Eduard von Keyserling
Fürstinnen
Eduard von Keyserling

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Die Fürstin war zurück, und das Leben ging wieder seinen ordnungsmäßen Gang. Wie gewohnt, versammelte man sich nach dem Diner im Gartensaal. Die Baronin Dünhof spielte Halma mit dem Baron Fürwit, und die Fürstin saß an der geöffneten Gartentüre, neben ihr Graf Streith, der sie unterhielt.

»Ach Graf«, sagte die Fürstin langsam, als täte es ihr wohl, die Worte träge verklingen zu lassen, »wie gut tut es, wieder zu Hause und in seiner Ruhe zu sein. Ich tauge nicht mehr für das Hofleben, diese Welt der kleinen Wichtigkeiten macht mich müde und interessiert mich nicht.«

»Gewiß«, bestätigte der Graf und schlug dabei die Augen nieder, so daß es aussah, als säße er mit geschlossenen Augen da, »dort ist es ein eintöniges Stakkato prestissimo. Wir haben hier doch unsere ruhevollen Orgelpunkte.«

»Das klingt hübsch«, meinte die Fürstin, »aber es soll vielleicht nicht sein. Meine Schwägerin, die Herzogin, fragte mich, ob es nicht schwer sei, die für die Erziehung der Mädchen nötige Etikette aufrechtzuerhalten. Du lieber Himmel, die gute Dünhof tut ja, was sie kann, aber ich fürchte, unsere arme Etikette würde vor der Herzogin nicht bestehen. Was wollen Sie, hier auf dem Lande wird man bequem und ein wenig feige.«

Der Graf lachte leise. »Ja, ja, ich habe auch wieder unsere Helden des Hoflebens bewundert, und zu denken, daß man selbst solch ein Held gewesen ist.«

»Sehen Sie«, fuhr die Fürstin nachdenklich fort, »mir kamen diese Leute alle vor wie kostbare Dinge, die immer in einem Etui stecken. Ich war auch einmal solch ein Wesen, das nie aus einem Etui herauskam. Nun, jetzt bin ich aus dem Etui herausgenommen worden, das ist vielleicht unrecht, aber es tut wohl.«

Der Graf beugte sich ein wenig vor und sagte mit gedämpfter Stimme: »Es gibt vielleicht doch einen Augenblick, in dem wir ein Recht auf unser eigenes Leben haben.«

Die Fürstin sah ihn ruhig freundlich an. »Jetzt haben wir einige stille Wochen vor uns«, meinte sie, »die wollen wir genießen, unseren, wie sagten Sie doch, Orgelpunkt. Später kommt wieder Unruhe, mein Neffe, die Verlobung, die Jagd. Morgen, denke ich, will ich wieder reiten.« Sie lehnte sich in den Sessel zurück, starrte in die schwarze Stille der Nacht und strich sacht mit der einen Hand über die andere, als seien die Hände einander dankbar. »Ach Graf«, sagte sie, »wie die Levkoien heute stark duften.«

Marie ging mit Eleonore in den Garten hinunter.

Jetzt wollte sie es sein, die mit der Schwester vertrauliche Gespräche hatte, und sie wußte es, Eleonore hatte ihr Wichtiges anzuvertrauen. Mademoiselle Laure, die, weiß es Gott woher, stets alles zuerst erfuhr, hatte Marie mitgeteilt, Eleonores Verlobung mit dem Vetter Joachim aus Neustatt-Birkenstein sei eine abgemachte Sache. Im Oktober sollte der Erbprinz nach Gutheiden kommen, und dann würde die Verlobung bekanntgegeben werden. Das war es, was Marie von Eleonore hören wollte. Diese jedoch blieb einsilbig und traurig. Natürlich, Marie war auch traurig, weil Roxane ihnen fehlte, allein das war kein Grund, um sich nicht zu unterhalten. So erzählte sie denn zuerst von sich, von ihrer Einsamkeit und wie wichtig Fräulein von Dachsberg und der Major es bei Tische gehabt hatten, und wie Fräulein von Dachsberg sich bei der Spazierfahrt zurückgelehnt hatte, als sei sie die Fürstin. Als dann jedoch Eleonore noch immer schwieg, ärgerte sich Marie. »Ich verstehe nicht, Lore«, sagte sie, »warum du es mir nicht sagst, daß du mit dem Vetter Joachim verlobt bist.«

»Du erfährst es bald genug, Kleine«, erwiderte Eleonore gelassen.

