriestadt eine, vor den Funktionären über den Plan des Generals Schleicher (Gewerkschaften plus Reichswehr) und über die bis in die Hitlerherrschaft hinein, bis zum 1. Mai 1933 gehegten Illusionen der deutschen Gewerkschaftsführer Vorträge gehalten; die Fragen und Diskussionen bewiesen eine antifaschistische Einstellung aller. Dennoch zeigten sie sich immer so »friedfertig und liberal«, wie Lenin schon 1913 die australischen Gewerkschaftsbeamten bezeichnet hatte; teils privat, teils aus »Who is who in Labor«, darin sie alljährlich ihre Lebensläufe veröffentlichen, lernten wir ihre »Hobbies«, ihre Steckenpferde kennen: Fußballzuschauen, Briefmarkensammeln, Pferderennenwetten, Radiohören, Fischen oder Gartenbau.

»Wäre eine Labor-Regierung im Commonwealth am Ruder«, sagten sie immer wieder, »dann hätte Ihnen das alles nicht geschehen können.«

Und wenn es doch geschehen wäre?

»Dann hätte eben die Regierung ihre Gründe gehabt.«

Als der Termin der Abgeordnetenwahlen heranrückte und die Labor Party von der Bewegung gegen Krieg und 237 Faschismus einen Stimmenzuwachs für die Kommunisten befürchtete, gründete sie eilig ein eigenes antifaschistisches Komitee.

1935

Eines Tages trafen wir in der Sydneyer Trades Hall eine Anzahl von Funktionären lachend beisammen; sie gaben einem Reporter des konservativen »Sydney Morning Herald« Details zu einer satirischen Notiz.

J. B. King, ein Australier, war in Moskau Stroßbrigadler geworden. »Dieser J. B. King,« erklärten sie uns, »hat während des Krieges mit einer Gruppe der I. W. W. hier die passive Resistenz propagiert, das Langsamarbeiten, Wenigerarbeiten in den Betrieben empfohlen. Und jetzt ist er Stoßbrigadler! Man muß der Sache möglichst viel Publizität geben. Unsere Leute sollen sehen, wie man in Rußland die Arbeitszeit verlängert. Sogar dem Apostel des Langsamarbeitens haben sie das Schnellarbeiten beigebracht. Gibt's etwas Komischeres?«

Es gab etwas Komischeres, nämlich uns, die wir die Sache überhaupt nicht komisch fanden. Unseren Argumenten wurde mit dem Gegenargument begegnet: »Auch jeder Privatunternehmer arbeitet für die Gemeinschaft, für Australien, für die Arbeiter. Je mehr Waren erzeugt werden, desto billiger sind sie doch.«

Im Verlauf der Debatte trat allerdings zutage, daß australischer Zucker in London um die Hälfte billiger ist als in Australien, daß ein Pfund australischer Butter in London nur zehn Pennies, in Australien aber achtzehn Pennies kostet, daß Brot aus australischem Weizen, Anzüge aus australischer Wolle in Australien teurer sind als in England. 238

Aber daran sei nur die verdammte Zollpolitik dieser verdammten Regierung schuld. Und an der Arbeitslosigkeit und daran, daß der Arbeiter, auch wenn er noch Arbeit hat, auf keinen grünen Zweig komme, sei auch nur die verdammte Regierung schuld. »Sie dürfen nicht europäische Verhältnisse mit australischen vergleichen,« sagten die, die die russischen Verhältnisse den australischen gleichgesetzt hatten.

Unsere Antworten schienen bloß bei einem einzigen auf Verständnis zu stoßen, bei dem Reporter der konservativen Zeitung. Wenigstens brachte er am nächsten Tag eine ziemlich objektive Notiz über J. B. King's »Wandlung«.

Mit solchen Eindrücken über Gewerkschaftsbeamte ist aber noch keineswegs erklärt, wieso Australien seinen Ruf als Arbeiterparadies erwarb, wieso es wirklich jahrelang einen Lohnrekord hielt, und wieso es schließlich auf dem Kontinent der Gewerkschaften zum gleichen Lohnsturz und zur gleichen Arbeitslosigkeit kam, wie in Europa.

1835

Unter den Männern, die England in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dem Bagno Australiens preisgab, befanden sich die sechs Tolpuddle Märtyrer. Sie hatten 1833 in Dorset (England) nach den Prinzipien Robert Owens die erste Gewerkschaft gegründet und eine Erhöhung der Landarbeiterlöhne von sieben auf zehn Shilling per Woche gefordert, und wurden deshalb deportiert.

In Australien hielt man sie getrennt voneinander und von den anderen Gefangenen. Einer der Tolpuddler, Hammet, wurde an einen Farmer im Busch, 400 Meilen von Sydney 239 entfernt, als Sklave verkauft, ein anderer, George Lovelles, an ein Gestüt. Der lungenkranke James Lovelles arbeitete in Ketten auf einem Bau. Vater und Sohn Standfield lagen wegen eines Verstoßes gegen die Sträflingsvorschriften monatelang in einem feuchten Verließ bei Brot und Wasser, in Finsternis und ohne Decke; krank, frierend und halbverhungert wurden sie schließlich, gefesselt an eine Gruppe anderer schwindsüchtiger Gefangener, nach dem australischen Kohlenbecken Newcastle transportiert. Dem sechsten, James Brine, waren Kleider und Geld gestohlen worden, und ein halbes Jahr lang mußte er halbnackt und barfuß Pfosten in harten Grund einrammen; um bei der Arbeit besser stehen zu können, band er sich zwei rostige Hufeisen an die nackten Fersen.

Aufklärungs- und Propaganda-Arbeit konnten die sechs Tolpuddle Märtyrer unter diesen Umständen nicht leisten, aber als sie bereits nach drei Jahren freigelassen wurden und sich zur Rückkehr einschifften, begriff jedermann in der Kolonie, daß sich etwas noch nicht Dagewesenes begeben hatte: die Machthaber Englands waren zurückgewichen vor der englischen Arbeiterschaft, die Londoner Demonstrationen von 50.000, die Protesterklärungen von 500.000 hatten ihren Klassengenossen die Freiheit erfochten.

