Eduard von Keyserling
Fürstinnen
Eduard von Keyserling

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Für den 20. August pflegte jedes Jahr eine Einladung aus Schlochtin zu kommen, an diesem Tage wurde der Geburtstag der Baronin von Üchtlitz gefeiert. Die Fürstin liebte diese Einladung nicht. »Die Baronin«, meinte sie, »ist eine kluge und erfrischend lebensvolle Frau, aber das ganze Treiben dort ist mir für meine Töchter zu, wie soll ich sagen, zu weitherzig.« Dieses Mal kam die Einladung ihr besonders ungelegen, denn sie behauptete in letzter Zeit fanatisch verliebt in ihre Ruhe zu sein. Allein die Üchtlitzens durften nicht verletzt werden, so wurde denn beschlossen, daß die beiden Prinzessinnen in Begleitung der Baronin Dünhof und des Barons Fürwit der Einladung Folge leisten würden.

»Endlich geben wir auch ein Lebenszeichen von uns«, sagte Marie während des Ankleidens zu Alwine. Der Landauer stand vor der Türe, der Baron Fürwit trippelte unruhig auf der Freitreppe hin und her und schaute immer wieder nach der Uhr. Auch die Prinzessinnen waren zur Abfahrt bereit in ihren blauen Sommerkleidern, Korallenschnüre um den Hals.

»Bitte Exzellenz«, sagte Marie, »verträgt es sich eigentlich mit der Etikette, daß man Prinzessinnen warten läßt?«

Baron Fürwit schmunzelte. »Lizenzen des Landlebens«, erwiderte er.

»Gut«, sagte Marie, »darauf werde ich mich nächstens auch berufen.« Der Baron lachte, so daß sein kleines Gesicht ganz kraus wurde, er fand Prinzessin Marie sehr witzig. Endlich kam die Baronin Dünhof, und man konnte abfahren.

Während der Fahrt besprachen der Baron und die Baronin, welche Maßregeln sie treffen würden, um die Prinzessinnen vor Gefahren zu schützen, die dort ihrer warten mußten. Das klang wie ein fein durchdachter Plan. Marie hörte dem gelangweilt zu. Diese Vorsichtsmaßregeln allein konnten einem die Freude an der Ausfahrt schon verleiden.

Der Wagen fuhr nicht beim Schlosse vor, sondern bog auf eine Wiese ein, in deren Mitte ein Lindenwäldchen stand, dort sollte der Tee genommen werden. Die Wiese und das Wäldchen waren voll Menschen, voll bunter Kleider, bunter Bänder, bunter Hüte, und in dem Grün des Gehölzes, in dem Gold der Nachmittagssonne nahmen all die Farben einen hübschen Edelsteinglanz an. Vor dem Wäldchen hatte sich die Familie Üchtlitz aufgestellt, die Baronin mit ihren drei Töchtern, Henriette, Marga und Hilda, aufrechte, helle Gestalten, blond und rosig, hinter ihnen die Söhne des Hauses, der Assessor, der Referendar und der Leutnant, auch mächtige, breite Gestalten mit großen Schnurrbärten und Backenbärten, und mitten unter dieser kraftvollen Familie erschien der Baron Üchtlitz selbst, grauhaarig und etwas gebeugt, seltsam alt und gebrechlich.

Als der Wagen hielt, erschien auf allen Gesichtern ein freundliches, ein wenig starres Lächeln, und Marie fühlte, daß auch auf ihrem Gesicht dieses freundliche, ein wenig starre Lächeln sich zeigte. Sie war zufrieden damit, denn nun wußte sie, das Prinzessinnensein würde ihr heute mühelos gelingen. Auch bei der Begrüßung fiel ihr zur rechten Zeit etwas ein, das sie sagen konnte, sie bewunderte die Wiese und die Linden und fand, daß all die bunten Farben sich sehr schön im Grün ausnahmen. Nur eines war störend, neben sich hörte sie Eleonores ruhige, angenehme Stimme, die fast dasselbe sagte wie sie.

