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II

Der Weg führte hoch oben über die Felsen dahin, in denen das Meer ohne Aufhören wusch und schaufelte.

Tag und Nacht war es an der Arbeit. Es fand eine Spalte und fing an, einen Tunnel zu bohren. In tausend Jahren sollte er fertig sein und es ging mutig ans Werk. Ein paar Schritte weiter hämmerte es in einer Höhle und meißelte in einem Schacht. In tausend Jahren sollte der Schacht mit dem Tunnel zusammenstoßen. Dann wollte es in den großen Stürmen Spitzhacken und Picken nach oben schicken um eine Halle auszuhauen. In abermals tausend Jahren war die Decke so dünn, daß sie nach den Regengüssen einstürzte, und dann stand eine Klippe da, frei und scharf wie eine Sense, und das Meer suchte sich eine neue Aufgabe. Es hatte Zeit.

Je näher man Sturmvilla kam, desto lauter wurde das Meer. Denn hier außen war der offene Ozean und der große Strom brach sich an den Klippen. Unaufhörlich stiegen die Gischtsäulen an den Riffen empor. Zuweilen dröhnte es, als ob eine ungeheure Felsmasse ins Meer stürzte. Eine große Woge. Ich hielt nicht mehr den Schritt an, nur manchmal erschrak ich noch tief innen im Herzen.

Vereinzelte bleischwere Tropfen fielen vom Himmel. Das Gewölk schleppte sich niedrig und schwer wie schwarzer Qualm übers düstre Meer und es wurde rasch Nacht. Unsere beiden Leuchttürme begannen zu arbeiten. Im Norden Stiff. Wie ein saugender, erschreckender Mond zuckte er hinter der schwarzen Heide empor. Zweimal weiß und einmal rot. Im Süden aber begann hoch oben eine geisterhafte Sonne mit vier bleichen Strahlenbündeln wie irrsinnig zu kreisen. Das war Creach. Er schleuderte seine Lichtgarben dreißig Meilen weit in die Nacht hinaus. Es waren sausende Hiebe von Doppelblitzen. Sie flogen über die schwarze Heide, die bleichen Giebel der Hütten, liefen wie eine leuchtende Schlange an den Klippen über der Bai drüben entlang, betasteten ein Riff, eine Woge, einen Wolkensaum, ein Segel – fort, Nacht, Schwärze – und schon blendeten sie wieder auf. Mit der Nacht, da die Geräusche des Tages verstummen und das Ohr sich schärft, donnerte das Meer um so lauter, und so kam es, daß man glaubte fortwährend in einem Gewitter zu leben.

Creach leuchtete mir auf den Weg. All die Felsen, die glattgeschliffenen Elefantenschädeln und Skeletten vorweltlicher Tiere ähnlich sahen, füllten sich mit Gestalt und Leben, wenn der Lichthieb über sie hinfegte. Mitten unter ihnen stand ein bleicher, abgezehrter Mönch, der den Arm erhob und den Skeletten predigte: »Es ist noch nicht zu spät, ihr Saurier!« In jeder Nacht stand er da und predigte, am Tage war er nichts als ein ordinärer Felsklotz. Auch mir predigte er, wenn ich vorüberkam: »Was den Sauriern gilt, gilt auch dir!« Und er drehte sich nach mir mit dem erhobenen Arm: »Es ist noch nicht zu spät, Heide!« Sturmvilla selbst sah wie ein bleicher Schädel aus, durch dessen zerfressene Nase ich hinein mußte.

Sie war früher ein Wächterhaus, aber nun gehörte sie Noel, dem Kaufmann, der ein Sammler alter Baracken war, die er mit großartigen Namen ausstattete: Villa de tempête, Sans-souci, Louis seize.

Ich nahm die Fische aus, schabte sie ab und briet sie in einem dick mit Butter beschmierten Papier über einem kleinen Feuer. Aus der Leber machte ich mit Butter, Salz und Essig die Sauce dazu. Dann hatten wir noch ein paar kleine Kartoffeln, herrlich!

Sturmvillas Gemächer bestanden aus einem einzigen kleinen Raum und die Hälfte davon nahm ein unförmiger pechschwarzer Kamin ein, der mich fast verschlang. Ich liebte es, davor zu sitzen und dem Feuer zuzusehen.

Die Fische zischten und draußen rumorte das Meer. Mein Ohr war fein und geschliffen und ich unterschied jede einzelne Woge. Der Strom stürzte sich gierig und wild gegen die Klippen, in der Ferne dröhnte es in gleichmäßigen Intervallen, als ob eherne Röhren ans Land rollten. Das war die Brandung in der Bai. Dazwischen unterschied ich ein fernes knatterndes Schnellfeuer. Das war das Meer bei Creach. Es hatte die Klippen in Trümmer zerschlagen und jede Woge rollte die zentnerschweren Kugeln auf und ab. Das Splittern und Krachen aber und die Schreie, was war das? Nein, ich öffnete nicht mehr die Türe. Ich sah nicht mehr schwarze Schiffsrümpfe auf- und abstampfen, ich hörte nicht mehr Ertrinkende schreien. Es waren die dunkeln Klippen, die da draußen tanzten, und ich wußte auch, woher die Schreie kamen. Es war das Wasser, das schrie, der Wind. Die Steine schrien.

Es pochte an die Türe. Ich wandte mich nicht um. Wer sollte kommen? Der Wind weinte an meinem Guckloch, er weinte von einem Schmerz, der nicht alltäglich ist, einem auserlesenen Schmerz, der das Herz eines Heiligen brach. Dann lachte er ein kleines, irrsinniges Lachen und weg war er.

Ich saß vor meinem kleinen Feuer und rauchte die Pfeife. »He, Poupoul, alter Kamerad!« sagte ich und kraute ihm den Kopf. Was war geschehen? Nichts. Aber es lag ein Geruch wie von Abenteuern in der Luft.

Dieser gelbe Irrwisch, der heute aus dem Meer gestiegen war! Ich machte mich bereit. Nimm dich in acht, Yann –


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