Eduard von Keyserling
Fürstinnen
Eduard von Keyserling

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Frau von Syrman reichte ihm mit lässiger Kameradschaftlichkeit die Hand und sagte: »Ich hoffe, Herr Graf, Ihr Spaziergang führt Sie recht bald wieder an unserer Hütte vorüber.«

Streith wandte sich Britta zu, diese hielt ihren Filzhut in der Hand, wie bereit zum Gehen, und meldete ernst: »Ich begleite den Herrn Grafen.«

Frau von Syrman schüttelte unzufrieden den Kopf. »Wenn er es gestattet, Närrchen«, meinte sie.

»Sehr angenehm«, murmelte Streith. So gingen sie miteinander fort.

Britta schwieg. Auf ihrem Gesicht lag noch immer der ernste, mißmutige Ausdruck, im Vorübergehen streifte sie die jungen Sprossen von den Tannenzweigen und zerbiß sie.

Streith dachte über einen Gesprächsstoff nach, er wollte etwas sagen, das dem jungen Mädchen wohltat, es erheiterte. Da ihm jedoch nichts Besseres einfiel, fragte er: »Warum sehen Sie so böse aus?«

»Es ärgert mich«, erwiderte Britta, und ihre Stimme wurde tief vor Erregung, »es ärgert mich, daß jedem, der zu uns kommt, die alten Geschichten von Schicksal und Blut und Einsamkeit erzählt werden müssen. Es ist so, als wollten wir uns entschuldigen, als müßten wir erklärt werden wie Wundertiere. Wir sind nun einmal, wie wir sind.«

»Gewiß, gewiß«, bestätigte Streith und schaute erstaunt in das hübsche Gesicht, das jetzt so leidenschaftlich und zornig aussah. »Nur würde ich mir durch solchen Ärger nicht den schönen Abend verderben lassen.«

Britta lächelte wieder, zuckte mit den Schultern und meinte: »Ach ja, das sind Dummheiten. Wissen Sie, daß ich gestern morgen, als Sie ausgegangen waren, bei Ihrem Hause war? Ich sah mir durch das Gitter den Garten an, dann stieg ich auf die Bank vor dem Hause und sah durch das Fenster hinein. Ich weiß wohl, daß man das nicht tun darf, daß das unanständig ist, aber ich war so neugierig. Ich sah ein wunderschönes Zimmer, viele Bilder in goldenen Rahmen und ein wunderschönes Tigerfell. Ein alter, böse aussehender Mann kam dann in das Zimmer, und da bin ich fortgelaufen.«

Streith lachte wohlwollend: »So, so, Sie sollten sich das Zimmer von innen ansehen.«

Britta erwiderte nichts, und Streith bedauerte sofort seine Worte. Warum lud er dieses Mädchen ein? Was gingen ihn diese Leute an? Er hatte sich heute einfangen lassen. Zugleich fühlte er ein quälendes Mitleid mit diesem Kinde, er hätte etwas für Britta tun mögen, er wünschte, er wäre jung wie sie, um ihr ein heiterer Kamerad zu sein, und alles das paßte nicht zu ihm, gehörte nicht in sein Leben hinein. Britta blieb stehen: »Jetzt gehe ich nach Hause«, sagte sie.

Streith reichte ihr die Hand. »Ich danke Ihnen für Ihre Begleitung.«

»Ich war so froh, daß ich mitgehen durfte«, erwiderte Britta, »ich hätte jetzt unmöglich zu Hause bleiben können.« Dann ging sie mit ihren ein wenig langen, gleitenden Schritten den Waldpfad zurück und verschwand im Dickicht.

*

Roxane und Eleonore saßen auf der Gartenveranda und schauten in den Garten hinab, der friedlich im Nachmittagssonnenscheine dalag. Endlich sagte Eleonore: »Wo sind sie? Mama ist schon eine ganze Weile verschwunden, und die Kleine geht auch ihre eigenen Wege. Beide haben ein merkwürdiges Bedürfnis nach Alleinsein. Was geht denn hier vor?«

»Nach uns ist das Bedürfnis nicht groß«, meinte Roxane.

Eleonore seufzte: »Wie habe ich mich hierher nach Hause gesehnt.«

»Und nun?« fragte Roxane.

