Egon Erwin Kisch
Landung in Australien
Egon Erwin Kisch

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Die Anbetung des Heiligen Lammes

Also ward es offenbart Johannes, dem Theologen:

»Das Lamm ist würdig, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Ehre und Lob.«

Weil dieses geschrieben steht in der Offenbarung Johannis, Kap. V, Vers 11, und (wie nicht verhehlt sei) auch aus anderen Gründen, ward dem mystischen Lamm ein Tempel aufgerichtet in Sydney, der großen Stadt am Saume der südlichen Meere.

Und um dem Lamm zu geben Kraft und Reichtum und Weisheit und Ehre und Lob, prangt sein Bildnis auf den Fenstern dieses Tempels, einmal in ganzer Figur an himmlisch-blauem Bande hängend, oder besser gesagt: schwebend, ein andermal als Brustbild en face, idealisiert und mit einer Aureole, von üblichen glasgemalten Schafsköpfen unterschieden durch die Pracht lieblicher Locken um und um.

Auch die Briefmarken des Landes Australien befolgen das Wort Johannis, des Theologen, sie geben Preis und Lob dem Lamme und seinem ersten Apostel. Und diesem ersten Apostel des Lammes sind all seine Sünden vergeben, so wenig er sie auch jemals bereut hat. Sie waren ihm schon vergeben, alldieweil er noch auf Erden wandelte, und nach seinem Tode wurden sie ausgelöscht aus dem Buche der Schuld, und er ward heiliggesprochen am 312 hundertsten Jahrestag seines Todes, um der Kraft und des Reichtums und der Weisheit und der Ehre und des Lobes willen, welche er empfahen durch das Lamm.

Es lebet noch dieses Apostels Samen und seines Samens Samen, und es leben noch die Herden, die er gezüchtet hat, und sie beide stehen in Ansehen als die ersten Familien im Lande; noch stehet sein Kastell im Tale von Camden, und wenn ein Fürst kommt von jenseits des Meeres, so kehret er daselbst ein, und es gibt der Festlichkeiten viel. Und in dem Kastell ist auf die Gitter geschmiedet und über den Portalen gemeißelt des Apostels Leitspruch: Fide et opera, durch Treue und Arbeit.

Aber die opera waren nicht von ihm getan, sondern von armen Schächern in Ketten, und durch fides hat er sich nicht ausgezeichnet, der Apostel des Lammes. Johannes hieß er, wie der Theologe des Neuen Testaments, dem er sonst nimmermehr glich, und sein Nachname war Macarthur.

Und er war über das große Wasser gekommen, im Jahre 1790 nach der Geburt Christi, mit einem Regiment von Söldnern, die der König von England ausgesandt hatte, auf daß sie die aus seinem Reiche verbannten Schächer überwachen mögen im Lande der Verbannung.

Die Hauptleute dieser Truppe von Häschern, Bütteln und Ordnungshütern lösten ihre Aufgabe, indem sie die Gefangenen entweder für sich arbeiten ließen oder zu eigenem Nutzen an Farmer vermieteten, weibliche Sträflinge schändeten, einlangende Waren mit Beschlag belegten und zu Wucherpreisen verkauften, Getreide zu Rohspiritus brannten und diesen als »Rum« bezeichneten, weshalb sie ihrerseits vom Volke als das »Korps des Rum-Ausschanks« bezeichnet wurden. 313

Zahlmeister dieser Wuchergesellschaft in Uniform war Kapitän John Macarthur, und der wucherischeste, geldgierigste und skrupelloseste von allen, und als er die Uniform ablegte, wurde er erst recht Beherrscher der ganzen Kolonie.

Selbst während einer Hungersnot spekulierte Macarthur in Nahrungsmitteln. Von einem endlich in den Hafen einlaufenden Hilfsschiff mit Lebensmitteln befürchtete er den Preissturz seiner aufgespeicherten Waren, und denunzierte deshalb der Behörde, das Schiff habe Tee an Bord. (Außer der Flotte der Ostindischen Kompanie durfte kein Fahrzeug, das Tee mit sich führte, in einem britischen Hafen Ladung löschen.) Die Zollbeamten durchsuchten Kajüten und Luken. Vergeblich. Da zeigte ihnen der Vertreter von Macarthur in einer Kabine ein winziges Päckchen Tee. Woher hatte er davon gewußt? Hatte er selbst die Mitnahme veranlaßt, das Päckchen eingeschmuggelt? Gleichwohl, das Schiff mußte Anker lichten, ohne Rettung bringen zu können und ohne dem Warenlager Macarthurs Konkurrenz zu machen.

