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Der Tag kam und der Orkan surrte wie tausend rasende Expreßzüge über die Insel dahin. Er heulte nicht mehr, schrie nicht mehr, er surrte, hohl und dumpf. Nimm den Hut ab, ziehe die Jacke aus, hänge Hut und Jacke an meine Hauswand, ohne Nagel, wie angeleimt bleiben sie hängen, so wehte es. Das kleine Segel zuckte noch immer im gleichen Kreise. Sie waren nun sechsunddreißig Stunden draußen. Die Nacht kam, fünftausend wiehernde Kannibalen tanzten um mein Haus, wieder tagte es und der Sturm surrte.
Das kleine Segel war verschwunden.
Ich erbleichte, als ich es hörte.
Aber gerade als wir alle in Chikels Bar standen und uns ereiferten: diaul! einen Laib Brot und eine Flasche Schnaps, zwei Tage ohne Schlaf und welche Arbeit – ging die Tür auf, und was kam herein? Drei Seegespenster! Drei Gespenster mit kalkweißen Gesichtern und blauen Lippen, Leichen, die tagelang in Eiswasser gelegen waren, mit Glasaugen, klebenden dünnen Haaren und einem irrsinnigen Totenlächeln. Nun also, da waren sie! Es wurde ganz still. Dann aber begannen die drei Seegespenster in den gemeinsten Ausdrücken zu schimpfen. Ihr hättet uns ruhig ersaufen lassen, ihr Hundesöhne! Gott, sei Dank, sie waren lebendig.
Sie hatten das Verzweifelte getan. Sie waren aufs offene Meer hinausgefahren, um zu sterben – oder, die Insel zu umsegeln und im Lee irgendwo unterzuschlüpfen. Es war ihnen geglückt. Hoho, Brüderchen! Und nun küßten wir sie alle.
Sie gossen sich Branntwein in die Kehle und gurgelten Schnaps. Einer ließ drei, vier Gläser fallen, er hatte jedes Tastgefühl in den Händen verloren, und lachte idiotisch.
Da kam noch ein Seegespenst herein. Aber es war nicht weiß, sondern schwarz wie ein Neger, der da und dort Farbe gelassen hatte, mit rotgesäumten Augen. Das war Yann. Der »kleine Kapitän« sprach wie ein Faß und hatte einen furchtbaren Brüllhusten.
»Ich mußte an Land gehen,« hustete er, »ich habe keinen Kognak mehr, he, Patronne! Rasch! Es war die reinste Hölle in der vergangenen Nacht. Willst du mit an Bord? He?« Ah, Yann, wie spöttisch und überlegen du doch lächelst!
»Sechs Flaschen Kognak, Madame Chikel!« erwiderte ich. »Etwas Käse. Hast du Brot? Vorwärts Yann!«
Im Hafen schwammen die Trümmer der zerschlagenen » Notre Dame de l’Isle«. Mit jeder Welle trieben sie vorwärts und zurück. Der gefesselte »Kommissionär« hatte sich ein paar Rippen eingeschlagen und lag mit dem Stern auf Grund und wälzte sich schwerfällig.
Wir sprangen ins Boot, Poupoul voran. Er war atemlos vor Vergnügen, sobald er in ein Boot springen konnte. Die Ruder tauchten ein und das Boot trieb mit der zurückflutenden Welle hinaus. Yann saß mit gebeugtem Nacken am Steuer und folgte lauernd den Bewegungen der Wogen, wie ein Boxer jenen seines Gegners. Er schrie den Matrosen Befehle zu und sie sahen ihm gespannt auf den Mund, denn hier außen konnte man kein Wort verstehen. Wir hatten fünfhundert Meter zu rudern, aber es sah aus als sollten wir den »Arbeiter« nie erreichen. Manchmal stand das Boot buchstäblich senkrecht.
Der »Arbeiter« zerrte an seinen zwei Ankerketten, bäumte sich auf und schlug aus wie ein Pferd. Bald war sein Deck auf Wasserhöhe, bald schnellte es ein Stockwerk in die Höhe und der »Arbeiter« zeigte den roten Bauch.
Zuerst stieg Yann an Bord, dann reichte ich Poupoul hinauf, der zappelte vor Erregung, zuletzt folgte ich.