»Also ist es wahr?« versetzte Marie, »jedenfalls ist es verletzend, daß ich alles erst durch Mademoiselle Laure erfahren muß. Und dann, Roxane und du, ihr habt so eine Art zu tun, als sei eine Verlobung etwas Trauriges.«

»Sie ist etwas Ernstes«, meinte Eleonore. Marie wurde nachdenklich. Ja, das gab sie zu, vielleicht war eine Verlobung etwas Ernstes.

Ob nun die Verlobung etwas Ernstes war oder nicht, jedenfalls änderte sie vorläufig nichts an der Eintönigkeit des Lebens in diesen Spätsommertagen, mit ihrem stetig blauen Himmel und ihrem grellen Sonnenschein. Am Morgen ritt die Fürstin mit Eleonore aus. Marie durfte nicht reiten, der Arzt hatte es verboten. Trübselig stand sie auf der Freitreppe und sah zu, wie hübsch die beiden Gestalten in dunkelblauen Reitkleidern, die kleinen blanken Reithüte auf dem Kopfe, die Schleier im Winde wehend, in den sonnigen Morgen hinausritten. Sie folgte ihnen mit den Augen, bis auch die letzte Spur des blau und silbernen Rückens des folgenden Reitknechts hinter den Parkbäumen verschwunden war. Die Fürstin liebte es, in scharfem Trabe den Reitweg hinab bis an die Parkpforte zu reiten, dann bog man in die junge Föhrenschonung des Waldes ein. Die Luft hing noch voll glitzernder Feuchtigkeit, die angenehm kühlend in das Gesicht wehte. Zu beiden Seiten des Rasenweges standen die kleinen Bäume wie grünblaue Kandelaber, die Waldwiesen waren noch grau von tauschweren Spinnweben. Die Fürstin wurde auf solchen Morgenritten ganz jugendlich erregt.

»Kind«, rief sie, »ist das nicht schön? Kann es etwas Schöneres geben! Warum antwortest du nicht?« Leichte Röte stieg in ihre Wangen, und ihre Augen wurden feucht. Eleonore bewunderte die Natur, sie bewunderte vor allem ihre Mutter. In ihrer stillen und ruhigen Gemütsart jedoch begriff sie nicht, daß man sich darüber so aufregen konnte.

An einer Biegung des Weges erwartete sie Graf Streith. Sehr gerade saß er auf seinem großen Falben und grüßte, indem er die schwarzsamtene Jockeikappe bis auf den Sattelknopf herabsenkte. »Ach Graf«, rief die Fürstin, »ist dieser Morgen nicht wundervoll? Diese Luft und dieses Licht machen einen betrunken.«

Der Graf schloß sich den Damen an, er hatte eine hübsche zeremoniöse Art neben der Fürstin hinzureiten, und auch der Falbe trabte vorsichtig und aufmerksam. Der Weg wurde hier breiter, und die Fürstin kommandierte Galopp. In kurzem Galopp ging es nun an hohen Tannen hin, aus denen der Morgenwind blanke Tropfen auf die Reiter niederstreute. Die Fürstin gab sich ganz der Bewegung hin, lächelte dem Luftzug und dem Lichte mit einem seltsam verträumten Lächeln zu. Endlich zog sie die Zügel an, und die Pferde fielen in Schritt. »Das war gut«, sagte sie und atmete tief auf, »so trinkt man noch am besten die ganze Schönheit in sich hinein.«

»Ja, hm«, meinte der Graf, »der Wald als Frühschoppen, sehr gut.« Eine Weile ritten sie schweigend nebeneinander her, dann begann die Fürstin sich mit dem Grafen zu unterhalten: »Sie waren gestern nicht zum Diner. Was haben Sie den Abend über getan?«

»Ich feierte ein Einsamkeitsfest«, erwiderte der Graf.