Die Gouverneure Sr. britischen Majestät, einer nach dem anderen, mühten sich, die Tyrannei Macarthurs zu brechen; einer nach dem anderen, fünfe im ganzen, brachte Macarthur zu Fall. Sogar dem Gouverneur Bligh, der einige Jahre vorher als Kapitän der »Bounty« durch seine Brutalität eine Meuterei seiner Matrosen hervorgerufen hatte, waren die Methoden Macarthurs zu brutal, und er versuchte, ihn vor Gericht zu ziehen. Daraufhin ließ ihn Macarthur auf ein Schiff verschleppen, und setzte einen militärischen Geschäftsfreund in das Amt des Gouverneurs ein. 314

Solche Zwischenfälle hinderten Macarthur nicht daran, das Lämmlein zu hüten; auf seinem unentgeltlich gekauften Grund bei Parramatta weideten Bengalschafe, nicht viele für ein so großes Gebiet. Zu dieser Zeit brachten zwei Offiziere, Kapitän Waterhouse und Leutnant Kent (die sind die wahren Stifter des australischen Exportartikels) vom Kap der Guten Hoffnung eine Herde Gordon-Merinos mit (die sind die wahren Ureltern des australischen Exportartikels).

Macarthur wollte den ganzen Posten Schafe an sich bringen, wie er es mit jeder Fracht tat, um die Konkurrenz auszuschalten. Aber die beiden Offiziere lehnten es ab, Macarthurs Monopol auch auf Schafe ausgedehnt zu sehen, und verteilten sie an sechs Farmer. Aus unaufgeklärten Gründen gingen alle jene Tiere ein, die nicht in den Besitz Macarthurs gekommen waren, – auf dem gleichen Grund und im gleichen Klima, wo fürderhin Millionen und Abermillionen ihrer Rassegenossen wuchsen, blühten und gediehen.

Jedoch auf der einzigen Schafweide Australiens, die heute als Schafweide aufgelassen ist, weil hier die Tiere vom harten Erdboden fußkrank werden, auf der Weide von Elizabeth Garden und Camden, starben die Merinos nicht. Just hier haben sie sich zugunsten Macarthurs vermehrt, und Macarthur vermehrte sie noch durch Ankäufe.

Unter anderem ersteigerte er bei einer Auktion aus den königlich englischen Ställen in Kew einige Widder und Mutterschafe, gleichfalls Merinos von spanischem Geblüt. In den englischen Parlamentsakten war festgelegt, daß der Versuch, auch nur ein einziges Schaf von der 315 Insel England auszuführen, dem Verbrechen des Hochverrats gleichzusetzen, mit Zuchthaus und Einbrennen des Sträflingsmals auf den Handrücken zu strafen sei.

Dadurch ließ sich Macarthur nicht schrecken, denn er war ein kapitalkräftiger Kapitän, und er brachte trotz einiger Schwierigkeiten seinen Kauf nach Australien, wo er nach wie vor Männer und Frauen züchtigte, die einst ein Gesetz übertreten hatten.

Vor allem empörte sich John Macarthurs rechtlicher Sinn dagegen, daß gerichtlich Verurteilte jemals wieder frei werden durften, jemals aufhören sollten, ihm und seinesgleichen als Sklaven zu dienen. Wer von den Sträflingen die Freilassung anstrebte, wurde vermittels der neunschwänzigen Katze oder des Galgens von solchen Wünschen geheilt. Wer bedingt frei war, ein »ticket o'leave-man«, den brachten Macarthur und seine Getreuen mit Denunziation und Verleumdung hurtig in den alten Stand zurück. Gegen die frei ins Land gekommenen Siedler aber, die die Emanzipationsbestrebungen der Sträflinge unterstützten und sich für die Einstellung der Sträflingstransporte aus England einsetzten, organisierte er Boykott und Überfälle.

