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X

An vielen Nachmittagen kam Rosseherre mit ihren Hammeln nach Sturmvilla. Yann war draußen auf dem Meer.

Und sie erzählte von den Lutins, die früher an die Fenster der Fischer klopften, in der Nacht, und schrien: märri, märri! Wie eine Katze miaute Rosseherre. Ja, und ein Lutin zerriß einen Brunnenstein, mitten durch riß er ihn, weil er in Wut kam. Sie lockten die Fischer auch in die Grotten am Meer, sie sagten: Komm, komm mit in die Grotte, Gold, Gold, ganze Haufen Gold will ich dir geben. Dann aber kam die Flut und die Fischer ertranken elend.

Ob sie je einen Lutin gesehen habe?

Rosseherre schüttelte den Kopf. »Nein,« sagte sie und blickte mit offenem Mund zum Himmel empor. »Einmal, glaube ich, habe ich Lutins gesehen, drei Stück, die nebeneinander hockten und mir Gesichter schnitten. Aber ich muß mich wohl versehen haben. Denn es gibt keine Lutins mehr. Die Priester sind gekommen und haben Weihwasser über die Felsen gesprengt, da sind die Lutins aufs Meer hinausgefahren, ganze Schwärme. Nur einen Geist gibt es noch auf der Insel, das ist Poupon, der Mörder.«

»Poupon, der Mörder?«

Rosseherre nickte. »Ja,« sagte sie ernsthaft, »er haust in der tiefen Schlucht, du gehst jeden Tag vorüber. Wenn das Meer wild ist, so kannst du ihn heulen hören. Hüte dich vor ihm!«

»Hüte dich?«

»Ja. Niemand geht hier vorüber. Denn Poupon hat einen bösen Charakter. Schon viele hat er hinuntergerissen. Alle machen einen Bogen. Poupon, ja, er war ein Fischer und hatte eine junge Frau. Einmal fuhr er nach der großen Erde hinüber und da kamen große Stürme und er mußte drei Wochen warten. Dann kam er zurück. Und ein Lutin setzte sich auf sein Ohr und sagte immerfort: Es war einer hier. Seine Frau setzte die Fischsuppe auf den Tisch und klopfte ihm auf die Backe, aber er stieß sie zurück und sagte: Wer war hier? Sie sagte: Keiner! und weinte.

Poupon aber wurde immer wütender; und nichts ist schrecklicher als ein Fischer, der eifersüchtig ist. Frau! sagte er, wenn es so abgeht, so werde ich sagen: Frau, ich verzeihe dir. Aber wenn es nicht so abgeht, so werde ich sagen: Schmutzige Kuh! und werde dich töten. Sie sollte aber ein Kind bekommen und Poupon erstach sie. Er kam mit einem blutigen Messer ins Dorf und tanzte vor den Häusern, und die Leute fürchteten sich. Dann, ja, dann lief er über die Heide nach Stiff, wo die Klippen so hoch sind wie zwei Kirchtürme, und stürzte sich hinab. Aber das Meer wollte ihn nicht und warf ihn zurück. Da rannte er rund um die Insel und schrie so furchtbar, daß alle es hörten und die Türen aufmachten. Er stürzte sich dort in der Schlucht ins Meer, aber das Meer nahm ihn nicht. Seitdem haust er in der Schlucht. Und sobald der Sturm kommt, stürzt er sich ins Meer und heult lauter als der Sturm, aber das Meer nimmt ihn nicht. Er kann nicht sterben.«

Nun wußte ich auch, weshalb Rosseherre stets einen großen Bogen beschrieb, sobald sie sich Poupons Schlucht näherte.

»Weshalb kann er aber nicht sterben?« fragte ich und stellte mich dumm.

Rosseherre brach in das heiterste Lachen aus. »Weil die Frau unschuldig war! Der Lutin hatte ihn belogen. Traue nie einem Lutin, das sind schlechte Wesen.« –

Ich ging ins Dorf und ließ mir all die Herrlichkeiten an Schultertüchern vorlegen, die Noel besaß. Ich wählte ein blauseidenes Tuch mit grellroten Rosen in den Ecken. In Noels Laden traf ich mit Martina zusammen. Sie rief mich später vor Noels Haus an, ich wollte vorübergehen.

»Du bist so lange nicht gekommen?« sagte sie, und ich sah, daß sie trotz alle dem schöne schwarze Augen hatte.

Ich blickte an ihr vorbei, hinaus aufs Meer.

»Ich komme auch nicht wieder!« entgegnete ich.

Martina sprach kein Wort darauf, sie sah mich verwundert an und ging.

Haha, welche Freude Rosseherre haben wird, wenn ich ihr das Schultertuch zeige! Und ihre Freude war groß. »Das ist für mich?« sagte sie und deutete auf ihr Herz. »O nein, o nein?«

Ich hatte ein kleines Messer. Das gefiel Rosseherre und sie bekam es. Mein Bleistift gefiel ihr, eine alte Kupfermünze, ein Taschentuch. Alles hatte Wert für sie und sie bekam es. Rosseherres Gesicht war verdunkelt von einem tiefen, alten Kummer. Sie war Noel zehn Sou schuldig und er gab nichts mehr, bevor sie bezahlte. Und Rosseherre zeigte mir ihr kleines Lederbeutelchen, es waren nur drei Sou darin. Ob ich ihr vielleicht zehn Sou leihen könne? Und nun war Rosseherre fröhlich, so leicht fühlte sie sich, daß sie, immerfort ihre blitzenden Zähne zeigte.

»Rosseherre,« sagte ich, »willst du nicht jetzt die Ringe haben, die ich dir versprach?«

Sie lächelte und schüttelte den Kopf.

»Nein?«

»Nein. Denn wenn ich sie habe, so wird niemand auf der Insel glauben, daß du sie mir so geschenkt hast.«

»Aber du brauchst sie ja nicht zu zeigen.«

»Was habe ich von Ringen, die niemand sieht?«

»Und Rosseherre –?«

Rosseherre lachte. Sie war ein Kind.

Ich aber fühlte, daß ich keine Macht über sie hatte. Durch nichts konnte ich Eindruck auf sie machen. Ich war wohl braun wie ein Fischer und meine Stimme war so rauh wie die eines Matrosen. Zuweilen sagte sie auch, daß ich wilde Augen habe. Ich hob den Stein, auf dem sie saß, ein wenig in die Höhe um ihr zu zeigen, daß ich Kraft hatte. Ich warf mich in die Brust und sagte, daß es mir Vergnügen machen würde, mit einem Schock Teufel um eines ihrer blonden Haare zu kämpfen. Nichts half.

Rosseherre, was soll ich tun, soll ich Feuer speien und Felsblöcke ins Meer schleudern wie der selige Polyphem? Hehe, Rosseherre, oder soll ich dir zeigen, daß ich stärker bin als du –


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