Der »Arbeiter« war in voller Fahrt. Mit all seinen sieben Knoten rannte er vorwärts und kam doch nicht vom Fleck. Ganze Häuser, ganze Straßen bebender Wassermassen warfen sich ihm entgegen. Der Abstand zwischen den Wogenreihen betrug gut zweihundert Schritt. Lange sausende Ebenen flogen heran, die Wasserberge wuchsen bebend daraus hervor, der »Arbeiter« stieg, kletterte, sprang, glitt hinab, und die nächste sausende Ebene flog heran. Der Wind verwehte das Spritzwasser, so daß die Wogen wie mit weißen langen Wollfäden bestreut aussahen. Wie ein fliegendes schwarzgrünes Gebirge waren sie, in dessen Rinnen und Rillen der Schnee schmolz. Sie glitten blitzschnell an den Wänden des Dampfers entlang, kreiselten wütend und kletterten dröhnend und zischend an Deck. Der »Arbeiter« troff von oben bis unten.
Eine Sturzsee prasselte wagrecht über den »Arbeiter« dahin, vom Bug bis zum Stern, und ich bekam die volle Ladung ins Gesicht.
»Vorwärts!« brüllte Yann und stieß mich in die Luke hinab. Es war unmöglich in der kleinen übelriechenden Kajüte auch nur eine Sekunde aufrecht zu stehen. Sie war dunkel und kreiste wie der Bauch eines Haifisches in voller Fahrt. Und es ist bekannt, daß sich ein Haifisch in Spirallinien durchs Wasser schraubt. Die Luke an der Luvseite war verschraubt und wir bekamen nur dann etwas Licht, wenn sich das Glas gegenüber über Wasser befand. Poupoul hustete ein wenig. Nun, Poupoul, du wirst doch nicht? Was fällt dir ein, ein Schiffshund! Nein, Poupoul hatte ja nur zum Vergnügen ein wenig gehustet, er fühlte sich zu Hause hier unten.
»Trinke, rasch!« schrie Yann und goß Kognak in eine Blechkasserolle. Augenblicklich begannen wir mörderisch zu trinken, hier unten in dem kreisenden Haifischbauch blieb nichts anderes zu tun übrig, entweder oder. Also prost, meine Damen!
Ich verbrachte zwei ganz unvergeßliche Tage und Nächte auf dem »Arbeiter«.
Wenn die Flut kam, löste Yann seinen Steuermann ab. Wir mußten hinauf. Sobald wir den Kopf aus der Luke streckten, fegten Wind und Wasser wie ein Reibeisen über unser Gesicht. Dann kletterten wir zwischen zwei Sturzseen die schmale eiserne Treppe zur Brücke empor und hier banden wir uns fest. Der Sturm empfing uns mit einem pöbelhaften Triumphgeheul, als ob wir uns versteckt gehabt hätten. Das Spritzwasser trommelte auf unseren geölten Anzügen und festgebundenen Sturmhauben, und ganze Grotten von Wasser stürzten auf uns herab. Das Wasser auf der Brücke ging uns über die Knöchel, aber da wir barfüßig waren, schadete es nicht weiter. Es schwankte hin und her, bis es endlich wie ein Wasserfall die eiserne Treppe hinabstürzte. Zuweilen schlugen Bomben auf dem Dampfer ein, und Maste, Kamin, alles verschwand in einer Wolke von Gischt und Dunst.
Yann hustete fürchterlich und fluchte ununterbrochen. Er hatte sich am Sprachrohr den Mund blutig gestoßen und war wütend. Er überhäufte jede einzelne Woge mit Flüchen wie einen persönlichen Feind. So oft einer dieser fliegenden Wasserberge heranrollte, schrie er ins Sprachrohr: Zurück! – und wenn wir den Berg hinaufgeklettert waren: Vorwärts! – um den Anprall der vielen tausend Tonnen Wasser auszugleichen. Die Ankerketten strafften sich, knirschten, rasselten, der Bug sank ein, um gleich darauf einige Stockwerke emporzuschnellen. Oft legte sich der Dampfer so stark zur Seite, daß die Brücke steil wie ein Giebel stand. Das Meer war in der Nacht schwarz wie Pech und die wirbelnden Gischtkämme leuchteten wie Schnee. Creach schwang seine Lichtkegel im Kreise und beleuchtete das grauenhaft gerunzelte Meer. Der Dunst des Spritzwassers glitzerte und funkelte in seinem Lichte. Dann sahen wir auch alle sieben Sekunden das »Kamel«, das draußen in der Bai galoppierte. Das »Kamel« war ein Felsen, hoch wie ein fünfstöckiges Haus, aber das Wasser fegte darüber hin. Zuweilen fuhr der Gischt nach allen Seiten in die Höhe, als sei das »Kamel« soeben aus großer Höhe ins Meer hinabgesprungen.