In der jungen isolierten Kolonie wirkte sich dieser Sieg der Arbeitersolidarität noch stärker aus, als im Mutterland, wo den sozialen Bewegungen eine in der Unterwerfung von »Meutereien« erfahrene Regierung und ein mächtiges Unternehmertum gegenüberstand. Der Organisationsgedanke ward geboren.

Der australische Arbeiter, ob freigewordener Sträfling oder freiwillig Eingewanderter, kannte nur einen 240 Konkurrenten: den noch nicht freigewordenen Sträfling. Um diese unfreiwillig lohndrückerische Konkurrenz zu beseitigen, schlossen sich die australischen Arbeiter der Liga gegen die Sträflingsverschickung an, und nach jahrzehntelangen Kämpfen hörte das barbarische Zuchthaus Australien auf, ein Zuchthaus zu sein, – ein Beweis mehr für die Tatsache, daß die Interessen der arbeitenden Klasse mit denen der Menschheit identisch sind.

Noch war der Sträflingsinvasion nicht Halt geboten, als von England aus ein neuer Anschlag gegen die australische Arbeiterschaft versucht wurde, ein System der Kolonisierung nach dem Plan von Edward Gibbon Wakefield; die Bodenpreise in Australien und Neuseeland sollten von Staats wegen willkürlich und bedeutend hinaufgeschraubt werden, damit der Arbeiter seine Lohnstelle nicht verlassen, sich nicht allzuschnell auf freiem Grund ansiedeln könne, wie es bisher viele getan. Vom Erlös der verteuerten Grundstücke sollten »Habenichtse aus Europa« in die Kolonien geschickt und dadurch ein stetiges Reservoir von »hinreichender relativer Arbeiterübervölkerung« unterhalten werden.

Mit zynischer Offenheit sprach Wakefield aus, was die bürgerlichen Nationalökonomen bisher verbissen geleugnet hatten: daß ein an seinen Arbeitsplatz gefesseltes, ausbeutungsfähiges Proletariat für den Kapitalismus notwendig ist, und daß dort, wo es nicht vorhanden, durch Gesetzesmaßnahmen, ein im Wortsinn bodenloses Elend künstlich geschaffen werden müsse im Interesse des Nationalreichtums.

»Sein (des Kapitals) apologetischer Panzer zerbröckelt hier Stück für Stück, wie mürber Zunder,« schreibt Karl Marx im »Kapital«, wo er mit dieser Theorie der 241 Systematischen Kolonisation und mit Wakefield, ihrem Schöpfer, abrechnet.

Die Ideen Wakefields zur Expropriation von Volksmassen erlangten Gesetzeskraft, unbeschadet der Tatsache, daß ihr Autor seinen kriminellen Charakter auch im privaten Leben dargetan hatte und deshalb ins Zuchthaus gekommen war. Aber keineswegs zählte Wakefield zu den Unglücklichen, die man nach Australien verschickte, er war überhaupt nicht in Australien gewesen und war auch nicht von bemitleidenswerter Art. Er hatte im Londoner Kerker Newgate gesessen, weil er nächtliche Überfälle und Entführungen reicher Erbinnen zu seinem Beruf zu machen versucht hatte, – schade, daß Marx diese Vorstufe der Wakefield'schen Bereicherungstheorie nicht kannte, dieses Detail über den Retter des Kapitalismus, über den Gesetzgeber und Staatengründer.

Die Festredner, die in Adelaide bei der Jahrhundertfeier des Staates Südaustralien E. G. Wakefield als Pater Patriae verherrlichen werden, würden gut tun, sich vorher eine vergilbte Broschüre zu verschaffen des Titels: »The Trial of Edward Gibbon Wakefield, William Wakefield and Frances Wakefield, London 1827«. Oder eigentlich würden sie nicht gut daran tun, sich diese Broschüre zu verschaffen.

Wakefield, ein Meisterschelm der Propaganda, hat sogar den Herzog von Wellington, den Bezwinger Napoleons bezwungen. Wakefield versprach dem alt und tattrig gewordenen Waterloo-Sieger, die Hauptstadt einer neuen Kolonie nach ihm zu nennen, falls er die Projekte der Wakefield'schen Schiebergesellschaft »South Australian Company« vor dem britischen Oberhaus unterstützen werde. Der Eiserne Herzog unterstützte eisern, Wakefield bekam die 242 Konzession, und Neuseelands Hauptstadt wurde Wellington getauft.

In den bereits besiedelten Teilen Australiens wirkte sich die Wakefield'sche Theorie so aus, daß London die australischen Gouverneure anwies, die Grundstückspreise hochzuschrauben, an Kapitalisten aber den Grund billiger oder unentgeltlich abzugeben. Nur des Arbeiters Freizügigkeit sollte aufgehoben sein und sein Lohn überdies durch Menschenzuschub aus England gedrückt werden.

Kein Protest der damals noch unorganisierten Arbeiterschaft hätte etwas genützt, wenn ihr nicht zwei Momente zu Hilfe gekommen wären. Erstens fiel es den Squattern, den nomadisierenden Schafherdenbesitzern gar nicht ein, irgendwelchen Käufern von Grundstücken den Platz zu räumen. Das zweite Moment war die um die Jahrhundertmitte erfolgte Entdeckung der Goldfelder. Wollte der Arbeiter die Fabrik oder die Farm seines Herrn verlassen, brauchte er kein Grundstück mehr sein eigen zu nennen. Er hatte es näher zum Gold von Bendigo und Ballarat, als die Scharen der Goldsucher aus Übersee.

Niemand kaufte jetzt Ackergrund, geschweigedenn den verteuerten. Sang- und klanglos wurde die Wakefield'sche Kolonisationstheorie begraben. In kürzerer Zeit, als die Periode der Sträflingsarbeit, die Periode der Sklaverei beendet war, war die Periode der Leibeigenschaft beendet.

1850

Fahren wir hinauf nach Ballarat! Dieses Weges kamen in den Fünfzigerjahren zweimalhunderttausend Menschen, aus allen Heimaten ausgestoßen durch graue Not, hierhergezogen durch goldene Hoffnung. 243

Wohl keiner dachte unterwegs daran, dort oben auf dem Bakery Hill von Ballarat eine Rebellenfahne zu hissen, sich mit Arbeitskameraden dem Militär zu einer Schlacht zu stellen. Dennoch geschah es. Die Rebellenfahne wurde hernach zur Fahne Allaustraliens, aus dem Schlachtfeld erhob sich Allaustraliens Demokratie, und nur der Anlaß ist verwischt, verlästert, verkleinert, totgeschwiegen, vergessen. Fahren wir hinauf nach Ballarat, zu suchen, ob sich nicht ein Andenken an die Kämpfe findet.

