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XIV

Ich begegnete Rosseherre in der Nähe des Dorfes als es dämmerte. Sie trug einen großen Brotlaib unter dem Arm. Creach zündete gerade sein Feuer an. In seinem gläsernen Kopfe hauchte es, wie wenn jemand ein glimmendes Streichholz in den Mund nimmt und es anfacht, dann spie er kurze violette Blitze, die in die Dämmerung wie geschliffene Nadeln stachen. Das Meer war schon dunkel.

»Ihr wäret ja neulich auf ein Haar ertrunken!« sagte Rosseherre singend und stemmte den Brotlaib gegen die schmale Hüfte.

Ich lachte. »Es war nicht so gefährlich,« sagte ich.

Rosseherre wiegte mit kindlichem Ernst den Kopf. »Jean Louis hatte die Hoffnung schon aufgegeben! Und er kennt das Meer da draußen, niemand kennt es besser. Und dann schwimmst du bei den Klippen, es ist dir schon ganz einerlei, ob Ebbe oder Flut ist. Es gibt aber Strudel und Ströme und das Meer kann dich hinaustragen. Amorik von Creach sagt, ich kann ihm schon gar nicht mehr zusehen. Warum tust du das?«

»Ich schwimme ja nicht, wenn die Brandung sehr stark ist.«

»Du kennst das Meer nicht,« fuhr Rosseherre fort. »Du sollst dich in acht nehmen.«

Ich lächelte. Die Besorgnis Rosseherres rührte mich. Sie war ein Kind. »In acht nehmen?«

»Ja, vor dem Meer!«

»Ich möchte wohl gerne wissen, weshalb du auf der Insel lebst?« fuhr Rosseherre fort.

»Um das Meer zu hören und den Fisch zu fangen, Rosseherre.«

Das verstand sie nicht. »Hast du denn keine Eltern und Geschwister?«

»Nein.«

»Und keine Frau?«

»Nein.«

»Aber Freunde hast du doch?«

»Nein. Ich bin seit Jahren unterwegs und meine Freunde haben mich längst vergessen.«

Rosseherre schüttelte den Kopf. »Der Chef der Post sagt, du bist ein englischer Spion und willst herausbringen, wo sie mit ihren Kriegsschiffen auf der Insel landen können. Aber das ist nicht wahr. Vielleicht hast du etwas getan und kannst nicht in dein Vaterland zurückkehren?«

Ich lachte.

»Oder bist du in deinem Vaterland sehr unglücklich gewesen und hast es deshalb verlassen?«

»Nein, glaube das nicht, Rosseherre, ich bin im Gegenteil sehr glücklich gewesen.«

»Ja, niemand begreift, weshalb du hier lebst – hier, wo nichts ist?«

»Es gefällt mir hier.«

Rosseherre wußte nichts mehr zu fragen. Ihr Gesicht war nun ganz dunkel geworden, nur ihre Haube leuchtete noch.

»Die Nächte sind nun so schön und warm, Rosseherre,« sagte ich, »du solltest hören wie die Grillen bei Sturmvilla in den Nächten lärmen.«

Rosseherre drehte sich ein wenig und lachte leise. Ich sah das Weiße ihrer Augen und ihre Zähne.

»Kenavo!« sagte sie dann.

»Kenavo!«


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