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XXX

»Guten Tag, Mathieu! Guten Tag, L’honneur, Petitjean! Guten Tag, alle zusammen!«

»Wir sind herübergekommen zum Fischen, wir wollten sehen, wie es dir geht.«

Sie hatten mich nicht vergessen! Ja, sie waren sogar bis nach Sturmvilla gewandert.

»Nun, ihr braucht ja keine Gläser, so vornehm seid ihr nicht – ah, bei allen Teufeln, Petitjean, du säufst ja die ganze Flasche aus! Sind wir fertig? Erzählt was es Neues gibt! Ihr Hunde, jetzt fällt es mir ein, ihr habt uns ja die drei Russen weggeschnappt, ihr Kerle! Kedril und ich, wir sind fast hin geworden auf dem Meer!«

Der Morgen war frisch und klar. Wie ein einziger tadellos reiner Block von Kristall lag die Luft auf dem Meer. Das Meer leuchtete stahlblau und strahlte einen kühnen Glanz aus und eine blitzende Helle, bebend von intensiven Vibrationen, die das Herz leicht und heiter machten. Am Horizont floß ein Streifen von sattem Ultramarin dahin. Man konnte ihn nicht ohne Verwunderung betrachten. Die nassen Riffe glitzerten in der Sonne. Am Hafen unten standen die Fischer, laut und fröhlich, und warteten auf eine Brise. Ihre frischgewaschenen Gesichter leuchteten rot in der Sonne. Guten Morgen! Guten Morgen allerseits!

Wir ruderten hinüber zum »Kirchturm«. In der Bai stand ein kleines leuchtendes Segel, das war Jean Louis. Immer war der Meerkönig der erste. Es sah aus, als ob es da draußen eine Handvoll Wind gäbe und so zogen wir das Großsegel auf. L’honneur, Petitjean und ich. Ho-hupp, langsam stieg das schwere Tuch in die Höhe und wir lagen mit dem Rücken auf dem Verdeck. Dann spannten sich L’honneur und Petitjean im Nachen vor den »Kirchturm«, ich lehnte mit dem Rücken gegen den Mast und handhabte das fünf Meter lange Ruder – es federte, meine Arme wurden eisenhart – und der massige »Kirchturm« kroch langsam dahin. Das Großsegel hing schlaff wie ein Gehenkter und zappelte zuweilen ein wenig, das war alles. Kein Wind.

Die Bai war glatt wie Öl. Wo sonst die Brandung wirbelte, kräuselte und wölbte sich das Meer nur ein wenig. Die Klippen blühten wie Kirschbäume in der Sonne und weit draußen schimmerten sie wie Perlmutter. Milchige, sonnendurchtränkte Nebelstreifen schwebten langsam über die Insel, einer hinter dem andern. Ein kleiner Frachtdampfer winselte fern und dann und wann erhob auch Creach auf Minuten sein Gebrüll.

Wir hatten die Bai hinter uns und waren auf dem Meer. Die Matrosen stiegen an Bord und die Arbeit begann. Wir machten die Reusen zurecht. Das waren Weidenkörbe in der Form großer Fliegengläser. Sie hatten nur oben einen Eingang. In der Mitte wurde ein Fisch befestigt, ein halbverfaulter lascher Fisch, dessen Augen schon grau waren, Steine waren am Boden festgebunden. Die Körbe waren schwer und das Blut hämmerte in meinen Schläfen, als ich sie zusammen mit L’honneur über Bord warf. Eine perlende Schaumkrone stieg auf wo sie auffielen, dann sanken sie auf den Grund des Meeres hinab. Sie waren mit langen Stricken versehen, die am Ende Bündel von Korkstücken trugen, damit man sie wieder heraufziehen konnte.

Die Arbeit war getan und wir hatten gute sechs Stunden Zeit.

Der mousse hatte unterdessen Kaffee gekocht und wir saßen rings im Kreise auf dem Deck und tranken ihn aus einem Blechtopf, der Jahresringe von Schmutz, Wein, Kaffee und Kognak hatte. Ich streckte mich in der Sonne aus und bot ihr Arme und Gesicht und die nackten Füße dar. Und ich fühlte, daß ich in der Hitze aufging wie das Brot im Ofen. Das Meer war glatt und durchsichtig wie Eis, mit einem weißlichgrünen Riß da und dort in der Tiefe. Zuweilen kräuselte es sich wie Hautfalten und steuerbord zog in der Ferne eine glitzernde Straße vorbei, wie Myriaden kleiner, rascher Fische. Die Möwen schwirrten und Trüppchen von Meerschwalben zogen dahin.