Eine australische Provinzstadt, wie viele, hügelig ansteigend. Häuser mit Veranden. Parks und Gärten sind eingesäumt von Quarzstücken, die Gartenwege auch; im Quarz schimmern goldene Strähnen, »New Chum's Gold«, ein Pyrit, den die neuankommenden Goldgräber für Gold hielten. Dem größten im Bezirk gefundenen Goldklumpen ist ein Denkmal aufgerichtet zur Nacheiferung für andere Goldklumpen: wachset wie dieser und lasset euch finden.

In der breiten Sturt Street, mehr Platz als Straße, gilt ein Monument einem Mann in Kniehosen, Perücke und Talar, auf dem Sockel steht zu lesen, daß er »Sprecher des Gesetzgebenden Rats« war und Peter Lalor hieß. Peter Lalor wurde in der Tat Sprecher des Gesetzgebenden Rats, in der Tat, das heißt, während der Tat, hatte er anders ausgesehen, er trug Schaftstiefel, ein rotes Hemd und eine Flinte, mit der er seine Genossen und sich gegen den uniformierten Feind verteidigte.

Unmittelbar nach der Tat lag er mit zerschossenem Arm im Heuschober, an jeder Mauerwand klebte der Steckbrief gegen ihn, 200 Pfund Belohnung für tot oder lebendig, jedoch niemand wollte sich den Kopflohn verdienen. Als 244 bald darauf die Forderungen der Werktätigen erkämpft waren, wurde Peter Lalor ihr Repräsentant, auch in Kniehosen, Perücke und Talar ein ganzer Mann.

Wir fahren durch Main Street, eine weiße, staubige Straße mit Zahnlücken, armselig und still. Lang, lang ist's her, seit sie die Main Street des Geldausgebens war, Singspielhallen, konzessionierte Spielklubs, konzessionierte Bordelle, konzessionierte Pfandleihen und Wirtshäuser Platz gefunden hatten in der Main Street von Ballarat, lang, lang ist's her.

Fahren wir hinauf auf den Bakery Hügel. Der Goldgräber, dem hier das erste Digging gehörte, hatte wohl gehofft, eines Tages den Jubelruf des Archimedes auszustoßen: »Heureka – ich hab's gefunden!« und hatte es »Eureka« genannt. Jetzt ist es ein Kinderspielplatz mit einem Obelisk: »Zum ehrenvollen Gedenken an die heldenhaften Pioniere, die auf dieser heiligen Stelle für die Sache der Freiheit gefallen sind, und an die Soldaten, die starben, weil sie dem Ruf der Pflicht gehorchten . . .« Helden und Schergen, Kämpfer und Henker sind auf die gleiche Stufe gestellt.

Eben dieselbe Gerechtigkeit für beide Parteien der Eureka Stockade waltet in der Kunstgalerie von Ballarat. Neben der St. Andreasfahne der Rebellen ist der Säbel des Kapitäns Wise placiert, der den Angriff auf die Aufständischen befehligt hat. Ein Bild der Schlacht ist solchermaßen in das Dunkel unter der Treppe gehängt, daß sich von der Malerei auch dann nichts erkennen ließe, wenn ihre Farben weniger verblaßt wären.

»Gibt es sonst keine Andenken an die Eureka Stockade?« Der Museumsdiener hat läuten gehört, ein Lehrer 245 Spailfodschl habe einiges darüber gesammelt. Wo aber der Lehrer Spailfodschl wohnt, weiß der Diener nicht, wir müssen an anderen Stellen forschen, bevor wir herauskriegen, daß er sich Spielvogel schreibt und in North-Ballarat wohnt, 10 Exeter Street, und als wir endlich in Exeter Street anlangen, ist der Spielvogel ausgeflogen. Wir warten, er kommt schließlich, läßt das Abendbrot stehen und seine Frau schimpfen, fährt mit uns nach East-Ballarat zurück, und sperrt im verlassenen Gemeindehaus ein Zimmer auf, darin eine Sammlung ist, ein noch nicht eröffnetes Museum.

Da haben wir alles. Die Goldgräberlizenzen. Die Aufrufe. Die Steckbriefe. Berichte und Bilder aus der Zeit. Statistiken. 23,334.203 Unzen Gold im Wert von 82 Millionen Pfund Sterling waren von 1851 bis 1860 gefunden worden. Der größte Teil am Anfang, als bloß eine Handvoll Diggers da war. Das war das fette Jahr. Dann kamen die lärmenden Jahre, Main Streets große Zeit. Und dann ging's bergab. Immer weniger Gold und immer mehr Menschen.

Die Obrigkeit heischte ihren Anteil von jedem, von dem Steinreichen genau so viel wie von dem, dessen Aug' aus hungerhohler Wange vergeblich nach einem Stäubchen Gold Ausschau hielt. 800.000 Pfund Sterling wurden auf diese Weise jährlich an direkter Steuer aus den Diggers herausgepreßt, während die übrige Bevölkerung des neuen Staates Victoria, einschließlich der Merino- und Weizen-Fürsten, der Grundstücksspekulanten und Bankiers, nur 20.000 Pfund zahlte. Wer von den Goldgräbern mit der Lizenzgebühr im Rückstand war, wurde eingekerkert und ausgepeitscht, wer vor solcher Strafe flüchtete, dem brannten Gendarmen die Hütte nieder, sofern er eine besaß. 246

1854

Rundum im Bezirk schlossen sich Goldgräber zur Abwehr zusammen. Gewerkschaftliche und politische Forderungen wurden besprochen, die Ballarat Reform League gegründet.