»Ich denke wir machen einen kleinen Rundgang«, schlug die Baronin Üchtlitz vor, »die Aussicht ist hier so hübsch.«

Langsam gingen sie über die Wiese um das Wäldchen herum, voran die Baronin Üchtlitz mit Eleonore, Marie folgte mit Henriette Üchtlitz, die Baronin Dünhof ging mit Marga Üchtlitz. Entschlossen sprachen alle vom Wetter. Sie hatten schon gefürchtet, ein Gewitter würde das Fest stören, aber nun war der Himmel ganz klar, das Wetter war ja in diesem Sommer so beständig, man konnte wohl auch auf einen schönen Herbst rechnen, darin waren sie alle einig. Auf der Wiese standen Herren und Damen beisammen, man hörte laute Stimmen, zuweilen ein helles Auflachen. Wenn die Prinzessinnen vorübergingen, schwiegen die Gespräche, es wurden tiefe Verbeugungen gemacht, eine und die andere Dame kam heran, um die Prinzessinnen zu begrüßen. Da war die Gräfin Dühnen, im bleichen, kränklichen Gesichte doch Felixens eigensinnig lustigen Mund, die schöne Frau Staatsanwalt von Böse verneigte sich tief, ein zartes Figürchen im roten Seidenkleide, das Gesicht durchsichtig weiß, die Augen unnatürlich groß und dunkel, und der hellrote Mund klein und böse. Mademoiselle Laure hatte gesagt, die Frau Staatsanwalt habe einen schlechten Ruf, und Marie sah sie neugierig an. Mitten auf der Wiese standen die Pfarrerstöchter in rosa Musselinkleidern, große Schäferhüte auf dem Kopfe, runde, lachende Gesichter, es war, als beglückte es sie, so schöne Farbenflecke in der Natur zu sein. Zu Marie und Henriette Üchtlitz hatte sich jetzt der Landrat Graf Krüden gesellt, er trug einen goldenen Kneifer, und sein Bart, braunrot wie Kapuzinerkresse, wehte im Winde. Er erzählte von der Hitze in Berlin, er tat das wohl mit viel Humor, denn er lachte beständig dabei, auch Marie und Henriette lachten, und die Vorübergehenden glaubten, daß sie sich sehr gut unterhielten. Am Ende der Wiese wurde haltgemacht, man wollte die Aussicht bewundern. Weit und eben lag das Land da, Stoppelfelder, gemähte Wiesen, hie und da ein Haferfeld, auf kleinen Anhöhen standen Windmühlen ganz im Sonnenschein, graue Ungeheuer mit riesigen Libellenflügeln. Ganz weit aber in goldenem Dunste erblickte man den Kirchturm des Städtchens.

»Wie schön«, sagten die Damen, »wie weit man sieht!«

Der Landrat wurde pathetisch: »Ja, meine Damen, es ist doch ein schönes Ländchen, dieses unser Vaterland. Sehen Sie, hier ist kein Fleckchen, das nicht von dem Fleiße der Bewohner spricht.«

»Ein erhabener Anblick«, meinte die Baronin Dünhof.

Nun war es jedoch Zeit, zum Wäldchen zurückzukehren, um den Tee zu nehmen. Auf dem Rasen unter den Linden waren Polster ausgelegt und Decken ausgebreitet worden. Für die älteren Damen und die Prinzessinnen standen Stühle und kleine Tische bereit. Unter dem Laubdach war es ein wenig schwül, schräg fielen die Sonnenstrahlen durch die Stämme, und fuhr ein Windhauch in die Bäume, dann regneten weiße Blüten auf die Gesellschaft nieder, hingen sich in die Haare der Damen und Bärte der Herren, und ein schwüler, süßer Duft senkte sich danieder. Diener reichten Tee und Sandwiches herum, die Gesellschaft auf den Polstern und Decken schien heiter, überall war gedämpftes Lachen vernehmbar, zuweilen wagte eine der Pfarrerstöchter einen schrillen, kleinen Schrei, weil der Leutnant von Üchtlitz gar so tolle Sachen erzählte. Den Prinzessinnen widmeten sich die Töchter des Hauses. Bei Marie war Henriette von Marga abgelöst worden, und diese erzählte von ihren Hunden, und als auch sie sich etwas mit dem Tee zu schaffen machen mußte, wollte Henriette Hilda zu der Prinzessin schicken. Hilda jedoch weigerte sich, Marie sah es deutlich, sie schlug es rund ab. Natürlich, dachte Marie, wir sind wie langweilige Kranke, bei denen man ungern dejouriert.

Der Landrat schlug jetzt vor, ein wenig zu singen, »denn«, sagte er, »eine Landpartie ohne Gesang ist wie eine Frau ohne Seele.«

»Ich kenne keine Frau ohne Seele«, äußerte der Rechtsanwalt von Bärensprung, der schön und düster wie Hans Heiling aussah.

