Egon Erwin Kisch
Landung in Australien
Egon Erwin Kisch

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Kohle unter dem Meer

Im Süden von Wales, England, und in Neusüdwales, Australien, liegen die Fördertürme der Bergwerke hart am Meeresrand, die Stollen tief unter dem Meeresgrund. Nicht deshalb aber hat Cook Neusüdwales nach Südwales benannt, weder er noch seine Naturforscher hatten eine Ahnung vom Vorhandensein der Kohle. Erst die Männer, die, wohl oder übel, hinterherkamen, entdeckten die Kohle; bevor auch das Gold entdeckt wurde, verging noch ein halbes Jahrhundert.

Von denen, die das goldgelbe Gold zutageförderten, wurden manche in wenigen Stunden reich, von denen, die den schwarzen Diamanten zutageförderten, keiner, und mochte er sein Leben lang graben. Der Goldrausch verpuffte, die Goldgräber zogen von dannen. Der Kohlenbau erhielt sich, die Kohlenkumpels blieben, sie leben am Meer und hacken unter dem Meer.

Wenn sie nach getaner Schicht aus den dumpfen, schwarzen, engen und starren Maulwurfsgängen emporgewunden werden und der Förderschale entsteigen, könnten sie ihr Auge schweifen lassen über die freie, blitzendhelle, unendlichweite und bewegte Fläche des Ozeans, diesen Kontrast zu ihrem Arbeitsplatz. Sie lassen ihr Auge nicht schweifen; ihr Auge ist müde wie sie selbst.

Wonthaggi. – Ein Ort an der Küste von Victoria. Wäre hier nicht Kohle gefunden worden, – kein Zweifel, 282 daß sich Wonthaggi zu einem Strandbad entwickelt hätte mit Kabinenhallen, Sonnendächern, schwimmenden Trampolinen, Booten, sandburgenbauenden und muschelsammelnden Kindern, Tanzdielen, Flirt und vielem anderen mehr unter freiem Himmel. Du lieber Himmel, Wonthaggi ist ein Bergmannsdorf, etwas weniger verrußt als die Dörfer im Borinage oder im Ruhrgebiet, sonst aber von ihnen kaum unterschieden. Hier, wo das Weltmeer persönlich Planschwiesen, Spielsandplätze und Strampelbäder eingerichtet hat, wo frischgebadete Salzluft durch die Gassen weht, sind die Kinder genau so blaß und mager und haben genau so rhachitische Beinchen, wie ihre Altersgenossen in den Kohlendistrikten irgendeines Binnenlands. Es scheint, daß es nicht nur die Landschaft ist, die ein Land schafft.

Wonthaggi hat eben einen Streik hinter sich, zwanzig Wochen lang standen die fünf dem Staat gehörenden Gruben still, zwanzig Wochen lang mußten die Arbeiter feiern an dieser sonnigen Küste, die ein Seebad sein könnte. Aber sie sehen hungrig und so müde aus, als hätten sie zwanzig Wochen lang doppelte Schicht gemacht.

Es ist fünf Uhr nachmittags, Schichtwechsel, eine Kolonne bewegt sich aus der Kohle ins Pub, ins Wirtshaus. Um sechs Uhr, so verlangt's das Gesetz, müssen die Kneipen schließen. Für den Kumpel, der mit verstaubter Lunge und bestaubter Zunge de profundis auftaucht, bedeutet die zeitige Sperrstunde, daß er eilen muß, wenn er Kohlenstaub und Durst mit Bier wegspülen will.

Einer fragt uns, ob wir für seine beiden Kinder etwas nach Melbourne mitnehmen möchten, sie seien dort in einer Lungenheilstätte. Hat man je gehört, daß lungenkranke Kinder von der See zur Erholung in die Großstadt gebracht 283 werden? »Es geht ihnen gut,« sagt ihr Vater, »sie haben dort Pflege und genug zu essen. Aber seit vier Monaten habe ich sie nicht gesehen, die Rangen . . . Wozu lebt man hier in diesem Scheißnest Wonthaggi? Eine Stunde Gasthaus und alle vierzehn Tage einmal Kino, das ist alles, was wir hier haben. In einer großen Stadt zu arbeiten, wär' mein Traum. Mitten in Sydney ist ein Kohlenpütt, dort können die Kumpels nach Feierabend die Großstadt genießen, die Welt.«

Sydney ob der Kohle. – Unter den hunderten von Schiffen, die sich im Sydneyer Hafen stauen, wohnt die Kohle, 915 Meter tief. Die Kohlenlager von Neusüdwales hängen in der Form einer Saucenschüssel zusammen, deren Boden unter dem Pazifik liegt.

