Egon Erwin Kisch
Landung in Australien
Egon Erwin Kisch

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Wir fahren zum Ölschiefer

Über Newnes wird viel diskutiert, hinter Newnes steht ein großes Fragezeichen. So viele Schätze Australien auch besitzt, gerade den wichtigsten Treibstoff, Petroleum, ist es genötigt, einzuführen, im Jahr 335 Millionen Gallonen, (1 Gallone = 4,54 Liter) und 11 Millionen Pfund Sterling dafür zu bezahlen.

Um wenigstens Benzin nicht aus der Ferne beziehen zu müssen, sollte für zehn Millionen Pfund Sterling eine hydrogenetische Anlage errichtet werden, die jährlich aus 300.000 Tonnen Kohle 50 bis 60 Millionen Gallonen Leichtöl liefern sollte; aber ausländische Ratgeber meldeten sich, man möge zunächst abwarten, welche Ergebnisse die Fabrik der Imperial Chemical Industries Ltd. in Billingham-on-Tees (England) mit dem Bergiusverfahren erzielen werde, und das Projekt rückte in neblichte Fernen. Australien braucht jedoch seine Öle per sofort und bringt nur schwer das Geld auf, sie im Ausland zu kaufen, wo also sie hernehmen?

Es gibt Öl im Inland. Hauptlager ist Newnes, und deshalb wird viel über Newnes diskutiert; verhältnismäßig leicht erfahren wir, wo es liegt: 140 Kilometer nordwestlich von Sydney. Laut Fahrplan zweigt von der Strecke Sydney–Broken Hill in Newnes-Junction eine Pendellinie nach Newnes ab; dorthin fahren dreimal in der Woche Züge, Montag, 328 Mittwoch und Freitag. Im Besitz dieser Auskunft, gehen wir eines Freitags zum Schalter, verlangen eine Fahrkarte nach Newnes und hören, daß die Teilstrecke aufgehoben ist.

Von da an wird die Recherche verzwickt, doch machen wir endlich einen Kenner der Verhältnisse ausfindig, und der sagt uns, was wir ohnehin schon wissen: die Züge der Hauptstrecke halten nicht mehr in Newnes-Junction, weil die Zweigbahn eingestellt ist. In Newnes gäbe es nichts mehr zu besuchen, seit das Werk stillsteht.

»Und wenn man dennoch hinfahren will, wie kommt man hin?«

»Bis Lithgow fährt man mit der Bahn, und von dort sind es noch achtzig Kilometer.«

»Wie macht man diese achtzig Kilometer? Im Auto?«

»Im Auto? Erstens können Sie kein Auto ins Abteil mitnehmen, zweitens ist zwischen Lithgow und Newnes nur Urwald und Felsengebiet, und drittens ist das Betreten des Werks verboten. Also kann man nicht nach Newnes fahren.«

So fuhren wir denn nach Newnes. Wir fuhren im Auto, zunächst westwärts über die Blauen Berge. Die sind einst der Wall gewesen, der die an der Ostküste Australiens Angesiedelten an der Ostküste festhielt; ein Vierteljahrhundert lang glückte es keinem, den Gebirgszug zu erklimmen, keinem flüchtigen Sträfling und keiner der Expeditionen, die es versuchten. Den letzteren galt der Befehl des Gouverneurs King, »die ebenso nutzlosen wie chimärischen Versuche, die unbesteigbaren Blue Mountains zu besteigen, unbedingt zu unterlassen«.

Als aber das Agrarkapital neue Viehweiden brauchte, trat das Verbot des Gouverneurs automatisch außer Kraft, die alpinistischen Versuche erschienen nun ebensowenig 329 chimärisch wie nutzlos, im Gegenteil, sie erschienen real und versprachen Nutzen.

Den einzigen Widerstand bot die Natur. Intakte Jungfrau, kalt wie Felsen, wild und widerborstig, wehrte sie sich gegen alle, die sich an sie heranmachten, sie preßte die Schenkel zusammen, hielt die Hand vor, biß, kratzte und stieß. Gegen ökonomische Gelüste konnte solche Abwehr nichts ausrichten. 1813 wurde die keusche Bergschöne von drei jungen Draufgängern, Wentworth, Blaxland und Lawson, bezwungen, und seither läßt sie jeden drüber.