»Bravo«, sagte eine Frauenstimme. Die Frau Staatsanwalt wurde gebeten, zuerst etwas vorzutragen. Sie lehnte sich an einen Buchenstamm, verschränkte die Finger der herabhängenden Hände lose ineinander und schlug die Augen nieder. So stand sie einen Augenblick da wie ein kleines, befangenes Mädchen, dann plötzlich schlug sie die Augen auf, groß und dunkel wie das Schicksal, und begann mit einer schönen Altstimme zu singen: »Vorrei morir nella stagion' del anno.« Sie sang sich in eine so leidenschaftliche Klage hinein, daß die Gesichter der Zuhörer ernst und ein wenig betroffen dreinschauten.

Was hat sie, daß sie so singt? dachte Marie. Ist es, weil sie einen schlechten Ruf hat? Jedenfalls ist es unerträglich traurig. Marie fürchtete weinen zu müssen. Als das Lied aus war, riefen die Üchtlitzschen Söhne sehr kräftig: »Bravo!« Die Gräfin Dühnen aber sagte zur Baronin Dünhof: »Bühne.«

»Das war herrlich«, rief der Landrat, »aber meine Damen und Herren, nach soviel Wehmut wollen wir uns das Herz mit einem patriotischen Liede stärken«, und er stimmte an: »Deutschland, Deutschland über alles.« Kräftig fiel der Chor ein, und das Lied erklang so laut über die Wiese, daß drüben im Schlosse die Hunde zu bellen begannen.

Nach dem Liede zerstreute die Gesellschaft sich im Gehölz. Es schienen dort Spiele gespielt zu werden, denn Lachen und Rufe wurden laut, und die Pfarrerstochter Johanna schlüpfte durch die Büsche, ihr folgte der Leutnant Üchtlitz, um sie zu fangen.

»Die Jugend unterhält sich«, sagte die Gräfin Dühnen.

»Ja«, erwiderte Marie und versuchte es, auch so nachsichtig zu lächeln wie die Gräfin, ihr war aber recht bitter zumute.

Endlich kam Hilda, die Wangen gerötet, das Haar voller Lindenblüten. Sie setzte sich zu Marie, lachte und sagte: »Nun, Prinzeßchen.«

Marie mußte auch dieses schöne, lebensvolle Gesicht anlachen, aber dann sagte sie melancholisch: »Sie wollen gewiß lieber zu den anderen gehen, statt hier zu sitzen.«

»Nein«, erwiderte Hilda bestimmt, »bisher war es langweilig, das weiß ich, nach dem Souper aber wird es besser werden, da gibt es Feuerwerk, da wollen wir entschlüpfen.«

»Entschlüpfen?« fragte Marie.

»Gewiß«, bestätigte Hilda, »wir treiben uns im dunklen Park umher, da erlebt man manches.«

»Wenn es geht«, meinte Marie zaghaft.

»Es muß gehen«, sagte Hilda fest. »Wir müssen nur nicht daran denken, was die anderen später dazu sagen werden. Wir tun, was wir wollen.«

»Tun, was wir wollen«, wiederholte Marie und schaute Hilda bewundernd an.

Die Sonne ging unter, und die Baronin von Üchtlitz bat ihre Gäste, in das Schloß hinüberzugehen. Purpurnes Licht ergoß sich über die Wiese, breitete eine plötzliche Festlichkeit über das Land. Pfarrers Johanna streckte die Arme aus und sprang mit beiden Füßen in die Höhe, sie nannte das ein Sonnenuntergangsbad nehmen. Die Frau Staatsanwalt aber trieb es zu laufen, ein rotes Figürchen im roten Lichte, der Rechtsanwalt schaute ihr begeistert zu. »Du, Üchtlitz«, sagte er zum Referendar, »sieht sie nicht aus wie eine kleine Flamme, von der all dies hübsche Licht ausgeht?«

Üchtlitz lächelte spöttisch: »Gefühlvoll, mein Alter, was? Na ja, so was vom Irrwisch hat sie.«

Das Schloß war hell erleuchtet und das Souper stand bereit. Die Soupers in Schluchtin waren gefürchtet, weil es dabei allzuviel zu essen gab. Der Graf Streith pflegte zu sagen: »Ich bin den Soupers bei Üchtlitzens nicht gewachsen, ich kann es, was essen betrifft, mit diesem Enaksgeschlechte nicht aufnehmen.«

Marie saß bei Tisch neben dem Assessor von Üchtlitz, und dieser erzählte von einem kleinen Automobil, das er besaß. Marie interessierte sich dafür, das war ein Gesprächsstoff, den man nicht so bald fahren lassen durfte. Unterdessen kamen immer wieder große Pasteten und dampfende Braten. Der Landrat hielt eine Rede, und dann sprach auch der Baron Üchtlitz. Marie wurde müde und verstimmt, bisher war der Tag eine Enttäuschung gewesen.