In Birchgrove, einer in den Hafen vorspringenden Halbinsel des Stadtteils Balmain, sitzen von früh morgens bis spät abends Angler in langer Reihe und schauen sehnsüchtig ins Wasser; sie sehnen sich nach den Gefilden unterhalb der Nixenwelt, wo man Kohle hacken könnte.

Diese Angler sind nämlich abgebaute Kumpels aus den nicht abgebauten und dennoch geschlossenen Kohlenflözen, und keineswegs mit Leib und Seele dem Angelsport hingegeben. Wir fragen einen nach dem Bergwerk, er rollt die Angelschnur ein und steht auf, um uns zu erzählen, die anderen treten hinzu.

Ja, der Pütt da unten, das ist ein sehr großer Pütt. Sieben Meilen lang verläuft er unter dem Hafen, von hier nach Nordosten unter der Hafenbrücke weg bis nach Mosman. Mosman war ein Walfischfänger, der hat dort sein Bootshaus gehabt, aber das ist schon lange her. Jetzt wohnen dort reiche Leute in Villen mit großen Gärten. 284 Auch der Taronga Zoo Park gehört zu Mosman und die Golf Links und Clifton Gardens mit dem Mast der »Sydney«, das ist das Schiff, das die deutsche »Emden« versenkt hat. Verdammt feine Gegend, dieses Mosman, und gerade dorthin führen unsere Flöze.

Hier rechts ist der Zugang zur Zeche. Vom Schacht bis vor Ort mußten wir mehr als zwei Stunden laufen, – sogar oben, mit dem Autobus fährt man ja fast eine halbe Stunde von hier nach Mosman. Gibt's das sonst noch irgendwo, daß man vom Fabriktor zum Arbeitsplatz zwei Stunden laufen muß, täglich vier Arbeitsstunden für Hin- und Rückweg verliert? Deshalb sollte in Mosman ein neuer Förderschacht gegraben werden. Gegen ein so proletarisches Bauwerk protestierten aber die Villenbesitzer, der Schacht wurde nicht gebaut, und unser Betrieb »mangels Rentabilität« geschlossen.

Jetzt protestierten wir, und die Gewerkschaften und die Labor Party stellten sich hinter uns. Wir verhandelten mit der Grubenverwaltung und die erklärte: »Ihr könnt die Grube selbst bewirtschaften. Was ihr fördern werdet, übernimmt und bezahlt unsere Kohleneinkaufsgesellschaft ab Schacht. Einverstanden?«

Einverstanden. Wir übernahmen den Pütt, das war vor drei Jahren. Die Fördereinrichtungen waren am Rande ihrer Kraft und klappten bald zusammen. Natürlich hatten die Zechenbesitzer das gewußt. Das war mit ein Grund für sie gewesen, die Grube zu schließen, sie wollten kein Geld für neue Maschinen ausgeben. Wir hatten also das Kapital für die Fördermaschine selbst aufzubringen. Auch die Transportverhältnisse waren schlecht, die Käufer mußten die Kohle viermal umladen. Eigentlich ging uns das 285 nichts an, aber die Abnehmer verlangten eine entsprechende Herabsetzung der Preise.

Wochenlang konnten nur halbe Löhne ausgezahlt werden, Streit und Streik entstanden. Kaum waren die Schwierigkeiten behoben, kaum ging's etwas vorwärts, da brachte die B. H. P., das ist die Broken Hill Proprietary Ltd., ihre Kohle billiger auf den Sydneyer Markt, als wir sie in Sydney fördern konnten. Trotz aller unserer Opfer konnten wir nicht weitermachen, wir gaben den Pütt auf. In der gleichen Stunde schraubte die B. H. P. die Kohlenpreise wieder in die Höhe.

So erzählt der arbeitslose Arbeiter, wie's unten ist, so wohlig auf dem Grund, er stieg' hinunter wie er ist, wenn man ihn bloß ließe. Aber er hofft nicht mehr, Arbeit zu finden, er hofft nur darauf, daß der »linke Flügelmann« der Labor Party, Jack Lang, früher oder später wieder an die Regierung kommen und den »Dole«, die Arbeitslosenunterstützung um einen Shilling pro Woche erhöhen werde.

