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XIX

Sobald Yann abgelöst wurde, war er vollkommen Privatmann und tat, als ginge ihn der ganze Kasten von einem Dampfer nichts mehr an.

Wir soupierten. Yann schnitt ungeheure Terrassen in den Brotlaib und den Käse und stopfte sich mit beiden Händen den Mund voll. Während er noch mit der rechten Backe kaute, trank er schon mit der linken aus der Flasche. Er verlor keine Minute Zeit, immer war er in voller Fahrt. »Iß und trink!« rief er zuweilen. Armer Yann! Er hatte vollkommen die Stimme verloren. Während er sich mit der Zunge noch die Zähne reinigte, entkorkte er schon eine neue Flasche.

Dann nahm er eine Zigarre aus dem Schubfach, legte sich zurück und atmete ein paarmal tief auf.

»Haha!« lachte er.

»Prost, Kapitän!«

»Haha!« Yann zwinkerte gut gelaunt und ließ vor Vergnügen einen Wind streichen. Dann brach er in lautes, hustendes Lachen aus und machte sich ans Rauchen. Nun soll man nicht denken, daß Yann eine Zigarre ohne weiteres rauchte. Yann tat nichts ohne weiteres. Er schnitt in der Nähe der Spitze eine Kerbe in die Zigarre und hier zündete er sie an. »Hersehen! Ah, du wirst die Augen aufreißen! Es wird – hahaha! – ein Mönch wird es!«

Nach einigen Zügen glühte die Kerbe und das war, bei Gott, ein Mönch in der Kutte, mit einem glühendroten feisten Gesicht, und nun bekam er noch dazu graue Haare!

Yann betrachtete den Mönch mit verliebten Augen. »Hahaha! Siehst du ihn? Ein Pater, ein Franziskaner, ein Benediktiner, ein Kapuziner!«

Er lachte triumphierend.

Bis zur nächsten Wache blieben uns gute vier Stunden und so plauderten wir ein bißchen. Wir hatten nun gegessen und getrunken, so weit es nötig war, und nun tranken wir zum Vergnügen. Wir tranken puren Kognak aus einem flachen Blechtiegel und klommen Hand in Hand Sprosse um Sprosse empor. Der »Arbeiter« stampfte und bebte und krachte in allen Fugen, als wolle er entzweireißen. Die Sturzseen klatschten über unseren Köpfen auf das Deck, und unsere kleine Petroleumlampe schwang sich quiekend im Ring und qualmte. Yanns Gesicht war ganz dunkel und aus seinem finstern Gesicht schimmerten hell, fast weiß seine wasserblauen Augen. Der brennende Mönch stank, als ob er Hufspäne und Haare im Leibe habe.

Die Unterhaltung begann. Wir konnten nie fünf Minuten sprechen, ohne uns in den Haaren zu liegen. Wir ruhten so bequem auf den Kojen, rauchten, aber sofort schnellten wir in die Höhe und brüllten einander an.

Da war zum Beispiel Yanns zweiter Maschinist lungenkrank und Yann hatte ihm den Rat gegeben, die Glut des Heizloches einzuatmen um die Bazillen zu töten.

Das hielt ich für falsch! Einfach für verkehrt!

»Die moderne Therapie erklärt große Wärme für Gift, geradezu – Yann!«

Yann übergoß mich mit einem beißenden Spottgelächter.

»Und man schickt die Kranken nach Ägypten – haha!«

»Der Trockenheit der Luft wegen!«

» Eh bien, mon cher monsieur le docteur – ist die Luft aus einem Heizloch etwa nicht trocken?«

»Du bist ein Zwanzigtausendtonnen-Rindvieh, Yann!«

»Haha! Also die kalte Luft soll heilen? Seht an!«

»Sie ist bazillenfreier, ja.«

» Bien! Warum schickt man die Kranken nicht nach dem Nordpol? Hast du schon gehört, mon très cher ami, daß man einen Schwindsüchtigen nach dem Nordpol schickte? Ja! Übrigens, mein Bruder, ein berühmter Spezialist in Nizza« –

»Schweige! Schweige!« brüllte ich.