Den Verkehr bringt die Autostraße heran, eine breite, makadamisierte, ansteigende Rampe. An ihren Kämmen, das heißt an der Stelle, zu der jeweils der Blick des Fahrers reicht, glitzert silbern eine Pfütze, kommt aber das Auto näher, so ist der Silbersumpf wieder weit vorne. Eine Luftspiegelung.

In schnittigen Autos sitzen je ein Herr mit Chefgesicht und ein Mädchen, wohl seine Angestellte; in Medlow Bath, Hotel Hydro Majestic, von dessen eingebauten Betten sich die jungen Mädchen lüsterne Sagen zuflüstern, werden die ungleichen Paare Weekend verbringen.

Alpinistisch ausgerüstet marschiert eine Gruppe junger Leute den Kurrajong Heights entgegen, eine andere, bescheidener, wandert den Jenolan-Grotten zu, diesem Atelier eines Rodin aus Titanengeschlecht, eine dritte, noch bescheidener, will am Warragamba-FIuß picknicken, und wieder andere, noch bescheidener, sind Liebespaare, und ihnen ist jedes Plätzchen recht.

Mai 1813. Während in Europa die Truppenmassen Napoleons und die seiner Gegner jeden Feldweg in eine Heerstraße verwandelten, war es rings um Sydney, der 330 aufschießenden Hauptstadt eines Weltteils, so einsam, daß Todesmut dazu gehörte, in die nächste Umgebung vorzudringen. Jene drei Passanten, Wentworth, Blaxland und Lawson, streckten sich, wenn des Tages mühevolle Wanderung und Kletterung zu Ende war, – Gedenksteine bezeichnen die Stellen – im unheimlichen Dickicht hin, der Nachtruhe zu pflegen, wie man so sagt.

Nachtruhe! Oppossums streiften ihre Köpfe, Wallabies und Wombats stolperten über ihre Körper, Dingos durchheulten drohend die Schwärze, aus dem Gestrüpp flackerte ein grünes Doppellicht und dort wieder eines und dort wieder eines, Menschenaugen?, Raubtieraugen? Kaum eingenickt, sprangen die Drei erschrocken wieder auf, ein jäher Schmerz hatte sie geweckt, sie glaubten, von einer Pythonschlange gebissen oder von einem Skorpion gestochen zu sein. Es waren Ameisen. Freilich, die australischen Ameisen verstehen das Beißen, sie bohren Löcher in Steine, zersägen Holzpfähle, auf denen Häuser stehen, und die Soldatenameise, ein Insekt mit Gardemaß, ein Zentimeter lang, rückt in Reih und Glied gegen den Feind vor.

Wentworth, Blaxland und Lawson vermochten in der ersten Woche ihrer Expedition trotz übermenschlicher Energie nur siebenundzwanzig Kilometer hinter sich zu bringen, – alle drei Minuten flitzt eines ihrer Nachtquartiere an unserem Auto vorüber.

Vom Plateau hinter Katoomba fällt eine Felsenwand tief in eine bizarre Welt hinab. Unter uns recken sich riesenhaft Menschengestalten aus Stein, einige stehen einander auf Kopf und Schultern wie Akrobaten, balanzieren Kugeln und Keulen. Eine steinerne Bierflasche, das entsprechende Glas neben sich, beherrscht das Gelände, auf das 331 die Natur Architekturen gewürfelt hat, Kathedralen, Burgen, einen Hafen mit Kranen und Schiffen, und eine schnurrige Menagerie.

Weit höher als im böhmisch-sächsischen Elbesandsteingebirge sind hier die Prebischtore und Basteien, und anders als dort, bietet sich von der Logenbrüstung das ganze Ensemble aus rotem Stein auf einmal dar, zwischen den Dekorationen »Grüner Wald« und vor dem Hintergrund »Blaue Berge« überwölbt ein Kuppelhorizont aus blauzitterndem Äther die bewegte Szenerie.