Zum Unterschied von den Belegschaften der arbeitenden Gruben wollen die Arbeitslosen von Balmain nichts von den Kommunisten wissen. »Die sind gegen die Kirche, wie in Rußland, unsere Religion geht aber doch die Organisation nichts an.«

Glaubt ihr, daß in der Sowjetunion eine Grube geschlossen wird, bevor die Kohle abgebaut ist?

Vielleicht nicht. Aber bei uns arbeiten ja auch noch Gruben, dazu ist der Kommunismus nicht nötig. Hier, bei unserem Pütt war eben zuviel Konkurrenz im Spiel und auch Korruption. In Newcastle zum Beispiel, da wird noch sehr viel Kohle unter dem Meer gehackt. 286

Newcastle. – Bei Newcastle, 75 Meilen nördlich von Sydney, an der Mündung des Hunter River, setzt der Henkel der mit Kohle gefüllten Saucenschüssel an.

1796 fanden die Sträflinge hier Kohle, dafür durften sie sie auch fördern, achtzehn Stunden pro Tag, und ein vom dankbaren Land aufgerichtetes Monument erinnert an sie. ». . . . an sie« heißt natürlich nicht an die Sträflinge, sondern an die Kohle. Auf hohem Sockel erhebt sich mitten auf Parnell Place, aus Basalt gemeißelt, in Lebensgröße und zum Sprechen ähnlich ein Block Anthrazit.

Ein Jahrhundert lang war Newcastle der einzige Kohlenhafen auf dieser Seite des Globus, in der Zeit von Dampfmaschine und Dampfschiffahrt. Umwege bis zu fünfhundert Meilen machten Schiffe, englische, niederländische, südamerikanische, um in Newcastle Kohle zu nehmen, teils für den eigenen Magen, teils für die neuentstehenden Industrien auf den pazifischen Inseln. Mit Flaggen und Lichtern grüßten einander die Schiffe auf hoher See und fuhren aneinander vorbei. Die Bemannung eines Schiffes kannte die der anderen meist von Begegnungen in Newcastle, der Freund traf den Freund nur dann, wenn ihre Schiffe zu gleicher Zeit Nobbys rundeten, um Port Hunter anzulaufen.

Nobbys ist der Leuchtturm, Port Hunter der Hafen von Newcastle. Hinter Nobbys warteten Segler auf günstige Winde zur Abfahrt, in Port Hunter bunkerten Dampfer, und in Scott Street saßen die Seeleute weiter Fahrt, tranken steifen Grog und spannen mächtige Seemannsgarne von Winds- und anderen Bräuten. Und wenn vom Leuchtturm aus die Ankunft eines Boots avisiert wurde, »sighted off Nobbys«, so bedeutete das neue Trinkkumpane, neue 287 Gesichter und neue Hörer. Freilich, auch Konkurrenten konnten es sein, Kauffahrteischiffe mit der gleichen Ware an Bord und dem gleichen Markt als Ziel. Das war für den Kapitän im Hafen, der oft zugleich der Handelsherr, zumindest aber am Gewinn beteiligt war, ein Signal, das Laden der Kohle zu beschleunigen und flugs die Anker zu lichten. »Sighted off Nobbys« wurde eine internationale Redensart der Seeleute, und besagt: »Es steht bevor.«

In der letzten Märznacht von 1874 sichtete Nobbys einen Schoner, einen kleinen englischen Schoner, der zu diplomatischen Interventionen Anlaß geben sollte. Henri Rochefort und sechs andere Teilnehmer an der Pariser Commune waren an Bord, auf der Flucht aus ihrer lebenslänglich gedachten Haft in Neukaledonien. Von Paris aus forderte das Ministerium de Broglie drohend die Herausgabe seiner ihm entlaufenen Opfer, aber die Behörden in der Stadt der Kohlenkumpels und Hafenarbeiter scherten sich nicht darum, ja, sie unterzogen die entschieden unbefugt Eingereisten nicht einmal einer Prüfung auf Gälisch.

Sonst kamen wohl wenig Schiffe nach Newcastle, deren Passagiere die Freiheit suchten, die meisten Schiffe suchten Kohle und bekamen sie. Kohle war und ist im Überfluß da, genug um den Schiffspark der Welt zu füttern; Australien schätzt den Inhalt seiner Saucenschüssel auf 180 Milliarden Tonnen.