Ihm stand der Sinn nach weiteren unentgeltlichen Ländereien und Arbeitsheeren, er wollte den ganzen Kontinent sein eigen nennen, die Knute als Szepter schwingen und unter einem Thronhimmel aus Galgen unumschränkt regieren über Untertanen in Ketten.

In seiner Bewerbungsschrift um dieses Reich, gerichtet an den britischen Staatssekretär Hobart, erklärte er, daß die drei Widder und fünf Schafe, die er 1797 von Capt. Waterhouse gekauft, binnen sechs Jahren sich auf viele 316 hundert vermehrten, das Gewicht der Schur von zweieinhalb Pfund per Schaf auf fünf Pfund gestiegen und die Qualität der Wolle besser sei, als die der spanischen. So könne er sich denn erbötig machen, binnen zwanzig Jahren hinreichend Wolle zu produzieren, um die bisherige, jährlich zwei Millionen Pfund Sterling kostende Einfuhr aus Spanien und anderen Ländern nach England überflüssig zu machen. Als Gegenleistung verlangte er »nur«, so viel Land in Besitz nehmen und so viele Sträflinge verwenden zu dürfen, als ihm beliebe.

Der Boden frei und die Arbeiter unfrei, das waren ideale Voraussetzungen für eine rentable Produktion, aber das Mutterland zögerte, einen einzigen Untertan mit ganz Australien zu belehnen. Macarthur mußte sich damit begnügen, riesige, aber begrenzte Territorien und viele, aber zählbare Sträflinge zugemessen zu erhalten.

Wie John Macarthur der Apostel der Lämmerzucht ist, so ist Thomas Sutcliffe Mort der Apostel des Wollhandels, und sein Standbild erhebt sich groß auf Macquarie Place. Von ihm, Thomas Sutcliffe Mort, sind keine Gewalttaten und Niederträchtigkeiten überliefert, er war ein tüchtiger Geschäftsmann und er würde staunen angesichts seiner Heiligenstatue: »Nie im Leben habe ich daran gedacht, dem öffentlichen Wohl zu dienen oder gar der Menschheit. Ich habe mich als Wollauktionator etabliert, weil ich rascher zu meinem Geld kommen wollte, sonst nichts.«

Ob so oder so, das von Mort begonnene Geschäft hat merkantile Weltbedeutung gewonnen, er ist der Ahnherr der Sydneyer Wollbörse. Sein Gewölbe in George Street, in dem er bei seiner ersten Auktion am 15. September 1843 sage und schreibe zwei Ballen Wolle anbot, war klein und 317 hatte keine bunten Kirchenfenster, aber es war ein organisatorischer Fortschritt. Bisher hatte ein Teil der Züchter die Schur nach London verschifft und mußte warten, bis sie dort losgeschlagen wurde und die Bezahlung rund um Südafrika nach Australien kroch. (Die Nabelschnur des Kabels und den Kaiserschnitt des Suezkanals gab es noch nicht.) Der andere Teil der Züchter fuhr die flockige, gekräuselte Ernte mit sechzehn vorgespannten Ochsen zur nächsten Stadt, wo der Einkäufer dem Verkäufer das angebotene Fell über die Ohren zog.

An ihren Arbeitern konnten sich die Züchter schadlos halten. Das taten sie denn auch gründlich, und die Ausbeutung wurde nicht geringer, als die regelmäßigen Auktionen des Meisters Mort rasche Profite sicherten, und technische Neuerungen diese Profite vervielfachten. Der Schere folgte die Hand-Haarschneidemaschine, dieser die elektrische, die erste australische Textilfabrik erstand (selbstverständlich im Zuchthaus von Parramatta), die Dichte und Länge der Wolle wuchs, das Gewicht eines Vlieses stieg von zweieinhalb Pfund auf nahezu das Dreifache, die Zahl der Schafe auf das Zehnfache, und die Arbeitszeit dementsprechend. Nur die Löhne stiegen nicht, und noch an der Verpflegung der Scherer, die diese selbst bezahlen mußten, verdienten die Besitzer der Schafstationen bis zu 150 Prozent.