Im Gesetzgebenden Rat der Kolonie Victoria thronten zehn vom Gouverneur ernannte Mitglieder und zehn Latifundienbesitzer, gewählt von ihresgleichen, deren Stimmenzahl sich nach der Steuerklasse richtete. Die Ballarat Reform League forderte allgemeines Wahlrecht, »ein Mann, eine Stimme« – »one bloody man, one bloody vote«, wie es bald auf gut australisch in ganz Australien hieß. Statt der starren Monatsabgabe von je 30 Shilling verlangten die Goldgräber eine Besteuerung nach der Menge des geförderten Goldes, sie verbrannten korporativ ihre Lizenzen, schworen in großen Meetings einen Eid des kämpferischen Zusammenhalts und hißten eine republikanische Fahne, fünf Silbersterne auf firmamentblauem Grund, das Kreuz des Südens.

Mit allen Mitteln versuchte der Gouverneur diese Bewegung einzudämmen, und seine Helfer waren die Kneipenbesitzer, meist tasmanische Exsträflinge. (Nach Tasmanien waren Sträflinge verschickt worden, wenn sie auf dem australischen Festland neue Verbrechen begangen hatten.) In Ballarat betätigten sie sich als Spitzel und Provokateure. 1854, im Oktober, schoß einer von ihnen, der Wirt Bently, den Goldgräber Scobie meuchlings nieder; prompt sprach das Gericht den Mörder frei. Die Erregung der Goldgräber entlud sich in einem Exzeß, bei dem das Haus Bentlys in Flammen aufging. 247

Gegrüßter Anlaß zum Einschreiten der Obrigkeit. Sie verbot alle Versammlungen, ordnete eine Sperrstunde an, kein Licht durfte abends brennen, wahre Treibjagden und Massenverhaftungen wurden unternommen. Half alles nichts. Am 1. Dezember, dem Monatsersten, an dem jeder seine Lizenzgebühr abführen sollte, führte sie fast keiner ab.

Gouverneur Sir Charles Hotham in Melbourne beschloß, mit dem Aufruhr in den Diggings Schluß zu machen, und zwar so, daß den Australiern ein für allemal die Lust vergehen sollte, von Wahlrecht und Demokratie und sozialen Forderungen zu schwätzen. 1200 Soldaten vom 12. und 40. Regiment, vier Feldgeschütze, zehn Munitionswagen wurden nach Ballarat abgefertigt.

Die Diggers organisierten gemeinsame Gegenwehr. Auf dem Claim »Eureka« traten sie zusammen, Waffen wurden ausgegeben, Kugeln gegossen; Peter Lalor, ein Ire, Fritz Vern, ein Deutscher aus Hannover, Black, ein Engländer, und Carboni Raffaello, ein Italiener, unterwiesen im Gebrauch von Pulver und Blei. Um nicht von einer Kavallerieattacke niedergeritten zu werden, umzäunten die Diggers ihren Lagerplatz mit einer Hürde aus Latten, einer »Stockade«.

In der Nacht auf Sonntag, den 3. Dezember 1854, stürmte das Militär die Eureka Stockade, aus der verzweifelter Widerstand geleistet wurde. Bis zum Morgen währte die Schlacht. Sterbende und Tote auf beiden Seiten der Hürde, Sieg auf der Seite der militärischen Übermacht. Gefangene wurden abgeführt, Steckbriefe gegen die Flüchtigen erlassen, offizielle Berichte über »Greuel« und Brandstiftungspläne der Goldgräber veröffentlicht, und ein Prozeß mit exemplarischen Strafen sollte folgen. 248

Der Prozeß folgte, aber mit den exemplarischen Strafen wurde es nichts, es kam zu Freisprüchen. Denn wie ein Mann standen die Werktätigen zu den Angeklagten, die Reform League hörte auf, ein Lokalverband vom Ballarater Goldfeld zu sein, sie wurde eine allaustralische Organisation. Das allgemeine Wahlrecht wurde erkämpft, die Steckbriefe dienten als Wahlplakate, und die Führer der Eureka Stockade zogen als Abgeordnete ins neue Parlament ein.

Bis 1860

Ein Jahrzehnt lang war Goldstaub die Währung. Die Nachfrage nach Gewerbeprodukten konnte durch die englische Einfuhr allein nicht befriedigt werden, überall erstanden Werkstätten, Transportwege, Magazine. Die Unternehmer mußten anständige Löhne zahlen, sonst wäre die Belegschaft in den Golddistrikt abgewandert, aber gleichzeitig zogen sie Bataillone von Arbeitern und Angestellten aus Übersee heran, um einen Lohnabbau durchführen zu können.

Zur Abwehr gegen Verdrängung und Lohndrückerei gründeten die Arbeiter die ersten Gewerkschaften: 1850 Zusammenschluß der Steinmetzen, 1852 Gründung eines Mechaniker-Fachvereins, 1854 Zimmerleute, 1861 Kohlenarbeiter. In Sydney setzten die Bauarbeiter mehrerer Betriebe schon 1855 den Achtstundentag durch.

Nach 1860

Plötzlich versiegte der Goldstrom, die Kaufkraft fiel, und nur die industrielle Reservearmee vermehrte sich. Sie 249 vermehrte sich um die Diggers, die mit leeren Händen in die Städte strömten, um die Neuankömmlinge, die Klumpen puren Goldes vom Wege aufklauben wollten und nun erfuhren, daß schon alles aufgeklaubt sei, und um die Chinesen, die von Agenten ins neue gelobte Land geschleppt und von Schafzüchtern und Werkstattenbesitzern, hauptsächlich Großtischlereien partienweise gekauft wurden.

Ein erbitterter Ansturm auf jeden Arbeitsplatz setzte ein, die Löhne sausten zur Tiefstgrenze hinab, und die Arbeitszeit schnellte zur Höchstgrenze empor, auch für Frauen und Kinder.

Anstatt für eine allgemein gültige Festsetzung von Löhnen und Arbeitsbedingungen zu kämpfen, griffen die ersten australischen Gewerkschaftsführer am Punkt des geringsten Widerstands an. Punkt des geringsten Widerstands waren die Chinesen. Das Vorspiel zur Weißaustralien-Politik begann. Sie besteht in der Fernhaltung gelber Arbeiter, aber beileibe nicht etwa derjenigen, die man im politischen Sinn Gelbe nennt, sondern der physisch Gelben. Infolge der Weiß-Australien-Politik zählt Australien zu 96 Prozent weißhäutige, britisch geborene Einwohner, und darauf sind die Labor-Leader ebenso stolz wie die bürgerlichen Nationalisten. Als wäre nicht zum Beispiel Nordamerika unbestrittenes Herrschaftsgebiet der Weißen, obwohl sich die vor zweihundert Jahren massenhaft importierten Neger weit stärker vermehrt haben, als die Weißen.