Newcastle trug alle Voraussetzungen in sich, eine Millionenstadt zu werden, die Metropole der südlichen Hemisphäre, Schiffsbauzentrum und Welthafen. Warum es nicht diesen Aufstieg nahm, hat mehrere Gründe, der eine war die australische Einwanderungspolitik: die Arbeitskräfte reichten nicht aus. 288

Vor allem aber wollte Mutter England ihre Kunden selbst behalten, und die ältere Tochter, Sydney, wollte ihre bewundernden Besucher behalten, und deshalb sollte die jüngere Tochter schön abseits auf ihrer Kohlenkiste sitzen bleiben. In Salander Bay, etwas nördlich von Newcastle, war eine Flottenbasis errichtet worden; obwohl die Konstruktion ihrer Anlagen schon kolossale Summen verschlungen hatte, wurde sie eines Tages ohne Angabe von Gründen aufgelassen.

Nichtsdestoweniger fand Aschenbrödel einen Freier. Er wurde nicht ab Nobbys gesichtet, denn er kam vom Lande her und war ein australischer Prinz, der dickste im ganzen Lande, und er nannte zwei Schatzkammern sein eigen, die eine voll mit Kupfer, und die andere voll mit Silber, für die ihm ein ganzes Gebirge, Broken Hill, immer neues Silber lieferte. Von diesem Gebirge stieg der dicke Prinz herab, nahm Aschenbrödel in seine Arme und legte zwei neue Schatzkammern an, eine mit Kohle und eine mit Eisen.

Noch ein zweiter Freier nahte, der war in seiner fernen Heimat und in der Welt noch mächtiger als der Prinz von Broken Hill, daheim hieß er Vickers-Armstrong, aber im fremden Lande trat er inkognito auf unter dem Namen: »Vickers Commonwealth Steel Products Ltd.« Als er eintraf, war Kohlenbrödel schon mit Broken Hill vermählt. Vickers baute seine Burg dennoch hierher. Keine Angst, die Zeiten, in denen die Raubritter sich bekriegten, sind längst vorbei, sie schließen sich lieber zu einem Trust zusammen.

Gemeinsam regieren die beiden den Hafen, und ihre Kronen haben Schlote anstelle der Zacken, und die 289 Wachtürme ihrer Burgen sind flammende Hochöfen, und auf den Burghöfen erheben sich Walzwerke, Martinsöfen, Kokereien und Elektrokrane, und im Verließ unter dem Meer liegt die Kohle, geschützt durch Kanonen. Nahe dem Kohlendenkmal auf Parnell Place steht eine Festung, Fort Scratchley, und eine Artilleriekaserne. Ihre Bestückung ist gegen den Hafeneingang gerichtet.

Im Kriegsfall wird der ganze Meeresrayon für den ausländischen Verkehr geschlossen, keineswegs bloß für Kriegsschiffe, denn auch ein kanonenloses und scheinbar unmilitärisches Boot kann eine Bombe ins Meer fallen lassen, wie eine Henne ein Ei legt, und diese Bombe könnte den Untersee-Pütt zerstören, gerade dann, wenn man ihn besonders braucht, wenn Eisenwerk und Bergwerk Hochkonjunktur haben.

Die 5500 Arbeiter, die Broken Hill Proprietary Ltd. heute obertags und untertags beschäftigt, sind bei weitem nicht die größtmögliche Belegschaft, und die 18.000 Tonnen Kohle, die jetzt wöchentlich aus dem Kohlenkeller heraufgeholt werden, genügen nicht, um eine Waffenschmiede in Kriegszeiten warmzuhalten. In solchen Zeitläuften werden die Kargos mit Eisenerz, die von Whyalla via Iron Knob zur B. H. P. rollen, und die Kargos mit Stahlwaren, die die B. H. P. verlassen, Nobbys nicht mehr einzeln runden, sondern in ganzen Flottillen mit gepanzertem Convoy.

Jetzt aber haben wir sonnigsten Frieden, und so sind von den 12.000 Bergarbeitern in Newcastle 2000 partiell arbeitslos und 5000 voll arbeitslos, und sehnen sich genau so nach der Arbeit unter der Meerestiefe, wie ihre Kollegen von der anderen Seite der Saucenschüssel, die von den 290 Kumpels in Wonthaggi beneideten Kumpels in Sydney-Balmain.

Im abendlichen Gespräch mit den Newcastler Freunden gestanden wir, noch nie eine Unterwassergrube gesehen zu haben, schade. Nicht gern hören es Gastfreunde, daß ihr Gast etwas entbehrt. Wie aber es anstellen, die Grube jemandem zu zeigen, der im Gipsverband steckt und auf Krücken geht, sie also unmöglich durchwandern kann?