Da brach in den Neunzigerjahren der Schererstreik aus, ein allumfassender Ausstand und Aufstand mit Zusammenstößen zwischen Polizei und Streikern und zwischen Streikern und Streikbrechern, mit Feuersbrünsten und Todesopfern. Schiffsladungen »Arbeitswilliger« von den Inseln Australasiens, Gesetz und Gericht, Polizei und Presse 318 wurden gegen die Scherer aufgeboten, die das Recht auf Koalition und Normierung der Arbeitszeit verlangten und höhere Löhne dafür, daß sie während eines relativ kurzen Aufenthalts auf der Schafstation eine übermenschlich schwere Arbeit bei Tag und Nacht leisteten.

Vor und nach der Schur gibt das Schaf wenig zu tun. Wahrlich, schon seiner Bescheidenheit wegen würde es verdienen, als Fensterheiliger geehrt zu werden. Mit wahrer Lammsgeduld weidet es, begnügt sich mit den kargen Grasnarben der Steppe oder Halbwüste, läßt seine Locken wachsen und folgt dem Leithammel überall hin, in den Stall, auf neue Weiden oder zum Haarschneider.

Kein Wolf bedroht in Australien die Herde, kein Frost wird ihr gefährlich. Um die Schafe mit Arsenik vor Wollwurm und Krätze zu schützen, genügen ein paar Hirten, und die achten auch darauf, daß der fliegende Dornbusch, Bindi-eye, seine Stacheln nicht in die Lämmerbeine treibe. (Die Schäferhunde tragen Schuhe, wenn der Bindi-eye zu wandern beginnt.)

Sind die Wolleballen stadtwärts abgegangen, dann gibt es ein halbes Jahr lang keine Schererei mehr, und der Eigentümer der Schafstation kann ruhig einen Urlaub antreten. Ohne viel menschliches Zutun rammeln die Widder, lämmern die Schafe, sprießen die Vliese. Wenn alles gut geht, kann sich die Herde inzwischen um ein Drittel vermehren, und der nächste Ernte-Erlös um ein paar tausend Pfund Sterling.

In Konjunkturzeiten trug ein Schaf seinem Herrn jährlich dreizehn Shilling zu. Das scheint nicht viel zu sein, aber es läppert sich zusammen, denn ein mittlerer Züchter besitzt bis zu 50.000 Schafe, der reiche hat eine Million Schäflein ins trockene gebracht. 319

Die Krise hat auch die Schafkönige nicht verschont. Sie verdienen längst nicht mehr dreizehn Shilling pro Schaf und Jahr, viele haben pro Schaf und Jahr fast den gleichen Betrag für Kredite an die Bank abzuzahlen; deshalb erstreben sie mehr denn je die Wiederkehr der Macarthurschen Zeiten, sind Anhänger der »Douglas Credit-Reform« (einer Bewegung, der eine dilettantische Währungsreform vorschwebt), oder Mitglieder der agrarischen Landpartei, oder Geldgeber faschistischer Gruppen, oder alles gleichzeitig.

Vor der Krise exportierte Australien Wolle für 61 Millionen Pfund Sterling jährlich, während der Krise fielen die Preise so, daß 1930 nur für 28 Millionen Pfund Sterling Wolle losgeschlagen wurde. Im gesegneten Jahr 1924 hatte ein Ballen 33 Pfund Sterling 13 Shilling 10 Pence gebracht, im verfluchten Jahr 1931 brachte er nicht mehr als 10 Pfund Sterling 6 Shilling 4 Pence, oder 8,04 Pence per Pfund. (Ein Ballen wiegt 313 Pfund.) 1933 wurden nur zweieinhalb Millionen Ballen (gegen drei Millionen des Vorjahrs) verkauft, aber der Preis war nicht schlecht: 19 Pfund Sterling 7 Shilling 8 Pence pro Ballen, oder 15,03 Pence pro Pfund.

Der Schafbestand Australiens ist im letzten Jahr um mehr als anderthalb Millionen Köpfe zurückgegangen. Noch immer aber grasen 111,738.000 Schafe in Australien, ein Siebentel aller Schafe der Welt, und dieses Siebentel liefert ein Viertel aller Wolle der Welt, da die australischen Schafe »auf Wolle« gezüchtet sind und schwererwiegende Vliese haben, als ihre auch »auf Fleisch« gezüchteten Kollegen in anderen Ländern.