Auf annehmbarer Chaussee fährt unser Auto weiter, beim Dorf Blackheath bezeichnet ein kleiner Obelisk das letzte Nachtlager von Wentworth, Blaxland und Lawson, dann kommt Lithgow, eine Stadt der Bergwerke und einer Waffenfabrik. Hier nehmen wir Benzin, Abschied vom Wegebau und Richtung nach Nord. Buschwerk und Boden müssen anno Wentworth, Blaxland und Lawson genau so ausgesehen haben wie heute, die Drei aber kamen gar nicht bis hierher, sonst wären sie, so waghalsig sie waren, entmutigt umgekehrt.

Etwas wie einen Pfad gibt es, das läßt sich nicht leugnen, er führt durch eine Wüste aus schwarzem, schwerem Kot, ein Pfad, in dessen Mitte sich Eukalyptusbäume aufgepflanzt haben. An einigen Stämmen hängen Starhäuschen, aber niedriger als Starhäuschen gewöhnlich hängen. Es sind nur vier Brettchen, keine Vorderwand, ein Star müßte darin erfrieren. Wir halten an, das ist kein Zeitverlust, auch wenn der Wagen fährt, ist hier sein Tempo nicht größer als wenn er steht.

»Blue Gum House« hat eine ungelenke Hand auf eines der Starhäuschen gekritzelt, auf einem anderen klebt ein Zettel 332 mit den Worten »Kevin Fitzgerald«. Wir fragen unsere Begleiter nach dem Zweck dieser Brettchen. Zu unseren Häupten fängt jemand zu kichern an; verlegen und beleidigt schauen wir aufwärts. »Das ist Kookaburra, der Lachvogel, und das sind Briefkästen für die Farmen im Busch,« wird uns Bescheid, »der Postbote kann nicht zu jeder abgelegenen Farm laufen.«

Warum sind die Kästen nicht abgesperrt?

Im Gezweig prustet es höhnisch los, es klingt, als ersticke da oben jemand vor Lachen.

»Abgesperrt? Und wer soll den Schlüssel haben?«

Der Adressat selbstverständlich, der Mister Kevin Fitzgerald oder das Blue Gum House. Damit kommt er einfach hierher oder gibt den Schlüssel dem, den er schickt.

Lebhafte Heiterkeit auf der Galerie. »Der Adressat kann doch nicht aufs Geratewohl hierherreiten, fünf Meilen, acht Meilen vielleicht, und hinterher fünf oder acht Meilen zurück. Das würde sich selbst dann kaum lohnen, wenn er wüßte, daß hier ein Brief für ihn liegt.«

Wie kommt der Adressat unter solchen Umständen zu seiner Post? Wieder schallt es von der Höh', jetzt lachen drei oder vier, Kookaburra Nummer eins hat wohl Freunde herbeigerufen, weil es so komische Fragen zu hören gibt. Mit Mühe vernehmen wir die Auskunft: »Wenn jemand mal zu Besuch auf die Farm geht, so nimmt er den Brief mit.«

Weiter dringt unser Wagen durch den Urwald vor, der uns unwegsam dünkt, den Inhabern der Briefkästen aber wohl eine Poststraße mit brausendem Verkehr bedeutet.

Ein Felsenberg spreizt sich vor uns, laut Landkarte Mount Bald, 3848 Fuß hoch; werden wir durch ihn hindurchfahren müssen? Zum Glück oder Unglück schlingt sich ein Gürtel 333 um seine Hüfte, er trennt den Oberkörper vom Unterleib, und ermöglicht unserem Auto, an der Taille von Mount Bald entlangzurutschen.

Schmal und quatschweich ist der Pfad, er windet sich wie eine von Magenkrämpfen befallene Schlange, daher der Name Serpentine. Keine Barriere grenzt ihn ein, Steinbrocken, losgerissen von der Wand zu unserer Linken, verengen die Fahrtrinne. Nur zwei Möglichkeiten scheinen vorhanden, entweder stürzt die linke Felswand auf uns, oder wir stürzen die rechte Felswand hinab. Kookaburra ist auch hier, er lacht, und schon sehen wir eine dritte Möglichkeit vor uns. Diese: hier ewig steckenzubleiben.

