Eduard von Keyserling
Fürstinnen
Eduard von Keyserling

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Abends nach Sonnenuntergang ging Streith wieder in das Forsthaus hinüber. Er hatte daran gedacht, einen Blumenstrauß mitzubringen, gab jedoch die Absicht auf; der Gedanke, sich als regelrechter Freiwerber, einen Strauß in der Hand, bei Syrmans einzustellen, widerstand ihm.

Im Forsthause war das Wohnzimmer hell erleuchtet. Als Streith eintrat, kam Frau von Syrman ihm entgegen, sehr hübsch in einem roten Seidenkleid, in der Hand hielt sie einen großen, roten Federfächer. »Willkommen, Graf, willkommen«, rief sie. Hinter ihr stand Britta in einem weißen Kleide mit weinroten Schleifen. Frau von Syrman faßte ihre Tochter an die Schultern und schob sie Streith zu. »Nehmen Sie sie, Graf, nehmen Sie sie«, sagte sie.

Streith küßte Brittas Hand, Frau von Syrman aber legte die eine ihrer Hände auf den Kopf ihrer Tochter, die andere auf Streiths Schulter und sprach gerührt: »Gott segne euch, meine Kinder. Jetzt aber muß ich nach meinem Braten sehen, ihr werdet euch wohl manches zu sagen haben.« Damit raffte sie ihre Schleppe auf und lief mit kleinen Schritten in die Küche hinaus.

»Sollen wir uns nicht setzen?« schlug Streith vor und legte seinen Arm um Brittas Taille, die sich gerade aufrichtete. Sie setzten sich auf das Sofa. Vor ihnen, mitten im Zimmer, stand der feierlich gedeckte Tisch, den ein Strauß Trollblumen schmückte. Streith war verlegen, was ihn wunderte. Es klang, seiner Ansicht nach, zu feierlich, als er zu sprechen begann: »Ich habe es noch nicht aus Ihrem Munde gehört, daß Sie, hm - daß Sie die Meine werden wollen.«

»Ja, wenn Sie das wollen«, erwiderte Britta ernst, »ich bin so gern bei Ihnen. Bei Ihnen ist es behaglich und sonntäglich.«

»Behaglich und sonntäglich«, wiederholte Streith lebhaft, »so muß es auch bleiben. Sollen wir nicht du zueinander sagen?«

Aber Britta schüttelte den Kopf, sie glaubte nicht, daß das heute schon gehen würde, es war so ungewohnt.

»Gut, das kommt noch«, beruhigte sie Streith.

»Ich habe nie daran gedacht«, sagte Britta nachdenklich, »daß Sie mich heiraten wollen. Die Leute sagten, Sie würden die Fürstin heiraten.«

»Ach was, die Leute«, murmelte Streith ärgerlich.

»Ich habe auch nie daran gedacht«, fuhr Britta fort, »daß ich eine Gräfin werden könnte, Mama hat mir den ganzen Nachmittag die Gräfin vorgehalten, so daß ich gar nicht mehr an sie denken mag.«

»Nun, wir brauchen auch nicht an sie zu denken«, meinte Streith heiter.

Britta seufzte: »Gemütlicher war es vorher.«

»Vorher?« fragte Streith.

»Ja, vor der Verlobung.«

Streith lachte: »Wir wollen es schon so einrichten, daß die Verlobung uns nicht stört.«

Frau von Syrman kehrte in das Zimmer zurück, gefolgt von Trine, die eine Schüssel trug. Trine hatte ihr mattlila Sonntagskleid angezogen und versuchte es, ihr Gesicht, das dem Gesicht eines bösen, alten Mannes glich, freundlich zu verziehen.

»Ich bitte zum Souper«, lud Frau von Syrman ein, »das Brautpaar sitzt zusammen mir gegenüber.« Trine setzte die Schüssel auf den Tisch, es waren Eierschnitte in Remuladensoße mit frischem Salat. »Eine kleine Vorspeise«, sagte Frau von Syrman, »bitte, sich zu versorgen. Unser Souper ist ländlich und einfach, wie sollte es anders sein.«

»Das sind die besten Soupers«, bemerkte Streith höflich.

»Das behauptete auch immer die Gräfin Erdödi«, erzählte Frau von Syrman. »Früher traf ich die Gräfin fast jedes Jahr entweder in Kissingen oder in Franzensbad. Ich kann wohl sagen, ich war mit der Gräfin befreundet. Die Gräfin erzählte gern davon, wie sie sich einmal in Ungarn auf dem Spazierritt verirrte, sie kam an ein kleines Bauernhaus, sie stieg vom Pferde, und da sie hungrig war, ließ sie sich etwas zu essen geben. Sie setzte sich an den groben Holztisch, und ihr wurde auf einem blauen Fayenceteller ein Stück Schwarzbrot und ein Käse vorgesetzt, dazu ein Glas trüben Weines; diese Mahlzeit, sagte sie, sei die beste gewesen, die sie in ihrem Leben genossen. Sie erinnerte sich ihrer auch, als sie im nächsten Winter elend und appetitlos war; ein blauer Fayenceteller mußte in der Stadt aufgetrieben werden, sie ging in die Küche, setzte sich an den Küchentisch, ließ sich auf dem Fayenceteller Schwarzbrot und Käse servieren, dazu ein Glas Wein, ›aber‹, pflegte sie zu sagen, ›es war doch nicht dasselbe‹.«

»Wir erleben eben niemals zweimal dasselbe«, bemerkte Streith.