»Ich rede solange ich will!« schrie Yann.

Nein, es war nicht gegen Yanns fünfundzwanzig Brüder und fünfzig Vettern aufzukommen, die über den ganzen Globus verstreut waren. Man mochte von Maschinen reden, von Astronomie, von Streichholzfabrikation, einerlei, immer hatte Yann einen Bruder vom Fach, der ihm brühwarm die neuesten Errungenschaften übermittelt hatte. Yann, Yann, man kann nicht mit dir debattieren! Yann aber riß stets die Fahne an sich und schwang sie triumphierend.

Dann erklomm er die nächste Sprosse, auf ihr begannen Scherzfragen und Kunststücke. Yann warf ein Dutzend Streichhölzer auf den Tisch, und nun ordne sie so, daß –

»Gehe in die Hölle, Yann!«

Yann aber ordnete die Streichhölzer wie es sich gehörte und lachte. Er wollte mir ja nur beweisen, daß ich nichts wußte, nichts, und nichts konnte, gar nichts. »Soll ich dir einen Fächer aus einem Stück Holz schnitzen?«

»Nein!« Aber doch war ich gespannt, wie er das anstellen würde.

»Du wirst sehen. Auf den Segelschiffen macht man das.«

Yann stand auf und hielt rasch Umschau. Er schlug eine Leiste vom Kartenschrank und begann augenblicklich zu arbeiten. Eins, zwei, die Fetzen flogen. Er saß mit angezogenen Knien auf der Koje und hantierte sicher mit dem Messer, obgleich er unaufhörlich auf- und abtanzte. Zuweilen stemmte er das Knie gegen den Tisch um nicht zu mir herüber geschleudert zu werden. Zuerst schnitzte er einen Stab, den er an verschiedenen Stellen einkerbte – das gab die Verzierungen des Griffes und der Stäbe – dann schleißte er ihn in dünne Streifen von oben bis herab zum Griff, und diese Streifen drehte er vorsichtig auswärts. So! Fünf Minuten und fertig! Haha! Er fächelte sich kokett.

»Nächstens werde ich dir einen Dreimaster in eine Kognakflasche hineinschnitzen.«

»Gott beschütze mich!«

»Vollkommene Ausrüstung, mein Lieber!«

Darauf führte Yann eines seiner Lieblingskunststücke vor. Er nahm das Messer, ein stumpfes, schmutziges Instrument, mit dem er Fische schlachtete und Ratten, setzte es an den Daumen und schnitt. Das Blut quoll heraus. Yann steckte den Daumen in den Mund, massierte ihn – nichts war mehr zu sehen, hoho! Ich rückte näher. Ein Schwindler bist du, Yann! Man sah ja nicht gut, der Rauch war zu dick. Yann wiederholte triumphierend das Experiment und führte mir eindringlich alle Phasen vor. Nun grub er mit dem Messer rings um den Daumennagel einen Graben, der sich langsam mit schwarzem Blut füllte. Er leckte, preßte – verschwunden.

»Ein Teufelskerl bist du!«

Yann aber lachte mich vielsagend an: und was kannst du? Nichts.

Nein, wirklich, ich konnte nichts. Ich konnte einen Bindfaden mit meinem Bizeps sprengen, zweistimmig pfeifen, amerikanisch ausspucken, zwei vorsintflutliche Lieder und einen Triller auf der Flöte spielen – lauter minderwertige Künste.

Dann nahm Yann einen ungeheuren Schluck und warf sich in die Koje, die Zigarre im Mund. »Man hat es nicht schlecht jetzt, man hat es zu etwas gebracht!« begann er zufrieden und verschwand in der Rauchwolke.