An einer scharfen Kurve sitzt nämlich ein Auto, gramgebeugt vorgeneigt. Wann mag es gewesen sein, vor Tagen, vor Wochen, vor Monaten, daß der Wagen die Lehmschichte unter sich nahm und flugs weiterzurollen gedachte? Aber sie erwies sich als zäh, und mochte er auch knirschen und rütteln, sie hielt ihn fest umfangen, ließ ihn nicht mehr los, die Liaison war zur Ehe geworden. Und vor uns steht das Problem, auf einem Schlingpfad, der ungefähr ebenso breit ist wie unser Auto, an einem anderen Auto vorbeizukommen.

Wir umschiffen dieses und andere Fährnisse, wie aber wird sich unser Rückweg gestalten in Dämmerung und Dunkel? Hoffentlich gibt es in Newnes einen Gasthof, wo wir übernachten können. Kookaburra lacht sich einen Ast.

Endlich sind wir in Newnes. Nicht nötig, sich nach einem Hotel zu erkundigen, wir sehen selbst, daß es keines gibt. Die Läden sind geschlossen, verschalt. Wirtshäuser haben keine Tür mehr, durch die klaffende Maueröffnung tritt niemand ein, denn er bekäme nichts, auch wenn er 334 bezahlen könnte. Über einem Hauseingang baumelt eine Tafel »Zu verkaufen«, auf einigen Lokalen ist mit Kalk gemalt »Zu vermieten«, die Mehrheit der leerstehenden Häuser und Wellblechhütten bietet sich nicht einmal an. Wer soll denn mieten, wer soll denn kaufen? Das Dorf ist wüst verfallen.

Jedoch nicht unbevölkert. Am Straßenrand sitzen Männer, ein Stückchen Holz statt einer Zigarette zwischen den Lippen, sie schauen mißtrauisch auf das einfahrende Auto, auch die Fensterrahmen füllen sich mit Augen. Kommen wieder Herren an, um das Werk zu untersuchen und zu erklären, daß es nichts tauge?

Niemand lebt in Newnes von etwas anderem, als von der Arbeitslosenunterstützung, ein einziger Kaufmann hat einen Laden. Kein Warenweg führt aus der Welt hierher, wie kein Menschenweg von hier in die Welt hinausführt. Eingestellt ist der Bahnverkehr, und es lohnt sich keiner Firma, Lieferwagen kaputtzumachen auf der unbeschreiblichen Strecke, die wir eben beschrieben haben. Am allerwenigsten können Arbeitslose mit ihren Familien und ihren Habseligkeiten fort, selbst wenn die Bahn noch führe, der Weg gangbar wäre, wo fänden sie eine Bleibe? Sie, die man einst als Lohnarbeiter hierherzog, als man ihrer bedurfte, müssen bleiben, obwohl man ihrer nicht mehr bedarf.

Die Werkanlage ist mit der Welt verbunden, ihr Telefon funktioniert nach wie vor. Rechts und links vom Eingang zum Werk ist der Buschwald mit Stacheldraht abgesperrt. Das Haus des Pförtners liegt erhöht, das gutgepflegte Gärtchen senkt sich sanft zur Straße hinab. Von seiner Warte aus sieht der Pförtner jeden Ankömmling von 335 weitem. Wie ein Prellbock stellt er sich uns entgegen, fragt nicht, wer wir seien, sagt einfach, daß wir nicht weiterfahren dürfen.

Wenn das Bundesministerium die Besichtigung des Werks bewilligt, wird dem Pförtner der Besucher telefonisch angekündigt. Wir sind nicht angekündigt, und der Pförtner ist durch nichts zu bewegen, ein Auge zuzudrücken. Er kann seine Stellung nicht aufs Spiel setzen, er steht als einziger Bewohner von Newnes in Lohn und Brot.