»Sehr wahr«, sagte Frau von Syrman.

Trine erschien wieder und trug eine Kalbskeule mit jungem Gemüse auf.

»Die Früchte des Landes«, erklärte Frau von Syrman, und als alle versorgt waren, nahm sie die Unterhaltung wieder auf: »Die Gräfin erzählte mir auch viel vom Wiener Hof, die strenge Etikette muß doch lästig sein.«

»Wer sie kennt, dem ist sie angenehm wie jede Ordnung«, erwiderte Streith ein wenig scharf.

»Das ist gewiß richtig«, beeilte sich Frau von Syrman zuzugeben. »Sie kennen ja das Hofleben so gut. Das Hofleben muß doch interessant sein.«

Das schien Streith aber auch nicht recht zu sein, es klang ärgerlich, als er antwortete: »Bei Hof geschieht vielerlei, aber interessant ist wohl nicht das rechte Wort dafür.«

»Natürlich«, meinte Frau von Syrman, »Ihren geistigen Bedürfnissen genügt das nicht.«

Streith schwieg darauf, und es entstand im Gespräch eine Pause. Trine kam, trug die Kalbskeule ab und servierte eine kleine Torte, einem Sektkühler entnahm sie eine Flasche Sekt, ließ den Korken springen und goß den Wein in die hohen, spitzen Gläser.

»Frappiert ist er nicht«, entschuldigte Frau von Syrman, »er wird wohl auch zu süß sein. Früher trank ich gern Champagner, aber er mußte sehr sec sein. Nun, à la guerre comme à la guerre, wollen wir anstoßen. Auf euer Glück, meine geliebten Kinder.«

Die Gläser klangen aneinander, Frau von Syrman wurde gerührt, sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück, fächelte sich mit dem Fächer Luft zu und sagte klagend: »Ich hätte nicht geglaubt, daß mir in meinem Leben noch eine so glückliche Stunde geschenkt werden würde.«

Britta nippte an ihrem Glase und lachte, sie behauptete, der Wein kitzele sie in der Kehle. »Unser Kind ist heute auch schweigsam«, fuhr Frau von Syrman fort, »viel Glück macht stille.«

»Aber geschmeckt hat es?« fragte Streith und legte seine Hand auf Brittas Hand. Er bedauerte jedoch sofort diese Frage, denn sie klang wie die wohlwollende Frage, die ein Onkel an seine Nichte richtet. Frau von Syrman antwortete für ihre Tochter: »Sie hat wenig gegessen, Glück macht auch satt. Erzähle uns doch, mein Kind, was du in der Stadt erlebt hast.«

»In der Stadt habe ich zuerst schlecht Klavier gespielt«, berichtete Britta, »später in der Tanzstunde fand Herr Hilte, daß ich keine Grazie habe.«

»Was Herr Hilte Grazie nennt«, bemerkte Streith, »ist vielleicht nicht leicht zu erraten.«

»Nein, ich tanze wirklich schlecht, es geht eben nicht. Aber Sie, Herr Graf, Sie müssen schön tanzen.«

»Tanzen gehörte früher zu meinem Berufe«, erwiderte Streith. »jetzt habe ich diese Kunst längere Zeit nicht geübt.«

»Nein, nein«, rief Britta, »Sie müssen herrlich tanzen, mit Ihnen könnte ich tanzen.« Und sie sprang auf, rief nach Trine, der Tisch mußte beiseite gestellt werden, denn sie wollte mit Streith tanzen.

»Solch ein Kind«, sagte Frau von Syrman lächelnd und zog die Schleifen an Brittas Kleide zurecht. »So, jetzt geh, kleine Gräfin.« Sie selbst setzte sich an das Klavier und spielte einen Walzer. Streith und Britta tanzten. Durch die geöffneten Fenster klang das Rauschen der Tannen in die Walzermelodie hinein wie der Ton einer großen Baßgeige. Vor den Fenstern standen Trine, Andree, Annlise, Andrees Mutter und Margusch, Andrees Tochter, und schauten dem Tanze zu. Britta konnte nicht genug haben, allein Streith wurde schwindlig, und er mußte sich setzen. Britta saß neben ihm, stark atmend, die Lippen halb geöffnet, die Augen blank. »Das war schön«, sagte sie und lehnte ihr heißes Gesicht an Streiths Schulter, »ich glaube, so tanzt man im Himmel.«

Frau von Syrman spielte jetzt eine leise, süße Melodie. Streith beugte sich zu Britta herab. »Du weinst?« fragte er erstaunt.

»Ja, es ist dumm«, erwiderte sie und wischte sich die Tränen aus den Augen, »ich weiß nicht warum, aber plötzlich wurde alles so traurig.«

Besorgt eilte Frau von Syrman herbei. »Das Kind ist nervös«, sagte sie, »zuviel Glück an einem Tage macht nervös. Wir wollen tüchtig ausschlafen und morgen unserem Freunde ein heiteres Gesicht zeigen.«

Streith verabschiedete sich und ging. Von draußen schaute er noch einmal zurück, am Fenster sah er Brittas Gestalt dunkel gegen das helle Zimmer, der Wind fuhr ihr in die Haare und ließ die krausen Haarsträhnen wie kleine, rege Schatten um ihren Kopf flattern.

*


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