»Man ist Kapitän, hat seine hundertundzwanzig Franken monatlich, man hat sein Weinchen, seine Zigarre und eine Couchette zum Schlafen. Was willst du noch mehr? Man hat das Gröbste hinter sich. Ah, das Furchtbarste, weißt du, he, was das Furchtbarste ist? Lege mir zehntausend Franken auf den Tisch – nein, nie mehr! Ich habe zwei Campagnen mitgemacht. Das ist ein Leben für Hunde, für Schweine!«

»Wovon faselst du denn?«

»Idiot, du hörst wohl nicht? Ich rede von St. Pierre, beim Teufel! Fünfzigtausend Stockfische, achtzigtausend in einer Campagne. He, mein Lieber! Das Schiff ist von oben bis unten mit Salz angefüllt und die Arbeit beginnt. Fische, Fische, nichts als Fische! Du schläfst, du bist todmüde, pique! pique! auf! Die Fische sind da. Du fährst in die Hosen. (Hier fuhr Yann in die Hosen und rieb sich den schweren Schlaf aus den Augen.) hinaus in die Kälte, brrr! Du schlotterst nur so und legst die Angel aus und ziehst sie ein und schläfst dabei. (Yann legte die Angel aus, zog und schlief dabei.) Plötzlich – tsch! – ein Walfisch kommt daher und verjagt die Fische. Du legst dich aufs Ohr. Pique, pique! O, gehe in die Hölle! Da stehst du Tag und Nacht, im Nebel, im Sturm, im Schnee und fischst. Oder du schneidest die Köpfe ab, tausend Köpfe an einem Tag, zweitausend. Am Tisch ist ein langer Nagel, da hinein stößt du den Fisch und schneidest ihm eins, zwei den Kopf ab. Du reißt die Leber heraus, ins Faß, die Gedärme wirfst du ins Meer. Links und rechts vom Schiff tänzelt ein Haifisch und schnappt und frißt alles, denn der Haifisch ist nichts als ein Schwein. O, was für ein mörderischer Gestank! Die Leber riecht, die Fische stinken, das ganze Schiff stinkt von oben bis unten wie faule Fische. Mein Lieber, prost! Es ekelt dich an und du möchtest am liebsten über Bord gehen. Ich habe handfeste Burschen gesehen, die weinten vor lauter Traurigkeit.«

»Hehe! Aber lustig ist es doch! Da gibt es merkwürdige Dinge. Zum Beispiel, den Sonnenfisch! Er ist hoch wie ein Mann und flach wie ein Teller. Er hat ein Gesicht und eine Nase wie ein kleiner, gedörrter Jude, ein Judenprofil. Er fächelt mit den Flanken, so, siehst du, auf diese Weise schwimmt er. Vor seiner Judennase schwimmt ein kleiner Fisch einher, das ist sein Pilot. Denn der Sonnenfisch ist ungeheuer dumm und halb blind. Du lachst dich halb tot über ihn. Wie ein dicker Bankier, der schwach auf den Beinen ist, läßt er sich von seinem Fremdenführer alle Sehenswürdigkeiten zeigen, und dann, wenn er sich satt gefressen hat, macht er sich schwer und läßt sich hinabsinken auf den Grund des Meeres. Da liegt er im Sand, flach wie eine Zeitung, und schläft und verdaut. Dann gibt es hier die Schwertfische, die den Walfisch absolut nicht ausstehen können. Sobald so eine Dampfspritze in voller Fahrt daherkommt, schnellt sich mein Schwertfisch in die Höhe, viele Meter hoch und gräbt sein Schwert in den Wanst des Wales. Hinunter damit! Ja, beim Teufel, eine gemütliche Welt hat unser Herrgott erschaffen. Hohoho, wie konnte er nur auf all den Unsinn verfallen! Dann kannst du dich auch mit dem Hai amüsieren. Du läßt ein Tau hinab, schwupp, er schneidet es ab wie eine Zigarre. Wir haben auch dann und wann einen Hai gefangen, zum Spaß, Gott o Gott, wie sie stinken! Und hüte dich, ihm noch nach Stunden zu nahe zu kommen! Dieses Schwein ist mit Elektrizität geladen und gibt dir einen Schlag, daß dir Hören und Sehen vergeht.«

