Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXXIV

Das war – wann war es? Vor drei Tagen. Heute aber ist alles anders. Ich habe nicht mit Rosseherre und Yann gesprochen, vielleicht hätte ich es doch tun sollen.

Schon gestern begann es, aber ich verstand nicht. Wer sollte auch so etwas denken?

Gestern machte ich mich auf den Weg zu Noel um mit ihm wegen eines Bootes zu verhandeln, das er mir zum Kauf angeboten hatte. Ich kam an Jean Louis’ Hütte vorbei. Soll ich hineingehen, dachte ich. Warum? Du hast ja Zeit. Und ich ging nicht hinein.

»Da sind Sie also wegen der belle femme?« sagte der rote Noel und setzte mir wie gewöhnlich sein Konzert von Schnäpsen vor. »He, Françoise, Antoinette – man muß Poupoul zu Fressen geben! Ihr Hund frißt aus dem Zwetschgensack, haha, schadet nichts. Ein hübsches Boot, die belle femme! Sie haben sich also entschlossen?«

»Ja, ich habe mich entschlossen.«

»Sie wollen es also machen wie die andern?«

»Weshalb nicht?«

»Nun, Sie wissen ich bin Fischhändler, ich verpflichte mich Ihnen alle Fische abzunehmen.«

»Schön.«

»He, Antoinette, Maria – man muß den Schuppen im Hafen aufsperren!«

Ich verhielt mich etwas bei Noel, ich hatte nichts zu versäumen. Der verrückte Gaston kam auf seinen geknickten Knien hereingesegelt und lud mich zu einem Glas Wein ein. Dazu aßen wir Käse, und den spendierte ich. Dann kam der Dorflump.

»Herr,« sagte er, »geben Sie mir einen Franken und ich will Ihnen eine äußerst wichtige Mitteilung machen!«

»Pack dich!« sagte ich. »Eine Tracht Prügel, wenn du willst!« Der Dorflump grinste und entfloh.

Wir sahen uns die belle femme im Schuppen an.

Niemand hatte einen Bootsschuppen, nur Noel. Unter den bloßliegenden Pfählen wateten Buben umher und drehten die Steine um. Sie ergriffen die kleinen Krabben, die sich davonmachen wollten, an den Scheren, und den jungen Aalen, die sie fingen, schnitten sie sofort die Kehle durch.

Ich klopfte die belle femme ab. Sie war breit gebaut.

»Sie ist das schnellste Boot auf der Insel!« sagte Noel.

Bann und Kedril hatten mir schon früher gesagt, daß die belle femme ein ausgezeichnetes Boot wäre. Sie gefiel mir. Steuerbord mußte ein Steven neu eingesetzt werden, sonst war alles in Ordnung.

Wir einigten uns nach einigem Hinundherreden über den Preis. Ich unterbot Noels Offerte so unverschämt, daß ihn fast der Schlag rührte. Nun, ich werde dir nicht meine Louisdors in den Rachen werfen, Inselkönig.

In einer Gasse traf ich wieder den Dorflumpen. Er hatte mir aufgelauert.

»Herr!« flüsterte er geheimnisvoll. »Geben Sie mir doch einen Franken, ich werde Ihnen eine wichtige Mitteilung machen.«

Ich lachte. So frech, zerlumpt und schmutzig sah er aus.

»Nimm dich in acht, Schmutzfink!« rief ich und hob den Arm. Der Dorflump nahm die Mütze in die Hand und lief was er konnte.

Zu Hause vermißte ich Poupoul. Nun erst fiel mir auf, daß ich ihn, seit wir Noels Bar verlassen hatten, nicht mehr gesehen hatte.

Ich pfiff und blickte über die Heide. Aber der rasche dunkle Knäuel tauchte nirgends auf. Poupoul streunte. Er kam den ganzen Nachmittag nicht, erst spät abends kläffte er vor der Türe. Haha, alter Vagabund! In einer elenden Verfassung kehrte Poupoul von seinen Abenteuern zurück. Er hinkte und blutete an mehreren Stellen zugleich. Seine Nase war zerschnitten und am rechten Hinterfuß hatte er eine schreckliche klaffende Wunde. Am Hals aber hing ein Stück von einem durchgebissenen Strick.