»Wie ist das?« fragte die Fürstin.

»Nun, ich lasse alle Lampen in meinem Salon anzünden«, berichtete der Graf, »und gehe in den Garten hinaus. Gestern gab es keine Sterne, und die Nacht war so dunkel, daß ich mich nur nach dem Duft der Blumen in den Wegen zurechtfand. Das ist sehr hübsch, man hört, wie die Frühbirnen auf den Rasen fallen, und ringsherum raschelt es wie Schritte auf weichen Sohlen, das sind meine Igel, die auf die Mäusejagd gehen. Und wenn ich zum Hause hinübersehe, dann glänzen die Fenster, und ich stelle mir vor, dort sitzt jemand und wartet auf mich. Das sind so die Phantasien eines Einsamen.«

Die Fürstin erwiderte nichts, beugte sich ein wenig nieder und klopfte zärtlich den Hals ihres Pferdes. Eleonore hörte dem Gespräch schweigend zu, und sie hatte das Gefühl, daß die beiden sie ganz vergessen hatten.

Marie durfte während dieser Zeit mit Fräulein von Dachsberg einen Spaziergang durch den Wald machen. Der Wald erschien ihr unendlich öde und uninteressant. Die Pilze am Wege hatten keinen Humor, und die Eichhörnchen auf den Zweigen schienen leblos wie die Eichhörnchen auf den Tafeln der Naturgeschichte, die Marie als Kind so oft an langweiligen Sonntagnachmittagen mit schläfrigen Augen betrachtet hatte. Fräulein von Dachsberg führte die Unterhaltung: »Wenn meine Mutter«, erzählte sie, »mich einmal morgens in den Wald mitnahm, das war eine Seligkeit, ich fühlte mich so belebt, geradezu ausgelassen war ich, und ich bestürmte meine Mutter mit Fragen, alles wollte ich wissen, über alles wollte ich mich belehren lassen.«

Marie zog die Augenbrauen hoch, nein, sie war entschlossen, nicht eine einzige Frage an Fräulein von Dachsberg zu richten. Sie verstand sich dann schon eher mit dem Lakaien Friedrich, der schläfrig und gleichgültig hinter ihnen hertrottete. Sonst war kein Vergnügen für diese Zeit in Aussicht. Um die Mittagsstunde saßen die Prinzessinnen unter dem Pflaumenbaum, allein die Luft hier mit ihren Düften und Tönen erinnerte Marie schmerzlich an Felix. Sie wartete gespannt darauf, daß die Dühnenschen Jungen draußen am Gitter vorübergingen, und wenn sie kamen und Felix lächelte und grüßte, dann wurde ihr das Herz ganz warm.

Die Fürstin erzählte abends beim Diner, der Wächter habe vorige Nacht aus der großen Linde vor dem Hause einen Ton wie das Girren einer Taube gehört. Als er das näher untersuchte, habe sich herausgestellt, daß oben im Baume einer saß. Der Wächter habe sich den Mann heruntergeholt, und da war es kein anderer als Felix Dühnen. Die Gräfin war heute im Schlosse gewesen, um sich ihres Sohnes wegen zu entschuldigen. Die arme Frau hat viel Sorge mit dem unbändigen jungen Menschen.

»Mit diesem jungen Herrn«, meinte der Graf Streith, »wird sie noch so manches erleben, und da hilft die übermäßige Strenge des Vaters auch nichts.«

Marie beugte sich tief auf ihren Teller, sie fühlte, wie das Blut ihr heiß in die Wangen schoß, sie hatte Lust zu lachen, und doch schnürte eine seltsame Rührung ihr die Kehle zu.

*


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