»He! Entkorke eine neue Flasche, wir müssen trinken! Das ist eine niederträchtige See heute! – Zu fressen bekommst du bei den Bänken nichts. Übel kann dir werden. Zwei Kartoffeln und grüne Erbsen, am Sonntag ein Stückchen Speck, winzig, und ein Glas Wein. Der Speck wird verlost, wie beim Pfänderspiel die Pfänder. Wem soll dieses Stück gehören? Sonst würde es Streitigkeiten geben, denn alle sind wild vor Hunger wie Wölfe. Man haßt sich auch, nach ein paar Monaten haßt man seinen besten Freund. Geh mir aus dem Weg, du Fratze! Ah, was für ein Leben! Während der ganzen Campagne wäscht sich kein Mensch mehr, wozu? Kommen schöne Mädchen an Bord? Aber vor der Heimreise geht es nach St. Pierre um Einkäufe zu machen. Alles geht an Land und alles wäscht sich. Lauter neue Gesichter! Eine neue Equipage, he? Bon jour, messieurs!«

»Viele aber reisen nicht heim, mein Freund. Es rentiert sich nicht als Leiche zu Hause anzukommen. Du mußt die Stürme nicht vergessen – und die Eisberge. Plötzlich tauchen sie vor dir auf und sie werden dich zertreten, sie sehen dich gar nicht. Und die großen Schnelldampfer bei Nebel! Da heißt es das Nebelhorn drehen – tuh – tuh! – tagelang. Man hört sie schon meilenweit. Sie brummen wie Bären, die Hunger haben. Er kommt heran, näher und näher. Du liegst in der Koje, erwachst, horchst und deine Haare sträuben sich. Alles stürzt an Deck: Patron, ein Dampfer kommt über uns! Was sollst du tun? Wenn er dich nun nicht hört? Kein Wind, wohin? Und woher kommt er? He, nun ist er ganz nahe, keine zweihundert Schritt entfernt. Du wirst ihn nun nicht mehr hören, aber sehen, wenn es sein muß. Du stehst und wartest und deine Zähne klappern vor Angst. (Bei Gott, Yanns Haare sträubten sich bei der bloßen Erinnerung!) Da – er tutet ferner – er ist vorüber! Du bist noch einmal mit heiler Haut davongekommen. Jedes Jahr wird ein halbes Dutzend Boote glatt durchschnitten, das gibt einen kleinen Knax und weg ist er.«

»Kommt er nicht zurück, Yann?«

Yann lachte. »Er wird sich das überlegen. Er braucht eine Viertelstunde, bis er zurückkommen kann. Und wo bist du dann? Er findet vielleicht eine Insel gesalzener Stockfische, das ist alles. – Nun aber, sagen wir, du kehrst zurück. Der Armateur gibt dir dein Gehalt, sechshundert oder achthundert Franken, und dazu schenkt er dir zwei Stockfische. Zuerst betrinkst du dich nun und schläfst dann irgendwo hinter einem Zaun, das Geld in der verkrampften Hand. Hier ist es am sichersten. Das Geld bringst du deiner Mutter. Sie gibt dir zehn Franken, damit du dir einen vergnügten Tag machen kannst, staffiert dich aus und du promenierst im Dorf mit deinem kleinen Bambusstock und läßt dich anstaunen. Ja, da bin ich wieder! Wenn du keine Mutter hast, so gehst du gleich zu den Mädchen. Hier läßt du dich häuslich nieder, ißt, trinkst, machst dir vergnügte Stunden mit dem ganzen Haus, von der Besitzerin angefangen bis herab zum Dienstmädchen, sie nehmen dir alles ab und werfen dich auf die Straße. Da bist du wieder. Du gehst und verdingst dich und ein paar Tage später bist du wieder bei grünen Erbsen und Kartoffeln angelangt. Hehe! Aber es war hübsch. Und alle andern erzählen dir ebenfalls, wie hübsch es war. Sie singen und du singst mit und bist geborgen. Du bist wieder auf dem Meer, wo du hingehörst.«

Plötzlich schnarchte Yann. Er konnte zu jeder Zeit einschlafen und aufwachen, und es war ihm auch einerlei, in welcher Lage er schlief, ob er auf einem Stein saß oder auf dem Boden lag, das Gesicht auf den Händen.

