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XXII

Ich saß auf einem Stein in der Heide. Die Sonne schien. Ich rauchte. Die Heide war braun und gelb, aber an einer Stelle hatte sie eine frische Narbe – dort lagen sie. So oft mein Blick auf die frische Narbe fiel, dachte ich: dort liegen sie, dort liegt auch Joe Gordon mit der gespaltenen Schläfe und dem kleinen Schnurrbart –

Einige Tage lang mußte ich immer wieder dasselbe denken. Es lag etwas wie süßer Leichengeruch in der Luft. Dann aber gelangte ich dahin, die frische Narbe in der Heide mit den rechten Augen zu betrachten: ja, da lagen sie und sie waren glücklich zu preisen! Eines herrlichen, wilden Todes waren sie gestorben. Ihr Götter da droben, laßt mich sterben wie sie! Schleudert Felsblöcke nach mir oder Donnerkeile, in einem Eisenbahnzusammenstoß vernichtet mich oder auf wildem Meer, einerlei, aber laßt mich nicht im Bett sterben wie ein altes Weib, darum möchte ich bitten.

Ich sah nicht mehr auf die frische Narbe in der Heide – eine Art Betäubung hatte sich auf meine Sinne gelegt gehabt, nun war sie vorüber – ich ließ meine kleine Flöte hell über die Heide klingen: es war der Tod, nichts sonst, heute bist du es und morgen bin ich es. Unser ist das Leben, sela!

An diesem Tage fand ich draußen bei den Klippen einen halben Mast. Vielleicht war es jene Spitze, an der sich der Schwarze festgeklammert hatte? Ich holte die Axt und begann zu arbeiten. Ich griff den Mast an verschiedenen Stellen an. Er klang so eigentümlich: er war ein Teil von der Leiche eines Dampfers. Die Splitter flogen. Sie leuchteten in der Sonne, sie begannen zu brennen. Ich stand inmitten eines großen blendenden Feuers.

Ein paar Fischer kamen mit Äxten und Sägen. Da standen sie und sahen mir zu.

»Schönes Holz hast du gefunden!«

»Ja, es ist trocken.«

»Es wird einen tüchtigen Haufen geben!«

»Der Winter ist lang.«

Ich schien nicht auszusehen wie ein Mann, der mit einer Axt in der Hand einen Mast im Stich läßt, und sie gingen wieder.

Meine Axt blitzte und der Schweiß rann mir übers Gesicht.

Die großen atmosphärischen Differenzen hatten sich ausgeglichen und die Luft war rein und durchsichtig wie eine Linse. Man sah die fernsten Klippen, um die das Meer spielte, jede Ritze, alles war nahe und scharf. Meine Axt hallte laut wider, und wenn ich pfiff, so klang es fast wie eine Flöte. Der Himmel blendete und das Meer war flüssiges Silber. Da und dort blitzte ein Streifen wie ein Schnitt. Die Dampfer zogen ruhig vorbei und ihr Kielwasser stand meilenweit hinter ihnen wie eine Straße.

Der Strand war bedeckt mit grellrotem und grellgrünem Salat, mit großen Röhren und Klumpen. Wie Lungen und Eingeweide, die das Meer ausgespien hatte, sahen sie aus. Ganze Wälle von starkriechendem Tang säumten den Strand, von Millionen von Insekten und Stechfliegen bevölkert. Ging man vorbei, so prasselte und knisterte es, als begännen die Wälle zu brennen. Das Leben kommt, wo Schmutz und Wärme ist.

So oft ich über die Insel blickte, konnte ich nicht umhin verächtlich zu lächeln. Wie sonnig und friedfertig sie aussah. Sie dachte nicht mehr an die »Indiana«, die da draußen lag mit all den Kupferbarren im Leib. Sie hatte all die Dampfer vergessen, die sich an den Klippen die Nase einstießen, zurückfuhren und sanken, und all die Segler, die im Sturm angeritten kamen und ihr in die Zähne rannten. Sie hatte auch jenen Dampfer der Union Castle Line vergessen – damals starben zweihundertundzwanzig Menschen. Sie hatte all jene Leichen vergessen, die einzeln angetrieben wurden, und niemand wußte, woher sie kamen und wie sie hießen. Genug. Sie dachte auch nicht mehr an jene vierundzwanzig Schiffbrüchigen, die eines Tages in einem kleinen Boot ankamen und die sie mit der sicheren Rettung vor Augen zerschmetterte. Genug, genug!

Sie lag und lächelte und blinzelte zuweilen aufs Meer hinaus, eingehüllt in Sonnenschleier. Wie eine jener Frauen war sie, deren Wangen zart wie junge Rosenblätter sind und die fünfundzwanzig Männer ruiniert haben – du aber gehst an ihnen vorbei und schlägst das Kreuz und sprichst: Heilige Unschuld, sie war die Mutter Gottes oder wenigstens eine ihrer nächsten Verwandten –

Ich lachte: Gott, der Herr, sende sie mir in den Weg –

Am vierten Tage war der Mast in Sturmvilla verstaut. Einen großen Stoß mußte ich noch vor der Tür aufstapeln. Da lag er nun, der so viele Seemeilen weit gewandert war und noch immer strömte er die Sonne ferner Meere aus und den Geruch fremder Küsten. So oft ich ein Scheit verbrannte, sah ich merkwürdige Dinge: Papageien und Affen, die sich an den Schwänzen schwangen, pechschwarze Negerweiber – und einen Dampfer, der über das öde Meer in wolkigen Mondnächten zog, und seine Masten wanderten still und stolz dahin.


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