»Hoho, Poupoul, was haben sie mit dir angestellt? Haben sie dich festgebunden und du bist durch ein Fenster gesprungen?«

Poupoul winselte und sah mich beschämt an. So schlimm war es ihm noch nie ergangen.

Ich wusch seine Wunden aus, verband sie, und nun lag Poupoul auf der linken Seite, die Pfoten von sich gestreckt und zitterte an allen Gliedern. Am andern Morgen machte er einen Versuch aufzustehen. Aber er brach winselnd zusammen. Ich trug ihn vors Haus in die Sonne und stellte Wasser vor ihn hin.

»Morgen ist es schon wieder gut, Poupoul, bleibe hübsch liegen, adieu!«

Poupoul klopfte mit dem Schwanz, legte den Kopf flach auf den Boden und bereitete sich geduldig auf ein langes Warten vor.

Ich sprach im Dorf mit dem Zimmermann, dann ging ich quer über die Insel nach Stiff und arbeitete den Nachmittag über bei Herrn Boucher. Als ich zurückkehrte war die Sonne im Begriff unterzugehen.

Ich fand Poupoul in genau derselben Lage vor der Türe, wie ich ihn verlassen hatte.

»Hallo, Poupoul!«

Aber er regte sich nicht. Er lag, die bandagierten Pfoten von sich gestreckt, und der Wind spielte in seinen Haaren. Ich kauerte mich nieder und ein paar Fliegen summten auf. Ich berührte Poupoul – er war steif und hart. Poupoul war tot.

»Bist du gestorben, mein Hund, und ich bin nicht bei dir gewesen?« fragte ich leise.

»Bist du gestorben, mein Hund!« rief ich.

Ja, Poupoul war tot.

Ich stand auf und sah über das Meer.

Vielleicht hätte ich ihn retten können, wenn ich dagewesen wäre? Wie merkwürdig, er war an diesen unscheinbaren Wunden gestorben.

Ich ging ein paar Schritte, um meinen Schmerz zu vergehen, dann kehrte ich zurück. Ich setzte mich auf den Stein vor der Türe und sah Poupoul an. Der Wind fegte und jammerte hoch in der Luft. Das Meer wogte wie Feuer. Zwischen den mächtigen Schollen treibender schwarzer und glühender Schlacke züngelten die hellen Flammen empor. Das Meer brannte bis zum Grunde. Eine breite purpurne Lohe wälzte sich vom Horizont her übers Meer, der Himmel war bedeckt mit Qualm, rot vom Widerschein, und spiegelte gespenstisch die Feuersbrunst da unten wider. Auf dem brennenden Meere zog ein großer Ostasienfahrer und zerschmolz. Seine Verdecke zerrannen, die Maste und Rahen tropften herab und sein dicker Kamin wurde rings vom Feuer zerfressen. Eine dicke, pechschwarze Rauchwolke stieg aus ihm empor –

Ich saß und sah Poupoul an. Meine Augen wurden trocken in den Höhlen.

»Poupoul, mein Kamerad!« sagte ich und kniete nieder und küßte ihn zwischen die Augen.

Da machte ich die Entdeckung, daß er eine dünne Schnur um den Hals hatte, und meine Hände wurden ganz schwach. Es war eine Schnur, wie man sie zum Fischen benützt, es war eine Schlinge –

Man hatte Poupoul ermordet!

Ich erhob mich und erbebte vor Schmerz und Wut.

»So seid ihr! Das seid ihr!« schrie ich und schwang die Fäuste gegen das Dorf. Da erblaßte ich.

»Yann! Yann!«

Warum hast du mir das angetan, Yann! Weil Poupoul dich neulich verriet, du Wegelagerer? Deshalb? Yann, weshalb hast du nicht mir die Schlinge über den Kopf geworfen, ich hätte mich wehren können, aber dieser da –

Poupoul hatte ja wohl noch die Hand geleckt, die ihm die Schlinge um den Hals legte, hatte gebellt und gewedelt vor Vergnügen, weil jemand zu ihm herauskam, da er so allein dalag.

Ich ging ins Dorf. Wo ich dich auch finde, Yann, ich werde dich an den Schultern packen und zu Boden schleudern, ich werde dich an der Kehle fassen und dir mit der Faust das Gesicht zerschlagen, bis du still bist, hüte dich, ich komme!