Nein, das ging nicht, schade, und wir mußten uns begnügen, das nächtliche Newcastle zu durchfahren. Keine andere Kohlen- und Industriestadt kann sich mit ihr vergleichen. Fünf Küsten, viele Meilen lang, mit Strand und Felsen und Grotten laden zum Bade. Die Wellen tragen weiße Phosphorlichter, und wenn sie branden, so fällt ihr Schein auf das Küstengestein und man sieht auch nachts, daß die Felsen blau sind.

Längs der Küste stehen in Frühlingsblüte Shortland Park, Fletcher Park, King Edward Park. Auf dem Macquarie-See, der nur durch einen dünnen Küstenstreif vom Meer getrennt ist, lassen sich einige Segelboote von der Brise umherkutschieren.

Hinter dem See liegen die Kohlenzechen des Festlands, Cessnock, Kurri-Kurri und Maitland, der weitgeschwungene Henkel der Sauciere. In Maitland wurde die Kohle hundert Jahre später gefunden als in Newcastle; der Mann, der sie entdeckte, Edgeworth David, entdeckte 1909 auf der Shackleton-Südpol-Expedition in der Antarktis den magnetischen Nordpol.

Entlang des Großen Ozeans kehren wir nach Newcastle zurück, das Signallicht von Nobbys weist uns den Weg und die Lohe der Hochöfen schwingt sich zum 291 Sternenhimmel. Rechts rollen die phosphoreszierenden Wellen dem blauen Ufer zu, nichts verrät, daß tief unter ihnen ein vielstöckiges, verzweigtes Labyrinth denen ein hartes Schicksal bereitet, die darin arbeiten, und ein noch härteres denen, die nicht darin arbeiten dürfen.

Newcastles Häuser haben dunkel gemacht, auch Scott Street, wo einst die Seebären zechten, ist still, die 120.000 Newcastler scheinen zu schlafen.

Am Nachmittag des nächsten Tages besucht uns eine Gruppe Jungarbeiter: »Es hat uns nicht schlafen lassen, daß Sie noch nie einen Pütt unter See gesehen haben. Wir wollen Ihnen einen zeigen.« – Mit den Krücken? – »Unten tragen wir Sie, wir haben alles vorbereitet.« So fuhren wir gegen Dudley, an aufgelassenen Zechen vorbei, und an einem Hunderennplatz. »Hier war das Hamilton Disaster.« Wir erfahren, daß die Katastrophe sich vor 47 Jahren ereignet hat. Zehn Tage nach dem Einsturz wand man sechs Grubenpferde ans Tageslicht, ein Impresario bemächtigte sich dieser Attraktion und zeigte sie gegen Eintrittsgeld; die Pferde wurden vom sentimentalen Publikum mit Leckerbissen so verwöhnt, daß alle sechs binnen kurzem umstanden. Nun zog der Impresario mit anderen Pferden, die er für die alten ausgab, von Stadt zu Stadt, aber die Unterschiebung kam heraus und er wurde verhaftet, nur mit echten Arbeitsgäulen darf man Geschäfte machen.

Von den verschütteten Menschen wurden wenige geborgen, viele Tote liegen unter dem Oval, auf dem lebende Greyhounds hinter einem elektrischen Hasen herlaufen zu dem Ende, daß Kohlen- und Metallkumpels ihre Lohntüte verspielen. 292

Dudley. – Auf dem Zechenhof von Dudley sind Ochsenkarren aufgefahren, jeder mit Riesenbaumstämmen beladen. Zersägt, werden sie unten senkrecht stehen und die Decke tragen als Verstrebungen und Verspreizungen, hierzulande »props« genannt. Ohne Kesselhaus, frei und unbedeckt stehen die Kessel, frei und unbedeckt laufen die Röhren ins Maschinenhaus.

Wir fahren ein, 672 Fuß tief, dreigeteilt ist diese Distanz. Ihr erster Teil erstreckt sich von der Höhe des Förderturms bis zur Oberfläche des Stillen Ozeans, ihr zweiter Teil von der Oberfläche bis zur Bodenfläche des Meeres, und ihr dritter Teil vom Meeresgrund hinab in das Land der Verkohlung. Der Schacht führt nicht durchs Wasser, von der Küste aus dringt er durch Felsen in die Tiefe. Neben uns im Förderkorb lehnt eine Bahre, sie soll wohl zum erstenmal jemanden nach innen statt nach außen befördern. Die Jungarbeiter, die sie tragen werden, klopfen uns fröhlich auf den Bauch, stellen fest, wir seien keine leichte Last, und spucken in die Hände.