»Nun«, fuhr Eleonore nachdenklich fort, »ist es doch nicht, wie ich glaubte. Es ist sich ja alles so lächerlich gleich geblieben, und doch ist es anders. Ich bin nur ein fremder Besuch, selbst die Hunde gehen an mir vorüber, als ob ich eine Fremde wäre.«

»Das erste Jahr drüben in Petersburg«, sagte Roxane, »als ich die Nächte vor Heimweh nicht schlafen konnte, da ging ich in Gedanken durch das Haus, hörte das Knarren des Parketts, den bekannten Ton der Türen und Türklinken, erinnerte mich an den Geruch jedes Zimmers, ich dachte an die Runzeln der alten Exzellenz und an die Augenbrauen von Fräulein von Dachsberg, wie sie sie hinaufzieht, wenn sie pikiert ist. Das tröstete mich, war mir heimatlich und lieb, und jetzt, das ist alles noch da, aber ich weiß nicht, es ist kleiner und verblaßter. Die alte Exzellenz und Fräulein von Dachsberg sind wie zusammengeschrumpft und altmodisch, in meinen Träumen lebte das alles stärker. Und dann, es ist seltsam, ich komme mir trotzdem soviel älter vor als sie alle, älter als die Exzellenz und die Dachsberg und die Dünhof mit ihren angemalten Bäckchen, älter als die Mama und hundert Jahre älter als die Kleine.«

»Ja ja, so ist es«, stimmte Eleonore zu, »denke dir, gestern ging ich an die alte Kommode im Schlafzimmer und nahm die Puppe Eva heraus, die ich so sehr geliebt habe, die mit den blonden Locken, den hellblauen Augen und dem kleinen, roten Munde; aber die Locken waren hart und verstaubt, der Mund blaß, das Gesicht dumm und tot, und ich verstehe nicht mehr, was ich an ihr geliebt habe. Ein wenig so ist es mit allem hier. Aber schließlich, wir haben unsere Geschichte weiter gelebt, die hier leben ihre Geschichte auch weiter.«

Roxane zuckte die Achseln. »Die Geschichte, die sie hier weiter leben, scheint mir recht unnütz«, sagte sie scharf.

Eleonore lachte. »Ja, das mit dem Grafen«; und nach einer Pause fügte sie hinzu, »nur der alte Garten ist noch, wie er war, obgleich auch er traurig ist. Wenn ich in Birkenstein von ihm träumte, dann lag immer so ein stilles, bleiches Licht über ihm, das ihn einsam erscheinen ließ, und jetzt, siehst du, schaut er gerade so aus.«

»Es ist Zeit abzureisen«, meinte Roxane, und dann schauten sie wieder schweigend den gelben Gartenweg hinab.

Unterdessen ging die Fürstin die Alleen des Parkes entlang, sie hielt ein Körbchen in der Hand und sammelte Veilchen. Die Wohltat dieses Frühlingstages empfand sie so stark, daß sie allein sein wollte, damit niemand ihre Freude störe. Im hellgrauen Frühlingskostüm, den grauen Filzhut auf dem Kopfe, fühlte sie sich hübsch und jugendlich, Wangen und Lippen waren heiß vom lauen Frühlingswinde. Durch das hintere Parktor kam Streith ihr entgegen, er wollte zum Major in die Kanzlei gehen und hatte seinen Weg durch den Park genommen. »Ah, Streith«, rief die Fürstin, »sieht man Sie auch wieder. Sie waren in letzter Zeit ja ganz verschwunden.« Sie streckte ihm die Hand entgegen. Streith sah, daß sie sich freute.

»Ich wollte nicht stören«, erwiderte er und küßte die dargebotene Hand. Das Gesicht der Fürstin wurde einen Augenblick ernst.

»Ach ja, der Kinder wegen«, meinte sie. Gleich aber lächelte sie wieder: »Ist das wieder ein Tag! Ich glaube, kein Frühling noch hat mich so glücklich gemacht wie dieser.«

»Der Frühling ist dieses Jahr allerdings ziemlich gewaltsam«, erwiderte Streith. Sie gingen langsam nebeneinander die Allee hinab.

»Was haben Sie getan?« fragte die Fürstin.

»Ich habe meinen Wald revidiert«, berichtete Streith, »habe gearbeitet, habe mich eingerichtet.«

Die Fürstin lachte: »Eingerichtet? Streith, Streith. Sie werden nie fertig.«

»Doch, einmal werde ich fertig«, murmelte Streith.

»Hat Frau Buche Ihnen gutgekocht?« fragte die Fürstin weiter.

»Oh, die Buche ist jetzt großartig in Morchelsoßen und Krebssuppen«, erwiderte Streith.

Dann erkundigte sich die Fürstin, warum Roller nicht mitgekommen sei. Roller hatte heute morgen einen Hasen aufgenommen und mußte zur Strafe zu Hause bleiben.