Triii – triii –

Döi – döi – gullugullu gullu – döi.

Eine dreieckige Flosse tauchte auf und etwas atmete, genau wie die Luftbremse einer elektrischen Tram, und strich rasch dahin, gute vier Meter lang. Ein » souffleur«. Er schwamm rasch, atmete noch zweimal, dreimal und war verschwunden. Die Insel lag in der Ferne, wie ein graues schuppengepanzertes Tier, das schreckliche Gebiß lauernd halb unter Wasser, einen Stachel auf der Nase. Sie sah unbewohnt aus, und wem hätte es auch einfallen sollen, auf diesem unwirtlichen Steinhaufen zu wohnen? Ein Nebelstreifen näherte sich Creach, verhüllte ihn, und Creach brüllte, während hier außen die hellste Sonne schien. Der Nebelstreifen kroch näher und hüllte den »Kirchturm« ein. Nebelschnüre zogen vorüber und hängten sich in Kleider und Haare, so daß alle aussahen, als gingen sie in Rauch auf. Ein Dampfer tutete, mächtig und ruhig, wie nur ein großes Postschiff tutet, das keine Angst hat und um freie Fahrt ersucht. Er kam näher und wir griffen zu den Rudern, denn man konnte nicht wissen, woher er kam. Da erschien er wie ein riesiges Gespenst im Nebel, mit all seinen Masten, Rahen, Kaminen, Verdecken. Es war ein P.- und O.-Steamer. In diesem Augenblick schlüpfte der Nebel hinweg und der Dampfer zog leuchtend und glänzend an uns in nächster Nähe vorbei.

Auf dem Verdeck standen Gruppen von Mädchen mit wehenden Schleiern. Augenblicklich begann L’honneur die Mundharmonika zu spielen. Sie schrien und quiekten und ihre weißen Taschentücher flatterten. Hiiii! Wollt ihr Fische haben? L’honneur hielt einen Fisch in die Höhe und warf ihn dem Dampfer entgegen. Hiii! schrien die Mädchen. Dann spielte L’honneur, der ein Allerweltskerl war: God save the queen. Hi–hi–hiii! schrien sie. Der »Kirchturm« kam ins Schaukeln.

» L’honneur!« sagte L’honneur. »Wenn wir sie doch hier hätten! Ah! Für jeden eine und für mich zwei junge Witwen!« Und er blickte dem davonstreichenden Dampfer mit hellen, wilden Augen nach. Dann machte er eine instinktive, unglaublich komische Bewegung und wir starben vor Lachen.

Ein oiltank kam heran. Dieser Dampfer sah komisch aus, da er den Kamin ganz hinten hatte. Es waren unfreundliche Leute, schwarz wie Neger sahen sie zu uns her und grinsten nur ein wenig. L’honneur erbot sich sie auf die hölzerne Fresse zu schlagen.

Eine Weile war es ruhig – da und dort standen Dampfer, sie verschwanden in den Nebelstreifen, tuteten, erschienen wieder – dann kam ein sonderbarer Segler heran. Guter Gott! Er war klein und stammte sicher aus einem andern Jahrtausend. Er hatte zwei Maste, einen richtigen Mast und dahinter einen Stumpen. Die Reling war zwei Handbreiten hoch, das war alles, und sonderbare Burschen handhabten die langen Ruder. Es war ein Boot, in dem man kaum über einen See fahren konnte geschweige übers Meer.

»He, wieviele Knoten macht ihr in der Stunde?«

Niemand antwortete.

L’honneur steckte die Finger in den Mund und pfiff herausfordernd. Sollen wir an Bord kommen und euch verhauen?

»Woher kommt ihr?«

»Von Spanien.«

Hier aber wurde Petitjean lebendig. Er schnupperte mit der Stumpfnase und seine kleinen Augen sprühten Funken.

»Wohin fahrt ihr?« fragte er. Sie waren nun ganz nahe.

»Nach Le Havre.«

»Also nach England fahrt ihr?« sagte Petitjean und lachte. »Was für Ladung habt ihr?«

»Wein.«

Petitjean kannte diese Sorte. Er war ja selbst in dieser Branche tätig gewesen. »Es sind Schmuggler,« sagte er zu mir, »sieh doch das Schiff an! Natürlich fahren sie nie nach Le Havre. Hahaha, gebt uns etwas Wein, wir wollen euch Fische geben.«

Aber die Leute auf dem sonderbaren Boot verstanden auf einmal kein Wort Französisch mehr, sie schimpften auf Spanisch.