Dank dem Schaf beherrscht Australien den Wollmarkt 320 der Welt, und das Schaf beherrscht Australien, es hat mit seiner Entwicklung die des Kontinents bestimmt.

Dem Schaf zuliebe, ihm neue Weideplätze zu suchen, wurde der Riegel gesprengt, den die Blauen Berge dem Küstengebiet vorgeschoben hatten.

Dem Schaf zuliebe folgte man dem Lauf der Flüsse, und erschloß das Landesinnere.

Dem Schaf zuliebe nahm man den Weizenbauern Land weg.

Dem Schaf zuliebe vernichtete man ganze Waldungen durch Brandstiftung oder Gurgelschnitte in den Baumstamm.

Dem Schaf zuliebe glaubte man, die Eingeborenen ausrotten zu müssen.

Dem Schaf zuliebe schuf man die Wege für Ochsengespanne und später für Lastautos, auf denen die Wolle hafenwärts rollt. Dem Schaf zuliebe baute man Eisenbahnstrecken in Gebiete, in die kein Passagier fährt. Dem Schaf zuliebe beschleunigte man den Verkehr der Frachtschiffe, während die Passagierdampfer die Schnelligkeit ihrer von Europa nach Amerika fahrenden Kollegen nicht mitmachen und so langsam fahren, wie vor dreißig Jahren.

Dem Schaf zuliebe (und in diesem Fall auch dem Weizen zuliebe) richtete man gegen die unermeßlichen Heere des wilden Kaninchens Schutzwälle auf, darunter einen Drahtzaun von zweitausend Meilen Länge und 200.000 Pfund Sterling Kosten.

Das Schaf ermöglichte es, kraft des Geldes, das es einbrachte, alle Fertigwaren aus dem Ausland zu kaufen, und hemmte solchermaßen die Entwicklung der australischen Industrie. 321

Das Schaf trieb die Landarbeiter zu gewerkschaftlichem Zusammenschluß.

Das Schaf bestimmte die Zollpolitik.

Das Schaf wiegte die Regierungen in dem Wahn, daß der Reichtum Australiens unerschöpflich sei, daß das Schaf auch weiterhin immer alles bezahlen werde, wie es geweissagt ist in der Offenbarung Johannis: »Denn das Lamm wird sie weiden und leiten zu den lebendigen Wasserbrunnen, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.«

Dieses biblische Vertrauen hat dem Schaf jenen Tempel aufgerichtet, von dessen bunten Scheiben es in himmlischer Milde herablächelt, als wolle es der Gemeinde zu seinen Füßen die Gnade hundertprozentiger Gewinne und dauernder Hausse gewähren. Glaubet an mich! Seid voll Zuversicht! Hängt doch von der Börsenstimmung, von den Aufträgen der Wollmakler fast alles für Australien ab; der Verlauf eines Börsentages auf der Sydneyer Wollbörse ist weit wichtiger, als der Verlauf einer Regierungssitzung.

Nach streng wirtschaftswissenschaftlicher Terminologie ist die Sydneyer Wollbörse keine Börse, sondern eine Auktion, weil die Ware als Ganzes vorhanden ist, wenn auch nicht im sakral gefensterten Börsensaal. Die Dauerwellen aller Schafe von Neusüdwales und vieler Schafe aus den Nachbarstaaten und aus Neuseeland rollen, von Jute umhüllt, in den Hafen von Sydney und branden hier in den Speichern von Millers Point und Pyrmont.

Sägeförmig ist das Glasdach jedes Speichers gezackt, wie das der Diamantenbörse in Amsterdam, dort wie da, damit das Tageslicht gerecht und gleichmäßig über die 322 Ware flute, kein Schatten auf sie husche und über ihre wahre Qualität hinwegtäusche, obwohl die Einkäufer sicherlich Männer sind, denen kein Lichtreflex ein X für ein U vormachen könnte.