Ich saß mit angezogenen Knien in der Koje und rauchte. Zuweilen schwindelte mir vorübergehend, es war nicht mehr hübsch. Der Dampfer rollte furchtbar. Wenn sich die Ankerketten strafften, so erschütterten ihn ungeheure ruckweise Stöße, daß alles ächzte und knarrte. Er zitterte vom Stampfen der Maschine, und wenn die Schraube frei lief, so bebten seine Flanken. Droben trillerte der Sturm in den Tauen, die Sturzseen klatschten und dann tropfte und rieselte es an der Luke. Dicht an meinem Ohr prallten die Wassermassen wie Rammklötze gegen die Wandung. Zwei Finger breit und da draußen war das Meer. Ich sah durch das Guckfenster wie es mit geschliffenen Äxten und gezackten, blanken Schwertern auf den »Arbeiter« einhieb. Das Glas war pechschwarz, wir waren unten, ein Klumpen großer glotzender Augen hing am Glas, ein weißes, aussätziges Gesicht starrte herein, ich sah das Licht des Leuchtturms und die Gischtkämme, wir waren oben.

Poupoul leckte mir die Hand und wedelte mit dem Schwanz. Er freute sich. Er glaubte, wir seien auf hoher See und morgen werde er an Deck gehen um fliegende Fische anzubellen. Ich plauderte ein wenig mit ihm.

Da erwachte Yann. »Haha, und jetzt bist du hier, bist Kapitän,« fuhr er in seinem Gespräch fort, »und hast eine silberne Uhr für dreißig Franken in der Tasche. – Hast du alles ausgetrunken? Vorwärts!«

Er hatte zehn Minuten versäumt und sie mußten nachgeholt werden. Im übrigen hatte er recht, man mußte trinken. Wenn man nur einen Augenblick nachgab, wurde man tödlich seekrank.

Yann holte nun aus einem Kästchen seine berühmte Zitronenessenz, die er in den Kognak träufelte. Die Mischung nannte er Punsch. Dieser Punsch war von unwiderstehlicher Wirkung und gerade das war Yanns Absicht. In der Tat genügte ein Tropfen dieses Elixiers um einen Liter Wasser in eine starke Zitronenlimonade zu verwandeln. Die Essenz stammte aus einem Schiffbruch und war meines Erachtens für die Parfüm- und Seifenfabrikation bestimmt.

Wir stürzten uns abermals in Debatten, wurden laut und hitzig, und behandelten jetzt überhaupt nur noch Gegenstände, von denen wir beide gar nichts verstanden. Aber täuschten wir uns nicht ein wenig, Yann? Sprachen wir nicht so atemlos um die Angst zu verbergen, die tief innen in unserem Herzen nagte? Hatten wir nicht, während wir redeten und sorglos taten, immerfort den einen Gedanken: wenn die Ketten reißen –? Dann begannen wir fürchterlich zu lügen. Auch darin war Yann nicht zu schlagen. Er fing sogleich an zu spurten. Nun war er auf jener Sprosse angelangt, auf der er sich gewählter, kunstvoller und gedrechselter Redewendungen bediente: das ist ganz den Umständen angemessen, das ist von keiner tieferen Bedeutung, primo, secundo. Er erzählte eine schauerliche Geschichte von der »Pacifique«, einem Dreimaster ohne Steuer, ohne Maste, Segel und Wind. Und ohne Nahrung. Sie hatten das Los geworfen und zuerst den Steuermann verzehrt, dann den Küchenjungen, dann –

Da saß Yann mit Tränen in den Augen, während ich mich totlachte. Da mir nicht sofort eine Riesenlüge einfiel, mit der ich ihn niederwerfen hätte können, so fügte Yann eine Erzählung hinzu von chinesischen Seeräubern, die sie in den Molukken geköpft hatten. Zopf hoch, wupp! ins Meer, Zopf hoch, wupp! – Yann saß und köpfte, hahaha! Yann, wie tief bist du gesunken, neulich köpfte dein Onkel, der Korvettenkapitän, und heute köpfst du schon eigenhändig! Selbst der Dampfer lachte, er hüpfte auf und ab vor Vergnügen und auch der Wind schrie vor Lachen – haha!