Die Chinesen, die schon im Lande waren, eröffneten Wäschereien und wandten sich der Gemüsezucht zu, viele zogen über den Wendekreis des Steinbocks nordwärts, in heiße Landesteile, in die sich der Europäer aus Angst vor Einöde, vor Muskelerschlaffung, Kindersterblichkeit und 250 Tropenkoller nicht gern vorwagte. Hätte man die Einwanderung der Chinesen nicht abgebunden, dann wären in Australiens Tropen Baumwolle, mehr Zuckerrohr und Reis angebaut und der unterbevölkerte Erdteil bevölkert worden mit Menschen, die nicht den anderen die Nahrung wegessen, sondern Nahrung und Waren schaffen.

Die ausgesperrten Chinesen wurden von den Besitzern der Queenslander Zuckerrohrplantagen durch Kanaken von den Südsee-Inseln ersetzt. Auch das wurde ihnen verboten, aber zur Entschädigung bekamen sie eine staatliche Subvention von sechs Shilling je Tonne Zuckerrohr. Zu zahlen hatte sie der Konsument, der weiße Arbeiter, der mit dieser Politik geschützt werden sollte, geschützt werden sollte durch nationale, statt durch soziale Maßnahmen, durch Rassenpolitik, statt durch Klassenpolitik.

Australien kann füglich als »Raum ohne Volk« bezeichnet werden. Es ist fast ebenso groß wie Europa, (8 Millionen km2, Europa 9½ Millionen km2) aber während Europa 462 Millionen Einwohner zählt, zählt Australien nur sechseinhalb Millionen, die Bevölkerungsziffer von Bayern. Ohne grundlegende Änderung der heutigen Verhältnisse könnte Australien nach Berechnung bürgerlicher Gelehrter die vierfache Menschenzahl beherbergen. Für wieviele Lebensraum und Lebensmöglichkeit geschaffen werden könnte, wenn man die Ordnung grundlegend ändern, Kollektivwirtschaft und Planwirtschaft ohne privaten Profit, Irrigation, Kanalbau, Mechanisierung des Ackerbaus, Zentralisierung der Schafzucht und Industrialisierung des Erdteils durchführen würde, läßt sich kaum abschätzen. Alle Arbeitslosen der Welt fänden in Australien Platz, einschließlich sämtlicher abzubauenden Armeen. 251

1870 bis 1890

Trotz Fernhaltung und Abschiebung der Chinesen besserten sich die Arbeitsverhältnisse für die Weißen nicht. 1874 durfte die Arbeitsdauer für Kinder und Frauen 48 Stunden pro Woche nicht überschreiten, das war Gesetz. Für die Arbeitszeit der Männer gab es kein Gesetz. Nur in den größeren Betrieben, deren Belegschaften gewerkschaftlich zusammengeschlossen waren, wurde der Achtstundentag eingehalten. Unorganisierte arbeiteten bis zu 18 Stunden im Tag, zu Hungerlöhnen, in unhygienischen Werkstätten und an lebensgefährdenden Maschinen; häufig genug bestand die Belegschaft aus unbezahlten oder gar zahlenden Lehrlingen, Kaufläden waren Tag und Nacht geöffnet, Pauperismus und Prostitution schossen empor.

Auf dem flachen Land ging es nicht anders zu. Die Scherer, oft aus einer Entfernung von mehreren hundert Meilen auf der Schafstation ankommend, mußten bekleidet auf Brettern schlafen, die schmal und für den großgewachsenen australischen Menschenschlag viel zu kurz waren; kein Stroh, keine Matratze. Tagsüber diente der Schlafraum als »shed«, das heißt, es wurde darin geschoren. Bei der Arbeit atmeten die Männer unter dem Blechdach den Gestank der vor Angst schwitzenden, urinierenden und exkrementierenden Lämmer und den Staub der Vliese ein. Die Mahlzeiten mußten die Scherer vom Eigentümer der Station beziehen, der dabei nicht schlecht profitierte.

Und immer mehr englische Arbeiter wurden ins Land zu locken versucht von australischen Unternehmern, die in den Londoner Zeitungen Lobpreisungen über die Verhältnisse in Australien veröffentlichten. Als Antwort darauf 252 erschienen Schilderungen der Wahrheit, und es war keine schöne Wahrheit, die da geschildert wurde.

Unserem Sydneyer Freund Lloyd Ross, der in den Gewerkschaftsarchiven gestöbert und Auszüge aus den Protokollen gemacht hat, verdanken wir die Kenntnis, daß die »Acht-Stunden-Ausbau-Liga« jene Mitteilungen über die Überfüllung auf dem australischen Arbeitsmarkt und das dort herrschende Elend an die englische Presse geschickt hat, – die Mitteilungen, mit denen der erste Band des Marx'schen »Kapital« abschließt.

1890

Hauptgrundsatz der australischen Gewerkschaftsbewegung war und ist in vielen Belangen noch heute: Zuzug fernzuhalten. Auf dem ersten allaustralischen Gewerkschaftskongreß, Sydney 1879, lautete Punkt 1 der Tagesordnung: »Immigration«. Erst Punkt 2 war der Achtstundentag.

Einen richtigen Sinn trug die Losung »Zuzug fernzuhalten«, wenn es sich um Streikbrechertransporte handelte, mit denen um 1890 die Arbeiterbewegung gebrochen werden sollte.

Die Gewerkschaften waren gewachsen, gewachsen der Begriff der Solidarität; eine Sammlung für die streikenden Londoner Docker ergab 30.000 Pfund Sterling, mit denen ihnen zum Sieg verholfen wurde; immer stärker wurde der Einfluß der Organisierten in den Betrieben. Da holten die Unternehmer zum Schlage aus, als erste die großen Schafzüchter. Sie lehnten die Einstellung von Scherern ab, die der Amalgamated Shearers Union angehörten, und versandten Schwarze Listen mit den Namen von Gewerkschaftsmitgliedern an die Besitzer der Schafstationen. 253

Anfang der Neunzigerjahre kam es zu Streiks, die organisierten Hafenarbeiter und Seeleute solidarisierten sich mit den Scherern, indem sie erklärten, »Non-Union-Wool«, d. h. Wolle von solchen Schafstationen nicht zu laden, die prinzipiell keine Gewerkschaftler beschäftigten.