Nach dem Essen strömte alles in den Garten hinaus, die Nacht war warm und sternhell, an Bäumen und Büschen waren bunte Papierlaternen angezündet worden, überall im Dunkel blühten diese matt scheinenden Farben auf, zuweilen stieg knatternd über die Kronen der Bäume eine Rakete auf, ein goldener Riß in all dem Schwarz, und dann das ruhevolle bunte Niedersinken der Leuchtkugeln. Marie fühlte sich von einer Hand erfaßt und fortgezogen. »Hier findet uns keiner«, flüsterte Hilda. Marie ergriff Hildas Arm, ein angenehmes Gefühl ängstlicher Spannung machte ihr Herz schneller schlagen. Sie gingen eine dunkle Allee hinab, das leise Knirschen des Kieses verriet, daß sie nicht allein waren. Irgendwo sagte eine weiche Stimme: »Nein, Roth, das dürfen Sie nicht sagen.«

»Pfarrers Johanna mit ihrem Sekretär«, flüsterte Hilda.

»Sind sie verlobt?« fragte Marie.

Hilda zuckte die Achseln: »Pfarrerstöchter sind immer verlobt. Aber da kommen zwei, die wollen wir vorüberlassen.« Es mußte ein Stockrosenbeet sein, in dem sie jetzt stehenblieben, denn an Maries Wange streifte es wie große, kühle Seidenquasten. Ein Paar ging an ihnen vorüber, Arm in Arm, eng beieinander, und eine klagende Stimme sagte: »Feste sind immer traurig, Bärensprung, auch wenn Sie so zu mir sprechen, ist es traurig, aber sprechen Sie nur weiter, es ist doch das Beste vom Leben.«

»Die Frau Staatsanwalt und ihr Rechtsanwalt«, erklärte Hilda leise.

»Warum ist sie so traurig?« fragte Marie.

»Ich weiß nicht«, erwiderte Hilda, »sie glaubt es vielleicht ihren tragischen Augen schuldig zu sein. Aber jetzt müssen wir schnell dort in den Seitenweg hinüber, denn ich höre jemand kommen, das wird der Vetter Barnitz sein, der uns sucht.« Sie bogen in einen kleinen Weg ein, der zwischen dichtem Haselnußgesträuch hinführte. Hier war es dunkel und voll von dem lauten Wetzen der Feldgrillen. Allmählich lichtete sich das Gesträuch, es wurde heller, und sie standen an einem kleinen, schwarzen Weiher, in dem sich die Sterne spiegelten. Leises Gurgeln und Plätschern wurde zuweilen im Wasser laut, und eine feuchte Kühlung stieg aus ihm auf. Plötzlich prasselte wieder eine Rakete hoch über die Bäume hinauf, ein goldenes Blitzen lief über das Wasser, und dann spiegelten sich die Leuchtkugeln in ihm, als beginne es tief im dunkeln Grunde zu glühen. Marie drückte Hildas Hand. »Wie schön«, sagte sie atemlos, »wie ich Sie liebe, Hilda. Wir wollen Freundinnen sein.«

»Wir wollen Freundinnen sein«, erwiderte Hilda ernst.

»Und du zueinander sagen«, fuhr Marie fort.

»Wenn niemand es hört«, ergänzte Hilda.

»Wenn niemand es hört«, wiederholte Marie, und die beiden Mädchen umarmten und küßten sich. »Wie du zitterst«, sagte Hilda, »wie dein Herz schlägt, so ein armes Prinzessinnenherz.« Hand in Hand gingen sie weiter.

»Höre«, sagte Hilda in ihrer bestimmten nachdrücklichen Weise, »wenn du dich sehr nach etwas sehnst, nach etwas, das euer dummes Prinzessinnenleben verbietet, dann kannst du auf mich rechnen.«

Marie drückte fest Hildas Hand, sie war sehr gerührt, das, ja, das war eigentliches Leben, Hand in Hand durch die laue Dunkelheit irren, auf allen Wegen leise Schritte liebender Paare, in allen Büschen flüsternde Geheimnisse. »Eines wünsche ich mir noch«, sagte sie leise.

»Was ist das?« fragte Hilda.

»Einmal zu schaukeln«, fuhr Marie fort.

Hilda lachte: »Zu schaukeln? Nur das? Ach, du armes Hühnchen! Aber das wollen wir gleich machen.«


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