»Ha,« sagte ich, »da du gerade von Chinesen erzählst, ich fuhr einmal auf dem Japanischen Meer, und wir hatten zwei chinesische Boys, Hannes und Lehmann, das waren Burschen! Wir kamen in einen Taifun und die Boys gingen buchstäblich an der Decke, als sie die Speisen servierten. Ohne einen Tropfen zu verschütten. An der Decke!«

»Lügner!« schrie Yann.

Ich lachte. Gerade das war wahr!

»Hehehe!« lachte Yann wütend. Er war geschlagen, ich hatte ihm etwas Unglaubliches erzählt.

»Hahaha!« lachte ich, außer mir vor Vergnügen.

Plötzlich schwang sich Yann eine Sprosse höher und auf dieser Sprosse pflegten ihn seine traurigen Erlebnisse einzuholen. Er erzählte mir abermals jene Geschichte von der »Charlotte«, die ihm vier Monate Gefängnis eintrug. »Alle Ungerechtigkeit der Welt hatte sich gegen ihn vereinigt um ihn zu vernichten!«

Die »Charlotte« war ein Dampfer, der draußen vor Creach auf Grund geriet. Yann fuhr mit dem »Arbeiter« hinaus um sich die »Charlotte« anzusehen, die von ihrer Mannschaft verlassen worden war. Als seine Matrosen dieses hübsche Schiff sahen, wurden sie toll. Sie schlugen alles in Stücke und plünderten den Dampfer von oben bis unten aus. Selbst die Messingbeschläge schraubten sie ab. Yann protestierte, fluchte, umsonst. Yann hatte ein gutes Herz, ein zu gutes. Er erstattete keine Anzeige. Aber als er sechs Monate später einen renitenten Matrosen an Land schickte, denunzierte ihn dieser Schuft und gab an, Yann habe sämtliche Schiffsinstrumente gestohlen und eine silberne Teekanne mit Goldeinlage. Die Hunde von Matrosen schworen so viele Meineide als nötig waren Yann das Genick zu brechen. Entlassung und vier Monate Gefängnis!

Ha! Yann lachte höhnische Triller. »Ich! Ein Dieb? Ich??« Er raufte sich die Haare und brach in Tränen aus. »Ein Dieb! Ich ein Dieb? Meine arme Mutter –!« (Seine Mutter wurde plötzlich wieder lebendig.)

Hier streckte ich den Kopf aus meiner Muschel – es war mir nämlich seit einiger Zeit, als sause ich in einer spitzigen Zaubermuschel dahin – und sagte: »Du bist ja gänzlich betrunken, Yann!«

Yann mit den treuesten blauen Augen, Yann mit dem Kinderherzen – ein Dieb! O, wie lächerlich, wie absurd! Volldampf! Ich sauste nieder.

Yanns Gemüt aber war bis in die Tiefen aufgewühlt. »Diese Behauptung ist eine infame Verleumdung, unwürdig eines Gentleman!« sagte er mit feuchtschimmernden Augen im reinsten Französisch, wie man es nur an der Sorbonne zu hören bekommt.

Yann fraß wohl lebendige Crevetten und Spinnen, aber vier Monate Gefängnis kitzelten ihn nicht wenig. Er lief von Pontius zu Pilatus und sogar der Minister geruhte ihm Audienz zu gewähren. Er sah in Yanns strahlende Kinderaugen – und Yann wurde zu einer Geldstrafe begnadigt. Nein, Yann war kein Dieb!

