Eduard von Keyserling
Fürstinnen
Eduard von Keyserling

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Britta verlangte von Streith, er solle abends mit ihr an den Bach gehen, um Krebse zu fangen. »Gut«, sagte Streith, »Oskar kann einen Imbiß in den Korb tun und ihn uns nachtragen.«

»Nein«, bat Britta, »nicht der strenge, ältliche Herr, dann können wir nicht lustig sein, Margusch soll den Korb tragen.«

So trug Margusch den Korb mit dem Imbiß und Andree trug die kleinen, runden, an langen Stöcken befestigten Netze. Als sie auf die Wiese kamen, herrschte noch die ruhige Helligkeit, die an Sommerabenden gleich nach Sonnenuntergang über dem Lande zu liegen pflegt. Britta half Andree und Margusch die Köder auf die Netze binden und die Netze in das Wasser stecken. Streith hatte sich auf einen Rasenhümpel gesetzt; die Luft war schwül und drückend, nur der Bach atmete eine feuchte Kühlung aus. Vor Streith lag weites, offenes Land, Acker, Landstraßen, Pappelalleen, hier und da ein Gehöft, in dem schon ein blasses Licht aufglomm, alles ein wenig farblos Lind wesenlos in der niedersinkenden Dämmerung. Am Horizonte stand eine violette Wolkenwand, die zuweilen von einem Wetterleuchten vorgoldet wurde. »Unwirklich, unglaubhaft«, dachte Streith. Das war das Gefühl, das ihn jetzt immer wieder ergriff, was er erlebte, war hübsch und so, wie er es wollte, und dennoch unwirklich, unglaubhaft. Es schien ihm zuweilen, als lebe er das Leben eines anderen, wie uns das wohl im Traume zu geschehen pflegt.

Britta kam und setzte sich zu ihm. »Andree sagt«, berichtete sie, »es wird Gewitter geben. Es ist hier auch so unheimlich still, es ist so, als ob sie alle auf etwas warteten.«

»Sie warten darauf aufzuwachen«, erwiderte Streith zerstreut.

»Wie?« fragte Britta verwundert.

»O nichts«, meinte Streith, »gehen wir nicht jetzt die Netze nachzusehen?«

Während Britta dicht an den Bachrand trat, um sich vorzubeugen und das Netz herauszuziehen, stand Streith hinter ihr und hielt sie an ihrem Gürtel fest. Margusch mit einem Korbe stand neben ihnen, um die Krebse in Empfang zu nehmen. Andree schmunzelte. »Bei einem so stillen Wetterchen«, meinte er, »steigen die Luder wie toll.«

Allerdings waren die Netze ganz voll. Wenn Britta die Tiere vorsichtig mit zwei Fingern aus dem Netze hob, um sie in den Korb zu werfen, dann lachte sie und stieß kleine Schreie aus. Im Korbe rieben die Krebse leise ihre Schalen aneinander, daß es wie Flüstern klang. Aus dem Wasser stieg ein leichter Sumpfgeruch auf, gemischt mit dem Dufte des Schilfes und des Blütenstaubes der Froschlöffel.

»Hübsch«, dachte Streith wieder, »aber unwahrscheinlich.«

Als alle Netze nachgesehen waren, fühlte Britta sich erschöpft; die Luft machte die Glieder schwer. »Jetzt essen wir«, schlug Britta vor. Sie setzten sich auf den Rasen, Margusch trug den Imbiß heran. Britta aß langsam und mit Behagen, trank dazu einen hellen, süßen Wein, und als sie fertig war, lehnte sie sich befriedigt zurück und sagte: »So, nun zünde deine Zigarette an, die riecht so vornehm.«

Die Dämmerung war auf die Wiese herabgesunken, und die Wolkenwand des Horizontes mit ihrem Wetterleuchten war höher gestiegen.

»Eigentlich ist es ein Wetter zum Fürchten«, versetzte Britta, »wenn du nicht da wärst.«

»Und jetzt?« frage Streith.