L’honneur erbot sich ihnen die Schädel einzuschlagen.

Petitjean aber folgte ihnen mit glänzenden, sehnsüchtigen Blicken. »Ah, sie sind in der Klemme, sie rudern ja. Sie sind abgetrieben worden und haben keinen Wind.« Er sah ihnen voll Mitgefühl nach und schnalzte mit der Zunge.

Petitjean war ein dumm und treuherzig aussehender Bursche, so wie die oft aussehen, die plötzlich zum Tod verurteilt werden. Sie haben da etwas getan, bei Gott, sie wissen kaum was, sie sind ganz erstaunt. Er hatte fünf Jahre bei einem Patron gedient, dessen Spezialität es war Schiffe zu verlieren. Vertraue ihm ein abgedientes Schiff an, das die Gesellschaften nur noch ungern versichern, du brauchst ihm gar nichts zu sagen: die Gesellschaften ziehen nicht mehr recht oder sonst etwas, das genügt. Das Schiff kommt nicht zurück! – Es scheitert, es sinkt, eines ist sicher, es kommt nicht wieder. Es ist zum Beispiel angebohrt, sinkend, in jämmerlicher Verfassung, Torpedoboote können es schleppen wollen, es ergibt sich nicht, es stirbt. Petitjean hatte mehr Schiffbrüche mitgemacht als irgend ein anderer. Die Bezahlung war ausgezeichnet. Aber dann, gerade als Petitjean zum Militär mußte, ertrank sein Patron mit der ganzen Besatzung. Er hatte diesmal einen kleinen Fehler gemacht, er rannte auf, bevor er es wollte.

Tagelang konnte Petitjean erzählen. Drei Worte, drei Gesten, aber man sah alles. Er war zu dumm um zu lügen.

L’honneur dagegen war ein witziger Bursche mit hellen Augen und entwickelten Zügen. Er log. Alle seine Bewegungen waren rasch. Er war immer geschäftig. Er nagelte an einer Stange, knüpfte ein Seil, flickte ein Segel, immer sah er etwas. Er war barfüßig, trug eine kurze Hose und ein lächerlich kurzes Hemd – was für ein Hemd war es doch! Es reichte nur ein wenig unter die Schultern, ließ seinen ganzen braunen Rücken, die Arme und die Brust frei, und doch war es ein Hemd und noch dazu ein Hemd aus San Franzisko. Auf seinen rechten Arm war ein Segelschiff tätowiert und Napoleon, um den sich eine dicke Schlange ringelte, auf seine Brust ein Riesenbildnis der Republik, und wenn seine Hose herabrutschte, so sah man auf seinem Sitzfleisch einen runden, böse blickenden Fisch mit zornigen Stacheln. L’honneur war braun und halbnackt und man sah, daß er unzweifelhaft männlichen Geschlechts war.

L’honneur legte ein Seil wie eine Acht auf das Deck und tanzte, während er dazu spielte; er machte seine Sache geschickt und berührte das Seil nie mit den Füßen.

Natürlich konnte ich das auch. » L’honneur, spiele!« Aber, siehe da, es war nicht so leicht wie es aussah.

Dann legten wir die Leinen aus und wurden ganz still. Stunden vergingen. Wir fischten den lieu, blank wie Stahl, mit spitzer Hechtschnauze, den silberglänzenden pirronneau, der einen Drachenflügel auf dem Rücken hat, den grausamen sarthe, mit spitzen Zähnen im Rachen, gieriger breiter Drossel, gewölbten Katzenaugen, getigertem Leib, ziegelrotem Kopf und rotgelben Flossen, den liebchen coquette, der scharlachrot wird, wenn er an die Luft kommt, den morchelartigen vielle, dick und plump, mit lüsternen Negerlippen, den rouget, merland, congre. Da lagen sie in der Ecke, schnappten nach Luft, starben. Morgen werden wir ins Meer stürzen und nach Luft schnappen. Sarthe wird herankommen wie ein Unterseeboot und uns die Augen ausreißen, und der dicke vielle wird uns mit seinen lüsternen Negerlippen die Nase abknabbern.

Die Sonne stieg ins Zenit und ich lag auf dem heißen Deck ausgestreckt und blinzelte zu ihr empor. Sie fauchte, flackte und ließ mir lange feurige Fahnen ums Gesicht wehen. Ich schloß die Augen und schlief. Aber da zuckte die Leine an meinem Finger: irgendein Fisch da drunten, der mich in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen wünschte.