Er genoß die Rechtfertigung, pries die Gerechtigkeit des Ministers und schwor Rache. O, du meine Güte, wie er sich rächen wollte! Ich hörte kaum, was er sagte, denn ich flog in meiner Zaubermuschel über Kontinente und Meere dahin – ah, das war Kioto unter mir, wo sie gerade das Flußfest feierten, ein Gewimmel von Papierlampen, das Miauen der Tänzerinnen – weiter –

Plötzlich hörte ich, daß Yann von Rosseherre sprach. Da saß er und schwärmte. Ah, wie hübsch sie doch war, wenn die Bänder ihrer weißen Haube flatterten! Wenn sie lachte und ihre weißen Zähne blitzten! Eine kleine wilde Katze war sie! »Ich habe gearbeitet und geschuftet, meine Hände sind hart wie Holz, meine Finger haben sich verbogen. Nun will ich Ruhe haben, ein Heim, Kinderchen – o! Ein hübsches Häuschen. Wehe dem, der mir Rosseherre anrührt, hörst du?«

Ja, ich hörte, C’est la guerre, dachte ich, Yann. Heute raube ich dir deine Geliebte, morgen wirst du mir die meine rauben. Frauen wollen noch immer geraubt werden, es gelten keine Verträge, hörst du, Yann?

»Du hast Rosseherre Ringe geschenkt und ein Tuch. Warum hast du das getan? He, sage mir die Wahrheit, war sie bei dir?«

»Hahaha. Yann, Yann! Wie langweilig du bist!« sagte ich und ich grüßte hinunter, denn ich passierte soeben im Stillen Ozean einen Dampfer – einen der schmalen weißen Siebentausendtonnendampfer der Toyo Kisen Kaisha mit einem Fächer in der Flagge – die Chinesen servierten Tee an Deck und die Damen winkten mir mit den Taschentüchern.

Yann stand auf. »Du bist mein Freund,« sagte er, »ich gebe mein Leben für dich hin – aber wenn ich es herausbringe – hörst du mich?« Er knirschte mit den Zähnen.

»Hahaha, Yann, schäme dich, so betrunken zu sein. Ho, wie du aussiehst – du hast einen Kopf wie ein Ballon – so groß – o, Yann, hahaha!«

In diesem Augenblick bäumte sich der »Arbeiter« auf und die Ankerketten krachten. Der Dampfer schüttelte sich wie ein Fisch an der Angel, dann pendelte er in weitem Bogen.

Yann hatte sich am Tisch festgeklammert. »Da streiten wir uns über ein Frauenzimmer, und unterdessen –!« flüsterte er erschrocken. Er lauschte. »Die Ketten sind gerissen! Der Dampfer treibt!!« schrie er und stürzte die Treppe hinauf.

Ich aber sauste gerade über Honolulu dahin, dicht über den Krater des Halewauwau, Haus des ewigen Feuers – die Schwarzen ließen sich auf Brettern in der Brandung treiben und schrien: jiiii!

Nein, der Dampfer trieb nicht, er pendelte, es war nur eine Kette gerissen.

Ich zog mich in meine Muschel zurück und schlief.

Wir trennten uns nicht im besten Einverständnis, Yann und ich. Jean Louis hatte ihm die Sache von dem Segel verraten, und Yann konnte in seiner Betrunkenheit nicht umhin diesen Trumpf gegen mich auszuspielen.

»Jean Louis ist ein alter Idiot,« sagte ich, »weiß Gott, was in seinem morschen Schädel vor sich geht.«

Aber trotzdem schieden wir nicht als Freunde. Yann sprach sogar davon mich über Bord werfen zu lassen. Yann, mon cher ami, das Kindergemüt. Er war toll von all dem Trinken und seine Augen waren blutunterlaufen und schielten etwas. Nun, ich zog es vor mich freiwillig zu verabschieden.

Yann stand oben auf dem Verdeck und schnellte ganze Stockwerke in die Höhe und dabei wiederholte er mit spöttischem Lächeln ohne Aufhören: » Au revoir et merci, merci!«

Ich lachte noch nach Wochen, wenn ich daran dachte, wie er auf- und abflog und spöttisch sagte: Au revoir et merci, merci!


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