Eduard von Keyserling
Fürstinnen
Eduard von Keyserling

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Die Fürstin und die Baronin Dünhof fuhren am Nachmittage in das Waldschlößchen, der Graf Streith hatte sie zum Tee eingeladen. Die Fürstin trug ein leichtes himbeerfarbenes Kleid und einen Hut, der über und über mit Maiblumen bedeckt war. Sie war sehr heiter, lachte über kleine, unbedeutende Dinge und neckte die Baronin Dünhof mit dem Grafen Minsky. »Wenn er sich zu Ihnen setzte, machte er ganz süße Augen.« Die Baronin übertrieb ihre Entrüstung darüber, um die Fürstin zu unterhalten. »Dieser schreckliche Mensch, er kommt mir vor wie eine Tasse Kaffee, in die man zuviel Zucker getan.«

Im Schlößchen empfing der Graf die Damen am Fuße seiner Treppe und führte die Fürstin in den Gartensaal. »Ich denke, wir gehen zuerst in den Garten«, schlug die Fürstin vor.

Die Gartenwege waren frisch mit einem hübschen, rötlichen Sande bestreut und von Reihen kleiner, feuerfarbener Tulpen eingefaßt, dahinter standen die Rosenstöcke, ein jeder trug an einem weißen Täfelchen seinen Namen. Auf dem Rasenplatz befanden sich runde Inseln voll weißer und roter Tulpen und voll Hyazinthen. Das kleine Wasserbecken aber, in dessen Mitte ein Triton aus seiner Muschel einen dünnen Wasserstrahl in die Luft blies, umgab ein dichter Kranz weißer Narzissen. In der hellen Frühlingssonne leuchteten die Farben lustig auf, als sei alles frisch gewaschen und beginge hier in dem stillen Garten einen Festtag.

»Ach, Streith, schön, schön«, sagte die Fürstin, und die Baronin Dünhof rief begeistert aus: »Wie gemalt!«

Streith erklärte seine Rosen: dieses war der Sultan von Sansibar, diese die Baronin Rothschild, hier Madame de Récamier. Streith hoffte, sie würden dieses Jahr zu gleicher Zeit blühen, und dann wollte er sie Ihrer Hoheit vorführen. »Ja, dann komme ich«, sagte die Fürstin, »ich weiß nicht, ich habe doch auch Tulpen und Narzissen und Rosen, aber bei uns sind sie fern und fremd, der Gärtner stellt sie in die Vasen, aber wir gehen vorüber und riechen einmal an ihnen, das ist alles. Hier bei Ihnen sind sie so wesenhaft, sie stehen beieinander wie eine vornehme Gesellschaft, in der man gern ›,reçu‹ sein möchte.«

»Das ist nicht leicht«, meinte Streith, »Blumen sind sehr exklusive Wesen, es ist nicht möglich, ihnen nahezukommen, sie halten uns immer in Distanz. Zuweilen beschleiche ich die Tulpen abends, fasse sie an, aber wie abweisend sind dann die geschlossenen, feuchten Kelche. Ich kann sie wohl brechen, aber das ist dann rohe Gewalt, sie dulden still und vornehm wie die Aristokratinnen, die zur Guillotine geführt wurden.«

»Nein, nein«, versetzte die Fürstin, »Sie sind mit Ihren Blumen befreundet.«

Der kleine Blumengarten, flach wie ein buntes Schachbrett, wurde von einer Wand blühender Fliedersträucher abgeschlossen, hinter denen der Obst- und Gemüsegarten lag.

»Natürlich will ich den Gemüsegarten sehen«, sagte die Fürstin, »alles will ich sehen. Wo sind Ihre Igel?«

»Die schlafen bei Tage«, erwiderte Streith, »die Nachtschwärmer.«

Die Obstbäume standen in Blüte, und die windstille Luft war voll langsam und lautlos zur Erde niederflatternden, weißen Blütenblättern.

Streith stellte seine Bäume vor: »Dies sind die Reinetten, dies die Gravensteiner, hier die Kaneelbirnen, die einen eigentümlichen Rokokogeschmack haben, hier die Spalierbirne.«

»Wie wohlerzogen das alles aussieht«, meinte die Fürstin, »sehen Sie, Dünhof, die Gemüsebeete, wie mit dem Lineal gezogen. Es war mir nie aufgefallen, daß Gemüsebeete so hübsch sein können.« Die Fürstin ließ Streiths Arm los, um zwischen den Gemüsebeeten entlang zu gehen. »Da sind ja Kohlpflänzchen und Erbsen. Dieses sind wohl Karotten - essen Sie Karotten? Ich esse sie nicht.«