Am Ende der Allee stand eine Bank. »Setzen wir uns«, sagte die Fürstin. Nun saßen sie, ganz überwölbt von dem grellen Grün der jungen Ahornblätter. Zu ihren Füßen auf dem Rasen zitterten die Blätterschatten, und ihnen gegenüber kam die Sonne die Allee hinab, eine Flut rotgoldenen Glanzes, und die vielen lautlosen, kleinen Flügel, welche die Luft erfüllten, schwammen alle in Gold.

»An einem solchen Tage«, sagte die Fürstin und atmete tief auf, »an einem solchen Tage vergißt man es wirklich, daß man eine alte Frau ist.«

Streith wußte, daß er jetzt widersprechen mußte, es dauerte jedoch einige Augenblicke, bis er das Rechte fand, und dann kam es umständlich und lehrhaft heraus. »Mit dem Begriff der Jugend«, begann er, »wird eigentlich Unfug getrieben. Jugend, gewiß, gewiß, sie hat ihr Gutes, aber sie wird gewissermaßen überschätzt. Wenn ich so unsere Jugend ansehe oder an die eigene Jugend denke, so finde ich, wir gleichen in den Jahren unglücklichen Klavierschülern, die ein schweres Stück üben, sie legen all ihre Begeisterung und ihr Feuer hinein, aber in jedem Augenblick kommt ein falscher Ton oder ein unreiner Akkord.«

»Jugend ist Jugend«, sagte die Fürstin zärtlich.

»Ich sage nichts gegen die Jugend«, fuhr Streith fort, »ich meine nur, diese sogenannte Jugendzeit ist es nicht, auf die es ankommt, für die das Leben eigentlich da ist, sondern eine Zeit, in der wir das Leben verstehen, uns mit ihm befreundet haben, da läßt sich was daraus machen. Das Leben ist ein zu schwieriges Instrument, um in die Schulstuben zu gehören.«

Die Fürstin sah Streith freundlich an. »Ja, Sie können das vielleicht, Streith«, sagte sie, dann blickte sie in ihr Körbchen nieder und spielte mit den Veilchen. Während des Schweigens, das nun entstand, fühlte Streith deutlich, daß der Augenblick gekommen war, etwas Wichtiges zu sagen, etwas, das ihn und die Fürstin anging, die Fürstin wartete darauf. Es ging ihm manches durch den Kopf, er verwarf es jedoch, es schien ihm alles gemacht und lächerlich. Die Fürstin blickte wieder auf, etwas wie Erstaunen lag in ihren Augen. »Sie haben mir noch nichts von Ihren Rosen erzählt«, sagte sie, um die Unterhaltung wieder aufzunehmen.

»Die Rosen«, wiederholte Streith, er war befangen, was ihm selten geschah. »Nun, die Rosen haben gut überwintert, ich habe mir zwei neue angeschafft, eine große rote mit violettem Schimmer, die heißt Miß Vanderbilt.«

»So demokratisch«, warf die Fürstin ein.

Streith zuckte die Achseln: »Auch die Rosen werden demokratisch. Die andere ist eine kleine schwefelgelbe Rose, die sehr süß duftet, sie heißt, ich weiß nicht warum, ›Diane vaincuel‹.«

»Wie hübsch«, rief die Fürstin, »das muß ich alles sehen, Sie sollten mir und der Baronin Dünhof wieder einmal einen Tee arrangieren.«

Streith verbeugte sich. »Wenn ich darf«, sagte er.

Die Fürstin sah nach der Uhr und erhob sich. »Es ist Zeit nach Hause zu gehen«, meinte sie, »heute ist Donnerstag, also Gesellschaftstee, kommen Sie auch?«

Nein, Streith wollte nach Hause gehen und arbeiten.

»Dann auf Wiedersehen«, schloß die Fürstin. »Lassen Sie den armen Roller frei.« Und als sie sich zum Gehen anschickte, wandte sie sich noch einmal um und sagte mit einem koketten Lächeln: »Wollen Sie auch Veilchen?« Streith streckte seine Hand aus wie zu einem Almosen, und die Fürstin füllte diese Hand mit Veilchen.

Während Streith durch den Park zurückging, steckte er seine Nase in die Veilchen, welche er in der Hand hielt. Er war empört über sich selbst. Sonst, wenn er mit einer schönen Frau zusammengewesen war, hatte er mit untrüglicher Sicherheit den Augenblick erkannt, in dem die schöne Frau erwartete, daß er etwas sage, das sie einander ganz nahe brachte, den Augenblick, in dem sie erobert und besiegt sein wollte. Und heute - er hatte sich benommen wie ein Lehramtskandidat. Dazu noch das steife Gerede über die Jugend. Unbegreiflich. Und plötzlich dachte er an Britta, dachte an sie, als sei sie die Jugend selbst, die er geschmäht hatte.

*


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