In weißleinene Ordensmäntel gehüllt, durchschreiten Ritter des goldenen Vlieses die sonnenhellen Straßen zwischen den Ballen und greifen hinein in die klaffenden Pakete ungewaschener, unentschweißter und daher aneinanderpickender Schafhaare, prüfen mit freiem Auge Farbe und Glanz, mit der Lupe die Kräuselung und den Schweißgehalt, und mit den Fingerspitzen die Zartheit, stellen auf diese Weise haargenau fest, mit welcher von den 848 registrierten Wollsorten von Merino oder Crossbred sie es zu tun haben (im Jahre 1800 unterschied man nur acht Sorten), und kritzeln in ihr Exemplar des Verkaufskatalogs kabbalistische Zeichen.

Von allen Küsten kamen sie, aus Yorkshire in England vor allem, aus Japan, Belgien, Frankreich, Deutschland, Holland, Amerika und Italien, um am Nachmittag des Tages, an dem sie, in Leinenmäntel gehüllt, die Musterung der Ballen vorgenommen haben, in Hemdärmeln unter den glasgemalten Lämmern zu sitzen. Amphitheatralisch steigt das Schiff der Kathedrale an, auf jedem Kirchenstuhl steht der Name des Besitzers in großen Lettern und dem Altar zugekehrt, so zwar, daß dem Hohepriester kein Irrtum unterlaufe, er nicht dem Lohmann zuschanze, was Karematsu rechtens ersteigerte, oder Caullier oder Haughton.

Unten in einer Ecke ducken sich die Züchter, meist solche mit kleinerem Schafbestand. Bäuerliche Typen. Mißtrauisch schielen sie auf die Herren, die zu ihren Häupten 323 walten. Sie haben ihre Wolle selbst in die Speicher gefahren und wollen dabei sein, wenn sich ihr Schicksal entscheidet. Es entscheidet sich gewöhnlich innerhalb einer Sekunde, höchstens innerhalb dreier Sekunden.

Der Priester auf der Kanzel hält den Katalog wie eine Bibel in der Hand, sein Kruzifix ist der Holzhammer. Im Katalog ist allerhand gedruckt, Rubriken mit Buchstaben und Formeln, geheimnisrauschend und unverständlich dem Mann ohne Schafsverstand. D 9 steht zum Beispiel in der ersten, E J M IONA Mudgee in der zweiten und Bku E 4 Bku W 1 in der dritten Rubrik; nur die Zahl der Ballen (Rubrik 4) ist auch dem Laien verständlich, mindestens fünf Ballen werden als ein Posten versteigert.

Die Neunmalweisen in den Rängen verstehen die gedruckten Zauberformeln, wie sie auch verstehen, was sie im Speicher zu jeder Katalognummer hinzugekritzelt haben; nun warten sie, bis die Ware ihrer Wahl drankommen wird.

Von der Kanzel her wird die erste Nummer ausgerufen und der Ausrufpreis dazu. Ein Sturm bricht los, daß auf den Scheiben die goldenen Lämmer zu beben beginnen, als fühlten sie atavistisch die Angst ihrer europäischen Ahnen vor dem Geheul der Wölfe.

Gesetzte Männer springen auf, toben wie Berserker, falls Berserker so toben, solide Finger, und zwischen den Fingern Bleistifte, zielen und schießen wie Revolver.

»Sechzehn, sechzehn,« schreien sie, den Ausrufpreis wiederholend. Sie haben diesen Schrei in der gleichen Sekunde begonnen. Alle, die sich in der Schauhalle zum Kauf entschlossen, hatten diesen Willen vormittags in ihrem Exemplar des Katalogs verzeichnet, und nachmittags nur 324 auf ihr Stichwort gelauert. Prompter konnte fürwahr kein Einsatz erfolgen, die Männer sind emporgeschnellt, vier in der ersten Bank, hart an des Altares Stufen, zehn in der dritten, fünf in der neunten Reihe, acht im rechten Halbkreis, fünf im linken Halbkreis, »sechzehn, sechzehn« brüllen ihre Lungen, ihre Arme, ihre Hände, ihre Finger, alle gleichzeitig.