Die Glocken der Insel bimmelten in der Ferne und der Schiffsjunge trug das Mittagessen auf. Das war ein großer Topf, gefüllt mit Brühe, Kartoffeln, Kohl, Fischstücken, herrlich. Wir saßen um den Topf herum und fuhren mit den Löffeln hinein. L’honneur schlug ein derartig rasendes Tempo an, daß niemand ihm folgen konnte. Der mousse durfte den Topf auslecken.

Nun war es Zeit, die Reusen in die Höhe zu ziehen. Die Seile hatten schon Rinnen in den Bootsrand geschnitten und das Boot schnurrte und surrte wie eine Baßgeige. Man mußte ein Stück Zeug um die Hände wickeln, denn die nassen belasteten Stricke zerfetzten die Haut. Das Boot troff von Wasser und die mit Tang und Gras behängten Reusen brachten einen starken fruchtbaren Geruch vom Meeresgrund herauf. Die ersten Körbe waren leer, ein paar Muscheln und Seesterne, nur eine große Krabbe hockte darin. L’honneur empfing sie wenig höflich. Da sie nicht freiwillig aus dem Korb spazieren wollte, riß er ihr zuerst einige Beine aus, ja, nun ging es. Korb um Korb stieg empor und wir sahen alle gespannt ins Wasser, wo der Korb erscheinen mußte. Wenn man die bleiche Fischleiche schimmern sah, so war wenig Hoffnung vorhanden. Das Geschäft blühte, wir waren nicht unzufrieden.

Hehe! Heraus mit euch!

L’honneur faßte sie geschickt um die Taille, preßte sie zwischen die Knie und schnitt ihnen die Sehnen der Scheren durch. Die Langusten schnurrten, burr! burr! und schnellten sich auf den Schwänzen rückwärts, sie scheuten vor L’honneurs Messer und glotzten es mit ihren langen Pilzaugen an. Es half ihnen nichts. Es war merkwürdig, daß sie meistens zu Paaren in den Körben saßen. Gewiß war das eine Art von Hochzeitsreisenden, die plötzlich auf ihrer Wanderung diese herrliche mit Fisch gefüllte Villa auf dem Meeresgrund angetroffen hatten und sich häuslich niederließen. Hier wollen wir bleiben, Geliebte – aber da fing die Villa an zu marschieren. Sie trugen Kupferpanzer und im Nacken Knorpelschilder; auch ein Paar Hummern war dabei, in blanken Stahlbrünnen. Sie schlugen wild mit den Zangen um sich und L’honneur erhielt einen Schlag in die Hand. Das Blut sprang heraus. » Sacre nom de bleu cochon!!« Vorsicht, L’honneur! Ein Hummer schneidet einen Finger glatt durch.

Wir hatten die Körbe wieder instand gesetzt und hinabgelassen, als sich ein kleines Boot näherte. Wir machten die Augen scharf, wer in aller Welt – es war Yann.

Da kam er herausgerudert, vier Meilen weit, um uns einen Besuch abzustatten.

»Ah, der kleine Kapitän! Ihr arbeitet heute nicht?«

»Nein, die Maschine ist kaputt!« Yann tat laut und gleichmütig, er wollte nur sehen was wir trieben – aber ich fühlte sofort, daß Yanns Besuch einen bestimmten Zweck hatte. Er galt mir.

Yann hatte blutunterlaufene Augen und ich wußte, was das bedeutete. Er hatte seine Periode. Dann trank er schrecklich, er trank tagelang, und die Matrosen auf dem »Arbeiter« wagten nicht zu sprechen. Mit einem vor unsinniger Wut geschwollenen Nacken tigerte er hin und her und suchte nach Rostflecken auf dem Deck. Er schabte, kratzte, untersuchte jeden Nagel, rasselte mit den Ankerketten und Winden, knurrend, ohne eine Wort zu reden. Er riß dem Matrosen, der mit Anstreichen beschäftigt war, wortlos den Pinsel aus der Hand und strich selbst an. Der Matrose aber nahm sich wohl in acht ein Wort zu sagen: denn dann spie dieser Vulkan Feuer und es hagelte Felsblöcke. Und immer schrecklicher trank Yann, ohnmächtig vor Wut, denn er wußte nicht warum.

In dieser Verfassung traf Yann auf dem »Kirchturm« ein.


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