Eduard von Keyserling
Fürstinnen
Eduard von Keyserling

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Auf dem Tennisplatze fand sie eine größere Gesellschaft, Hilda, ihr Bruder der Referendar und Felix waren gekommen, auch die Damen und Herren des Gefolges waren da, die üppige Fürstin Kusmin mit den schönen Augen, dem unreinen Teint und dem großen weichen Munde, das Fräulein von Dietheim, blond und zierlich und so bleich, daß selbst ihre Lippen weiß waren, der Hauptmann von Keck und endlich der prachtvolle Graf Minsky mit seinem klassischen Profil und einer hohen, dünnen Stimme. Marie begrüßte die Angekommenen, küßte Hilda und sagte: »Ich denke, wir fangen an.«

»Du bist verstimmt«, flüsterte Hilda ihr zu.

Marie zuckte die Achseln, und das Spiel begann. Marie spielte heute nachlässig und schlecht.

»Wenn Graf Dühnen die Bälle so perfide serviert«, sagte sie ärgerlich, »dann kann ich keinen Ball machen.«

»Galant, Graf Dühnen serviert nicht galant«, rief Graf Minsky mit seiner hohen, singenden Stimme.

Felix lachte. Wie kenne ich dieses Lachen, dachte Marie. Das Spiel machte ihr heute keine Freude, so gab sie denn vor, es mache sie müde, und man brach ab. Die Gesellschaft stand noch auf dem sonnigen Platze umher und unterhielt sich. Marie nahm Hildas Arm und sprach mit Felix vom Tirnowschen Parke und dem Frühling in Berlin. Dabei begannen sie langsam den Gartenweg hinabzugehen.

Die Fürstin Kusmin schaute den Fortgehenden mit zusammengekniffenen Augen nach und meinte: »Die Prinzessin macht einen kleinen Spaziergang.«

»Ja«, erwiderte Fräulein von Dachsberg leise, »die Prinzessin tut, was ihr gerade einfällt. Es heißt immer: ›Das arme Kind, lassen Sie es doch‹, und wir Hofdamen sind eigentlich nur dazu da, um vermieden zu werden.«

»Ja, so auf dem Lande«, sagte die Fürstin gerührt.

Hilda hatte dem Gespräch zwischen Marie und Felix schweigend zugehört, jetzt sagte sie: »Sind Sie denn noch böse wegen des Servierens der Bälle?«

Marie lachte: »Ach nein, das habe ich verziehen.«

Felix entschuldigte sich, er war es nicht mehr gewöhnt, bei Hof zu servieren.

Marie beugte sich vor und schaute lustig zu ihm auf.- »Wie geht es jetzt mit der Subordination?«

»Ich danke«, erwiderte Felix, »es muß wohl.«

»Schwer wird es dir fallen«, bemerkte Hilda; sie und Felix sagten als Nachbarskinder zueinander du.

»Es kommen einem zuweilen Gedanken«, berichtete Felix, »wenn ich vor dem Kommandierenden stramm stehe und er schnauzt mich an, dann denke ich zuweilen: Was würde geschehen, wenn ich statt ›zu Befehl‹ nur ›Kikeriki‹ sagen würde, nichts weiter als ›Kikeriki‹? Das gäbe doch eine Aufregung in der ganzen Armee, es würde in allen deutschen und ausländischen Zeitungen stehen, es wäre ein Weltereignis.«

»Das werden Sie doch nicht tun«, rief Marie erschrocken.

Felix beruhigte sie: »Nein, das tue ich nicht, ich bin jetzt ein Normalmensch, ein Leutnant. Ein Leutnant tut, was alle anderen Leutnants tun, im Dienste tun sie alle dasselbe, und im Kasino und wenn sie mit Damen sprechen, sagen sie alle dasselbe, und wenn sie Zivil anziehen, haben sie alle blaue Anzüge und gelbe Stiefel. Und wenn ich mich nachts zu Bett lege, weiß ich, daß tausend ganz solcher Herren wie ich, sich zu Bett legen. Das ist so wie mit dem Zinnsoldaten, der weiß auch, wenn er in die Schachtel gelegt wird, daß zwei Dutzend ganz solcher Kerlchen wie er in der Schachtel liegen.«

»Meine Brüder hatten Zinnsoldaten, mit denen ich gern spielte, »erzählte Hilda, »da war einer, bei dem hatte das Zinn nicht gereicht, er hatte ein zu kurzes Bein, den liebte ich besonders, weil er anders war als die anderen.«

Felix seufzte: »Ach, ich glaube, bei mir hat das Zinn auch nicht gereicht, jedenfalls ist mein Vater dieser Ansicht.«

»Und hier zu Hause?« fragte Marie.

