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XXXV

Es kamen ein paar elende Tage.

Der Wind fegte und fegte. Er kam aus einem Wolkenloch im Nordwesten und fuhr dahin, eisig kalt und dicht über dem Boden.

Zu Hause gefiel es mir nicht. Ich trieb mich im Dorf umher, ich telegraphierte mit Herrn Boucher, ich war überall. Ich konnte diese namenlose Schändlichkeit nicht verwinden! Yann war ja im Grunde seines Herzens ein guter Bursche, das wußte ich. Wie hatte er es nur tun können? Sprich, Yann! Aber schließlich – was war ihm mit seiner naiven Roheit ein Hund?

Der Wind fuhr kalt und heulend dahin und die Insel war nichts als ein öder seelenloser Schutthaufen, auf den das Meer von allen Seiten mit Äxten und Spitzhacken einschlug, um ihn aus dem Weg zu räumen. Ich fror.

Ich sah hinaus übers Meer. Es winkte und lockte, daß es mir fast den Atem benahm. Was willst du? was willst du von mir –?

Weit draußen zog ein Dreimaster mit nassen, schweren Segeln. Ich sah ihm nach. Die Sonne des Äquators wird auf sie herabbrennen und die Haare werden ihnen ankleben am Pech des Decks, wenn sie schlafen. Der tropische Regen wird fallen und sie werden bis an die Knie im lauwarmen Wasser waten. Sie werden in der Windstille festliegen und tausendmal am Tage den Horizont absuchen. Sie werden singend im Kreise gehen und die schweren Segel in die Höhe winden und vor dem Sturme fliegen. Sie werden den Albatros fangen mit der Angel und der große, plumpe Vogel wird vor all den lachenden braunen Gesichtern hilflos auf dem Deck stehen –

Ich stand auf.

Plötzlich stand der Dreimaster draußen in hellen Flammen. Aber in Wirklichkeit brannte nicht er, sondern mein Herz hatte sich plötzlich entzündet und Feuer in meine Augen geschleudert. Ich spürte einen Schmerz, als ob meine Brust in zwei Stücke zerrisse. Weißt du, was das ist?! Das war die Sehnsucht nach da draußen!

Laß uns gehen! Laß uns in die Wälder gehen, die kein Ende haben und rauschen, laß uns zu den Schneefeldern im Norden gehen, wo keine Sonne ist – einerlei, in die Hölle, wenn du willst – aber laß uns zu neuen Dingen gehen!

Und ich stieß einen Schrei aus, der weit über das Meer klang.

»Hören Sie, Noel, ich möchte den Kauf der belle femme rückgängig machen.«

»Sie wollen die belle femme nicht nehmen?«

»Nein, ich reise.«

»Sie reisen?«

»Ja. Ich bin gerne bereit Ihnen eine Entschädigung zu zahlen.«

»O, so nötig habe ich das Geld ja nicht, wie? Wenn Sie reisen wollen, was sollen Sie da mit der belle femme anfangen, nicht wahr?«

Aber ich reiste nicht von heute auf morgen ab. Yann sollte nicht auf den Gedanken kommen, daß ich aus Furcht vor ihm die Insel verließ. O nein! Wir waren uns ja nun gegenseitig manches schuldig und ich liebe klare Rechnung.

Vier Nächte lang hockte ich über Poupons Schlucht und wartete auf Yann. Da saß ich und fror. Der Wind fegte, Creachs Lichtblitze flogen über mich hin. Ich rauchte die Pfeife und hielt die Hand darüber, damit der Wind nicht den Tabak aus der Pfeife reißen konnte. So wärmte ich mich auch.

Habe ich dir nicht geschworen, daß ich jeden Abend hier sein werde, Yann? Wo bleibst du so lange, heran, Yann – hier bin ich –

Die Stunden gingen. Houhuuho – heulte der Wind und eine Stimme flog in der Höhe dahin: hiihiii – Zuweilen tutete eine Felsenspalte. Auf dem Meer draußen zog ein Postdampfer, wie ein Feenschloß sah er aus mit seinen vielen Lichtern. Ich saß und wartete.

Sobald aber etwas in der Heide scharrte und kratzte, stellten sich die Haare auf meinen Poren in die Höhe. Drohende Stimmen waren im Wind und ich lauschte mit verhaltenem Atem. Plötzlich kam ein schreckliches weißes Gespenst auf mich zu galoppiert. Ich schwöre, daß ich mich in diesem Augenblicke aufblähte wie ein Stachelschwein und das weiße Gespenst mit den Blicken durchbohrte. Es war ein Stück Papier und schadete mir weiter nicht. Zuweilen pochte und hallte es unter mir. Die Schlucht roch wie ein alter Brunnen, faul und morsch, und es klatschte und schabte da drunten, als ob sich ein schwerer, nasser Körper hin und her schiebe. Ein kalter Hauch traf mich – da war er! Das war Poupon, der Mörder, er zog an meinen Füßen, bohrte den Finger durch das Loch meines rechten Schuhes und schnaufte. Dann ließ er sich wieder klatschend hinabgleiten.

Obgleich ich aus einer Sensation in die andere fiel und meine Haut Fischschuppen bekam, blieb ich ruhig sitzen. Ich würde mich auch vorerst nicht rühren, wenn Yann kam. Ich würde taubstumm sein, einen taubstummen Pfeifenraucher sollte er hier vorfinden, der über Poupons Schlucht in philosophische Betrachtungen versunken war. Yann sollte Gelegenheit haben seine Schuld, einzukassieren. Dann aber – nun dann kam die Reihe an mich!

Zuweilen zog ich meine kleine Flöte aus der Tasche und blies ein Lied oder einen Triller.

Yann? Hörst du nicht, Yann?

Einmal schlief ich sogar ein. Aber da wurde ich durch einen Kanonenschuß geweckt und erwachte. Meine Pfeife war hinunter gefallen. Nun, ich bin nicht der Mann, der nur eine Pfeife hat, ich habe Pfeifen in jeder Tasche. Also steckte ich eine andere Pfeife in Brand.

Yann?

Ich wartete stets vier, fünf Stunden. Ob es zu meiner Ehrenrettung genügt, weiß ich nicht. Mir genügte es.

Yann aber kam nicht.


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