Die beiden historischen Lohnkämpfe brachen aus: der Ausstand der Seeleute, der sich über alle Häfen und Küstengewässer Australiens erstreckte, wohl die größte, je dagewesene Streikbasis, und der allgemeine Ausstand der Scherer.

50.000 Pfund Sterling beschlossen die Besitzer der Schafzüchtereien zur Niederwerfung des Streiks auszuwerfen. Kaum ein Zehntel dieses Betrages besaßen die Scherer im Streikfond.

Die Lohnbewegungen breiteten sich über Stadt und Land aus, in den Industriebezirken sangen die Arbeiter:

Eight hours work, eight hours play,
Eight hours for rest and eight bob a day.

Auf deutsch: »Acht Stunden Spiel, acht Stunden Plag', Acht Stunden Ruh und acht Mark pro Tag«, wobei der Übersetzer statt »Arbeit« das Wort »Plag'« verwendet hat, das raffinierte Tier tat's um des Reimes willen.

Fürwahr, die Arbeitnehmer waren öde Materialisten. Die Arbeitgeber hingegen, die kämpften für ideale Güter. »Für Freiheit und Würde« prangte als Motto auf allen ihren Aufrufen. »Wir haben,« erklärte ihr Sprecher, »nicht deshalb das Risiko einer Reise aus Europa auf uns genommen, um uns von unseren Knechten vorschreiben zu lassen, wie wir sie behandeln und entlohnen sollen. Wem's nicht paßt, kann ja gehn.« Die Knechte bestätigten dem Sprecher, daß er wirklich nicht deshalb das Risiko einer Reise aus Europa 254 auf sich genommen hatte, denn er war als Kettensträfling hierhergebracht worden.

Nichtsdestoweniger schickten der Sprecher und seine Kollegen Werbekolonnen über das ganze Land und nach Neuseeland, die mit Waggonladungen und Schiffsladungen von Streikbrechern zurückkehrten. Truppenaufgebote begleiteten sie zum Arbeitsplatz.

Überall kam es zu Zusammenstößen, hunderte der Streiker und die Gewerkschaftsführer wurden verhaftet, viele verurteilt, einige nach St. Helena verbannt. In Queensland, wo die Bewegung den Charakter offenen Bürgerkriegs angenommen hatte, konnte sie erst durch Militär niedergeworfen werden.

1900

Wie vierzig Jahre vorher aus der Asche der Eureka Stockade der Parlamentarismus emporstieg, so erhob sich aus den verlorenen Streiks der Entschluß der Gewerkschaften zur direkten Teilnahme am politischen Leben; die Labor Party war gegründet worden und ihre Abgeordneten besaßen Einfluß im Parlament.

Die Regierung war gezwungen, sich mit der kommissionellen Untersuchung der Arbeitsbedingungen zu befassen, die insbesondere im Bekleidungsgewerbe, in den Tischlereien, Bäckereien und Fleischereien unerträglich waren. Zwei Einrichtungen entstanden: die Special Wages Boards, Besondere Lohnämter, und die Arbitration Courts, die Schlichtungsgerichtshöfe.

Gegen die Zwangsschlichtung machte sich unter den Arbeitern Widerstand geltend, sie sahen in ihr ein Mittel, dem Standpunkt der Unternehmer durch Gerichtsurteil Gewicht 255 zu geben, und die Abwehrwaffe des Streiks als ungesetzlich zu erklären. Dem Neusüdwaliser Gewerkschaftskongreß lag folgende Entschließung vor:

»Allen Gewerkschaften im Staate wird angeraten, das Gewerbestreit-Gesetz zu ignorieren und sich an der Bildung von Lohnämtern nicht zu beteiligen. Das Mittel des Streiks soll aufrechterhalten werden als einziges Mittel zur Herbeiführung jener korrekten und vernünftigen Verhältnisse, die das Parlament den Arbeitern verweigert hat.«

Aber einige der Kongreßteilnehmer waren der Ansicht, die Gewerkschaften könnten sich ihren Widerstand gegen das Schlichtungsgesetz zu gutem Preise abkaufen lassen, und sie brachten einen Zusatzantrag ein:

»Der Kongreß betont die Notwendigkeit, das Gewerbestreit-Gesetz in der Richtung zu ergänzen, daß eine vollere Anerkennung der Prinzipien und Rechte des Gewerkschaftswesens ausgesprochen wird.«

Dieses Angebot wurde von der Regierung angenommen, indem sie die Gewerkschaften als einzige Arbeitnehmer-Vertretung vor dem Schlichtungsgerichtshof anerkannte.

Der Gewerkschaftsrat wahrte sein Gesicht. Er erklärte, prinzipieller Gegner des Arbitration-Systems zu bleiben und es zu betrachten »als gegen die Arbeiterklasse gerichtet, um diese davon auszuschließen, bei steigenden Markttendenzen Verbesserungen ihrer Lohnsätze und Werkbedingungen zu erzielen, und ebenso dazu bestimmt, die allgemeine Herabsetzung der Löhne zu erleichtern, wenn der Markt eine fallende Tendenz zeigt«.

So der Labor Council. Wogegen die einzelnen Gewerkschaften, deren Dachorganisation er war, in der Praxis das Schlichtungswesen unterstützten. Sie taten das, obwohl der 256 Arbitration Court immer wieder betonte, nur zur Aufrechterhaltung des Gewerbefriedens, zur Verhinderung von Streiks und Unruhen da zu sein, nicht aber um Recht zu finden. Ganz offen wurde von der Richterbank ausgesprochen, diese oder jene Entscheidung (Lohnerhöhung für gefährliche Arbeit, Unfallprämie etc.) könne deshalb nicht gefällt werden, weil andere Arbeitergruppen eine gleiche Entscheidung für sich beanspruchen würden.

