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XXIX

In einer Nacht erwachte ich und begann nachzudenken.

Ja, bei Gott, warum mußten meine Augen gerade auf Yvonne fallen, die sich hinter ihrer Jungfräulichkeit verschanzte wie hinter sechszölligen Panzerplatten. Warum war gerade sie anders als die Mädchen auf der Insel, die wenig Umstände machten?

Nun, ich werde zu dir gehen, Yvonne, und dir reinen Wein einschenken, ich werde dir sagen, was ich denke und was ich will und du wirst mir antworten.

Ich stand auf. O, nein, ich hatte gar keine Lust, dem Schicksal aus der Hand zu fressen. Aber es war noch Nacht, eine helle Spalte klaffte im Osten, es war vier Uhr morgens.

Am Vormittag machte ich mich auf den Weg nach Creach – aber da kam Kedril heran und schwenkte eine Depesche: trois bâtiments russes! He, Kriegsschiffe, die nach Brest wollten. Es gab ein hübsches Stück Geld zu verdienen und zwanzig Lotsen von der Küste und den Inseln machten sich auf die Suche. Wir würden natürlich das Geld einstreichen, Kedril und ich!

Vor der Fahrt tranken wir bei Chikel, das ganze Dorf betrank sich vor Aufregung: das große Geld, Gott beschütze mich! Alle Not würde ein Ende haben –

Es gab nun gar keinen Zweifel mehr, daß die Russen uns gehörten. Wie Pilot? Haha, los! Yvonne, nun du bleibst ja hier –

Es war mehr als klar, daß die Panzer auf das Feuer von Creach halten würden, und auf dieser Annahme basierten unsere Operationen. Aber man kann von russischen Kriegsschiffen unmöglich Pünktlichkeit verlangen, sie ließen auf sich warten. Die See tobte und spektakelte, das Großsegel donnerte und der Mast ächzte und kreischte. Kedril lag mit dem Körper gegen das Steuer und brüllte so laut er konnte seine Befehle. Und wir, der Matrose und ich, wiederholten sie brüllend, zum Zeichen, daß wir verstanden hatten, und unter einem unbeschreiblichen Geheul jagten wir durch die nächtigen Wasserschluchten und kletterten wir über die bebenden, atemlosen Wogenketten. Unser Fockmast bohrte sich bis zum Schnabel in die schwarzglänzenden Glasberge, die uns unaufhörlich entgegenrollten, und schaufelte Blöcke von Wasser in die Höhe. Wie ein zerfetztes Banner sah er aus. Die Sturzseen zischten und der Wind trillerte in den Seilen. Irgendwo erschien ein zerfetzter, verwehter Lichtfunke im Süden und wir galoppierten unsere fünf geschlagenen Meilen. Ein lumpiger, verfluchter Frachtdampfer, gehe in die Hölle!

Es wurde nichts mit dem Stück Geld, die trois bâtiments russes waren uns entgangen. Wir betranken uns aus Wut. Wir zitterten vor Erschöpfung – achtundvierzig Stunden lang hatten wir uns mit einer fürchterlichen See herumgeschlagen, ohne einen Bissen über die Lippen zu bringen. Und nichts! Diaul! Hehe! Wie hatte es Mathieu, dieser Satan, nur fertig gebracht – war er ihnen bis zum Äquator entgegengefahren – he, Kedril, Pilot Nummer Eins? Wir pufften uns ein wenig zum Scherz. Was für Hämmer Kedrils Fäuste waren! Wir waren aufgelegt zu einer Prügelei – heran! –

Nun, da bin ich wieder.

»Komm heraus, Yvonne. So reich mir doch die Hand heraus!«

Yvonnes Mund war kühl, aber ihre Wangen glühten. Ihr Haar roch warm wie der Sommer und der Geruch der Heide stieg aus ihren Kleidern. Lichter glänzten auf ihren braunen Wangen und ihrer gewölbten Stirn. Sie war so braun, wie Amorik selbst, der Einäugige.

»Wirst du herauskommen, Maria?«

Sie lächelte. Sie wußte alles, was geschehen würde, wenn sie herauskäme.

»Das nächste Mal will ich herauskommen,« flüsterte sie.

»Nein, heute, Yvonne!«

»Das nächste Mal!«

Gut.

Ich ging und mitten in der Heide setzte ich mich auf einen Stein. Sie nahm es so heilig, sie war ein Mädchen. Sie bebte und zitterte vor ihrer Stunde. Ich werde warten, Yvonne, ich schwöre dir Geduld zu haben.

Horch! Das ist die Flut. Der Strom donnert. Horch! Ebbe. Es sind Möwen unterwegs. Der Regen prasselte über mein Dach und hoch oben stürzte heulend der Wind dahin. Ich sang. Ich ging hinaus in den Sturm und sang mit lauter Stimme, denn ich fühlte, daß ich lebte. Nebel. Er quoll durch Türe und Wände und mein Tabak wurde feucht. Creach brüllte Nächte lang. Ich ging auf und ab und mein Herz schlug, so oft Creach die Stimme erhob. Draußen antwortete ein Dampfer. Still! Er fuhr zu nahe. Ich trat vors Haus und lauschte mit verhaltenem Atem. Nun heulte er ferner. Es gab keine Gefahr mehr. In einer Nebelnacht hörte ich das Tuten eines Dampfers, der einen vollkommen falschen Kurs steuerte. Er fuhr an der falschen Seite vorüber, die gefährliche Passage de Fromveur, die alle Seeleute kennen. Er fuhr sorglos darauf los, tutete und verschwand, ohne je zu ahnen, wie nahe sein Kiel den Klippen gewesen war. Da draußen gab es Riffe wie Sensen, die nur darauf gelauert hatten ihn der Länge nach aufzuschlitzen.

Wenn die Sonne aufging und all die Halme und Gräser der Heide streifte, so sah die Insel wie bereift aus. Die Vogelzüge kamen aus dem Norden, von Irland und England, und zogen keilförmig über die Insel dahin und verschwanden blitzschnell hinter dem Horizont. Dahinterher kamen stets Trüppchen von Nachzüglern – mochten sie mitkommen oder nicht, es gab hier keine Rücksichten. In den schwarzen Nächten aber sausten die Schwärme den Leuchtfeuern entgegen, die vor ihnen aufblitzten, und ehe der schwirrende Keil schwenken konnte, hatten sich Hunderte von Vögeln die Schädel eingerannt. Die ganze Insel nährte sich in dieser Zeit von Vögeln. Auch ich. Man brauchte nur nach Creach zu gehen und sie aufzulesen. Sie lagen auf der Heide, in den Klippen, überall. Ihre Schnäbel standen ein wenig offen, als hätten sie im Sturz geschrien, runde, graue Kapseln wölbten sich über ihre kleinen Augen, die feucht blinkten. Und wie zart sich die Knochen unter den flaumigen Federn anfühlten!

Poupoul hatte gute Tage.


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