Gegenüber ragt das Werk, sehen können wir es sehr gut, nähern dürfen wir uns nicht. Dreißig Rundtürme steigen unregelmäßig einen Hügel empor, einige in Gruppen, Schulterfühlung haltend, einige einzeln. Sie sind aus Walzeisen und fußen auf Ziegelfundamenten. Dreimal so hoch wie die Destillationstanks sind die Schornsteine, und dreimal so hoch wie die Schornsteine die Felsenmauern des Mount Wolgan, die das Werk in einem Halbkreis umschließen. Die Front des Retortenhauses verschwindet hinter einem Gewirr von Röhren, senkrechten, schrägen, wagrechten Röhren. Eine Schütte für Wachsgewinnung, Schienen und Karren einer Schmalspurbalm, geborstene Röhren, zerbrochene Maschinenteile, Latten, – auf allem wächst Rost, Moos oder Gras.

Nirgends ein Bohrturm, geschweigedenn die Pinienhaine von Bohrtürmen, die Baku und Mossul umsäumen. Der Boden hier schimmert nicht von opalenen Pfützen, und im Erdinnern liegt nicht wie in Baku oder Mossul ein See aus Öl oder ein Strom aus Öl, den man bloß ans Tageslicht zu pumpen braucht.

Das Öl von Newnes ist kein Erdöl, obwohl es gleichfalls aus der Erde geholt wird, und ebensowenig kann es als 336 Pflanzenöl oder Tierfett im Sinne der Warenbörse gelten, obwohl es von Pflanzen und Tieren stammt, von Pflanzen und Tieren einer vergangenen geologischen Ära. Generationen und Abergenerationen von ihnen haben unter uns ihr Massengrab, der schiefrige Mergel, der ihre Grabplatte ist, war wohl auch ihr Mörder, er hat sie erdrückt, erstickt, wie in einer Presse lagen die Toten, sie hatten kaum Raum zu verwesen, ihr Leichenfett durchtränkte die Wände der Gruft.

Millionen von Jahren ist das her. Sechzig Jahre ist es her, seit ein paar Tramps beim Anzünden des Lagerfeuers staunend merkten, daß der Stein schneller Feuer fing, als das Holz. Bald machte man sich daran, den Ölschiefer wieder in Öl und Schiefer zu teilen.

Ähnlich dem Zinnober, den man zur Quecksilbergewinnung aus dem Bergwerk hackt, werden die Schieferplatten losgebrochen und geschwelt und destilliert. Bei verschiedenen Temperaturen scheiden verschiedene der flüssigen, flüchtigen Kohlenwasserstoffe aus, in jeder der Retorten eine andere Art von Öl.

An allen Stellen, wo sich Ölschiefer fand, nahm man dieses Verfahren auf, und es wurde, lange bevor das Auto, die Benzinmotoren und die Ölfeuerung die essentielle Bedeutung von heute hatten, ein einträglicher Gewerbezweig. Paraffin für Kerzenfabrikation, Naphtha für Linoleum, Firniß und Lack, schwere Maschinenöle wurden hergestellt, Fabriken, Schiffe, Gasanstalten beliefert, innerhalb eines halben Jahrhunderts 153 Millionen Gallonen Öl aus dem heimischen Schiefer gewonnen.

Auf hundert Millionen Tonnen wird der Ölschieferbestand von Neusüdwales geschätzt, jede Tonne ergibt 80 bis 337 120 Gallonen Rohöl. Um das reichste der Lager, Newnes-Capertee mit 20 Millionen Tonnen, industriell auszubeuten, wurde 1905 in London die Commonwealth Oil Company gegründet. Sie hat das Werk erbaut, vor dem wir stehen, zwei Millionen Pfund Sterling investiert, Kerosin und andere Öle erzeugt, Dividenden gezahlt und auf dem internationalen Petroleummarkt mitgesprochen. Bis 1922 der internationale Petroleummarkt mitsprach und der Betrieb von Newnes eingestellt wurde.