»Jetzt ist es gut«, fuhr Britta fort. »Das ist immer so, ein Mensch kann alles gut machen. Wenn ich als Kind in der Sommerdämmerung allein im Bette lag, dann fürchtete ich mich, in jeder Ecke stand etwas, vor dem ich mich fürchtete; aber wenn die Kinderfrau hereinkam, dann war alles fort, und das Kinderzimmer war wieder das alte, gute Kinderzimmer. Ja, so ist es. Hast du dich auch als Kind gefürchtet? Erzähle doch von der Zeit, als du noch nicht ein feiner, vornehmer Herr warst, sondern ein kleines Kind. Warst du glücklich?«

»Ich hatte keinen Grund, nicht glücklich zu sein«, erwiderte Streith sinnend, »ich hatte gütige Eltern, ein älterer Bruder war da, mit dem ich zuweilen raufte, das hat mir aber das Leben nicht weiter verbittert. In der Stadt wohnten wir in einem schönen Hause mit einem großen Garten, nein, ich war nicht unglücklich, aber ich war, glaube ich, ein einsames Kind, was wohl an mir lag. Kinder haben ja stets ihre eigene Welt, von der sie mit den Erwachsenen nicht sprechen, weil sie ja doch nicht verstanden werden. Meine Welt muß besonders kraus gewesen sein, denn ich war besonders schweigsam. Ich war gern allein und spielte so für mich hin. Das Haupterlebnis aber dieser Kinderjahre war Deborah.«

»Deborah?« fragte Britta und richtete sich auf, »erzähle doch.«

»Mein Kinderzimmer lag an der Schmalseite des Hauses, fuhr Streith fort. »Ihm gegenüber durch eine enge Straße getrennt lag die Schmalseite eines anderen, schönen Hauses, das reichen Juden gehörte. Diese Leute hatten eine einzige Tochter, Deborah, die in meinem Alter war. Das Fenster von Deborahs Kinderzimmer lag dem Fenster unseres Kinderzimmers gegenüber, und sie liebte es, stundenlang auf dem Fensterbrette zu sitzen und zu mir herüberzuschauen, während ich an unserem Fenster stand und zu ihr hinübersah. Deborah zu bewundern war für mich ein großer, erregender Genuß, und ihr schien es Vergnügen zu machen, sich von mir bewundern zu lassen. Ich fand sie sehr schön; sie hatte schwarze, blanke Locken, ein kleines, gelbes Gesicht und große, dunkle Augen. Sie war auch meiner Ansicht nach immer prachtvoll gekleidet, ich erinnere mich eines roten Kleides mit einer Goldspitze und eines gelben Kleides mit weißen Spitzen. Zuweilen, wahrscheinlich wenn die Mutter nicht zu Hause war, holt Deborah eine goldene Kette mit einem grünen Edelstein hervor und wand sie sich um den Kopf. Dann saß sie regungslos da wie ein kleines Götzenbild und ließ sich von mir anstaunen. Auch sonst beschäftigte Deborah stark meine Phantasie.«

»Du warst verliebt in sie«, schaltete Britta ein.

»Vielleicht«, meinte Streith, »obgleich die Liebe in den Jahren doch anders aussieht als unsere Liebe späterer Jahre. Ich erinnere mich nicht, mich danach gesehnt zu haben, Deborah näherzutreten, mit ihr zu sprechen oder sie zu umarmen und zu küssen. Was ich wünschte, war, Deborah selbst zu sein, so schön wie sie zu sein, solche langen Locken und großen Augen wie sie zu haben, solche schönen Kleider zu tragen und eine goldene Kette mir um den Kopf zu winden. Das war es, was ich wollte. Ich erträumte mir Lebenslagen, in denen ich Deborah war; ich selbst kam mir dabei sehr gering vor, und ich litt unter dem bitteren Gefühl, nur ein häßlicher kleiner Junge zu sein.«