»Hier zu Hause versuche ich zu tun, was nur ich tue. Gestern stand ich auf dem großen Rasenplatze im Hofe auf dem Kopfe. Mein Vater fand das unwürdig.«

»Das war es wohl auch.«

Felix zuckte die Achseln: »Nun ja, aber man will doch etwas für seine Persönlichkeit tun.«

»Du kannst ja wieder auf einen Baum steigen und wie eine Taube girren«, schlug Hilda vor.

Felix lachte: »Wozu? Es hört es ja doch nur der alte Gartenwächter.«

Jetzt gingen sie an den Johannisbeerbüschen vorüber. Felixens und Maries Augen trafen sich in einem schnellen Blick des Einverständnisses, und ihre Lippen zuckten.

Dann sagte Felix: »Ich glaube mich zu erinnern, daß hier im Gitter eine Tür ist. Ich würde sie benutzen, um mich hier von den Damen zu empfehlen.«

»Ja, die Tür ist noch da«, sagte Marie und errötete.

Felix nahm Abschied und ging. Die beiden Mädchen schauten ihm nach, wie er die Dorfstraße hinabeilte, schmal und knabenhaft im hellen Tennisanzuge.

»Der geht nicht wie ein Leutnant«, bemerkte Hilda. Dann schlugen sie den Rückweg ein. Nach einer Pause sagte Hilda: »Es ist wahrscheinlich, daß er sich in dich verlieben wird, was wirst du dann tun?«

»Was soll ich tun?« erwiderte Marie ärgerlich.

Aber Hilda fuhr fort: »Männer sind solche Kinder, sie glauben, eine Prinzessin -.«

» Sprich doch nicht so«, unterbrach Marie.

Da schwiegen sie beide, Marie aber dachte an den schnellen Blick des Einverständnisses, den sie mit Felix getauscht. Sie hatte noch nie so in fremde Augen hineingesehen, und es machte sie froh.

Zum Diner war Graf Streith gekommen. Er sprach bei Tisch mit Roxane über die hellen Nächte in Rußland, er war einmal in St. Petersburg gewesen.

Roxane liebte die hellen Nächte nicht. »Ich fürchte mich vor ihnen, meine Fenster können nicht dicht genug verhängt sein, ich habe dann eine solche Sehnsucht nach Dunkelheit.«

»Dunkelheit«, bemerkte die Fürstin, »ist oft so wohltuend, wenn sie alles um uns fortnimmt.«

»Unsere Nächte«, sagte Graf Minsky, »sind nicht zum Schlafen da, sie sind da zum Singen, zum Träumen, zum Flirten.«

»Nun ja«, bemerkte Graf Streith, »man muß in ihnen gesellig sein, sonst machen sie einen zu melancholisch.«

»Sie machen nervös«, flüsterte die Fürstin Kusmin und zog die Augenbrauen zusammen, als gebe schon der Gedanke an diese Nächte ihr Migräne.

Das Fräulein von Dietheim wünschte sich vom Hauptmann von Keck darüber belehren zu lassen, warum die Nächte in Rußland so hell seien. Sie liebte es, sich vom Hauptmann von Keck belehren zu lassen.

»Es wird wohl mit der Sonne zusammenhängen«, murmelte dieser mißmutig.

Da unternahm es Baron Fürwit, die Dame darüber aufzuklären.

Am anderen Ende des Tisches hatte das Gesprächsthema gewechselt, man sprach jetzt von der Gesundheit des Großherzogs von Mecklenburg, die zu Befürchtungen Anlaß gab.

Nach dem Diner wurde nach Mänteln gerufen, die Fürstinnen wünschten in den Garten hinunterzugehen, sie wollten alles tun, was sie einst als Mädchen getan hatten. So wandelten denn die drei Schwestern Arm in Arm den breiten Kiesweg hinab, die Hofdamen folgten ihnen zu zweien.