Zehn Jahre lang stand nun das Werk still. Dann begann sich die Labor Party für die Wiedereröffnung einzusetzen. Die Schwierigkeit, den Ölimport zu bezahlen, trieb dazu und die Notwendigkeit, Arbeitsmöglichkeiten zu beschaffen. Ein Entwicklungs- und ein Untersuchungskomitee, ein Staats- und ein Bundeskomitee traten auf den Plan, aber nur eine provisorische Inbetriebsetzung kam zustande, und binnen Jahresfrist sah Newnes wieder aus, wie im Jahrzehnt vorher. Die Commonwealth Ölraffinerie und die großen privaten Bankinstitute lehnten eine Beteiligung ab, teils wegen der hohen Investitionskosten, teils mit dem Hinweis, die ausländischen Trusts würden immer in der Lage sein, Öl zu billigeren Preisen und mit besserem Verteilungsapparat auf dem australischen Markt zu placieren.

Viel wird in Australien darüber gestritten, warum das Werk lahmgelegt wurde, viel wird darüber erzählt, daß Gas und andere Nebenprodukte systematisch vernichtet worden seien, um die Rentabilität des Werkes herabzusetzen, allgemein wird behauptet, daß die Hauptlieferantin Australiens, die Anglo-Persian-Oil Company, und ihr Präsident Sir John Cadman die Inbetriebsetzung von Newnes verhindern. 338

Um diesen mißtrauischen Erörterungen ein Ende zu machen, wurde ein Fachmann eingeladen, das Werk einer Prüfung zu unterziehen, und darüber zu befinden, ob sich die Wiederbelebung empfehle. Wer aber aus der weltumspannenden Öl-Branche würde und könnte es wagen, dem Willen des weltumspannenden Sir John Cadman mit einem entgegengesetzten Gutachten zu widersprechen? Wer wäre andererseits, wenn er das Verdikt von Sir John Cadman bestätigt, vor dem Verdacht gefeit, er tue solches nur auf Befehl von Sir John Cadman?

Ihr würdet nicht erraten, wer der Expert ist. Kein Geringerer als Sir John Cadman. Und sein Revisionsurteil über das Urteil, das gefällt zu haben, man ihm zur Last legt, bestätigt sein erstrichterliches Urteil, das Todesurteil über Newnes. Er tut es natürlich nicht allein, weil anglopersisches Erdöl die Konkurrenz des Schieferöls fürchtet, sondern weil jede neue Rohstofferschließung, wo immer in der Welt sie auch erfolgt, die Aktien der alten Gesellschaften zum Sinken bringt. Zu einer Zeit, da nationalökonomische Weisheit aufgeboten wird, um Maßnahmen zur Einschränkung der Produktion auszuhecken, können verantwortungsvolle Wirtschaftskapitäne nichts anderes tun, als sich der Erschließung neuer Quellen widersetzen.

Im australischen Bundesparlament berichtete Minister Dr. Page über den hohen Besuch in Newnes: Am 22. Oktober hat Sir John Cadman die Anlage in Newnes besichtigt, und am 25. Oktober dem Ministerpräsidenten Lyons und den Ministern Vincent und McLachlan mitgeteilt, er könne sich nicht für die Inbetriebnahme des Werkes aussprechen. (Gelächter bei den Labor-Abgeordneten.)

Minister Dr. Page (fortfahrend): Nach Sir John Cadmans 339 Ansicht ist die vom Newnes Investigation Committee aufgestellte Schätzung der Produktionskosten zu niedrig; außerdem erachtet er die Retortenanlage nicht als ausreichend für die Behandlung des geförderten Öls. Von Seiten der Minister wurde Sir John Cadman darauf aufmerksam gemacht, daß die von ihm angezweifelte Kostenaufstellung von maßgebenden Autoritäten errechnet worden sei, und daß die Retortenanlagen beträchtliche Zeit in Betrieb standen und sich als vollkommen geeignet erwiesen. Daraufhin erklärte Sir John Cadman, er werde, obwohl er keinen sehr günstigen Eindruck von der Nutzbarmachung der Anlage in Newnes gewonnen habe, zwei Fachleute aus seinen Betrieben nach Australien entsenden, damit sie eine neuerliche Überprüfung vornehmen.

Abg. James (Labor): »Das ist eine Komödie! Sir John Cadman ist nur hier, um die Interessen der großen Petroleumkompanien zu vertreten.«

Abg. Beasley: »Und die treiben Schindluder mit uns.« 340

 


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