»Seltsam«, sagte Britta. »Und was wurde aus ihr?«

»Eine Zeitlang erschien Deborah nicht mehr an ihrem Fenster«, erzählte Streith weiter, »ich hörte, sie sei krank, und dann sagte man mir, sie sei gestorben. Das erregte mich sehr, ich lief in den Garten hinaus, warf mich auf den Rasen hin und dachte an Deborah. Ich entsinne mich noch gut dieses Spätsommernachmittages mit seinen vielen bunten Dahlien und Astern und den Spinnweben, die durch die Luft flogen. Ich kann nicht sagen, daß ich um Deborah trauerte, der Tod erschien mir als eine große Ehre, wie sie nur einem so hübschen kleinen Mädchen widerfahren konnte, er erhöhte sie in meinen Augen, hob sie hoch über mich empor, denn solche häßlichen kleinen Jungen wie ich sterben nicht. Jetzt wünschte ich nur noch eins: Deborah zu sehen. Ich ging auf die Straße hinaus, trieb mich vor der Tür des Judenhauses umher und wagte mich endlich bis in den Flur vor. Dort stand ein alter Mann mit langem, weißem Bart. ›Du willst wohl unsere Kleine sehen?‹ sagte er freundlich, nahm mich bei der Hand und führte mich in einen Saal. Dort waren viele Menschen, Damen in schwarzen Kleidern und schwarzen Schleiern, Herren in schwarzen Röcken. Auf großen silbernen Kandelabern brannten Kerzen, und sehr viel Blumen machten die Luft des Zimmers schwer und süß. Mitten aber zwischen den Kerzen und Blumen lag Deborah in einem weißen Sarge, ihre Augen waren geschlossen, ihr Gesicht erschien mir schmäler und gelber noch als sonst, um rahmt von den langen, schwarzen Locken. Sie trug ein weißes Seidenkleid, und in die kleinen, gelben Hände hatte man ihr eine Lilie gelegt. Was mich aber besonders entzückte, waren die kleinen, steifen Füße, die in Goldschuhen steckten. Atemlos vor Bewunderung sah ich Deborah an, ich glaubte nie etwas Schöneres gesehen zu haben. Nach einer Weile führte der alte Herr mich wieder hinaus. Ich ging in den Garten, warf mich platt auf den Rasen hin, und jetzt weinte ich, ich weinte, weil ich nicht auch so daliegen konnte zwischen Kerzen und Blumen im weißen Seidenkleide mit Goldschuhen, um mich her weinende Damen und feierliche alte Herren.«

»Die arme Deborah«, sagte Britta und stützte ihren Kopf an Streiths Schulter. »Aber sage, wünschest du jetzt auch zuweilen, du wärest ich?«

Streith lächelte: »Jetzt ist es anders; aber es ist möglich, daß in der Liebe zu dir manchmal etwas von dem alten Knabengefühle auftaucht.«

»Und sag«, fragte Britta weiter, »wenn du ich wärest, wie wäre es dann?«

»Gut«, erwiderte Streith, »ich glaube, es müßte köstlich warm in den Adern brennen.«

»Ach, du Armer, dich friert«, rief Britta, und sie umschlang ihn mit ihren Armen, schmiegte sich eng an ihn, freigebig mit ihrem jungen Körper, stolz darauf, dem anderen wohlzutun.

Der Himmel bewölkte sich, die steigende Wolkenwand verschlang einen Stern nach dem andern, häufige Blitze fuhren durch sie hin, und in der Ferne grollte der Donner. »Wir müssen machen, daß wir nach Hause kommen«, mahnte Andree, »es ist schneller heraufgekommen, als ich dachte.«

»Gehen wir«, sagte Streith und legte Brittas Arm in den seinen.

Große, lauwarme Tropfen begannen niederzufallen. Im Walde war es sehr finster, der Regen raschelte und rannte in den Zweigen, zuweilen erhellte ein Blitz das Land, groß und schwarz standen die Tannen in dem blauen Licht. Dann schaute Streith in Brittas Gesicht, blaue Funken sprühten aus ihren Augen, sie warf den Kopf zurück und lächelte zu dem Blitz hinauf.

*


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