Gegen drei Uhr nachts hatten wir Unglück. Die Spitze des Fockmastes mit unserer hübschen Laterne ging über Bord. Yann stieß einen der längsten und entsetzlichsten Flüche aus, den je eine menschliche Zunge zustande brachte. Gewiß hätte er sich in der Wut dem Mast nachgestürzt, wenn er nicht festgebunden gewesen wäre.
»Die Sache ist die,« schrie mir Yann ins Ohr, und drehte den Bug einer Woge entgegen, die mit hocherhobenen weißen Tatzen schräg herankam und alle andern überholte, »die Anker hatten sich festgebissen, aber der Teufel weiß, ob die Ketten es noch lange aushalten werden. Dann gute Nacht, in fünf Minuten sind wir in den Klippen. Achtung! O, daß alle stinkenden Teufel der Hölle dich haariges Monstrum –! En arrière!« Eine ungeheure Wassermasse schlug über Bord und der Dampfer sank so tief ein, daß es eine Ewigkeit dauerte, bis er sich wieder in die Höhe arbeiten konnte.
Dann und wann unternahm ich eine kleine Expedition nach dem Maschinenraum. Ich kletterte die Treppe hinab an Deck, wartete bis ich den nächsten Eisengriff fassen konnte ohne über Bord gefegt zu werden, und kroch im Lee des Kesselraums entlang. Wo der Wind eine Spalte fand, blies er so rasend, daß ich spürte, wie sich das Fleisch an meinen Knochen verschob und löste.
Haha, da waren sie, schwarz wie Mohren hantierten sie da drunten. Ich klopfte auf die verschraubte Luke, sie sahen herauf, grinsten und der Maschinist öffnete. Ich ließ mich die eiserne Leiter hinab. Wie warm es hier war!
»Ihr habt es gut hier, ihr Halunken!«
»Warum hast du uns nichts zu trinken mitgebracht?«
Ja, wie konnte ich es auch wagen ohne Kognak zu diesen Rußteufeln zu kommen, deren Kehlen lichterloh brannten?
»Sofort!«
Ich kroch wieder zur Luke hinaus, machte die Expedition zur Kajüte hin und zurück und da war ich wieder. Der Heizer ließ kochendes Wasser in einen Tiegel und mischte einen großen Humpen Grog zurecht. Es roch hier unten nach heißem Öl und Putzwolle. Die Schaufel scharrte und das Heizloch spie Gluten. Es gab hier glühende Kohlenstückchen, die es auf meine nackten Füße abgesehen hatten. Der Sturm toste in der Ferne; man fühlte sich hier wohl und geborgen wie in einem eleganten Salon, wenn es draußen hagelt. Der Wind tutete und pfiff durch das Sprachrohr und monoton rasselnd kamen Yanns Befehle heraus: en route, doucement, en arrière! Der Maschinist hatte die Hand am Hebel, die Maschine tickte, und wenn sich die Schraube über Wasser befand, wackelte sie von oben bis unten.
»Hau – hau – hau – en route!« hustete Yann.
»Der ‚kleine Kapitän‘ hat sich etwas erkältet!« Die Leute liebten Yann und verließen sich auf ihn. Wenn er auch zuweilen mit den Fäusten auf sie losging, er hatte seine guten Seiten, ohne Zweifel. Und dann, er war tüchtig!
Die Burschen hier unten führten ein Leben für sich, was oben war, ging sie gar nichts an. Nun ja, heute gab es etwas zu tun – aber das hielt sie nicht ab sich in aller Gemütlichkeit über die Dummheiten zu unterhalten, die sie mit einer dicken Kellnerin in Brest getrieben hatten – hahaha!
Das Sprachrohr rasselte, und der Dampfer wurde in die Höhe geschleudert. Eine Sturzsee erschütterte ihn und er sank ein. Wohin sollte es noch gehen? Eine Weile stand er still, dann legte er sich bebend auf die Seite, so daß der Boden nahezu senkrecht stand und man sich mit Händen und Füßen festklammern mußte. Wir sagten kein Wort. Der Maschinist am Hebel sah wachsgelb aus unter der Rußschicht.
»Wenn jetzt der ‚kleine Kapitän‘ nicht bald ein Kommando gibt, dann ist er über Bord gegangen!« sagte er und öffnete lauschend Mund und Augen.
» En route, nom de chien!« rasselte das Sprachrohr.