Der Grundlohn müsse »den normalen Bedürfnissen eines durchschnittlichen Arbeitnehmers entsprechen, der als menschliches Wesen in einer zivilisierten Gemeinschaft lebt«. Mit diesen Worten hatte der erste Bundesschlichter, Richter Hoggins, den Grundlohn definiert, jedoch die Arbeiter bestritten, daß das vom Gericht festgesetzte Existenzminimum wirklich eine Existenz gewährleiste, und verlangten – vergeblich – die Spezifikation der einzelnen Posten, die als Grundlage für die Berechnung angenommen worden waren. In den meisten Fällen wurde dieser umstrittene Grundlohn als Normallohn festzusetzen versucht.

Nach gefällter Entscheidung durch das Gericht ist ein Streik ungesetzlich. Jede Gewerkschaft, die sich an einem solchen Streik beteiligt, kann die »Deregistration« erleiden, von der Liste der zum Gericht zugelassenen Vertretungskörper gestrichen werden.

Da sich die Belegschaften und selbst einzelne Arbeiter oder Angestellte vor Gericht durch die registrierten Gewerkschaften vertreten lassen mußten, wuchs die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder enorm. 124 Trade Unions gab es nach den großen Streiks der Neunzigerjahre; nach dem Inkrafttreten des Schlichtungsgesetzes wurden 362 Fachverbände mit 860.000 Mitgliedern, das ist ein Siebentel der gesamten 257 australischen Bevölkerung bei den Schlichtungsgerichten registriert.

In den großen Industrien sind bis zu hundert Prozent der Angestellten und Arbeiter, Monatslohn- und Wochenlohnempfänger gewerkschaftlich zusammengeschlossen. Die Erzielung solcher Weltrekorde wurde durch die Urbanisierung Australiens erleichtert: mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung ist in sechs Städten zusammengepreßt.

Der in europäischen und amerikanischen Ländern für die Mehrheit der Bevölkerung, insbesondere für die Arbeiterschaft des flachen Landes verhängnisvolle Zustand der Abgelegenheit und des Abgetrenntseins von den Kulturzentren, die Beinahe-Unmöglichkeit für sie, etwas anderes aus der Welt zu erfahren, als Kanzelreden und reaktionäre Propaganda, und die Schwierigkeit, sich zu organisieren, besteht in Australien infolge der Verstädterung nicht.

Nicht nur die Belegschaften der Großbetriebe ließen sich erfassen, sondern auch die der kleineren Werkstätten, Geschäftsläden und Privatbüros. Die riesigen Gewerkschaftshäuser à la Melbourne entstanden. Wählermassen und bedeutende Geldsummen für die Wahlkassen flossen der Labor Party zu, sie wurde Parlamentsmehrheit und übernahm die Regierung.

Hier aber geriet sie in ein Dilemma: einerseits hatte sie ihren Aufschwung der Bevölkerungskonzentration in den Städten zu danken, andererseits kam die Deckung des Staatshaushalts von den Weizenfarmen und den Schafzüchtereien. Wenn sie die Städte bevorzugte, war die Gründung einer Konkurrenzpartei zu fürchten. Deshalb betrieben die Labor-Regierungen eine agrarische, gegen die Städter 258 gerichtete Preis- und Zollpolitik, jener entgegengesetzt, die die Gewerkschaften machten.

Dennoch stiegen im Jahrzehnt vor dem Weltkrieg die Lohnsätze, und die Arbeiter Australiens konnten sich in ihren »Cottages« als die bestsituierten des Erdballs betrachten.

Widerlegt schienen die Einwände gegen das Schlichtungswesen, durchgeführt schien der ewige Wirtschaftsfrieden, genau auf die Weise, die Lujo Brentano und andere Nationalökonomen in Europa verfochten hatten: durch die heilige Dreifaltigkeit von gesetzlich festgelegtem Minimallohn, Schlichtungswesen und Tarifverträgen. Damals erscholl das begeisterte »Seht hin nach Australien!« der Vorkriegsreformisten.

1914

Nur eine kleine Tatsache wurde nicht in Betracht gezogen, die nämlich, daß sich Australien in einer Konjunkturperiode befand, der Wollbedarf am Weltmarkt, die Preise für Weizen, die Exporte von Gefrierfleisch und Schafhäuten Höhen erreicht hatten, wie nie vorher, und daß diese Prosperity nicht ewig dauern könne.

Als sie während des Krieges abzubröckeln begann und nach dem Krieg nicht wiederkehrte, half es bei Lohnkonflikten nichts mehr, daß sich die Gewerkschaftsbeamten zu glänzenden Schlichtungsjuristen entwickelt hatten, mehr von den Fragen des Arbeiterrechts verstanden als die Richter.

An allen Ecken und Enden brachen Lohnstreiks aus, 1917 sogar ein Generalstreik, und die Gewerkschaftsführer vermochten sich vor der Unzufriedenheit der Mitglieder nur durch den Hinweis auf die Gefahr der Deregistration zu 259 schützen: »Wenn unsere Gewerkschaft vom Schlichtungsgericht ausgeschlossen wird, werden gelbe Gewerkschaften entstehen, und es kommt noch schlimmer.«

Die Antwort der Arbeiter war und ist der fast einstimmige Wunsch nach Abschaffung des Schlichtungswesens überhaupt.

1918

Gewerkschaftler durch und durch, konnten sich die australischen Arbeiter einen Ausweg aus ihrer verschlimmerten Lage nur durch Gewerkschaften vorstellen. So fand in den ersten fünf Jahren nach dem Krieg das anarcho-syndikalistische Projekt starken Widerhall, Australien in einen Gewerkschaftsstaat zu verwandeln. Will sagen: keinen Staat, denn die Befürworter lehnten jede Staatsform, selbst eine proletarische ab. Es waren die I. W. W., die Industrial Workers of the World, verwegene Burschen; sie hatten während des Krieges Kriegssabotage getrieben und schwere Verfolgungen erlitten. Und 1918, da alle ihre Voraussagen über die Wirkungen eines Sieges sich bewahrheiteten, stieg ihr Einfluß.

»Alle Macht den Gewerkschaften«, schwebte ihnen als politisches Endziel vor, »One Big Union«, die Schaffung einer allumfassenden Gewerkschaft, war ihr Weg dazu. Diese Gewerkschaftseinheit sollte die Löhne zentral festsetzen, alle Behörden und Gesetze ausschalten und schließlich die Betriebe selbst übernehmen.