»Ist Yann an Bord!« fragte ich, steif und blaß.

»Nein, Yann ist an Land.«

»Wo ist er?«

Sie lachten. Wie sollten sie wissen, wo er sei?

»Jean Louis, guten Abend, ist Yann nicht bei dir?«

»Yann, hühü – nein, mein Freund.«

»Chikel, hast du Yann gesehen?«

»Nein!«

Yann, Yann, wo hältst du dich verborgen? Heraus mit dir!

Es wurde dunkel. Das Dorf lag friedlich da mit seinen spärlichen Lichtern. Der Lichtkegel Creachs fegte heran und die Silhouette der Dächer hob sich scharf und schwarz davon ab, dann versank alles in Dunst und Nebel, Häuser, Lichter, und der Lichthieb flog über mich hin und blendete mich. Und wieder lag das dunkle Dorf friedlich mit seinen blinzelnden Lichtern da.

Ich kehrte wieder nach Sturmvilla zurück. Fliegen summten über Poupouls Leichnam. Ich nahm ihn auf den Arm und trug ihn hinab zum Meer. »Du hast ja immer auf dem Meer gelebt, Poupoul,« sagte ich. Poupoul war steif, als ob er ausgestopft wäre. »Lebe wohl, mein Kamerad!«

Poupoul trieb. Er schwamm langsam hinaus, dann aber kam er in einen Strudel und verschwand. Eine Welle schoß heran und als ihr Gischt zerstoben war, lag Poupoul wieder vor mir.

»Nun, lebe wohl, Poupoul, es muß ja doch sein!«

Merkwürdig! Ich versuchte es an drei, vier Stellen, immer wieder kam Poupoul zu mir zurück.

Da nahm ich ihn wieder auf den Arm, triefend naß wie er war, und trug ihn quer über die Insel. Er war schwer und ich keuchte.

Im Osten waren Meer und Himmel blauschwarz, im Westen kupferrot. Eine kleine braune Mondsichel stand über der Insel und der Wind fegte.

Wo die Klippen senkrecht abfallen, warf ich Poupoul ins Meer. Ich sah wie er auffiel, ich hörte es. Nun konnte er nicht mehr zurückkommen. Er rollte an den Klippen entlang, dann packte ihn der Strom und er verschwand.

Ich begleitete ihn auf seiner Fahrt, bis ich zur Markonistation kam. Hier trat ich ein.

»Nehmen Sie Platz,« sagte Herr Boucher liebenswürdig, »wie sehen Sie aus?«

»Danke,« erwiderte ich, »ich will stehen, mein Hund ist gestorben.«

»So so, Ihr Hund ist gestorben?«

»Ja!«

Ich ging wieder. Ich setzte mich auf einen Stein und blickte hinaus aufs Meer. Pechschwarz lag es unter dem schwarzvioletten Nordhimmel, schrecklich leer und öde. Dort draußen reiste Poupoul und die Wogen spielten mit ihm.

Ich kam erst spät nach Hause. Ein paar Stunden hatte ich bei Poupons Schlucht auf Yann gewartet. Er war nicht gekommen.

In meiner Hütte war es einsam. Der Regen prasselte über das Dach und tropfte durch die Risse und ich dachte an Poupoul.

»Erinnerst du dich, mein Freund, wie wir uns kennen lernten? Das war drüben an der Küste. Du hieltst mich mit deinen scharfen Zähnen am Bein fest, ohne zu beißen. Das gefiel mir! Erinnerst du dich, wie ich deine Treue prüfte und mich beim Schwimmen stellte, als ob ich ertränke – du aber hast nicht gezögert und sprangst augenblicklich ein Stockwerk hoch ins Meer um mir beizustehen.«

Tip – tiptip – der Regen tropfte und telegraphierte wirre sinnlose Worte, hinter denen eine schreckliche Bedeutung zu lauern schien. Der Wind fegte draußen – und horch: kläffte nicht ein Hund in der Heide? Ich richtete mich auf. Schreie waren draußen in der Nacht, Schreie einer mörderischen Lust und das schrille Lachen Gemarterter. Das Blut gerann in meinen Adern und ganze Teile meines Körpers waren wie gelähmt.

Nein, hier gefiel es mir nicht. Ich ging hinaus und legte mich unter einem Felsen schlafen.


 << zurück weiter >>