Im wagrechten Stollen verläuft der Weg anfangs zwischen Kohlenwänden. Nach kaum dreihundert Schritten ist die Wand wieder aus Basalt, wie die Stöße waren, die Wände des Förderschachts. Über uns, mitten im Meer, ragt ein Fels, sinnbildlich wie ein Fels im Meer, aber tief unten, wo's keiner sieht, ist sein Fuß gebrochen.

Ein grauhaariger Hauer erzählt, welche Verwirrung es gab, damals vor dreißig Jahren, als plötzlich diese Steinwand den Weg versperrte. »Wir hackten fünf Tage lang und stießen noch immer auf Stein. Dann wechselten wir die Richtung und haben sie wieder erwischt, die Kohle.«

Wir fragen, ob Wassereinbrüche vorkommen. 293

»Früher muß es wohl häufig geschehen sein, denn es gibt alte Vorschriften, an die wir uns noch heute halten sollen. Wenn der Stollen zwanzig Fuß vorwärtsgetrieben ist, sollen wir uns vergewissern, ob der nächste Schritt nicht schon ins Meer hineinführt. Wir sollen ein Loch von zwei Zoll ins Hangende bohren und ein ebensolanges nach vorne.«

Warum sagen Sie immer »sollen«?

»Na ja . . . man verliert seine Zeit und kriegt das nicht bezahlt. Außerdem wissen wir ja immer, wie tief wir sind und wie weit vom Meer entfernt, das wird ja ausgelotet. Da ist keine Gefahr.«

»Keine Gefahr?« sagt einer. »In Stockton haben sie auch geglaubt, daß keine Gefahr ist . . . Kannst den bastard fragen, der war dabei.« Der bastard ist der Obersteiger, hier keine Beschimpfung, nur eine Rangbezeichnung. »Wir haben dort die Sicherheitsprobe gebohrt, auf einmal bricht ein Strahl herein, ein ganz dünner Strahl, aber so stark, daß er einen von uns in die Brust getroffen hat und der ist umgefallen wie von einer Keule hingehaut . . . Zuerst wollten wir wegrennen, aber dann haben wir den Befehl bekommen, das Loch zu verstopfen. Von oben regnete es Muscheln und Fischlaich und Tang und Schleim, weiß der Teufel, was da für Zeug mit aller Gewalt zu uns herunterwollte . . . Werg und Lehm stopften wir ins Loch, das hat nicht ausgereicht, wir mußten den Stollen mit Sandsäcken und Ziegeln abdichten, schließlich die ganze Strecke mit Zement zumauern. Bis zum Bauch standen wir im Wasser, und keinen Cent haben wir dafür gekriegt.«

»Stockton liegt nicht so tief unter dem Meer, wie wir hier,« sagt der Alte. »In Stockton hört man den ganzen Tag die Schaufelräder der Fähren und die Maschinen der großen 294 Schiffe. Wir in Dudley können nur nachts, wenn gerade nicht gehackt wird, die Ankerketten klirren hören. Dann saust der Anker herunter und beißt sich in unseren Plafond.«

»Gefahr ist nicht. Nur Neulinge hören Rauschen und Krachen im Hangenden. Dann markieren wir Alten besorgte Gesichter und brummen, es würde uns nicht überraschen, wenn plötzlich der ganze Pazifik auf uns herunterfiele.«

»Das ist nur das Vorspiel. Bevor so ein Neuer am nächsten Morgen einfährt, legen wir ihm Muscheln und Algen und tote Fische vor Ort, einen ganzen Haufen, und schütten ein paar Eimer Wasser darüber. Wird der blaß, wenn er die Bescherung sieht! Das Meer schon da!«

Alle lachen. »Siehst du, Genosse, das gibt's nicht in den Gruben unter der Erde, das gibt's nur unter Wasser. Solche Spässe machen wir mit jedem Neuen . . .«

Nach einer Pause: ». . . allerdings, jetzt wird niemand eingestellt, nur abgebaut wird man. Und die Löhne fallen überall. Nur in Wonthaggi geht's gut, dort haben die Kumpels eben einen großen Streik gewonnen.« 295

 


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