Die Doktrin gewann Anhang, um so mehr als die Branchenverbände wiederholt in Lohnkämpfen geschlagen worden waren, und Unzufriedenheit gegen die bisherigen Trade Union-Bürokraten herrschte. Diese trugen der Massenstimmung Rechnung, um sich ihre Posten auch für den Fall 260 einer Organisationsänderung zu sichern, sie vereinigten die Vorarbeiten für »One Big Union« in ihren Händen, vertraten in öffentlichen Reden die Idee der »Einen Großen Gewerkschaft« und arbeiteten deren Programm aus. Sogar die A. W. U., »Australiens ärgste Gewerkschaft« unterstützte in der Hoffnung, selbst die One Big Union zu werden, den Plan; als ihr aber bedeutet wurde, an ihre Führung sei nicht zu denken, zog sie mit ihren Abgeordneten gegen die Bewegung zu Felde, die »unaustralisch« und ein »Anschlag gegen das Gewerkschaftswesen« sei.

Das Projekt fiel. Es hatte, utopisch wie es war, den Keim zu diesem Schicksal von Anbeginn an in sich getragen.

1930

Der Zuzug der Krise war nicht fernzuhalten, sie zog ins Arbeiterparadies, auf den Kontinent der Gewerkschaften genau so ungehindert und mit der gleichen Wirkung ein, wie in weniger glückliche Länder. Schnell fanden die Kapitalisten heraus, was schuld sei: zu hohe Löhne, zu hohe Löhne! Und die europäischen Kathedersozialisten, die ihre chiliastischen Hoffnungen in Australien zusammenbrechen sahen, bestätigten diese Diagnose: zu hohe Löhne, zu hohe Löhne!

Ein deutscher Sklave, Schmidt geheißen, schrieb ein Buch, um den deutschen Arbeitern vor Augen zu führen, wie ungesund hohe Löhne seien. (»Die Wirtschaftskrise in Australien«, von Dr. Hans Schmidt, Frankfurt.)

Wahr hingegen ist, daß die allgemeinen Ursachen der australischen Krise sich von denen der Erdteile mit niedrigeren Löhnen nicht unterschieden. 1929 stellte die Londoner 261 City ihre Kredite an Australien ein, weil sie selbst kein abwanderungsbereites Kapital besaß; die Wollpreise fielen, weil die Kaufkraft des Weltmarktes fiel; infolge der rückgängigen Exportwerte verringerten sich die Einnahmen; die Goldreserven mußten verschifft werden; die australische Währung sank, (100 Pfund Sterling – 125 australische Pfund) und Bankrotte machten Hunderttausende brotlos.

Zur Rettung Australiens schlägt jener Dr. Schmidt, ein kapitalistischer Maschinenstürmer, den Abbau der Industrie vor. »Ein hoher Lebensstandard mit hohen Löhnen, Arbeiterschutzgesetzen und sozialen Einrichtungen aller Art ist sehr wünschenswert und erfreulich, aber auf die Dauer nur aufrecht zu erhalten, wenn er der Produktivität des Landes entspricht.«

Also noch mehr Elend, noch mehr Arbeitslose im Interesse der »Produktivität des Landes«. Bei Wakefield hatte das, wofür Menschen hingeopfert werden sollten, noch »Nationalreichtum« geheißen.

Fiat oeconomia, pereat mundus.

1934

Im ganzen Commonwealth wurden die Löhne um zehn Prozent gekürzt, in manchen Betrieben um 15 bis zu 35 Prozent, bei gleichzeitiger Erhöhung der Arbeitszeit um vier Wochenstunden. Nun wurde auch jener Teil der Arbeiterschaft, der nicht arbeitslos war, von Erregung ergriffen. Unter dem Druck der Massen drohte Jock Garden, der Führer des Labor Councils, mit Generaktreik, und Charlie Crofts, der Generalsekretär des Allaustralischen Gewerkschaftsrats drohte sogar mit der Revolution. In der Praxis 262 gingen die Gewerkschaftsbeamten ihren alten Weg, den zum Schlichtungsgericht. Wie entschied das Schlichtungsgericht? Es verwarf den Einspruch gegen die allgemeine zehnprozentige Lohnreduktion.

Schon die One Big Union-Bewegung hatte die Radikalisierung der Gewerkschaftsmitglieder angezeigt. Die Idee, politische und radikale »Rote Gewerkschaften« zu gründen, war angesichts der machtvollen Trade Unions ein aussichtsloses Beginnen. Man mußte versuchen, sie von innen heraus umzugestalten. »Rank and File-Committees« entstanden, aus den Massen der Belegschaften gewählte Ausschüsse, die auf Erfüllung ihrer Forderungen dringen, ohne daß die bestellten Gewerkschaftsführer dagegen wirksam aufzutreten vermögen.

Als die 30.000 Mann starke Kohlenarbeiter-Föderation kommunistische Funktionäre wählte, erschien Jack Lang, Ex-Ministerpräsident, Führer der »linken« Staats-Labor Party von Neusüdwales, persönlich im Kohlenland, um, zum erstenmal in der Geschichte des Gewerkschaftswesens, gegen die von einer Fachgruppe vorgenommenen Wahlen Sturm zu laufen. Ohne Erfolg.

1935

Es ist ein seltsames Wesen, das Gewerkschaftswesen von Australien. Wenn es sich auf die Hinterbeine stellt, vermag es Furcht einzuflößen. Bei näherer Betrachtung erweist sich, daß diese Hinterbeine, Verstädterung und Schlichtungssystem, zwar sehr groß sind und das Hüpfen ermöglichen, aber dennoch keine allzufeste Basis bilden. Was die Vorderbeine anlangt, so sind sie kurz und nicht sehr muskulös. Mit dem 263 linken Vorderbein, dem Gewerkschaftsrat, boxt es gegen die Schlichtungsgerichte, mit dem rechten, der Labor Party, gegen die Verstädterung.

Ein Känguruh!

Das Känguruh trägt Junge in seinem Beutel, und bei diesen hört der Vergleich auf; sie sind keine Känguruhs und wollen keine werden. Sie nennen sich M. M., was sowohl »Marxistische Minderheit« bedeuten kann, wie »Militante Mitgliedschaft« oder »Minority Movement«, und sie sind entschlossen, sich zu einer höheren Art zu entwickeln, gewerkschaftlich und politisch. 264

 


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