»Doch«, erwiderte Streith, »sehr weich gekocht und ganz jung haben sie einen leichten Aprikosengeschmack.«

Die Fürstin legte ihr Lorgnon vor die Augen und beugte sich tief auf das Beet hinab. »oh, wirklich«, meinte sie, »aber das sind vielleicht nur Ihre Karotten.«

»Hier ist eine neue Sorte weißer Erdbeeren«, erklärte Streith, »und dort die Spargel, denen der Gärtner und ich eine besonders liebevolle Aufmerksamkeit widmen.«

»Und dort sind die Treibbeete«, rief die Fürstin, »die muß ich auch sehen. Wie hübsch glatt die kleinen Wege zwischen den Beeten sind, wie zum Tanzen.« Die Fürstin machte einige gleitende Tanzschritte und lachte. Die Treibbeete lagen auf einem Hügel, die Glasfenster waren geöffnet, und dort sonnten sich die Radieschen, die Gurken- und Melonenpflanzen. Die Fürstin setzte sich auf den Holzrand eines Treibbeetes und atmete wohlig den scharfen Duft ein, der ringsumher von den Kräutern aufstieg. »Wie warm es hier ist und wie gemütlich«, sagt sie, »wenn ich Sorgen habe, möchte ich hier sitzen, es ist hier so friedlich, man sitzt hier wie unter guten Menschen. Geben Sie mir doch auch eines Ihrer Radieschen zu kosten.«

Vorsichtig zog Streith einige Radieschen aus dem Beete, ging zum Brunnen, um sie abzuspülen und bot sie den Damen an.

»Köstlich, köstlich«, rief die Fürstin, »ich glaube, das schmeckt auch ein wenig nach Aprikosen, nicht wahr, liebe Dünhof?«

Nun war es Zeit, wieder in das Haus zu gehen. Im Gartensaal wurde der Tee serviert. Die Fürstin lehnte sich in die Sofaecke zurück, die Sonne hatte sie erhitzt, ihre Augen glitzerten, und ihr Gesicht trug einen angeregt jugendlichen Ausdruck, der es verschönte. »Vorigen Tag sprachen Sie, lieber Graf, davon«, begann sie sinnend, »daß wir uns mit dem Leben befreunden, ja, Sie können das, Sie wohl. Als ich jung war, stand ich mit dem Leben wie mit einer Gouvernante und später wie mit einer Oberhofmeisterin.«

Streith lachte. »Nun, bei aller Freundschaft«, versetzte er, »behalten wir doch einiges Mißtrauen. Ich war als Knabe sehr mißtrauisch. Wenn meinem Bruder und mir etwas Angenehmes bevorstand, ein Spaziergang oder ein festliches Essen, dann freute sich mein Bruder aufrichtig, in mir aber stiegen dunkle Ahnungen auf: wahrscheinlich wird es regnen, wahrscheinlich werden die Erwachsenen unfreundlich sein, oder die Stiefel werden drücken, wahrscheinlich wird der Kuchen so schwer sein, daß wir ganz wenig davon bekommen werden. Ich weiß, daß dieses meinen Bruder zur Verzweiflung brachte, er klagte meiner Mutter, ich verdürbe ihm die Freude. Ich wurde bestraft, durfte nicht mit auf den Spaziergang oder bekam keinen Kuchen.«

»Der arme kleine Donalt«, sagte die Fürstin mitleidig.

Streith jedoch fand das ganz richtig, Kinder müssen lernen, sich zu freuen.

»Es gibt aber doch nichts Traurigeres«, meinte die Baronin, »als ein enttäuschtes Kind.«

»Und Kinder sind immer enttäuscht«, versetzte die Fürstin lebhaft, »seltsam, jeder von uns ist ein Kind gewesen, und doch verstehen wir Kinder so wenig wie Blumen. Jeder von uns erinnert sich doch, daß er als Kind von den Erwachsenen mißverstanden wurde.«

»Ja, merkwürdig«, bestätigte Streith und griff nach einem Teller mit Sandwiches und bot sie der Fürstin an. »Wollen Hoheit nicht diese Sandwiches versuchen, sie sind eine eigene Erfindung meiner Frau Buche.«

Die Fürstin nahm eins der Brötchen und sah es aufmerksam an. »Enttäuscht Frau Buche Sie nie?« fragte sie, »ich meine so mit Hechtkoteletten und Sandwiches.«

»Nie«, antwortete Streith. »Mit den Jahren finden wir denn doch dieses und jenes im Leben, auf das wir uns verlassen können, so einige treue Bundesgenossen.«

»Ein Bundesgenosse ist gut«, sagte die Fürstin und ließ die Worte gefühlvoll klingen. »Drüben in Birkenstein, da hatte ich auch einen treuen Bundesgenossen.«

Die Baronin schlug die Augen nieder und drückte sich tiefer in den Sessel hinein, als wollte sie ihre Gegenwart vergessen machen.