Die Fürstin trat mit dem Grafen Streith auf die Gartentreppe hinaus. Der Halbmond hing am Himmel, ein lauer Wind raschelte in den Buchsbaumhecken.

»Wie warm es ist«, sagte die Fürstin.

Streith bog den Kopf zurück und atmete den Duft der Nacht ein. »Seltsam warm«, erwiderte er, »am Horizonte weiterleuchtet es.«

Vom Garten her scholl helles Lachen herüber.

»Wie sie lachen, die lieben Kinder«, sagte die Fürstin und legte ihre Hand leicht auf Streiths Arm, »Roxane ist ganz wie ich es erwartet habe, sie geht ruhig und würdig ihren Weg, ein wenig starr ist sie geworden, aber das werden wir ja, wenn wir innerlich wund sind, und der Tod ihres Kindes hat viel Kühle in ihr Leben gebracht. Meine arme Eleonore aber, so liebevoll und liebebedürftig und - was hat sie jetzt?«

Die Stimme der Fürstin wurde klagend und versiegte dann. Streith erwiderte nichts, er stand regungslos da, um die Hand, die auf seinem Arme lag, nicht zu verscheuchen.

»Ich bin froh, Sie bei mir zu haben«, hub die Fürstin wieder an, »aber sehen Sie, zuweilen kommen mir Gedanken, deren ich mich schäme. Ich ertappe mich darauf, froh zu sein, daß ich nicht mehr in jener Welt dort lebe. Das ist unrecht; der Welt, in der meine Kinder leben, darf ich nicht ferne sein, ich muß ihnen doch helfen.«

Als die Fürstin jetzt schwieg und eine Antwort erwartete, sagte Streith langsam, indem er die Worte suchte: »Gewiß, ich meine nur, wenn wir helfen wollen, müssen wir stark sein, und wir sind am stärksten, wenn wir ein wenig glücklich sind.«

»Ich weiß, Streith, ich weiß«, versetzte die Fürstin, ihre Stimme wurde ganz weich, und sie strich mit der Hand sachte über Streiths Rockärmel.

Streith schwieg, diese leichte Liebkosung ergriff ihn zu sehr. Es wurde nichts mehr gesprochen, beide schauten in die Nacht hinaus, ein stärkerer Wind fuhr in die Bäume und ließ sie aufrauschen, am Horizonte wetterleuchtete es, als würden immer wieder Türen zu hellen Sälen auf- und zugemacht. Da entschloß sich Streith, er ergriff die Hand, die auf seinem Arme ruhte, und führte sie an die Lippen. Die kleine, kühle Hand folgte willenlos der seinen.

Die Spaziergänger kamen zurück, denn sie fürchteten das aufziehende Gewitter. Streith war bleich, und die Fürstin hatte feuchte, schimmernde Augen. Einen Augenblick ruhten Roxanes Blicke wie fragend auf den beiden, und die Fürstin wandte sich vor ihnen ab. Jetzt kamen auch die Herren aus dem Rauchzimmer, und die Fürstin Kusmin wurde gebeten, ein wenig zu musizieren. Sie setzte sich an den Flügel und spielte mit großer Bravour und glänzender Technik Liszts zweite Rhapsodie. Alle lauschten andächtig. Die Kaskaden von Tönen, die auf die Zuhörer niederrauschten, machten diese seltsam regungslos, als hielten sie stille unter einer Dusche. Fräulein von Dachsberg saß gerade da, ein starres Lächeln auf den Lippen. Graf Minsky verzog das Gesicht, als hätte er etwas Süßes im Munde. Die Fürstin hatte den Kopf zurückgelehnt, sie hielt die Augen halb geschlossen, und auf ihrem Gesichte lag noch der Ausdruck einer sanften Erregung. Eleonore war einfach schläfrig, sie zog die Stirn kraus, als täte die Musik ihr weh, während Roxane, die Augen weit offen, vor sich hinblickte, wie man in eine Ferne sieht. Marie lag bequem in ihrem Sessel, die Frühlingstage machten ihr die Glieder schwer, sie dachte an Hildas Worte: ›Wahrscheinlich wird er sich in dich verlieben‹; sie dachte sie immer wieder, sie versuchte es, sie dem Rhythmus der Musik anzupassen, und sie entzündeten in ihrem Blute ein leichtes Fieber, das angenehm müde machte. Halb hinter dem Vorhang aber, in der Fensternische, stand Graf Streith, er schaute zu, wie draußen das Frühlingsgewitter aufzog, und sein scharfes Profil, seine mächtige Nase hoben sich dunkel von der mondbeschienenen Fensterscheibe ab.