Und doch muß einer der erste gewesen sein, es gibt keine Gleichzeitigkeit in mathematischem und börsenmäßigem Sinne, einer muß der erste gewesen sein, und er, der erste Bieter, gilt als der Käufer, solange kein höheres Angebot erfolgt. So wäre mit einem einmaligen »sechzehn« die Aufgabe getan, aber jeder schreit »sechzehn« und immer wieder »sechzehn«, um zu beteuern, daß er und nur er mit seinem »sechzehn« allen anderen weit voraus war.

Da dringt ein Ruf in den Orkan, »eins«, und ab ebbt der Orkan. Was für sechzehn Pence per Pfund so vielen eines Kampfes auf Leben und Tod wert schien, für sechzehn Pence plus einem Farthing, also erhöht um das Viertel eines Pennys, ist es den meisten keinen Farthing wert. Manche sind bereit, noch einen Farthing zu opfern, und sinken erst auf ihren Sitz zurück, wenn der Hammer fällt, ihre Felle weggeschwommen sind.

Während ein Kleinzüchter, der mit Beben dem Wolfsgeheul um seine Schafe gelauscht hat, die Ecke im Saal, die Wollbörse, die Stadt, vielleicht das Leben verläßt, wird die nächste Nummer verhandelt, Lärm wie vorhin, »fünfzehn, fünfzehn,« »eins, eins,« Hammerschlag.

Die Einkäufer aus Bradford in England, der Hauptstadt der Tuchverarbeitung, sind die ganz Großen des 325 Markts, sie kaufen am meisten, die Wolle, die im Jahr durch ihre Zentralstelle, das »Bradford Conditioning House« geht, würde ausreichen, dreißig Millionen Männer mit Anzug, Mantel und Strümpfen zu bekleiden.

Gleich nach den Engländern kommen die Japaner Mitsui, Mitsui-Bishi und die kleineren Großkapitalisten: sie überbieten und unterbieten einander nicht, ein Kontrollbeamter, von ihrer Regierung entsandt, achtet darauf.

Japan, seiner Wichtigkeit für Australien bewußt, fordert für die Teilnahme an den Sydneyer Wollkäufen Vorzugszölle, und will nur mit Waren bezahlen, – Bedingungen, deren Annahme beinahe den Boykott Englands durch Australien bedeutet, – andernfalls aber seinen Bedarf aus Südafrika decken und die eigene Wollproduktion forcieren. Vor einigen Jahren hat Japan aus Australien Corriedale-Schafe zu Züchtungszwecken eingeführt (der Sowjetunion wurde der Abtransport bereits bezahlter Zuchtschafe von der australischen Bundesregierung verboten), und schon die bisherigen Ergebnisse der japanischen Wollproduktion beunruhigen das australische Geschäft.

Eine zweite Gefahr droht aus Deutschland. Keineswegs die einer Konkurrenz auf dem Schafwollmarkt. Das ist lange vorbei, ein Jahrhundert ist vergangen, seit Deutschland jährlich 90.000 Ballen seiner sächsischen Flocke nach England verkaufen konnte, und Australien nur 14.000 verschiffte. Das Wachstum der Schafherden auf deutscher Weide hielt mit dem Wachstum des Textilwesens nicht gleichen Schritt, die dreieinhalb Millionen Schafe konnten und können kaum ein Zehntel des deutschen Wollbedarfs decken, und so war Deutschland lange Zeit hindurch die zweitgrößte Kundschaft Australiens. Nach dem Kriege rückte 326 es an die vierte Stelle, und nach Hitlers Machtantritt, mit Devisenschwund und Zwangsautarkie im Gefolge, geriet Deutschland noch weiter nach hinten. Durch Nachrichten über Wollstra und andere künstliche Spinnfasern versucht es, Preise und Stimmung zu drücken.

In der Tat, wenn Schafwolle ohne Schafwolle erzeugt werden könnte, müßte Australiens Haupteinnahmequelle versiegen. Aber die Propheten der Sydneyer Börse halten fest an der Bibel und am Glauben, daß alle Widersacher unterliegen werden, wie es geschrieben steht in der Offenbarung Johannis, des Theologen, Kap. XVII, Vers 14:

»Diese werden streiten mit dem Lamm, und das Lamm wird sie überwinden, denn es ist ein Herr aller Herren und ein König aller Könige, und mit ihm sind die Berufenen und die Auserwählten und die Gläubigen. Amen.« 327

 


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