Streith lächelte feierlich und blickte auf den Mund der Fürstin, auf die schmalen, sehr roten Lippen und auf die feinen Striche, die sich von den Mundwinkeln abwärts zogen und diesem Munde etwas Rührendes und Pathetisches gaben. Keiner sprach eine Weile, es war, als sollte die Bedeutsamkeit der letzten Worte nicht verwischt werden. Die Fürstin begann langsam den Sandwich zu essen, den sie in der Hand hielt. Endlich sagte sie: »Jetzt, Graf, müssen Sie uns etwas vorspielen, das gehört noch dazu.«

Gehorsam stand Streith auf und ging an das Klavier. Er begann zu spielen. Schumanns »Glückes genug«. Er spielte ganz leise und zart, und in den verhaltenen Jubel dieser Melodie mischte sich das leidenschaftliche Pfeifen eines Stares, der auf der Kastanie vor dem Fenster saß.

Ein leises Geräusch am offenen Fenster ließ Streith von den Tasten aufsehen.

Britta stand da vor dem Fenster, den Filzhut im Nacken, das dunkle Haar in die Stirn hängend. Sie lachte, Streith sah deutlich den weißen Glanz ihrer Zähne. Dann warf sie etwas in das Zimmer und verschwand.

»Wer ist das?« riefen die beiden Damen und fuhren mit den Lorgnons an die Augen.

Streith ging an das Fenster, er fühlte, daß er errötete wie ein Knabe.

»Vorübergehende Kinder«, sagte er, »ein Unfug, ich muß die Bank vor dem Fenster fortnehmen lassen.«

»Das sind ja Veilchen, die Ihnen hereingeworfen werden«, rief die Fürstin, »also eine Ovation.«

Streith hatte sich gefaßt und wandte sich wieder den Damen zu. »Dieses Mal sind es Veilchen«, meinte er, »ein anderes Mal weniger willkommene Dinge.«

»War das nicht die Tochter dieser Walddame?« fragte die Baronin, »dieser Frau von Syrman?«

»Ich kenne diese Leute nicht«, antwortete Streith, trocken und bestimmt. Er setzte sich wieder an seinen Platz, tat, als sei der Vorfall nicht der Beachtung wert, obgleich er ihn so stark erregte, daß ihn fröstelte. Man sprach von gleichgültigen Dingen, vom Klavierspiel der Fürstin Kusmin, vom russischen Hofe, und dann brachen die Damen auf.

»Ich danke Ihnen, Streith«, sagte die Fürstin, »ich komme bald wieder.«

Auf der Fahrt schwieg die Fürstin und versank in tiefe Gedanken. Nur kurz vor dem Schloß legte sie ihre Hand auf die Hand der Baronin und sagte: »Gertrud«, in innigen Augenblicken nannte sie die Baronin Gertrud, »ich glaube, ich bin mit mir einig.«

»Gott sei Dank«, flüsterte die Baronin.

Streith ging unterdessen in seinem Gartensaale auf und nieder und ließ seinem Ärger freien Lauf. Nein, das war nicht möglich, diese Leute, die sich an ihn gehängt hatten, wurden ja zu einer Gefahr. Das konnte so nicht weitergehen. Er wollte gleich mit dem Mädchen ein ernstes Wort reden. Er rief Oskar, befahl ihm, Hut und Stock zu bringen, und auf die Veilchen, die am Boden lagen, weisend, sagte er: »Nehmen Sie das fort.«

Er schlug den kürzesten Weg zum Forsthause ein. Während er schnell vorwärts ging, begann er im Geiste schon Britta zu schelten, sie hatte ihm einen argen Streich gespielt. Gerade als die Stimmung harmonisch und weihevoll wurde, mußte sie mit ihren verdammten Veilchen kommen. Aus einem Tannendickicht in der Nähe des Forsthauses leuchtete etwas Blaues hervor, es war Brittas Kleid. Zur Erde niedergebeugt, sammelte sie dort etwas in ihre Schürze hinein. Streith ging auf sie zu. »Guten Abend«, schnarrte er.

Britta richtete sich jäh auf, sie errötete, und auf ihrem Gesichte malten sich Schrecken und Angst so deutlich wie auf dem Gesichte eines Kindes. Regungslos blieb sie stehen und schaute Streith an.


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