Nun schlug die Fürstin Kusmin die letzten Akkorde an, stand auf und zog klirrend ihre Armbänder über, die sie vor dem Spiel abgelegt hatte. Eine leichte Bewegung entstand unter den Zuhörern, als erwachten sie. Die Fürstin erhob sich, um der Fürstin Kusmin zu danken, auch die anderen traten hinzu, man stand beisammen und sprach über Musik, bis die Fürstin das Zeichen zum Aufbruch gab.

Die Fürstinnen hatten gewünscht, wieder in dem großen, gemeinsamen Schlafzimmer zu schlafen. Marie ließ sich von Emilie schnell zu Bette bringen, sie wollte wieder wie früher im Halbschlummer daliegen und hören, wie ihre Schwestern sprachen. Die Kammerzofen wurden fortgeschickt, die Fürstinnen in ihren langen Nachtgewändern saßen vor dem großen Toilettenspiegel und unterhielten sich halblaut. Marie konnte auf der Wand ihre Schatten sehen, wie sie sich zueinanderneigten und wieder auseinanderfuhren. Roxanes tiefe Stimme erzählte langsam und eintönig: »Es war jene schreckliche Nacht, in der mein Kleiner starb. Draußen lag ein dichter, weißer Nebel, die Stadt war totenstill, man hörte nur die Schritte der Soldaten, die vor dem Palais auf und ab gingen. Aber wenn man das Fenster öffnete, schien es, als hörte man dort, irgendwo, ganz weit etwas rufen oder schreien. Ich weiß nicht, was es war, aber es klang, als geschähe dort etwas Schreckliches. Mein Kleiner lag in hohem Fieber, und ich hatte mich auf sein Bett gesetzt und hielt ihn in den Armen. Alle, die in das Zimmer kamen, hatten seltsam bleiche Gesichter und angstvolle Augen, und wenn sie an den Fenstern vorübergingen, blieben sie stehen und horchten hinaus. Eudoxia, die alte Wärterin, und die Amme warfen sich immer wieder vor dem Heiligenbild auf den Boden und beteten leise. Die Ärzte kamen und, ich glaube, ein Geistlicher. Dimitri war nicht da. Ich hielt meinen Kleinen im Arm und hörte auf seinen Atem, er ging so schnell, als müsse das arme Kind laufen, immer laufen, und in seiner Brust gab es ein leises Geräusch wie von einer kleinen Uhr, in der etwas gesprungen ist. Und mir war es, als müßte auch ich so schnell atmen, als müßte auch ich laufen mit ihm zusammen, laufen, laufen, und wir beide waren so müde. Und plötzlich wurde es in meinen Armen ganz still, und mir selbst war, als wäre ich irgendwo hingefallen, und es kam eine große, dunkle Ruhe.« Roxane schwieg.

Das ist zu traurig, dachte Marie und drehte sich auf die andere Seite.

Nach einer Weile sagte Eleonore etwas und Roxane antwortete: »Ja, ein großes, schönes Land und die Menschen sind freundlich und liebenswürdig. Wenn nur nicht die Angst wäre, die zuweilen über mich kommt. Weißt du, solch eine Angst wie in Birkenstein, wenn man des Nachts erwachte und an den Turm im Park dachte, mit seinem Verlies, von dem der alte Gärtner erzählte, daß man dort ein Gerippe gefunden habe.«

»Ja, ich weiß«, sagte Eleonore.

Marie wußte das auch, an den alten Turm in Birkenstein jedoch wollte sie nicht denken. Dann mußte sie etwas geschlafen haben, denn als sie wieder die Stimmen ihrer Schwestern hörte, war von anderem die Rede.

Eleonore lachte leise und Roxane sagte: »Was geht da vor? Eine Mutter bräutlich, eine Mutter verliebt, das ist unmöglich.«

Marie war zu müde, um zu verstehen, sie dachte noch einmal: Wahrscheinlich wird er sich in dich verlieben, und schlief dann ein.

*


 << zurück weiter >>